5. Seite Nr. 164

Ra«older Tagblatt.Der Gesellschafter-

Dienstag, den 18. Juli 1948

Von Kriegsberichter AdamNothelfer

' (PK.) Das bitterste Los, das einen Soldaten treffen kann, ist, in Gefangenschaft zu geraten. Ueber die Behandlung und Versorgung der Gefangenen haben sich zwar alle Kultur­staaten geeinigt und feierlich die Einhaltung dieser Verpflichtung) gelobt. Vor einem Abgrund der Verkommenheit, der Verrohung! und der sittlichen Verwahrlosung stehen wir aber dann, wenn Ge­meinheiten, Besudelungen und Massaker von Soldaten oder gar Offizieren begangen werden. Soldatische Haltung und Disziplin,

Soldatenehre und die Ehre einer Armee allein schon müssen so nn einfachsten Mann verwurzelt sein, daß er derartige Handlun- aen nie und nimmer begeht. Der folgende Bericht, wahrhaftig eine Leidensgeschichte, reißt nun erbarmungslos der .Grande Nation" die Maske herunter, und wir betonen nur noch, daß er weder ausgefallen ist noch einen Sonderfall darstellt, son­dern dag er lediglich um einige Ungeheuerlichkeiten, die hinzu­schreiben sich die Feder sträubt, gekürzt wurde und durch Hunderte von Tatsachenberichten deutscher Fliegeroffiziere und Soldaten zu jeder Zeit wieder belegt werden kann.

»

Gefreiter K., Flugzeugführer in einem Kampfgeschwader, berich­tet: Bier Läger schießen uns ab Beraubung und Massaker I« der Blutzelle Verhöre mit Knüppeln

Am 20. Mai griff unsere Staffel befehlsgemäß die militärisch bedeutungsvollen Bahnhofsanlagen von Compisgne an. Der Angriff gelang ausgezeichnet, unsere Bomben saßen im Ziel. Bahnhofsgebäude und Schuppen zerstörten wir zu einem einzigen Trümmerhaufen. Waggons wurden aus allen Gleisen gehoben und Gleisstränge zerrissen und vernichtet. Dem stärksten Flakseuer entkommen wir geschickt. Da Hetzen mit einem Male vier Jäger hinter uns her, der erste greift an, überschüttet uns mit seinen ME.-Earben. Wir bleiben ihm jedoch nichts schuldig.

Unser Heckschütze feuert, was aus seinem Rohr geht, trommelt und trommelt. Der erste Verfolger dreht ab, aber schon stürzt der zweite schräg auf uns zu. Wir empfangen ihn mit einer Garbe, die genau sitzt. Getroffen saust er pfeilgerade in die Tiefe.

Den sind wir los. Aber viele Hunde sind des Hasen Tod. Der dritte kommt von schräg oben. MG.-Schüsse zerhauen mein Jn- strumentonbrett. Ein Schuß pfeift mir durch die Kniekehle, zer­reißt mir die Kombination und fährt über meinen Beobachter hinweg wieder zur Maschine heraus. Ich kurve und kurve, um dem vernichtenden Eeschoßhagel zu entgehen. Da folgt meine Ma­schine nicht mehr der Steuerung, die Ruder find zerschossen. Jetzt fällt auch der erste Motor aus, wir stürzen. Aussteigen, brülle ich meinen Kameraden zu. Ich weiß nicht mehr, wie wir heraus­kamen, woher wir die Bärenkräfte hatten, uns von der Maschine abzustoßen aber es gelang. Das Flugzeug rast an mir vorbei, ich öffne den Schirm. Da bekomme ich einen Schlag ans rechte Ohr, ich spüre deutlich warmes Blut über die Backe rinnen.

Ueber mir zuckt es. Loch um Loch reißt in die blanke Seide des Schirmes. Ein Jäger beschießt mich. Mir graut vor die­sem Helden, der einen Mann in Luftnot aufs Korn nimmt. In meiner Wut und Verzweiflung zähle ich die Durchschüße in mei- ! nem Schirm und komme bis fünfzehn. Unter mir ist ein mächtiges Waldstück, die Geschwindigkeit nimmt zu. Mit einer Affenfahrt, wie wir Flieger sagen, kommen die Baumwipfel auf mich zu.

