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Nagolder TagSlatt.Der Seselljchaster"
Dienstag, de» 24. Dezember 1»4«
Puppenhaus und Zinnsoldaten
von» Kinderspielzeug aller Zeiten und Zone«
Von Eva Keßler
/Die Geschichte des Kinderspielzeugs spiegelt in den Umrissen ihrer Entwicklung die Kulturgeschichte der Menschheit. Die Gleichartigkeit des einfachen Spielgerätes von heute und von zweitausend Jahren ist überraschend, doch macht die Ueber- legung, daß llrinstinkte im Kinde walten, die seine Wahl des Spiels bestimmen, jene durch den Lauf der Zeiten unberührte Gestalt verständlich.. Entscheidende Wandlungen der einzelnen Ge- «Ktschasten. die als historische Spiegelungen betrachtet werden Können, sind nicht durch die stets gleiche Urform der Rassel und dre Kreisels gegeben, sie treten vielmehr durch die Veränderung .iwr Puppe, die ein Bild der Zeit ist, und des sorgsam angefer- itigt«« Kleingerätes, das die Umwelt der Erwachsenen nach- Hormt, in Erscheinung. Jedts Kind verlangt zuerst nach Tieren, ,'ckse« Spielzeug, das dem Veschüftigungskreis der Bauer» und Lirte» entnommen ist: später rücken die anderen Beüviele mensch« kcher Beschäftigung in den Vordergrund. Das Mädchen sieht immer die Mutter in ihrem häuslichen Arbeitskreis: beim Knaben li»d«rt sich der Neigungskreis sehr oft.
Die Nachrichten, die aus dem frühen Mittelalter zu uns her- lvrrklingen, sind spärlich. Die Überlieferungen lasten nicht er- k««»rn, wie die Herstellung von Spielzeug in den Zunftgesetzen geregelt war. Die neuere Zeit brachte einigen Wandel. Spielzeug wurde nun von allen Handwerkern nebenbei hergestellt. Einer Spielzeugerzeugung im modernen Sinns standen die strenge» Zunftgesetze entgegen.'Jeder Meister durfte sich nur in den hart innriffenen Grenzen seines Handwerks betätigen
Von Nürnberg, Augsburg und N l m aber wisse» wir, datz sie feines Spielzeug lieferten. Schon im Jahr 1866 wurde Aolzspielzeug von Nürnberg nach Venedig auf den Markt gebracht. Nürnberg und Fürth waren damals fast konkurrenzlos in der Welt. So wird berichtet, daß manche Werkstätte in Nürnberg allein 36 600 Holztrompeten herstellte. Im Jahre 1872 erhielt der kleine Kurprinz von Sachsen von seinem Vater eine Tagd mit Hirschen, Rehen, Füchsen, Wölfen und Hasen; auch Pferde, Maulesel und ein Schlitten gehörten dazu. Eine kleine Puppenküche wird erwähnt mit 71 Schüsseln, 46 Brattellern, 36 Löffeln, 28 Töpfen aus Zinn, die einer kleinen Prinzessin geschenkt wurde. Als im Jahr 1630 der kaiserliche Kommissarius Octavio Piccolomini die Friedensverhandlungen zu Ende geführt hatte, erschienen Knaben auf Steckenpferden vor seinem Quartier. Jedes Kind erhielt einen silbernen Pfennig.
Die Herstellungsart der Puppe hat sich im Laufe der Zeiten «e»ig geändert. Die Puppe der alten Zeit bestach durch die Pracht ihrer Kleidung; oft war sie sogar Trägerin der Mode, di«, wenn sie ihre ursprüngliche Bestimmung erfüllt hatte, den Reinen Mädchen zum Spielen überlasten wurde. Vis zum 19. Jahrhundert kannte man die Puppe nur im Kleide der Erwachsenen; das Wickelkind fehlte früher ganz. Das Puppenhaus ist Gemeingut aller Länder Europas, die seit dem Ende des sechzehnten Jahrhunderts zu den Kulturstaaten gerechnet werden. Schon im 17. Jahrhundert finden wir cs in Frankreich und Holland und Deutschland, im 18. in Italien und England.
