Anekdoten und Erzählungen.
Eine Woche aus dem Leben eines armen Landpredigers in England.
Richard Steele war zehn Jahre lang Vikar des reichen Doktors Snart gewesen, der eine Sinekure von jährlichen sechshundert Pfunden besaß, in der Provinzstadt ein gemächliches Leben führte, seine Pfarrei nie betrat mnd dem Vikar jährlich zwanzig Pfund bezahlte. Dafür mußte derselbe alle Sonntage in vier Gemeinden predige» und sonst alle Verrichtungen thun, die ein Landpfarrcr zu versehen hat. Richard Steele war arm geboren, aber gut, besonders fromm erzogen worden. Durch die Güte eines reichen Edelmanns, dem sein Vater während des amerikanischen Krieges Dienste erwiesen hatte, war eS ihm möglich geworden, zu studircn- Er kam auf die Schule nach Eaton und von da nach Cambridge als Famulus des jetzigen LordS, der gleichfalls dort studiren sollte.
Nach vollendeten Studien verließ Richard Steele die Universität und bewarb sich lange um eine Anstellung, bis endlich Doktor Snart, aus besonderer Rücksicht, wie er sagte, für seine guten Kenntnisse und sein musterhaftes Betragen, und aus Mitleid wegen seiner Armuth ihn zu seinem Vikar mit 20 Pfund jährlichen GchaltS ernannte. Die zehn Vikariats-Jahre des armen Richard waren die härteste», auch die verdienstvollsten seines Lebens. Denn während dieser Zeit lernte er die schwere Kunst, selbst im Mangel Gutes zu thun, und die Wege der Vorsehung zu achten. Als er in der Folge zu einer bessern Pfründe gelangte, erinnerte er sich oft mit Rührung an die Zeit seines Vikariats und zum ewigen Andenken an dieselbe schrieb er die Ereignisse der merkwürdigsten Woche seines Lebens, wie er sich auszudrücken pflegte, von Tag zu Tag nieder. Denn diese Woche entschied auf eine höchst unerwartete Weise sein Schicksal, an dessen Verbesserung er bereits verzweifelte.
Die merkwürdigste Woche meines Lebens.
Montag.
Heute habe ich von meinem Pfarrer Doktor Snart, meinen halbjährigen Vikarsgehalt mit 10 Pfund erhalten. Ich mußte diese Kleinigkeit wie gewöhnlich bei ihm selbst, eilf Meilen weit von hier, abholen. Als ich bei ihm ankam, ließ man mich noch über drei Stunden im Vorzimmer des Herrn Doktors stehe». Ich glaubte vor Müdigkeit nicdcrstnken zu Müssen. Endlich ward des Doktors Kabinet geöffnet; er empfing mich lehr übel und bot mir nicht einmal einen Stuhl
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ober eine Erfrischung an, obgleich er wußte,'wir weit ich bereits in der Tageshitze hcrgekommen sey und wie lange ich im Vorzimmer gestanden habe. Mit einer verdrießlichen Miene zählte er
- mir meine io Pfund vor, fand den Gehalt zu hoch und bemerkte, daß er einen andern Vikar um 15 Pfund haben könne. Ich nahm dasSün»
z dengcld und verließ den Doktor mit vcrwunde- r tem Herzen. Während der Heimreise versuchte
- ich auf alle mögliche Weise mir zu erklären, s wie wohl fünf Pfund Sterling den reichen Doktor a Snart reicher machen könnten's Ich vermochte r es aber nicht.
-> Dienstag.
^ Neun Pfund habe ich an sieben Personen be- ^ zahlt, welchen ich diese Summen schuldig gcwor- ^ den war. Der Üebcrrcst des Geldes reichte nicht " mehr hin, mir ein Paar Beinkleider anzuschaf-
- -sen, deren ich sehr benvthigt war. Schneider c Cubay hatte ein Paar, zwar bereits getragene, ' zu verkaufen; allein sic waren noch gut und mir
- gerade recht. Ich verzichte indessen darauf, denn *' meine Frau mußte unumgänglich eine» Rock, . und jede meiner beiden Töchter ein Paar Schuhe ; haben. Für mich blieb demnach kein Geld mehr ! übrig.
b Mittwoch.
, Rock und Schuhe sind gekauft worden. Aber t unglücklicher Weise verlor meine Frau eine hal» S be Guinee, die sie in die eine ihrer Laschen ge- r steckt, weiche ein Loch hatte. Ein leidiger Fall!
- Es blieb uns jetzt nur noch eine halbe Krvne t übrig. Davon sollten vier Personen sechs Mo» l nate lang leben. Ich tröstete meine Frau, die l äußerst niedergeschlagen war und sprach ihr l Mulh und Vertrauen auf die Vorsehung ein.
° Donnerstag.
- Heute erhielt ich aus dem Wirthshause ein , Billet von unbekannter Hand. Man ersuchte , mich, einer wichtigen Angelegenheit wegen dahin : zu kommen. Ich ging und fand dort einen
- Schauspieler, den der Wirth arrekirt hatte, weil er die Zeche von sieben Penny nicht bezahlen konnte. Der Fremde hatte etwas Edles im Ge-
> ficht, das mich anzog. Er bat wich, ihn aus der Verlegenheit zn ziehen. Ich gestand Ihm,
, daß ich so schlimm daran sey als er; allein ich
> versicherte ihn zugleich, daß ich bedacht seya
- würde, ihn morgen aus de« GastwirthS Händen zu befreien.
^ Donnerstag Abends.
Mein bisheriger Bäcker, den ich stets redlich ' bezahlte, kündete mir heute plötzlich den Kredit auf, den ließ mir sagen, ich möchte mich um einen andern Bäcker Umsehen. Der Fleischer war noch artiger. Er schickte sein Weib zu wir