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Nr. 132
Freitag, den 9. Juni 1939
113. Jahrgang
Polnische Schmähungen
Warschau, 8. Juni. Der „Verband der Vaterlandsverteidiger" veranstaltete im Warschauer Offizierskafino einen Vortragsabend, der von dem Vorsitzenden des Verbandes, General Gouecki, geleitet wurde. Dabei machte der Fliegerhauptmann Poleszynsky nach dem Bericht des „Kurjer Polski" verblüffende Ausführungen über den Kampfwillen des polnischen und des deutschen Soldaten. In den von englischen Garantie-Nebeln getrübten Augen des polnischen Vaterlandsverteidigers ist der polnische Soldat „an den harten Kampf mit der Natur gewöhnt", der deutsche, in harter preußischer Tradition erzogene Soldat aber „durch leichtes Leben verdorben". Der Pole sei genügsam, der Deutsche sei es durchaus nicht. Der moderne Krieg verlange Selbständigkeit vom Soldaten. Der Deutsche habe sie nicht. Der Pole, der von Natur aus Individualist sei, könne sich rasch umstellen. Der Deutschs -sei aber nur gewohnt, in der Masse zu handeln und fühle sich als Einzelner unsicher (!). Er sei schwerfällig, passe sich nur schwer veränderten Umständen an (!) und unterliege leicht der Panik. Für dieselbe leichtfertige Art, dem polnischen Volk einen „Spaziergang nach Berlin" zu empfehlen, gibt es täglich mehr Beispiele. So erzählt u. a. der „Rowy Kurjer" seinen Lesern, im deutschen Volk wachse der Widerstand der bisher passiven älteren Bevölkerung. Da die wirtschaftliche Lage des Reiches immer bedrohlicher werde, bleibe ihm nur die Alternative einer blitz
schnellen militärischen Operation. Nach den Erfahrungen des abesstnischen Krieges und der spanischen Kämpfe gehöre ei« Luftkrieg ins Reich der Sagen, ebenso wie die Furcht vor der „motorisierten Armee deutscher Ersätze", der Ersätze sowohl auf dem Gebiete der Rohstoffe, als auch der Technik und des Menschenmaterials. Die deutsche Armee habe nicht einmal ausgebildet« Heerführer: die älteren Generäle und höheren Befehlshaber des Weltkrieges seien entweder erschossen oder in den Ruhestand versetzt. Es blieben nur die jungen, von der Propaganda beeinflußten Offiziere. Einen Krieg könne man tzckoch weder mit Ersatzstoffen noch mit Propaganda führen.
Warschau, 8. Juni. In Pole« macht sich infolge der nachhaltige» Auswirkungen der künstlich e«-e«gte« Kriegspsychose auf das Wirtschaftsleben eine immer stärkere Niedergeschlagenheit und Unzufriedenheit Wer di« Verhältnisse breit. Die Behörden wisse» sich nicht ander» z« helfen, als gegen dies« Entwicklung auf dem Gerichtswege vorzugehen. So wurde einer Meldung des „Expreß Poranny" zufolge vo« dem Enesener Bezirksgericht ein Pole wegen „Verbreitung von Defaitismus" zu einem Jahr Gefängnis und IDOL Zloty Geldstrafe verurteilt.
Erneute Abfuhr für die Einkreiser
Brüssel» 8. Juni. Ministerpräsident Pierlot gab am DovMW tag während der außenpolitischen Kammeraussprache eine pro» grammatische Erklärung über die belgisch« Ambe n p o l i t i k ab. Er wies einleitend darauf hi«, daß e» de» Hauptzweck der belgischen Außenpolitik sei, den Krieg vo« betzD, schen Gebiet fernzuhalten. Belgien sei entschlossen, die nur gegen einen Angriff zu ergreifen, der unmittelbar di« beLl! gischen Lebensinteressen berühren würde. Die eiuzjge KrHg»t Möglichkeit für Belgien bestehe daher in der Verteidigung de» eigenen Landes. Belgien sei entschlossen, alle seine Grenze» ohne Ausnahme und ohne Einschränkung sowohl in Europa Äs in Afrika zu verteidigen. Belgien lehne von vornherein den Gedanken ab, im Dienste einer Politik, die nicht ausschließlich belgisch wäre, die Schrecken des Krieges auf belgisches Gebiet her- rbzubeschwören.
