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Raaolder Tagblatt .Der Gesellschafter"

Mittwoch, de» 3. Rai 1»»

Die deutschen Memoranden an London und Warschau

BerN«, 29. April. Das deutsche Memorandum an die königlich Britische Regierung trägt folgenden Wortlaut:

Als die deutsche Regierung im Jahre 1935 der königlich Bri­tischen Regierung das Angebot machte, durch einen Vertrag die Stärke der deutschen Flotte in ein bestimmtes Verhältnis zu der Stärke der Seestreitkräfte des britischen Reiches zu bringen, tat sie dies auf Grund der festen Ueberzeugung, daß für alle Zeiten die Wiederkehr eines kriegerischen Konfliktes zwischen Deutsch­land und Großbritannien ausgeschlossen sei. Indem sie durch das Angebot des Verhältnisses 100:35 freiwillig den Vorrang der britischen Seeinteressen anerkannte, glaubte sie mit diesem in der Geschichte der Großmächte wohl einzig dastehenden Ent­schluß einen Schritt zu tun, der dazu führen würde, für alle Zu­kunft ein freundschaftliches Verhältnis zwischen den beiden Na­tionen zu begründen. Selbstverständlich setzte dieser Schritt der deutschen Regierung voraus, daß die königlich britische Re­gierung auch ihrerseits zu einer politischen Haltung entschlossen sei, die eine freundschaftliche Gestaltung der deutsch-englischen Beziehungen sicherstellte.

Auf dieser Grundlage und unter diesen Voraussetzungen ist das deutsch-englische Flottenabkommen vom 18. Juni 1935 zu­stande gekommen. Das ist von beiden Seiten beim Abschluß des Abkommens übereinstimmend zum Ausdruck gebracht worden. Ebenso haben noch im vorigen Herbst, nach der Konferenz von München, der deutsche Reichskanzler und der britische Minister­präsident in der von ihnen Unterzeichneten Erklärung feierlich bestätigt, daß sie das Abkommen als symbolisch für den Wunsch Leider Völker ansähen, niemals wieder Krieg gegeneinander zu führen.

Die deutsche Regierung hat an diesem Wunsche stets festgehal­ten und ist auch heute noch von ihm erfüllt. Sie ist sich bewußt, in ihrer Politik dementsprechend gehandelt und in keinem Falle in die Sphäre englischer Interessen eingegriffen oder diese In­teressen sonstwie beeinträchtigt zu haben. Dagegen muß sie zu ihrem Bedauern feststellen, daß sich die königlich britische Re­gierung neuerdings von der Linie einer entsprechenden Politik gegenüber Deutschland immer weiter entfernt. Wie die von ihr in den letzten Wochen bekanntgegebenen politischen Entschließun­gen und ebenso die von ihr veranlaßte deutschfeindliche Haltung der englischen Presse deutlich zeigen, ist für sie jetzt die Auf­fassung maßgebend, daß England, gleichviel in welchem Teile Europas Deutschland in kriegerische Konflikte verwickelt werden könnte, stets gegen Deutschland Stellung nehmen müsse, und , zwar auch dann, wenn englische Interessen durch einen solchen ! Konflikt überhaupt nicht berührt werden.

Die königlich britische Regierung sieht mithin eine« Krieg Englands gegen Deutschland nicht mehr als eine Unmöglichkeit, sondern im Gegenteil als eia Hauptproblem der englischen Außenpolitik an.

Mit dieser Einkreisungspolitik hat die königlich britische Re­gierung einseitig dem Flottenabkommen vom 18. Jun 1935 die Grundlage entzogen und dadurch dieses Abkommen sowie die zu seiner Ergänzung vereinbarteErklärung" vom 17. Juli 1937 außer Kraft gesetzt.

Das gleiche gilt auch für den Teil HI des deutsch-englischen Flottenabkommens vom 17. Juli 1937, in dem die Verpflichtung zu einem zweiseitigen deutsch-englischen Nachrichtenaustausch fest­gelegt worden ist. Die Durchführung dieser Verpflichtung setzt naturgemäß voraus, daß zwischen beiden Partnern ein offenes Vertrauensverhältnis besteht. Da die deutsche Regierung ein solches Verhältnis zu ihrem Bedauern nicht mehr als gegeben ansehen kann, muß sie auch die Bestimmungen des erwähnten Teiles III als hinfällig geworden bezeichnen.

Von diesen der deutschen Regierung gegen ihren Willen auf­gezwungenen Feststellungen bleiben die qualitativen Bestim­mungen des deutsch-englischen Abkommens vom 17. Juli 1937 unberührt. Die deutsche Regierung wird diese Bestimmungen auch in Zukunft beachten und so ihren Teil dazu beitragen, daß ein allgemeiner unbeschränkter Wettlauf in den Seerüstungen der Nationen vermieden wird.