Vas deutsche Puppenhaus ist bei aller Sorgsamkeit der Ausführung bürgerlich und am wenigsten spielerisch in der Auffassung, das holländische atmet die Behaglichkeit des reichen Kaufmannshauses, das italienische (von dem nur ein Exemplar erhalten ist) zeigt den Stil des Palazzos. Kein Stich und keine museale Rekonstruktion kann einen so genauen Einblick in das Haus des 17. u«d 18. Jahrhunderts geben, wie diese Dockenhäuser es tun. Die a«s Holland erhalten gebliebenen stellen das Kostbarste dar, was a«f diesem Gebiet geschaffen worden ist. In solchen Häusern finden wir: Schlafzimmer, Studienzimmer mit Bibliothek und Tammlungszimmer mit einer kleinen Puppengesellschaft, eine Bügelkammer mit zwei arbeitenden Mägden, einen Stall mit Pferden, Schlitten und Wagen. Als Peter der Große in Holland war, gefielen ihm diese Häuser so gut, daß er ein solches für sei»« Familie bestellte, als es aber den angesehten Preis von 26 066 Gulden überstieg, übersandte er es zurück, und sein Resident in Holland, der die Ueberschreitung des Preises verschuldet hatte, mußte es selbst behalten.
Die Heimat des Z i nn s o l d a t e n ist Nürnberg. Ludwig XIV. besaß eine ganze Armee aus Silber, die 86 606 Taler gekostet hatte. Der Handel mit Zinnsoldaten erreichte um die Mitte des 19. Jahrhunderts seinen Höhepunkt. Nebcn Soldaten wurden auch andere Modelle in Zinn nachgegossen: Jahrmärkte und Volksfeste, die neue Nürnberg—Fiirther Eisenbahn, sogar die Revolution des Jahres 1843 mit ihren Barrikadenkämpfen.
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Leise schloß sich die Türe hinter ihm. Das Gittli starrte auf die Türe. Sie hörte ihr Herz klopfen. Dann sprang sie ans und faßte die Bäuerin angstvoll am Arm.
„Mutter — was hat denn der Bauer heut?"
Ein müdes Lächeln. Die Bäuerin strich dem Mädel sicher das Haar.
„Mutter jagst — es is so schön, Gittli, wenn du Mutter ja-st zu mir. Derfst es schon sagen zu mir, du hast ja mein Stiben auch gern g'habt."
Sie hielten sich umschlungen und saßen aus der kleinen Lank neben dem Herd. Nichts hörte man als das leise Nahrungsaugen der Lampenflamme. Und der Regen klopfte an» Fenster, eintönig und monoton. Fast einschläfernd «irkte es. Später Hub der Wind an und rüttelte an Fenster »G Türen. Rascher und härter hämmerten die Tropfen an das Fenster und auf einmal aber hatte ihr Ton kein Klingen «ehr, sondern es wurde ein weiches, weißes Schmiegen. Ms Regen löard Schnee, und als Gittli vor dem Schlafengehen nochmal vor die Haustüre trat, war das ganze Land schon wie mit Zucker überjät.
Es war m derselben Nacht.
Auf die granitdunkle Wassermauer hob sich das Schiss und tauchte dann wieder mit höhnischer Verbeugung, den scharfen Kiel ins Wellental, der nächsten Flutwand entgegen. Da« Schiff wartete den Angriff nie ab, es bohrte sich immer wieder knirschend in die zornbebenden Wellenberge und zwtingte den scharfen Stahlteil durch die zusammenschlagen-
Montaigne sagt, das Spiel der Kinder sei für sie kein Spiel, sondern ihre ernsteste Beschäftigung. Vielleicht macht es dieser Ernst des Spieles, daß uns sein Gerät so überaus rührend erscheint, als sei in dem vielgestaltigen, bunten Spielzeug ein Schimmer von dem Traumleben des Kinderlandes eingefangen.
Zimtftern in der Retorte
Eine Erfindung, die Hausfrau und Bäcker erfreut
Der Zimt gehört zu den Gewürzen, die sich seit mehr als zwei Jahrtausenden großer Beliebtheit erfreuen, nicht nur weil er die Speise wohlschmeckender macht, sondern auch aus gesundheitlichen Gründen. Wir wissen, daß er die Verdauung fördert, und die Bewohner der Tropen gebrauchen ihn noch zu manchem anderen Zweck als Arznei.
Da nun der Zimt aus dem Auslande zu uns kommt und durch kein heimisches Gewächs zu ersetzen ist, so hat sich die chemische Wissenschaft neuerdings an die Aufgabe gemacht, das Gewürz auf künstlichem Wege herzustellen. Das bot insofern keine Schwierigkeit, als man die Zusammensetzung des Eeylon-Zimt's kannte. Bei dieser edelsten bczw. echtesten Art des Gewürzes hyndelt es sich um das Naturerzeugnis aus der Jnuenrinde der rutenförmigen Wurzelstockschößlinge des Leylon-Zimtstrauches. Die chemischen Bestandteile des ätherischen Oeles, das darin enthalten ist, konnten schon früher festgestellt werden, und zwar handelt es sich in der Hauptsache um das sogenannte Zimt-Aldehyd. Als Aldehyd bezeichnet man eine Gattung chemischer Verbindungen, die mit dem Alkohol verwandt ist und aus ihm durch geeignete Behandlung gewonnen werden kann.