Als Letztes sehe ich, wie von allen Seiten Soldaten mit Ge­wehren auf den Wald zustreben und ihn umstellen. Krachend breche ich in eine mächtige Buche, falle frei durch und hänge wieder, bekomme zwei starke Aeste zu fasten, wickle den Schirm auf und sause zu Boden. Ich hatte meine Kräfte überschätzt und zu schnell gehandelt.Nur 60 Kilometer ist die Front noch ent­sernt", überlege ich und sehe nach einem Versteck. Von meinen Kameraden ist nichts zu entdecken. Ich verkrieche mich im dichten Gebüsch und Gestrüpp. Wenn sie keine Hunde haben, können sie lange hier nach mir suchen, und bald wird es Nacht. Ich lausche,

Minuten dehnen sich zu Stunden.

Da höre ich' einen Ruf: Kameraden, Kameraden! Weh und s schmerzvoll. Ich zögere einen Augenblick. Ist es eine Falle? Da siegt das Mitleid. Ich krieche aus dem Dornengebüsch, mache einige Sprünge in der Richtung, aus der der Ruf kam. Da liegt Horst vor mir, auf einer Lichtung, Horst, mein Beobachter. Er krümmt sich am Boden. Ich will ihm aufhelfcn. Er bricht wieder zusammen. Bei der Landung schlug er so unglücklich auf, daß er sich eine schwere Verstauchung im Rücken und eine derartige Prel­lung im Becken zuzog, daß ich vorerst jeden Versuch, ihn weg­zuschleppen, aufgab und ihn ins Gras bettete. Da hören wir Cimmen, fremdeLaute. Ich kann gerade noch unsere Pistolen wogwerfen, da find wir schon von einer Horde umstellt, die uns mit Gewehren und Pistolen bedroht. Sonderbar sehen sie aus, tragen Stahlhelm und Lederzeug, aber nur ein Teil Soldaten- röcke, die meisten der wilden Kerle stecken in Zivil. Mord­lust leuchtet aus ihren Augen. Sie reißen mich von Horst weg, Arbeitsmaiden als Erntehel-

Mren mich an einen Baum, ich sehe einen Kolben über mir. Es ferinnen am Westwall. (Ahrens- krocht, ohne Schmerzgefühl breche ich zusammen, bewußtlos. Presse - Bild - Zentrale, Zander,

Als ich wieder zu mir komme, sind noch mehr Menschen um Multiplex-K.) mich, auch bei Horst steht ein Haufen und, oh Schreck, sie treten mit ihren derben Stiefeln auf ihn ein. Die Angst um sein Leben reißt mich hoch, ich stürze hin, stoße diese Bestien zurück, schlage

Die nächste Leidensstatiou ist ein Flugplatz, wohin man »ns gefesselt und in einem von vier Gendarmen bewachten Auto brachte. Eine Stunde stehen wir in Strümpfen vor dem Gebäude des Kommandeurs. So oft wir uns setzen wollen, werden wir wieder hochgejagt. Wir hängen aneinander, damit wir uns über­haupt aufrecht halten können, einzeln werden wir vorgesuhrt. Zwei Fliegeroffiziere sitzen hinter einem Tisch. Die vier Gen­darmen besetzen den Ausgang. Eine Pistole liegt auf dem Tisch, ein Knüppel daneben. Mir ist alles klar. Aber sie werden muh nicht klein kriegen. Das Verhör beginnt. Auf die Fragen nach dem Geschwader, nach unserem Startplatz und unserer Aus­rüstung verweigere ich entweder die Antwort oder gebe vollkom­men belanglose Erklärungen oder stelle mich einfach dumm. Ner­vös spielt der eine der Offiziere mit der Pistole. Endlich reißt ihnen die Geduld. Sie springen auf mich los, werfen mich an dm Wand und schlagenund tretenaufmichein, so daß sich der ganze Raum um mich dreht und mich die Gendarmen wieder bewußtlos wegschleppen müssen. Wohlgemerkt, das taten diebei - denOffiziere, nicht etwa ihre Handlanger, die Gendarmen. Meinen Kameraden ging es nicht bester, aber keiner hat ein Wort verraten, so elend sie waren und so schlau und gerissen und grau­sam die Franzosen die Tortur anstellte».