Darüber hinaus wird die deutsche Regierung, falls die könig­lich britische Regierung Wert darauf legt, mit Deutschland über die hier in Betracht kommenden Probleme erneut in Verhand­lungen einzutreten, dazu gern bereit sein. Sie würde es be­grüßen, wenn es sich dann als möglich erwiese, auf sicherer Grundlage zu einer klaren und eindeutigen Verständigung zu gelangen.

Der polnischen Regierung wurde das nachstehende Memoran­dum überreicht:

Die deutsche Regierung hat durch die von polnischer und bri­tischer Seite öffentlich bekanntgegebenen Erklärungen Kenntnis von dem bisherigen Ergebnis und von dem Endziel der neuer­dings zwischen Polen und Großbritannien geführten Verhand­lungen erhalten. Danach haben die polnische und die britische Regierung eine vorläufige, demnächst durch ein Dauerabkom­men zu ersetzende Vereinbarung getroffen, die Polen und Groß­britannien den gegenseitigen Beistand für den Fall gewähr­leisten soll, daß die Unabhängigkeit eines der beide» Staate« direkt oder indirekt bedroht wird.

Die deutsche Regierung sieht sich gezwungen, der polnische» Regierung hierzu folgendes mitzuteilen:

Als sich die nationalsozialistische Regierung im Jahre 1933 der Aufgabe einer Neugestaltung der deutschen Außenpolitik zn- wandte, war es nach dem Austritt Deutschlands aus dem Völ­kerbund ihr erstes Ziel, die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen auf eine neue Grundlage zu stellen. Der Führer des Deutschen Reiches und der verewigte Marschall Pilsudski begeg­neten sich damals in dem Entschluß, mit den politischen Methoden der Vergangenheit zu brechen und für die Behandlung aller die Beziehungen der beiden Länder betreffenden Fragen den Weg einer unmittelbaren freundschaftlichen Verständigung von Staat zu Staat zu eröffnen. Durch den unbedingten Verzicht auf jede Anwendung von Gewalt gegeneinander sollte eine Friedens­garantie geschaffen werden, um den beiden Regierungen die große Aufgabe zu erleichtern, für alle Probleme politischer, wirt­schaftlicher und kultureller Art Lösungen zu finden, die auf einem gerechten und billigen Ausgleich der beiderseitigen Interessen beruhten.

Diese Grundsätze, die in der deutsch-polnischen Friedenserklä­rung vom 26. Januar 1934 in vertraglich bindender Form fest­gelegt wurden, waren dazu bestimmt und haben in der Tat den ^ttolg gehabt, in der Entwicklung der deutsch-polnischen Ve- ! ziehungen eine völlig neue Phase einzuleiten. Daß sie sich zum i Nutzen beider Völker in der Praxis bewährt haben, beweist die I politische Geschichte der letzten fünf Jahre und ist noch am 26. Ja- ; nuar d. I., dem fünften Jahrestag der Unterzeichnung der Er- ! klärung, von beiden Seiten öffentlich ausgesprochen worden s unter Betonung des übereinstimmenden Willens, den im Jahre - 1934 festgelegten Grundsätzen auch in Zukunft treu zu bleiben.

j Mit diesen vor wenigen Monate« abgegebenen feierlichen Er- , klärungen steht die jetzt von der polnischen Regierung mit der britischen Regierung abgeschlossene Vereinbarung in einem so offenbare» Widerspruch, daß die deutsche Regierung von einer so plötzlichen und radikalen Schwenkung der polnischen Politik n«r mit Erstaunen und Befremde» Kenntnis nehmen kann.

Die neue polnisch-britische Vereinbarung ist, wie ihre end­gültige Formulierung auch gestaltet werden mag. von beiden Partnern als regelrechter Bündnispakt gedacht und zwar als ein BLndnispakt, der sich nach seiner allgemein bekannten Vor­geschichte und nach der ganze» Lage der politischen Verhältnisse ausschließlich gegen Deutschland richtet. Aus der von der pol­nischen Regierung jetzt übernommenen Verpflichtung ergibt sich, daß Polen in einen etwaigen deutsch-englischen Konflikt durch einen gegen Deutschland gerichteten Angriff gegebenenfalls auch dann einzugreifen beabsichtigt, wenn dieser Konflikt Pole» und seine Interessen überhaupt nicht berührt.

Das ist ei« direkter und flagranter Verstoß gegen de» i« der Erklärung von 1934 vereinbatten Verzicht ans jede A««e«d»»g von Gewalt.