Die Schwierigkeit bestand nun in der Hauptsache darin, dieses Zimt-Aldehyd haltbar zu machen. Dieses Ziel.konnte neuerdings nach langwierigen Versuchen im Chemischen Staatsinstitut zu Hamburg erreicht werden, wie die Zeitschrift „Chemische Industrie" mitteilt. Es gelang durch einen geringen Zusatz von Eugenol, einer Droge, die aus Eewllrznelkcnöl hergestellt wird, sich aber auch ganz in der Retorte gewinnen läßt. Im übrigen waren bei der künstlichen Zusammensetzung des Zimt-Aldehyds keine besonderen Hindernisse zu überwinden. Es läßt sich ohne weiteres aus verwandten Aldehyden im Laboratorium Herstellen. Schließlich muß allerdings noch ein Trägerstoss hinzugesü.gl werden. Man nimmt dazu ein pulversörmiges Gemisch aus Schalen von Mandeln und Haselnüssen sowie ähnlichen Leckereien.
Dem künstlichen Zimt wird das Zeugnis erteilt, daß er dem Naturprodukt des heißen Indiens in vielen Dingen gleiche; Duft, Geschmack, Aussehen, Streubarkcit und Abmeßbarkeit auch kleiner Mengeil seien gut. Darüber hinaus besitze das Erzeugnis der-Retorte gar noch Vorzüge gegenüber der Rinde des tropischen Strauches. Es sei billiger, außerdem auch stärker und lasse sich leichter den verschiedenen Geschmacksrichtungen und Gebrauchszwecken anpassen.
Mehr kann iizan füglich nicht verlangen. Der Chemiker darf die Herstellung des künstlichen Zimts als einen Erfolg betrachten, gleichzeitig auch als eine Ermutigung, denn es ist ihm nun zum -weitenmal gelungen, ein ausländisches Gewürz vollwertig zu Ersetzen. Der erstmalige Erfolg war das Vanillin. Aber die Reihe jfer Gewürze, die des,Ersatzes harren, ist noch lang...
Weihnachten im Prisma
Seltsame Wortverbindungen des alte« Weihnachtsnamens
Nicht nur die vielen Dinge der Weihnachtszeit haben den Namen des schönsten Festes angenommen. Zwar Weihnachtsbaum und Weihnachtsmann, Weihnachtskrippen und Weihnachtsmusik sind uns allen längst feststehende Begriffe. Und auch der „Weihnachtskreis" hat engsten Bezug auf das Fest: es sind die auf Weihnachten hinsührenden und von Weihnachten her bestimmten Fest- zeiten des Kirchenjahres von Advent bis zum letzten Sonntag nach Evivhanias.
Was aber wissen wir zum Beispiel von der Weihnachtsinsel, oder richtiger gesagt von den Weihnachtsinseln, denn es gibt ihrer sogar zwei? Die eine dieser Inseln liegt im Indischen Ozean, südlich von Java. Hier leben nur etwa 1600 Einwohner, die fast sämtlich bei der Ausbeutung der großen Phosphatlager der Insel ihre Arbeit finden. Das Eiland selbst ist ein riesiger Korallenfels, der im Nordwesten von offenen Riffen umgeben ist und wahrscheinlich noch einen vulkanischen Kern unter sich hat. Das Land ist wasserlos, aber mit riesigen Bäumen und Sträu- chern bedeckt. Außer Eidechsen, Fledermäusen und Scharen von Seevögeln sind keinerlei andere Tiere auf der Weihnachtsinsel zu finden.
Die zweite Weihnachtsinsel liegt in weltabgeschiedener Einsamkeit. Auch sie ist eine Koralleninsel, die größte der Fanning-
inseln in den Pazifischen Sporaden, das sind die äußersten Inselgruppen des gewaltigen polynesischen Insel-Komplexes östlich von Australien. Diese zweite Weihnachtsinsel wurde von Cook getauft, der sie am 24. Dezember 1777 entdeckte. Die Insel, die mit etwa 607 Quadrati*.ometer etwa dreimal so groß ist als ihre Namensschwester, besitzt große Euanolager und gute Anlegeplätze. Die Lagune und ein gefährliches Riff machen die Schiffahrt in diesen Gewässern nicht ungefährlich. Landschaftlich bildet die Insel ein trostlos ödes Bild, das nur durch wenige kümmerliche Kokospalmen unterbrochen wird.
