Ermordete seh, wie sein Vater heiße, wo er wohne, wovon er lebe, und dergl. Eben solche Erkundigungen zog er auch über den Lhäter ein. Dann kehrte er zurück, und begann zu Hause im Geheim einen höchst weitlauftigeu Prozeß gegen den Mörder. Falls ihm etwas nicht ganz deutlich war, so wußte er recht geschickt und von wei­tem, durch Gespräche mit den Angehöri­gen des Ermordeten oder des Thaters, das Nöthige auszukundschaften. Wenn er alles recht gefaßt zu haben glaubte, ward es in seine Akten eingetragen, bis er diese für Vollständig, und die Sache zum Spruche reif hielt. War der ganze Handel der Ordnung gemäß abgemacht, so schrieb er bas Urtheil nieder, entweder zur Einlas­sung, wenn er den Angeklagten für un­schuldig hielt, oder zur Hinrichtung durch den Strang oder das.Schwerdt, wenn ihm dieser straffällig schien. Die Akten verschloß er in einem Kasten, nahm den Draht wie­der vor, zog das Leder und versohlte die Schuhe, pfeifend und wartend, was wohl das Gericht über den gefangenen Mörder beschließen würde.

ES begab sich wohl zuweilen, daß das Gericht, gründlicher untersuchend als der Schuhflicker Gianni, einen zum Tode ver- urtheilte, den er freigesprochcn hatte. Dann wüthctc er und schrie voll Ingrimm: Heut zu Tage ist keine Justiz mehr im Lande, und die Ungerechtigkeit sitzt auf dem Throne. Hält ich nur eine Armee unter meinem Kommando, dann wollt ich wohl die Unschuld retten, aber ich bin leider ein armer Teufel, und muß des­wegen ein Auge zudrücken." So sprach er, gicng voll innere» Kampfes umher, und jammerte über seine Ohnmacht. Wenn hingegen Jemand vom Gerichte freigespro­chcn war, den seine Prozeßakten verdamm­ten, dann ries er:Gott scv Dank, daß ich doch im Stande bin, dein Justizun- sug zu steuern!" Er wartete den Einbruch

der Nacht ab, lud eine Flinte mit drei Kugeln, stellte sich in einen verborgenen Winkel nahe am Hause des Entlassenen, und wenn dieser kam und an die Thüre klopfen wollte, sandte ihm Gianni die drei Kugeln in den Schädel, und schlich sich dann in seine Wohnung zurück. Hier nahm er seine Prozeßakten zur Hand, und schrieb unter seine Sentenz: Vollzogen an dem und dein Tage im Jahr . . . Dann verschloß er seine Papiere, und schlief mit der freudigen Uederzeugung ein, daß er die Ungerechtigteit des Ge­richts vereitelt habe.

Am Morgen fand man den Getödeten; aber wer halte cs gcthan? Gianni saß mäuschenstill, und Niemand erfuhr etwas. So entstanden denn neue Klagen, Verdacht, Zankereien und Todtschläge. Die Familie des Erschoßenen war gewöhnlich der Mei­nung, die Verwandten des zuerst Getödte- ten hätten sich auf diese Art zu rächen ge­trachtet. Kurz, es erwuchs Streit aus Streit, und gedieh dahin, vaß Gninni we­nigstens alle Monate einmal Gerechtigkeit übte, und seinen Kasten voll Prozesse be­kam.

Es war zu erwarten, daß der uube- ru ene Richter doch endlich einmal der ei­gentlichen Justiz in die Hände fallen mußte. Als er einst bei Nacht einein seiner Ver- urthcilten die Ladung ins Herz gejagt hatte, ward er von der Dlenerschaft ergriffen, Vestgebundcn und ins Gefängniß gebracht. Hier führte er so seltsame, dreiste und nie gehörte Reden über die verschiedenen Ar­te» der Prozesse, über das Verhassten und Hinrichten, daß man sich veranlaßt sah, dem Statthalter davon Nachricht zu geben. Dieser war begierig, den Menschen selbst zu sehen, und ließ ihn vor sich führen. Auf die Frage: wer er seh, und weshalb er je­nen Mann getödtet habe? antwortete er freimüthig:Gnädiger Herr, ich bin ein armer Schuhflicker, aber ich befliß mich