Der Gegensatz zwischen der deutsch-polnischen Erklärung und der polnisch-britischen Vereinbarung greift aber in seiner Trag­weite noch wesentlich über diesen Punkt hinaus. Die Erklärung von 1934 sollte das Fundament dafür sein, unter dem Schutz der vereinbarten Friedensgarantie alle zwischen den beide« Län­dern auftauchenden Fragen frei von internationale« Verflech­tungen und Kombinationen in direkter, von außen nicht beein­flußter Auseinandersetzung zwischen Berlin und Warschau zu regeln. Ein solches Fundament setzt selbstverständlich das volle gegenseitige Vertrauen der beiden Partner sowie auch die Lo­yalität der politischen Absichten jedes Partners gegenüber dem anderen Partner voraus.

Dagegen hat die polnische Regierung durch den jetzt von ihr gefaßten Beschluß, in ein gegen Deutschland gerichtetes Bündnis- verhäktnis einzutreten, zu erkennen gegeben, daß sie der vo» der deutschen Regierung unmittelbar zugesicherten Friedens­garantie das Beistandsversprechen einer dritten Macht vorzieht. Zugleich muß die deutsche Regierung daraus entnehmen, daß die polnische Regierung zur Zeit keinen Wett mehr darauf legt, für deutsch-polnische Fragen die Lösung in direkter freundschaft­licher Auseinandersetzung mit der deutschen Regierung zu suchen. Damit hat die polnische Regierung den Weg verlassen, der im Jahre 1934 für die Gestaltung der deutsch-polnischen Beziehungen vereinbart worden ist.

Die polnische Regierung kann sich nicht darauf berufen, daß die ErNärungen von 1934 die von Polen oder Deutschland schon vorher nach anderer Seite hin übernommenen Verpflichtungen unberührt lassen sollte, und daß mithin neben ihr auch die Bünd­nisvereinbarungen zwischen Pole« und Frankreich in Geltung geblieben find. Das polnisch-französische Bündnis war im Jahre 1934, als Polen und Deutschland an die Neugestaltung ihrer Beziehungen herantraten, eine gegebene Tatsache. Die deutsche Regierung konnte sich mit dieser Tatsache abfinden, weil sie er­warten durfte, daß die etwaigen Gefahren des aus einer Zeit schärfsten deutsch-polnischen Gegensatzes stammenden polnisch­französischen Bündnisses durch die Anbahnung freundschaftlicher Beziehungen zwischen Deutschland und Polen von selbst immer mehr an Bedeutung verlieren würden. Der Eintritt Polens in ein Bündnisverhältnis mit Großbritannien, der jetzt fünf Jahre nach der Vereinbarung der Erklärung von 1934 erfolgt ist, kann deshalb politisch mit dem Jnkrastbleiben des polnisch-französi­schen Bündnisses in keiner Weise verglichen werden.

Mit diesem neue« Bündnis hat sich die polnische Regierung einer von anderer Seite inaugurierten Politik dienstbar gemacht, die das Ziel der Einkreisung Deutschlands verfolgt. Die deutsche Regierung hat ihrerseits zu einer derartigen Acnderung der polnischen Politik nicht den geringsten Anlaß gegeben.

Sie hat der polnischen Regierung bei jeder sich bietenden Ge­legenheit sowohl öffentlich als auch in vertraulichen Bespre­chungen die bündigsten Versicherungen dafür gegeben, daß die freundschaftliche Entwicklung des deutsch-polnischen Verhältnisses ein wesentliches Ziel ihrer Außenpolitik sei, und daß sie in ihren politischen Entschlüssen jederzeit auf die Achtung berechtigter Interessen Bedacht nehmen werde. So hat auch die Durchfüh­rung der von Deutschland im März dieses Jahres zur Befrie­dung Mitteleuropas eingeleiteten Aktion die polnischen Inter- s essen nach Ansicht der deutschen Regierung in keiner Weise be- - einträchtige Im Zusammenhang mit dieser Aktion ist es zur Herstellung einer polnisch-ungarischen Grenze gekommen, die von § polnischer Seite stets als ein wichtiges politisches Ziel bezeichnet s worden ist. lleberdies hat die deutsche Regierung aber unmiß- I

verständlich zum Ausdruck gebracht, daß sie bereit sei, sich mit der polnischen Regierung freundschaftlich auseinanderzusetze«, falls diese etwa ihrerseits der Ansicht sein sollte, daß sich für sie aus der Neugestaltung der Verhältnisse in Mitteleuropa neue Pro­bleme ergeben hätten.