Die „Weih na ch ts fln t" hat keineswegs, wie man an- nehmcn könnte,, etwas mit den ozeanischen Gezeiten zu tun. Es ist vielmehr eine „Flut", die sich über den — Harz ergießt. Man versteht darunter eine Niederschlagsperiode, die sich im Oberharz häufig um die Weihnachtszeit einzustcllen pflegt.
Und schließlich sind da noch die Pflanzen, auf die der Name der Weihnacht übergegangcn ist: Weihnachtsrose und Weihnachtsstern. Die crstere heißt mit ihrem weniger poetischen Namen „Nieswurz", weil sie zum Niesen anregt, trägt aber sonst in deutschen Gauen die Bezeichnung Christ-, Weihnachts- oder Schneerose, auch Schnee- oder Eisblnme, Lhriftwurz oder Feuerkraut. Es ist dies eine Art der Nieswurz, deren weiße oder blaß rosafarbene Blüten meist schon im Winter ansetzen; man findet die Weihnachtsrose in lichten, sonnigen Gehölzen der Alpenländer.
Eine beliebte Zierpflanze, die aus Büttel- und Südamerika zu uns gekommen ist, ist der strauchartige W e i h n a ch t s ste r«r, der zu den Wolsmilchgewächsen gehört. Es ist eine winterliche Topfpflanze mit großen zugespitzten, langgcstielten Blättern. Daneben gibt es noch den „glänzenden Weihnachtsstern", auch Christusdorn genannt, der sich mit seinen zinnoberroten Hüll- blättchen ebenfalls großer Beliebtheit erfreut.
Humor
Das Weihnachtsidyll
Wir lagen im Weltkrieg weit hinter der Front in Reserve .Hallen uns für den Weihnachtsabend auf dem militärisch nicht ungewöhnlichen, aber verbotenen Requisitionswege eine schöne schlanke Weihnachtstanne besorgt und uns, abseits von der Kompagnie, im Quartier zu einer gemütlichen Feier vereinigt. Lichterglanz, Festtagsstimmung, Weihnachtslieder und die quietschende Begleitung einer verstimmten Ziehharmonika. Der Bataillonsgewaltige kommt vorbei und wird verlockt, uns zu besuchen. Ganz besondere Freude macht ihm unser Weihnachtsbaum. Sein Blick fällt auch auf einige noch fest umschnürte Pakete, die zwi» schen den von uns empfangenen Liebesgaben auf dem Tisch liegen. „Wem gehören diese Pakete? Wo ist der Mann?" — ,,J» Arrest, Herr Hauptmann!" — „Hm — und weshalb?" „Wett er die Tanne geklaut hat!"
„Ist es Herrn Leutnant egal?"
Musketier Lerchenmüller hat sich bei einer Patrouille ausgezeichnet und muß seinem Kompagniesührer darüber genaue» Bericht erstatten. Dieser ist mit Lerchenmüller sehr zufrieden und da er gerade durch einen besonderen Elücksfall eine herrliche große Leberwurst auf seinem Tisch liegen hat, lädt er den schmunzelnden Musketier ein, sich zu bedienen. „Ist es Herrn Leutnant egal, wo ich die Wurst anschneide?" — „Natürlich, lieb« Freund!" — „Dann schneide ich sie lieber in meinem Quartier an, Herr Leutnant!" Stramine Kehrtwendung, und weg u»»t Lerchenmüller und die Wurst auch!
Das Urlaubsgesuch
Während der llrlaubssperre läuft bei der Batterie folgend« Gesuch ein: „Ich bitte um zehn Tage Urlaub. Begründung^ Meine Frau kommt nieder und meinem Vater geht es auch niD viel besser. Kanonier L."
Die steife Brust
Da fällt mir eine heitere Begebenheit ein. Das war noch vor dem Weltkrieg, als man noch gestärkte Mannschetten und die steifen abnehmbaren Vorhemdchen trug, die die Leute auch „steife Brust" nannten..
Die angehenden Rekruten standen im Adamskostüm angr- treten vor dem Stabsarzt, der sie mit kritischem Blick musterte. Sein Blick blieb auf dem Nebenmann haften:
„Sie! Wo haben Sie denn Ihre Brust?" fragte er den ganz unsoldatisch dastehenden Rekruten.
