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Parodien und Travestien. 12. geb. 56 kr. Nomanus - Büchlein, vor Gott der Herr bewahre nieine Seele, meinen Aus- u. Eingang, von nun an bis in Ewigkeit, g. Venedig. 1326. 15 kr.

F. W. Bischer, Buchdrucker.

Anekdoten und Erzählungen.

Die Nase.

Eines Tages kam Azora höchst erzürnt Von einem Spatziergange zurück. Der Ausrufungen war kein Ende. Was ist dir denn, mein liebes Weibchen? sprach er, warum bist du denn so außer dir? Ach! antwortete sic, du würdest es eben­falls sepn, hättest du nur gesehen, was ich gesehen habe. Ich ging aus, um die junge Wittwe Cosru zu trösten, die vor einigen Tagen ihrem jungen Manne bey dem Bache, der sich dort um jene Wiese schlingt, ein Grabmal gesetzt hat. In ihrem schmerze hat sic den Göttern gelobt, diese Grabstätte nicht zu verlassen, so lange der Bach noch daran hinriescln werde. Nun, sprach Zadig. das ist doch einmal eine achtbare Frau, die ihren Mann wahrhaft liebte! Ach ! entgegnete Azora, wüßtest du nur, was sie trieb, als ich ihr eben meinen Besuch machte! Was denn, schöne Azora? Sie ließ den Bach abgraben. Azora ergoß sich in so unendlichen Schmähungen, stieß so gewal­tige Vorwürfe gegen die junge Wittwe aus, daß dieser Prunk mit Tugend, Jadig gar nicht behagen wollte.

Er hatte einen Freund, Namens Cador, der zu den jungen Leuten gehörte, an denen seine Frau mehr Rechtlichkeit und Verdienst, als an andern bemerkte. Ihm Vertraute er sich an und suchte ihn, so gut nur immer möglich, durch ein bedeu­tendes Geschenk zu gewinnen. Azora hatte zwei Tage bey einer Freundin auf dem

Lande zugcbracht, und kam am dritten wieder nach Hause. Das Gesinde vertündet ihr jetzt mit Thränen, daß ihr Mann in der letzten Nacht plötzlich gestorben sep, daß man nicht gewagt habe, ihr diese traurige Nachricht zu hinterbringen, und Zadig eben in der Todeshallc seiner Vater am äußersten Ende des Gartens bepgesetzt worden wäre. Sie weint, sie reißt sich daö Haar aus und schwört zu sterben. Gegen Abend bittet Cador um die Erlaub- niß sie zu sprechen. Sie weinen gemein­schaftlich. Am folgenden Tage lst das Weinen nicht mehr so heftig, und sie spei­sen zusammen. Cador äußeit vertraulich, sein Freund habe ihm den größten Theil seines Vermögen« vermacht, und er würde es für das größte Glück halten, diese Güter mit ihr zu theilen. Das Frauchen weint von neuem, grämt sich von neuem, beruhigt sich aber auch wieder; man ver­weilt sich etwas langer bei) dem Abend-, als bey dem Mittagsesscn, und das Ge­spräch wird immer inniger. Azora rühmt den Verstorbenen, aber sie gesteht doch, daß er Fehler gehabt habe, von denen er, Cador, ganz frei scy.

Noch während des Abendessens beklagte sich Cador auf einmal über einen sehr, heftigen Schmerz in der Milz. Unsre Wittwe geräth in Angst und bringt eiligst alle ihre wohlriechenden Wasser herbey, um zu versuchen, ob nicht eins davon gut gegen das Milzstechen seyn möchte. Sie bedauert herzlich, daß der große Hermes noch nicht in Babylon scy und ist selbst so freundlich, dieSeitc mit der Hand zu streichen, wo Cador, den schrecklichen Schmerz empfindet. Leidest Du denn oft an dieser furchtbaren Krankheit? fragt sie mitleidig. Sie bringt mich, antworte! Cador, zuweilen bis an den Rand des Grabes, und es giebt nur ein einziges Mittel zu meiner Linderung daß ich mir nämlich die Nase eines Tags zuvor Verstorbenen Menschen auf die Seite lege.