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du glaubtest, die Glückseligkeit deines Freundes zu vermehren. Aber ach! mein Freund! Unsre Hoffnungen sind getauscht! dieß Gesiändniß habe ich lange aufgescho­ben, weil ich den Kummer vorher sah, den cs dir verursachen würde. Aber lan­ger kann ich cs dir nicht verhehlen. Dein Wilhelm ist deiner und meiner unwür­dig, und sein bisheriges Betragen laßt mich wenig Gutes für die Zukunft hoffen. Ich will hier seiner Knaben - Thvrheiten nicht erwähnen. Die Fehler des Knaben­alters sind weniger Folgen des Charakters als der Gedankenlosigkeit und des Leicht­sinns dieser zarten Jahre. Aber was soll ich zu den folgenden sagen? Seine ausser­ordentliche Lebhaftigkeit schien mir die er- sie Frucht und der beste Bürge seines Ver­standes: in seiner Ungelehrigkeit sah ich nur einen edlen Stolz. Ich übernahm mit dem Vaternamen auch die Schwachhei­ten eines Vaters. Wilhelms Fehler hat­ten überdem etwas Hervorstechendes, Glan­zendes, das Licht blendete und verführte. Ich ward blind gegen seine Fehler! Ach warum bin ich es nicht noch? Aber er hat den Schleier von meinen Augen ge­rissen, und ich bin die Beute der fürchter­lichsten Besorgnisse. Er ist allen Leiden­schaften seines Alters mit einer aufbrau­senden Hitze ergeben, die weder Vernunft noch Ansehen bändigen kann. Kurz es ver­streicht kein Tag, daß nicht feine Gesund­heit und sein Glück, in der größten Ge­fahr sind. Weder mein Kummer, noch die Leiden, die er sich öfters durch sein Be­tragen zuzieht, machen den geringsten Ein­druck auf ihn. Ich weiß, daß ich dein Herz verwunde, aber das meine blutete schon lange, ehe ich mich entschließen konnte, das Stillschweigen zu brechen. Meine ein­zige Hoffnung beruht noch auf dir. Schreib an ihn; rede mit ihm, als ein zärtlich fühlender, aber auch als ein zürnender Vater. Sollte auch dieser letzte Versuch fchischlageu, so gebe ich alle Hoffnungen

auf, und gebe dir ein Geschenk zurück, das uns beiden Kummer macht. Denn ein verdorbenes Herz wird selten durch Ver­änderung des Aufenthalts gebessert. Ich habe das Unglück, mich nicht von einem undankbaren Vetter befreien zu können, ohne dich zugleich mit einem unnatürli­chen Sohne zu belasten."

Dieser Brief versetzte den armen Va­ter in die tiefste Vetrübniß. Er war über­zeugt, daß er ihn von sich gelassen hatte, um sein Glück zu befördern, und er sah seine gute Absichten vereitelt. Dieser Ge­danke schärfte das Gefühl seines Unglücks Noch mehr. Eine Art von Täuschung, die das väterliche Herz wohl nie verlaßt, mach­te ihn glauben, daß sich sein Sohn viel­leicht nie den Ausschweifungen ergeben hatte, wenn er unter seiner Aufsicht aus­gewachsen wäre. Es ward ihm daher schwe­rer, seinen Sohn zu verdammen, als sich von einem Theil der Schuld loszuspre­chen. In dieser traurigen Lage empfand er ganz die Seligkeit, das von Kummer beschwerte Herz in den Busen eines theil- nehmenden Freundes auszuschütten. Er eilte zu Wildau, der mehr sein Freund, als sein Handelsgcnoße war. Sie lebten zusammen, mehr durch die Gleichheit ih­rer Gesinungen, als durch Handelsverbin­dungen vereint. Er klagte ihm seinen Kum­mer, den Freundschaft auch zu dem steini­gen machte, und erst, nachdem er gegen ihn sein Herz erleichtert hatte, schrieb er an feinen Sohn. Wilhelm las seinen Brief, nicht ohne Rührung. Aber trotz der Thränen, die er ihm auspreßte, setzte er doch seine Lebensart fort. Die Bitten und Drohungen Sei ding 8 waren ihm ein leerer Schall, und die Ermahnungen sei­nes Vaters verachtete er bald als lächer­liche Declamationen. Das Haus jeder tu­gendhaften Familie war für ihn verschlos­sen; und jeder, der seinen guten Ruf er­halten wollte, floh seinen Umgang.

(Die Fortsetzung folgt).