Dann brachte man uns nach Paris ins Zuchthaus, lieber unsere Verpflegung will ich nur so 'viel sagen, daß ich zwischen dem 14. Juni und dem 21. Juni so gut wie gar kein Essen erhielt. Einmal täglich eine Wassersuppe, sieben Mann zu­sammen, eine kleine Sardinenbüchse und ein Brot. Einmal wurde ich auch dort verhört. Der französische Kapitän empfing mich mit folgenden Worten:Ich mache Dich darauf aufmerksam. Du Hund, daß wir keinen Spaß verstehen!" Mit diesen Worten legte er einen Gummiknüppel auf den Tisch. Er hat nichts er­fahren, härtester Trotz saß mir in der Seele. Er hat mich zu Boden geschlagen, in den Leib getreten. Ich will die ab­grundtiefen Gemeinheiten nicht wiederholen. Es war, als hätte jeder dieserfeinen" Herren den gleichen Lehrgang der Ge- sangenenmißhandlung, der ungeheuerlichsten Verrohung genossen. Ader ihr ständig steigendes Maß an Tollwut verriet uns nur zu gut, wie schlecht ihre Sache stand, daß ihr militärisches Geschick mit ihrer Grausamkeit nicht Schritt hielt, sondern daß ihnen die Schläge der deutschen Armeen längst jede Haltung und Fassung geraubt hatten. Daraus schöpften wir Kraft, wie aus einem Wunderbaren, Kraft und unbeugsame Haltung, Mut und Stolz und Todesverachtung.

Jetzt war Paris scheinbar nicht mehr zu halten. Wir mußten zum Bahnhof. Auf dem Wege hagelte es Schläge, gemeinste Schimpfworts, Kolbenschlüge, und die Weiber bespuckten uns, mitten ins Gesicht, wenn die Geschicklichkeit irgend wie zu­reichte. 31 Mann wurden mit zwei Mann Bewachung in einen Waggon gesperrt, vor dem eine MeutefranzösischerSol- daten tobte. Sie wollten uns lynchen, und die Bewachung hatte alle Hände voll zu tun, um die Stärmung der Wagen zu verhindern. Da pflanzten diese Scheusale ihre Bajonette auf und stachen durch die Ritzen der Waggons auf uns, so daß wir uns wie eine Horde Schafe in der Mitte zusammendrängen mußt.n. Niemand gebot Einhalt, und wir waren froh, als sich der Zug endlich in Bewegung setzte.

Weit südwärts ging der Weg, endlos lange, an Zügen mit Flüchtlingen und Soldaten vorbei. Einmal krachten ganz in der Nähe deutsche Fliegerbomben. Eine heillose Verwirrung entstand. Aufregung auch bei uns; denn wir wußten ja, wie haargenau deutsche Bomben sitze».

Das Lager, das uns anfnahm, war eins Ziegelei, keine Abort', keine Waschgelegenheit, dürftigste Verpflegung, kurz gesagt, un­mögliche Zustände. Wir wurden alle krank. Durchfall raubte uns die Nachtruhe, schwerste Arbeit beim Straßenbau in glühender Hitze von früh bis abends. So oft ich mich bücken mußte, wurde mir schwindelig: die Folgen der Mißhandlungen. Kameraden halfen, wo sie konnten, und italienische Arbeiter brachten frohe, beste Nachrichten. So kam der Tag der Befreiung, wo wir dem Offizier in die Arme sanken, der uns übernahm und allem Leid ein Ende setzte.

Ein Volk aber, das so seine Seele besudelt, seinen Geist er­niedrigt und seine Gewalt mißbraucht, durchzieht der Atem des> Todes.

^

Das ist Sranstreith!

Taten französischer Soldaten und Offiziere

um mich. Sollen sie mich erschlagen, aber doch nicht diesen armen, guren, yttjlitzen nameraven. L>a dringen sie >cyon aus mich ein. Es hagelt Kolbenschläge auf Kopf, Rücken und Schulter, ich ver­liere zum zweitenmal das Bewußtsein.

