5. Seite — Nr. 208
Nagolder Tagblatt „Der Gesellschafter'
Donnerstag, den 7. September 1939
Englands Schuld am Bwies
Amtliche Dokumente über die letzte Phase der deutsch-polnischen Krise England sabotierte alle Friedensbemühungen — Das amtliche deutsche Weißbuch
Das Auswärtige Amt hat unter Zugrundelegung aller Dokumente und Aussprachen ein Weißbuch herausgegeben, in dem einwandfrei die alleinige Schuld Englands am Kriege dokumentiert wird. Die in dem Weißbuch veröffentlichten Dokumente ergeben:
Polens Provokationen beginnen
1. Anfang August erhielt die Reichsregierung Kenntnis von dem Schriftwechsel zwischen dem Vertreter Polens in Danzig und dem Senat der Freien Stadt, wonach die polnische Regierung die Zurücknahme einer angeblichen, in Wahrheit gar nicht erlassenen Anordnung des Senats hinsichtlich der Tätigkeit der polnischen Zollinspektoren mit kurzer ultimativer Frist und unter Androhung von Vergeltungsmaßnahmen gefordert hatte. Dies gab der Reichsregierung Veranlassung, der polnischen Regierung am 9. August mitzuteilen, daß eine Wiederholung solcher ultimativen Forderungen eine Verschärfung in den deutschpolnischen Beziehungen herbeisiihren würde, für deren Folgen allein die polnische Regierung verantwortlich sein werde. Zugleich wurde die polnische Negierung darauf aufmerksam gemacht, daß die Aufrechterhaltung der von Polen gegen Danzig getroffenen wirtschaftlichen Maßnahmen die Freie Stadt zwingen würde, sich nach anderen Ein- und Ausfuhrmöglichkeiten umzusehen. Die polnische Regierung beantwortete diese Mitteilung der Reichsregierung mit einem der deutschen Botschaft in Warschau übergebenen Aide-Memoire vom 10. August, das in der Feststellung gipselete, Polen werde jede Intervention der Reichsregierung in Danziger Angelegenheiten, die die dortigen polnischen Rechte und Interessen schädige, als Angriffshandlung ansehen.
Chamberkains Schreiben an den Führer
2. Am 22. August richtete der britische Ministerpräsident Ne- ville Chamberlain unter dem Eindruck der Meldungen über den bevorstehenden Abschluß eines Nichtangriffsvertrages zwischen Deutschland und der Sowjetunion ein persönliches Schreiben an den Führer. Darin wurde einerseits der feste Entschluß der britischen Regierung ihre Vündnispflicht gegenüber Polen zu erfüllen, und andererseits die Auffassung zum Ausdruck gebracht, daß es geboten sei, zunächst wieder eine Atmosphäre des Vertrauens herzustellen und die deutsch-polnischen Probleme auf dem Wege von Verhandlungen durch ein international zu garantierendes Abkommen zu lösen.
Der Führer legte in seiner Antwort vom 23. August die wahren Ursachen der deutsch-polnischen Krise dar. Er wies insbesondere auf seinen großzügigen Vorschlag vom März dieses Jahres hin und erklärte, daß die damals von England aus verbreiteten falschen Nachrichten über eine deutsche Mobilmachung gegen Polen, die ebenso unrichtigen Behauptungen über deutsche Angriffsabsichten gegenüber Ungarn und Rumänien und endlich die Polen zugeficherte Garantie Englands und Frankreichs die polnische Regierung dazu ermutigt hätten, nicht nur das deutsche Angebot abzulehnen, sondern eine Welle von Terrorakten gegen die deutsche Volksgruppe in Polen zu entfesseln und Danzig wirtschaftlich abzudrosseln. Zugleich erklärte der Führer, daß Deutschland sich durch keine wie auch immer gearteten Einschüchterungsversuche davon abbringen lassen werde, für die Wahrung seiner Lebensrechte einzutreten.
Die Friedensbemühungen des Führers
3. Obwohl das erwähnte Schreiben des britischen Ministerpräsidenten vom 22. August und ebenso auch die am folgenden Tage von den britischen Staatsmännern gehaltenen Reden jedes Verständnis für den deutschen Standpunkt vermissen ließen, entschloß sich der Führer doch, noch einen neuen Versuch zu machen, um mit England zu einer Verständigung zu gelangen.
Er empfing am 25. August den britischen Botschafter, legte ihm noch einmal in aller Offenheit seine Auffassung über die Lage dar und teilte ihm die Grundlinien einer umfassenden, auf weite Sicht bemessenen Verständigung zwischen Deutschland und England mit, die er nach Bereinigung des Danzig- und Korridorproblems der britischen Regierung anbieten werde.