Der nahm prompt Haltung an: „Draußen auf dem Stuhl. Herr Stabsarzt."
den Wogen. Zischend perlten die zerbrochenen Wellen von den glänzenden Flanken des Ozeanriesen wieder in die Flut zurück
.Bom Mittelschiff klangen leise Tanzweisen herüber. Beim Donner der brechenden Wellen verloren sie sich zuweilen.
Das blonde Haar wild zerzaust, stand ein Einsamer an der Reeling und schaute gedankenschwer aus das Spiel der vielen Lichter, die, aus den Schiffsluken kommend, über die Wogen hüpften wie Kobolde, um dann in der schwarzen See zu ertrinken.
Langsam wanderte Florian Feichtner zum Heck Niemand war sonst an Deck. Ja. er wich allen Menschen ängstlich aus, denn er glaubte, es müsse ihm jeder Mensch von der Stirne ablesen, daß er einen Menschen erschössen hatte.
Wie lange war denn das schon her?
Fort mit den Gedanken. Das war der Florian Feichtner, der Oberhofersohn, den das Glöcklein in die Welt geläutet hatte. Hier aber stand der Dienstknecht Georg Berghammer. Florian Feichtner mußte tot sein für die Welt.
Wie wild doch das Wasser sich gebärdete. Zornvoll spreizte sich das Meer gegen seinen Bezwinger, den Ozeandampfer „Cornelius". Aber es hals nichts, es mußte sich fügen, so wie der Kassel sich einst fügen mußte. Berge und Meer. Zwei Gewalten waren es, irgendwie benachbart in ihrer Kraft. Ob die Spitze des Kofsels wohl schon Schnee trägt jetzt? Die Edelweiß werden alle mütterlich zugedeckt sein jetzt vom weichen Flaumenbett der Frau Holle.
Zum Teusel! Immer wieder diese Gedanken. Daß man denn nie vorwärtsdenken konnte. Nur immer rückwärts. Und es war doch das Tor zugeschlagen hinter seinem Leben.
Wie lange war jetzt das schon her, daß er über die Schweiz kommend, durch Frankreich fahrend, in Antwerpen dieses Schiff bestieg?
Er rechnete nach und kam immer wieder raus, denn zuweilen hob sich das Schiss so ruckartig, daß er seine Gedanken ganz der Gewalt des Meeres zuwandte.
Immerhin, er war schon gleich vier Wochen auf dem Schiss. Vier Wochen erst, und doch schien es ihm, als sei es schon ein halbes Menschenalter her, daß er über die herbstlich stillen Almen seiner Heimat ging. Und wenn er zuweilen in schmerzhafter Erinnerung die Augen schloß, so sah er immer wieder die hohen Berge vor sich und den grünen Wald. In seinem Ohr war oftmals der schwere Ton der Heimatglocken, an deren wunderbarem Klang er sich einst als froher und friedvoller Mensch gefreut hatte. Er sah das Gittli in ihrer jungen, Hellen Schönheit und sah die Eltern, schmerzgebeugt und trauernd um ihn, den einzigen Sohn, der einst ihr Stolz gewesen war.
Ach. diese Bilder! Daß sie sich immer wieder heran- drängten und um seine Seele tänzelten. Wo anderen Menschen die Erinnerung zum Paradies wird, aus dem sie niemand vertreiben kann, da wurde sie für ihn zur freudlosen Landschaft, aus der er sich vergebens zu flüchten suchte. Wo die Erinnerung anderen schöne Stunden voll stiller Herrlichkeiten schuf, legte sich bei ihm als schwere Last aus die Seele. Ach, es war ihm gar nicht Angst vor dem Unbekannten, das vor ihm lag, es war etwas ganz anderes, das ihm die Seele manchmal zujammenschnürte, es war nichts anderes, als grenzenloses Heimweh. Und er war auch m dieser sturmbewegten Nacht wieder versucht, die Stirne in die Hände zu pressen und zu weinen wie ein Kind, das sich verirrt hatte im dunklen Wald, der kein Ende zu nehmen schien.
Ja. Heimweh, nichts als brennendes, zehrendes Heimweh. Jenes Heimweh, das nach jedem Baum der Heimat schreit, nach jedem Stein, der am Wege liegt.
Müde preßte Florian die Fäuste an die hämmernden Schläfen. Niemand sah ihn in seiner grenzenlosen Verlassenheit, niemand hörte sein Stöhnen. Ganz mutterseelenallein stand er am Heck. Um ihn war das weite, nacht- dunkle Meer, das ohne Raum und Grenzen zu sein schien-.
(Fortsetzung folgt.).