Aus diesem Grunde wolle es sich nicht in Bündnisverpflichtungen einlassen, die die Gefahr mit sich brächte«» daß Belgien in einem Konflikt zu den Waffe« greifen mühte, in dem di« belgischen Interessen nicht auf dem Spiele stände«. „Wir wolle« nicht, daß unsere Mitwirkung wegen einer zwischen zwei ausländischen Staaten an irgendeiner Stelle Europas entstandene» Streitigkeit in Anspruch genommen wird, indem rechtliche Verpflichtungen eingegangen würden, die zu unserem Friedenswillen in Widerspruch stünden
Der Ministerpräsident wies dann auf die Earantieer- k l ä r ungen Englands, Deutschlands und Frankreichs hin, bezüglich der Versicherung gegenüber der belgischen Regierung, daß das belgische Gebiet nicht als Durchgangsgebiet oder Operationsbasis für einen Angriff gegen einen anderen Staat benützt werden dürfe. Belgien habe Vertrauen in diese Garantien. Pierlot setzte sich dann mit den Begriffen „Unabhängigkeit" und „Neutralität" auseinander, und erklärte, daß die belgische Regierung an dem Wort „Unabhängigkeit" festhalten wolle, da der Begriff der Neutralität zweideutig sein könnte. Belgien sei im Kriegsfälle zwischen anderen Staaten ohne Verpflichtung, in den Konflikt einzugreifen oder nicht einzugreifen. Allerdings bringe die Tatsache, daß Belgien von den Erklärungen der Garantie- Mächte, es sei von jeder vertraglichen Veistandsverpflichtung befreit, Kenntnis genommen habe und daß es seinen Unabhängigkeitswillen gegenüber allen Koalitionen bekräftigt habe, die moralische Verpflichtung mit sich ehrlich zu sein und eine korrekte Haltung einzunehmen. Das bedeute also, daß Belgien in jedem Konflikt, in dem das Leben des Landes, die Respektierung seines Gebietes und seiner Lebensrechte nicht auf dem Spiele ständen, eine praktische Neutralität (neutralite de fait) befolgen müsse. Es bedeute ferner, daß Belgien nicht unter dem Deckmantel einer angeblichen Unabhängigkeitspolitik eine Politik von Ge» heimbündntssen verfolgen würde.
Zur Moskau-Reise Strangs
Neue Hoffnungen der Einkreiser
London, 8. Juni. Die Entsendung des Leiters der Mittel- Nropa-Abteilung im Foreign Office, Strang, nach Moskau, wird von der Presse entsprechend den Worten Chamberlains als eine Maßnahme der britischen Regierung zur Beschleunigung der Verhandlungen mit Sowjetrußland aufgefaßt und begrüßt. Die liberale „News Chronicle" kritisiert die Tatsache, daß nur ein Beamter des Foreign Office entsandt wird, und meint, man hätte Lord Halifax mit entsprechenden Vollmachten nach Moskau schicken müssen. „Daily Mail" meldet, falls es Strang gelingen sollte, der technischen Schwierigkeiten Harr zu werden, werde ein britischer Minister später nach Moskau reisen, um den Pakt zu unterzeichnen. Andernfalls werde man entweder Molotow oder Potemkin nach London einladen. „Times" schreibt, Strang gehe nicht als Bevollmächtigter nach Moskau, sondern weil er in Anbetracht seiner Kenntnisse und Erfahrungen dem britischen Botschafter helfen solle, nachdem der Botschafter selbst nicht mehr habe nach London kommen können.
Paris, 8. Juni. Die Entsendung Strangs nach Moskau wird von der französischen Presse gebilligt. Besonders die sowiet-
yörtgen Blätter dränge« zur Eile, sie befürchten eine erneute Verzögerung der schon so unendlich langen Verhandlungen, weil Strang erst nach London kommen muß, um die letzten Anweisungen des Foreign Office für seine Mission in Moskau entgegenzunehmen. Der Außenpolitiker des „Petit Paristen" erklärt wieder einmal, daß die englisch-französisch-sowjetrussischen Verhandlungen in eine neue und hoffentlich entscheidende Phase eintreten würden. Der geplante Pakt gelte sowohl für die Verteidigung gegen einen direkten als auch indirekten Angriff. Die baltische Sicherheit sei das einzige noch zu überwindende Hindernis. Um diese Schwierigkeiten zu umgehen, sehe das neue britische Projekt eine Formel vor, wonach England, Frankreich und Sowjetrutz- land sich verpflichten, sich sofort zu Hilfe zu eilen im Falle, wenn eine der drei Mächte eine ihrer vitalen Interessen bedroht sehen würde. Die „Epoque" fragt skeptisch, ob die gegenseitige Garantie der „vitalen Interessen" zwischen Frankreich, England und Sowjetrußland endlich die erfolgbringende Formel sein werde. Jedenfalls erwachse wieder die Hoffnung für den Abschluß des Dreierpaktes. Der „Jour" meint, Strang werde in seiner Aktentasche eine oder mehrere anonyme Formeln nach Moskau mitbringen, um sie den Sowjets zu unterbreiten. „Figaro" berichtet, die baltischen Staaten und insbesondere Finnland hätten offiziell in London wissen lassen, daß sie nicht nur eine Teilnahme an dem Earantieabkommen verweigern, sondern daß sie in jedem Versuch der großen Mächte, der ihren Entschluß nicht respektieren sollte, einen unfreundlichen Akt erblicken würden.