4. Während die britische Regierung über die bevorstehende Mitteilung des Führers beriet, fand ein Vriefaustausch zwischen dem französischen Ministerpräsidenten Daladier und dem Führer statt. Der Führer begründete in seiner Antwort wiederum ausführlich den deutschen Standpunkt in der deutsch-polnischen Frage und wiederholte noch einmal seinen festen Entschluß, die gegenwärtige deutsch-französische Grenze als endgültig anzuer- kenuen.
5. In ihrer am 28. August abends übergebenen Antwort auf den Brief des Führers vom 25. August gab die britische Regierung ihre Bereitschaft zu erkennen, auf den Gedanken einer Neugestaltung der deutsch-englischen Beziehungen einzugehen. Ferner teilte sie mit, daß sie von der polnischen Regierung die bestimmte Zusicherung erhalten habe, mit der Reichsregierung in direkte Verhandlungen über die deutsch-polnische» Fragen einzutreten. Dabei wiederholte sie, daß nach ihrer Auffassung ein deutsch-polnisches Abkommen durch internationale Garantien gesichert werden müsse. Trotz der schweren Bedenken, die sich aus dem ganzen bisherigen Verhalten Polens ergaben, und trotz der berechtigten Zweifel an einer aufrichtigen Bereitschaft der polnischen Regierung zur unmittelbaren Verständigung nahm der Führer in seiner dem britischen Botschafter am 29. August nachmittags übergebenen Antwort den britischen Vorschlag an und erklärte, daß die Reichsregierung mit dem Eintreffen einer mit allen Vollmachten versehenen polnischen Persönlichkeit am 30. August rechne. Zugleich kündigte der Führer an, daß die Reichsregierung die Vorschläge einer für sie akzeptablen Lösung sofort ausarbeiten und diese, wenn möglich, bis zur Ankunft des polnischen Unterhändlers auch der britischen Negierung zur Verfügung stellen werde.
Polen und England treiben zum Krieg
K. Während des 30. August traf in Berlin weder e'tn polnischer bevollmächtigter Unterhändler noch auch eine Mitteilung der britischen Regierung über die von ihr unternommenen Schritte ein. Dagegen erhielt die Reichsregierung an diesem Tage die Nachricht von der Anordnung der allgemeinen polnischen Mobilmachung. Erst um Mitternacht übergab der britische Botschafter ein neues Memorandum, das indes keinerlei sachlichen Fortschritt in der Behandlung der deutsch-polnischen Fragen aufwies, sondern sich auf die Mitteilung beschränkte, daß die Antwort des Führers vom vorhergehenden Tage der polnischen Regierung übermittelt werden sollte und daß die britische Regierung es für untunlich I
halte, die deutsch-polnische Fühlungnahme schon am 30. August hcrzustellen.
7. Obwohl durch das Ausbleiben des polnischen Unterhändlers die Voraussetzung dafür entfallen war. der britischen Regierung noch Kenntnis von der Auffassungster Reichsregierung über die möglichen Verhandlungsunterlagen zu geben, wurden dem britischen Botschafter gelegentlich der Uebergabe des letzterwähnten britischen Memorandums doch die Vorschläge mitgeteilt, die inzwischen von der Reichsregierung ausgearbeitet worden waren, und noch im einzelnen erläutert.
Die Neichsregierung erwartete, daß nun wenigstens nachträglich die Benennung eines polnischen Bevollmächtigten erfolgen würde. Anstatt dessen gab am 31. August nachmittags der polnische Botschafter in Berlin gegenüber dem Reichsaußenminister eine mündliche Erklärung des Inhalts ab, die polnische Regierung habe in der vorausgegangenen Nacht von der britischen Regierung die Nachricht von der Möglichkeit einer direkten Aussprache zwischen der Reichsregierung und der polnischen Regierung erhalten und erwäge die britische Anregung in günstigem Sinne. Auf die ausdrückliche Frage des Reichsaußenministers, ob er befugt sei, mit ihm über die deutschen Vorschläge zu verhandeln, erklärte der Botschafter, daß er dazu nicht ermächtigt sei, sondern lediglich den Auftrag habe, die vorstehende Erklärung mündlich abzugeben. Auch die weitere Frage des Reichsaußenministers, ob der Botschafter mit ihm die Angelegenheit sonst sachlich diskutieren könne, verneinte der Botschafter ausdrücklich.
8. Die Reichsregierung mußte somit feststellen, daß sie zwei Tage vergeblich auf einen polnischen Bevollmächtigten gewartet hatte. Sie gab am 31. August abends die deutschen Vorschläge mit einer kurzen Darstellung ihrer Vorgeschichte öffentlich bekannt. Diese Vorschläge wurden vom polnischen Sender als unannehmbar bezeichnet.
9. Nachdem somit alle Möglichkeiten zu einer friedlichen Regelung der deutsch-polnischen Krise erschöpft waren, sah sich der Führer genötigt, die von Polen schon seit langem gegenüber Danzig, den Deutschen in Polen und schließlich gegenüber Deutschland durch zahlreiche Grenzverletzungen angewandte Gewalt mit Gewalt abzuwehren.