Im gleichen freundschaftlichen Geiste hat die deutsche Regie­rung versucht, eine Regelung der einzigen noch zwischen Deutsch­land und Polen stehenden Frage, der Danziger Frage, in Gang zu bringen. Daß diese Frage einer Neuregelung bedarf, ist von deutscher Seite Polen gegenüber seit Jahr und Tag be­tont und von polnischer Seite auch nicht bestritten worden. Seit längerer Zeit hat die deutsche Regierung immer wieder versucht, die polnische Regierung davon zu überzeugen, daß durch­aus die Möglichkeit einer den Interessen beider Teile gerecht werdenden Lösung gegeben sei. und daß mit der Beseitigung die­ses letzten Hemmnisses der Weg für eine aussichtsreiche politische Zusammenarbeit Deutschlands und Polens freigemacht werde» würde.

Die deutsche Regierung hat sich hierbei nicht auf allgemeine Andeutungen beschränkt, sondern der polnischen Regierung, und zwar zuletzt Ende März dieses Jahres, in freundschaftlicher For» eine Regelung aus folgender Grundlage vorgeschlage»:.

Rückkehr Danzigs zum Reich;

exterritoriale Eisenbahn- und Autooerbindung zwischen Ost­preußen und dem Reich;

dafür Anerkennung des ganzen polnischen Korridors und d« gesamten polnischen Westgrenze;

Abschluß eines Nichtangriffspaktes für 25 Jahre;

Sicherstellung der wirtschaftlichen Interessen Polens in Da»- zig, sowie großzügige Neuregelung der übrige« sich aus der Wiedervereinigung Danzigs mit dem Reich für Polen ergeben­den wirtschaftlichen und verkehrstechnischen Frage«. Gleichzeitig hat die deutsche Regierung sich bereit erklärt, btt der Sicher­stellung der Unabhängigkeit der Slowakei auch den pa­nischen Interessen Rechnung zu tragen.

Niemand, der die Verhältnisse in Danzig und im Korridor so­wie die damit zusammenhängenden Probleme kennt, kann Bei unvoreingenommener Beurteilung bestreiten, daß dieser Vor­schlag das Minimum dessen enthielt, was vom Standpunkt »«- verzichtbarer deutscher Interessen gefordert werden mutz, und daß er allen für Pole» irgendwie wesentlichen J«teressen Rech­nung trug.

Die polnische Regierung hat hierauf jedoch eine Antwort ge­geben, die zwar in die Form von Gegenvorschlägen gekleidet war, die aber der Sache nach jedes Verständnis für den deut­schen Standpunkt vermissen ließ und aus eine glatte Ablehnung des deutschen Angebots hinauslief.

Laß die polnische Regierung selbst ihre Antwort nicht als geeignet ansah, eine freundschaftliche Verständigung anzubahneu, hat sie in ebenso überraschender wie drastischer Weise dadurch bewiesen, daß sie gleichzeitig mit der Antwort zu einer umfang­reichen Teilmobilisierung ihrer Armee schritt. Mit dieser durch nichts gerechtfertigten Maßnahme hat sie zugleich im voraus Sinn und Ziel der Verhandlungen gekennzeichnet, in die sie un­mittelbar darauf mit der britischen Regierung eingetrete» ist. Die deutsche Regierung hat es nicht für notwendig gehalten, auf die deutsche Teilmobilisierung mit militärischen Gegenmaßnah­men zu antworten. Dagegen kann sie über die andere» von der polnischen Regierung in der letzten Zeit gefaßten Beschlüsse nicht einfach stillschweigend hinweggehen. Sie sieht sich vielmehr zu ihrem Bedauern genötigt, hiermit folgendes festzustellen:

1. Die polnische Regierung hat die ihr von der deutsche« Re­gierung gebotene Gelegenheit zu einer gerechten Regelung der Danziger Frage zu einer endgültigen Sicherung ihrer Grenze gegenüber dem Deutschen Reich und damit zu einer dauernden Festigung eines freundnachbarlichen Verhältnisses beider Län­der nicht ergriffen. Sie hat vielmehr die dahin zielenden deut­schen Vorschläge verworfen.

2. Gleichzeitig hat sich die polnische Regierung gegenüber einem anderen Staat auf politische Verpflichtungen eingelassen, die so­wohl mit dem Sinn als auch dem Wortlaut der deutsch-polni­schen Erklärung vom 26. Januar 1934 unvereinbar find. Die polnische Regierung hat damit diese Erklärung willkürlich n»d einseitig außer Kraft gesetzt.

Trotz dieser notwendig gewordene» Feststellung beabsichtigt die deutsche Regierung nicht, ihre grundsätzliche Einstellung zu der Frage der künftige» Gestaltung der deutsch-polnische» Be­ziehungen zu ändern. Sollte die polnische Regierung Wert dar­auf legen, daß es zu einer »eueu vertraglichen Regelung dieser

Die Freie Stadt Danzig «. der polnische Korridor (Kartend. E. Zander. M.)

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