Paris, 8. Juni. Der „Matin" nimmt auf der ersten Seite auf die Tatsache Bezug, daß Sowjetrußland in Europa fünf geographische Nachbarn besitze, nämlich Rumänien, Polen, Estland, Lettland und Finnland. Alle lebten, so stellt das französische Blatt fest, in Fühlung mit Sowjetrußland und kennen es anders als nur vom Hörensagen, und alle diese Staaten wollten in rührender Einmütigkeit nichts davon hören, durch Sowjetrußland geschützt oder garantiert zu werden. Sei diese außerordentliche Einmütigkeit in der Abneigung gegen einen Nachbarn nicht in höchstem Trade aufschlußreich? Mau spreche viel von Sicherheit. Die genannten fünf Länder suchten genau so wie andere ihre Sicherheit, aber für sie stelle Sowjetrußland genau das Gegenteil der Sicherheit dar. Sie fürchteten das sowjetrussische Bündnis wie man die Pest fürchtet. Wenn man nicht blind und taub sei, verdiene dies doch wohl Aufmerksamkeit.
Moskau schweigt weiter
Moskau, 8. Juni. Die Unterhaus-Erklärung Chamberlains über die Entsendung Strangs nach Moskau wird in den Sowjetblättern überhaupt nicht erwähnt. Auch amtliche Moskauer Stellen enthalten sich jeder Stellurm''"Gne zu dem Vorschlag
Chamberlains, einen Sonderemissär zur Beschleunigung der Verhandlungen nach Moskau zu schicken. Der britische Botschafter in Moskau, Sir William Seeds, ist, wie verjAutet. an JyMenza erkrankt.
Gegen britische Kriegsagitation
in Südafrika
Pretoria, S. Juni. Dr. Malan, der Leiter der „Nationale» Opposition, erhob auf einer Versammlung zu Malmeybury scharfen Protest gegen die britische Kriegsagitation. Es gebe nur eine Ehre, sagte er, nämlich die Unabhängigkeit, und nur ei«« Pflicht, nämlich die Traditionen wachzuhattes. Südafrika sei aber nicht unabhängig, wenn es verpflichtet sei, England betzustehen. Als Wurzel der gegenwärtigen Schwierigkeiten bezeich- nete er das VersaillerDiktat. Er erinnert« an die vielen feierliche« Versprechungen, die, „angefasgen bei Wilsons 14 Punkten", nie gehalten worden seien, ganz gleich, ob Deutschland oder Italien betroffen wurde. Gegenwärtig behaupte man vielfach, Deutschland wolle Südafrika angreife», wogegen sich die Union verteidigen müsse. „Unsere Antwort darauf lautet: Das ist Heuchelei, das ist ein Kinderschreck. Wir begehen Selbstmord, wenn wir uns in Südwest einmischen, einem Lande, das uns
König Georg -ei Roosevelt
Englands Majestäten im Dollarreich
Aus den Einöden Kanadas führt das Reifeprogrämm Ä« englischen Majestäten nunmehr in den Trubel und Lär« der amerikanischen Wolkenkratzerstädte. Es wird für König Georg und die Königin Elisabeth gewiß recht anstrengend sein, nach der wochenlangen Huldigungsfahrt durch Kanada von der atlantischen bis zur pazifischen Küste und wieder zurück unmittelbar anschließend die Begeisterungsstürme des sensationshungrigen Dollarreiches über sich ergehen zu lassen. Aber die Miisson der Reise erfordert dies Opfer, und die englischen Majestäten bringen es geduldig und im Bewußtsein ihrer ftaatsmännischen Pflichten. Es entbehrt nicht eines Reizes, Englands König und Königin dort einen offiziellen Staatsbesuch machen zu sehen, wo sie noch vor gut anderthalb Jahrhunderten als souveräne Monarchen empfangen werden müssen. Schließlich ist das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, in dem ste zur Zeit weilen, einstmals eine britische Kolonie gewesen. Es war sogar eine der hoffnungsvollsten Kolonien, die in einem blutigen und heftigen Unabhängigkeitskrieg abtrünnig wurde.