In Angst und Sorge um Horst erwache ich wieder. Mein erster Gedanke ist, was doch so ein menschlicher Schädel ertragen kann. Ich blicke umher. Zu dem streitenden Haufen haben sich zwei Männer in voller Uniform gesellt. Es scheinen Polizisten zu sein. Aus Reden und Gesten entnehme ich, daß es in diese» wilden Streit um nichts mehr oder weniger als unser beider Leben geht. Man deutet auf unsere Fallschirme. Aha, denke ich, man hält uns also für Fallschirmjäger. Haßverzerrte Gesichter machen uns zugewandt die Bewegung des Halsabschneidens. Das ge­schieht aber alles so weit weg, so außerhalb meines Bewußtseins, daß es mich weder schreckt noch überhaupt berührt, sondern voll­kommen gleichgültig läßt. Nur Horst macht mir Sorge; denn er klagt und stöhnt leise vor sich hin. Er muß wahnsinnige Schmerzen leiden. >

Scheinbar siegt in den heftigen Wortgefechten die Autorität der Polizisten: denn man reißt uns hoch und schleppt und stößt uns, umringt von der Horde Bestien, wie zwei Verbrecher zum Wald­rand. Dort wartet ein Auto, in das uns die Polizisten setzen wollen. Die Soldaten protestieren und verlangen,rdaß diedeut- schen Schweine zu Fuß gehen. Die Polizisten stimmen diesemhumanen" Verlangen sofort zu. Da will es das Unglück, tmß ich nach meinem schmerzenden Kopf greife und dabei mein RU - ftblitzt. Wieder setzt ein lautes V-rhandeln und Feilschen ein, das damit endet, daß uns die Polizisten zur AuspIünd e - rung freigeben. Mit Geschrei und gemeinsten Beschimpfungen stürzen die Soldaten auf uns ein, und bis wir so recht verstehen, was der neue Ausbruch dieser Unmenschen bedeutet, sind wir Uhren, Ringe, Geldbörsen, Taschenmesser, Seife und Zahnbürste, die wir zufällig bei uns tragen, los. Dann fesseln uns die beiden Polizisten mit Handschellen zusammen, und wir stapfen und wan­ken hinter dem Auto drein. Aber Horst kann bald nicht mehr, ich- versuche ihn fortzuziehen. Doch es geht nicht. Horst ist ja viel größer und schwerer als ich. Als wir so stehen, blutverschmiert, voll Fieber und Schwindel, die Welt rot und verschwommen vor uns, da befällt mich eine Traurigkeit, wie ich sie noch nie verspürt hatte, und ein unaussprechlicher Ekel vor diesen Tieren, vor diesen Teufeln. Jetzt müssen sie uns ins Auto setzen, wenn sie uns über­haupt fortbringen wollen. Sie tun es. Wir durchfahren eine Stadt und werden im Gefängnis abgesetzt. Dort finden wir auch unsere beiden anderen Kameraden. Ein beglückendes, wenn auch furchtbares Wiedersehen, denn sie wurden nicht besser be­handelt als wir, und find kaum wiederzuerkennen. Man sperrt uns in Gefängniszellen, zwei und zwei zusammen. In der Zelle steht eine Pritsche, deren Strohsack über und über mit Blut bedeckt ist. Alles sträubt sich in uns, die Pritsche als Lager zu benutzen und in die Blutlachen zu sitzen oder zu liegen, denn es ist sicher das Blut deutscher Kameraden. Wir ver­suchen stehenzubleiben, aber bald ist uns alles gleich, wir sinken auf das blutige Lager. Die Peinigung hat jedoch noch kein Ende. Bald tobt es auf den Gängen. Das Guckloch an der schweren Tür zu unserer Zelle öffnet sich: Wir werden besichtigt, ausgelacht! Weiber und Männer drängen sich, schreien uns gemeinste Schimpfworte zu, spucken in unsere Zellen und machen immer wieder die schon bekannte Bewegung des Halsabschneidens. Wir sehen das aber alles nur noch durch einen blutigen Schleier, ja wir konnten uns kaum entsinnen, wie lange wir gelegen sind, als wir zum Verhör geholt wurden. Offiziere vernehmen uns, legen uns die üblichen Fragen vor, die ein deutscher Soldat niemals beantwortet. Versuchen es erst mit Entschuldigungen und Schmei­cheleien und enden mit einer Verprügelung, so daß ich zum drittenmal bewußtlos zusammenbreche.

In der Ecke unserer Zelle steht ein großer Vlecheimer Wir benützen ihn für unsere Notdurft. Am nächsten Tage muß ich ihn unter Bewachung ausleeren.

UW2

DMM

WW

AM

^ildtclegramm aus Rom: Die ersten Aufnahmen von der Seeschlacht zwischen der britischen und italienischen Flotte im Leben und Treiben vor dem Druckhaus einer großen Straß-

^»ischen Meer. (Associated Preß, Pander-M.-K.) kurzer Zeitung. (Scherl, Zander-M.-K.)