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er die Verbannung aus dem Kreise seiner Verwandten und die Verachtung der Tugendfreunde verdiene, aber er überzeugte sich auch, daß er ihre Verachtung doppelt verdienen würde, wenn er sich keine Mühe gäbe, ihre Achtung wieder zu erlangen. Durch Widerwärtigkeiten bestraft und durch Reue gebessert, gicng sein größtes Bestreben dahin, sich seine eigene Selbstschätzung wieder zu verschaffen.
In dieser Lage wäre cs vielleicht der natürlichste Gedanke gewesen, zu seinem Vater zurüzukchren, und sich ihm reuevoll zu Füßen zu werfen. Aber sein ganzes Gefühl empörte sich dagegen um Verzeihung zu bitten, weil er den ernsten Vor- satz gefaßt hatte, sie erst zu verdienen. Die Kcnnkniße, die ihn sein Vetter zur Unterhaltung hatte lehren lassen, gebrauchte er nun dazu, um sich das Nöthige zu erwerben« Er besuchte verschiedene Städte unter einem angenommenen Namen. Er erwarb sich, außer den Wissenschaften, die er schon besaß, durch eifriges Studiren noch mehrere Kenntniße, und suchte sich vorzüglich zu einem geschickten und brauchbaren Kaufmann zu bilden.
Es waren verschiedene Fahre Verflossen, seitdem er das Haus seines Vetters verlasse» hatte. Sein Vater gab schon alle Hoffnung auf, ihn jemals wieder zu sehen. Aber die heilende Hand der Zeit hatte ihn gegen seinen Verlust noch nicht fühllos gemacht. Zwar hatte er seinen Sohn verdammt, aber er beweinte ihn immer noch. Sein einziger Trost war die F.eu idschaft Wildaus, der rin vortrefiicheS Herz besaß, und ein Mann von erprobter Rechtschaffenheit war. Wildau war frühzei- tig Wittwer geworden. Er hatte eine Tochter von 16 Zähren, die mit der Rechtschaffenheit, welche sie von ihrem Vater geerbt hatte, die Bescheidenheit ihres Geschlechts und die Schamhaftigkeit ihres zarten Alters verband. Mit ihren körperlichen Reizen vereinte sie eine unbeschreibliche An-
muth, die sich über alle ihre Handlungen und ihren Umgang ergoss, und die immer die Macht der Schönheit erhöht. Maria na, dieß war ihr Name, thcilte ihre kindliche Zärtlichkeit zwischen ihrem Vater und Ehrmann, der sie herzlich liebte, und der in ihr den Sohn ersetzt fand, den er verlohren hatte.
Unterdessen war Wilhelm in seine Vaterstadt mit ganz veränderten Sitten und Grundsätzen zurückgekehrt. Unerschütterlich treu dem Gelübde, seine Jugend, fehler wieder gut zu machen, entschloß er sich, wo möglich in seinem väterlichen Hause unter fremdem Namen Schutz zu suchen. Aber er verabscheute es, vor sei- nem Vater als ein schuldiger, obgleich jczt gebesserter Sohn zu erscheinen, wenn er sich auch vielleicht hätte schmeicheln können, Verzeihung von dem zu erhalten, der kein Augezeuge feiner Ausschweifungen gewesen war. Er war jetzt weniger besorgt, Vergebung zu erhalten, als Vergebung zu verdienen. Er wünschte durch seine Handlungen zu beweisen, daß sein Her; gebessert sep, und daß er ein unbestreitbares Recht auf die Güte seines Vaters habe.
Da Wilhelm schon als Kind aus seines Vaters Hause weggekommen war, so durfte er nicht fürchten, erkannt zu werden. Dieser Umstand war seinen Absichten günstig, und er verabsäumte nichts, ihren glücklichen Erfolg zu sichern. Da er, wie vorhin bemerkt wurde, die Handlungs- Wissenschaften zu seinem Haupt-Studium gemacht hatte: so hatte er sich unter dem angenommenen Namen Ludwig Frei- sing, den Ruhm eines geschickten Buchhalters erworben. Durch diese gute Empfehlung hatte er sich von Stadt zu Stadt fortgeholfen, und war auch jetzt so glücklich, bei Wildau in Dienste zu kommen.
(Die Fortsetzung folgt.)
In dem Dorf und in der Stadt Jedes Ding zwei Seiten hat.