Offiziell stand auf dem polltischen Programm König Georgs nach den Vereinbarungen mit der Regierung Cham- berlain lediglich eine Vesuchsreife nach der ältesten Kronkolonie, dem inzwischen zum Dominion erhobenen Kanada. Wie sich an diesen Besuch der ältesten Kronkolonie schließlich ein Besuch der Vereinigten Staaten von Nordamerika» gewissermaßen der einzigen abtrünnige« Kolonie, plötzlich anschloß, das führt in die Bereiche der britischen Diplomatie, in denen mit Sammetpfötchen gearbeitet wird.
Korrespondenten aus Washington und London erkläre« übereinstimmend, daß es sich so schnell nie feststellen lasse» wird, ob bei dem Entschluß, die Reise nach Kanada zuveranstalten, nicht doch in London der Wunsch mitgewirtt hat, den vielen Maßnahmen, mit denen England immer dringender bemüht ist, für sich in den USA. zu werben, ein« wirksame Aktion hinzuzufügen, wie sie der Besuch des englischen Königs bei Präsident Roosevelt zweifellos bedeutet. Stellte nicht die Reise durch Kanada geradezu eine indirekte Aufforderung an dem amerikanischen Präsidenten dar, die britischen Majestäten nach Washington einzuladen und ihnen die Gelegenheit zu bieten, wenn sie schon einmal die Neue Welt betreten, auch die Zentren dieser Welt, Washington und Neuyork, aus eigener Anschauung kennen zu lernen. War also die Einladung Roosevelts an König Georg auf diese Weise schon ein Akt elementarer Höflichkeit, so versprach sich die Londoner Regierung von ihm dennoch viel mehr. Bei der Vorliebe der Amerikaner für all das, was sie nicht besitzen und andere Völker aus ihrer Geschichte mit in die Gegenwart hinllbergenommen haben, konnte die englische Propaganda damit rechnen, daß der Besuch eines Königs, aus einem alten europäischen Herrscherhause, in Amerika ebenso viel Sensation wie Hochachtung Hervorrufen werde. Gab es eine bessere Gelegenheit, für sich in den Staaten die Reklametrommel zu rühren, als ihr Staatsoberhaupt nach Washington und Neuyork zu senden?
Selbstverständlich wußten die Engländer gleichfalls, daß Amerrkanertum und Engländertum oft hart aufeinander- stoßen und das Naturburfchentum der Yankees möglicherweise den an seinen Traditionen und Zeremonien hängenden Briten manch peinliche Situation bescheren kann. Auch war man sich in London wohl darüber klar, daß sich gleich den englandfreundlrchen Kräften anläßlich des Königsbesuches auch die antibritischen Stimmen vernehmlich machen werden. So kann man in manchen amerikanischen Zeitungen lesen, die Einladung Roosevelts an König Georg bedeute nichts anderes, als die Vorbereitung für den Eintritt in den europäischen Krieg. Jene Kreise, die dieser Ueberzeugung huldigen, haben nicht mit ihrer Meinung hinter dem Berge gehalten, das Erscheinen der hohen Gäste aus England müsse die Einmischungstendenzen der USA. fördern. Es sei daher unerwünscht. Natürlich tauchen auch wieder die Ermahnungen an England auf, es möge doch endlich seine Kriegsschulden bezahlen. Man spricht in politischen Kreisen sogar davon, daß England geneigt sein werde, nach dem Besuch des Königs bei Roosevelt über die leidige Kriegsschuldfrage erneut zu verhandeln. Allerdings steht diesen Anschauungen eine recht unverfrorene Aeußerung des Hetzartikel fabrizierenden britischen Einkreisungspolitiker, Duff Looper, entgegen. Dieser schriststellernde ehemalige Marineminister regte in einem seiner Artikel verschämt an, das schönste Abschiedsgeschenk, das Präsident Roosevelt seinem hohen Gaste mit nach Europa geben könne, sei eigentlich ein zerrissener Schuldschein.
So halten sich bei der Reise der britischen Majestäten durch die USA. zwei Tendenzen die Waage. Der eine Teil Amerikas freut sich der Sensationen und des Schauspiels und übersieht bereitwilligst die möglichen Konsequenzen eines solchen Einvernehmens Washington—London. Der andere Teil protestiert, soweit die Höflichkeit als Gastgeber das zulätzt, und benutzt den Anlaß, energisch von allzu starkem Einschwenken in die englische Linie abzumahnen. Die Engländer selbst glauben wahrscheinlich, daß der Versuch sich lohnen wird und sie dabei auf ihre Kosten kommen. Dächten sie anders, hätten sie ihren König bestimmt in Europa behalten.
nicht gehört." Zum Schluß betonte Dr. Malan noch einmal, Südafrika dürfe nichts zu tun haben mit einem Lande, das di« Meßt in einen neuen Krieg stürzen wolle.