England sabotiert die Friedensbemühungen des Duce
10. Am Abend des 1. September überreichten die Botschafter Großbritanniens und Frankreichs dem Reichsaußenminister zwei gleichlautende Noten, in den sie von Deutschland die Zurückziehung der deutschen Truppen vom polnischen Gebiet forderten und erklärten, daß ihre Regierungen bei Ablehnung dieser Forderung unverzüglich ihre vertraglichen Pflichten gegenüber Polen erfüllen würden.
Der Reichsaußenminister erwiderte beiden Botschaftern, daß Deutschland die in den Noten zum Ausdruck gebrachte Ansicht des Vorliegens eines deutschen Angriffes gegen Polen ablehnen mühte.
11. Um die durch diese Noten in bedrohliche Nähe gerückte Kriegsgefahr zu bannen, machte der Duce einen Vorschlag, der einen Waffenstillstand und eine anschließende Konferenz zur Lösung des deutsch-polnischen Konfliktes vorsah. Dieser Vorschlag wurde von der deutschen und der französischen Regierung positiv beantwortet, von der britischen Regierung indessen abgelehnt. Dies ergab sich schon aus den Reden, die der britische Premierminister und der britische Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten am 2. September nachmittags im britischen Parlament hielten und wurde dem Eeichsaußenmiuister vom italienische» Botschafter am 2. September abends mitgeteilt. Damit war auch nach Auffassung der italienischen Regierung die Initiative des Duce durch England zu Fall gebracht,
England stellt befristetes Ultimatum
12. Am 3. September vormittags 9 Uhr erschien der britische Botschafter im Auswärtigen Amt und überreichte eine Note, in der die britische Regierung mit zweistündiger Befristung die Forderung auf Zurückziehung der deutschen Truppen wiederholte und sich für den Fall der Ablehnung nach Ablauf dieser Zeit als im Krieg mit Deutschland befindlich erklärte. Der britische Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten richtete am 3. September 1939 vormittags 11.15 Uhr an den deutschen Geschäftsträger in London eine Note, in der er diesen davon unterrichtete, daß ein Kriegszustand zwischen den beiden Ländern, von 11 Uhr vormittags des 3. September an gerechnet, bestehe.
Am gleichen Tag um 11.30 Uhr vormittags händigte der Reichsaußenminister dem britischen Botschafter in Berlin ein Memorandum der Reichsregierung aus, in dem die Ablehnung der ultimativen Forderungen der britischen Negierung ausgesprochen und nachgewiesen wurde, daß die Verantwortung für den Ausbruch des Krieges allein bei der britischen Regierung liege.
Die Verantwortung der französischen Negierung
13. Am 3. September mittags suchte der französische Botschafter in Berlin den Reichsaußenminister auf und fragte, ob die Reichsregierung in der Lage sei, die von der französischen Regierung in ihrer Note vom 1. September gestellte Frage befriedigend zu beantworten. Der Reichsaußenminister erwiderte dem Botschafter, daß nach der Überreichung der englischen und französischen Note vom 1. September der italienische Regierungschef einen neuen Vermittlungsvorschlag gemacht habe, und zwar mit dem Bemerken, daß die französische Regierung diesem Vorschlag zustimme. Die Reichsregierung habe dem Duce am Vortage geantwortet, daß sie ebenfalls bereit sei, den Vorschlag anzunehmen. Darauf habe jedoch später am Tage der Duce mitgeteilt, daß sein Vorschlag an der Jntransigenz der britischen Regierung . gescheitert sei. Die britische Regierung habe vor mehreren ^ Stunden eine auf zwei Stunden befristete ultimative Forderung ! an Deutschland gestellt, die deutscherseits durch ein Memorandum abgelehnt worden sei, das er, der Neichsaußenminister, dem französischen Botschafter zur Kenntnis übergebe. Wenn die Haltung Frankreichs gegenüber Deutschland durch dieselben Erwägungen bestimmt werden sollte, wie die Haltung der britischen Regierung, so könne die Reichsregierung das nur bedauern. Deutschland habe immer einen Ausgleich mit Frankreich gesucht.
, 'Sollte die französische Regierung trotzdem auf Grund ihrer ^ Verpflichtungen gegenüber Polen eine feindliche Haltung gegen , Deutschland einnehmen, so würde das deutsche Volk dies als ^ einen durch nichts gerechtfertigten Angriffskrieg Frankreichs ^ gegen das Reich ansehen. Der französische Botschafter erwiderte, er entnehme den Ausführungen des Reichsaußenministers, daß ^ die Reichsregierung nicht in der Lage sei, auf die französische Note vom 1. September eine befriedigende Antwort zu geben, i Unter diesen Umständen habe er die unangenehme Pflicht, der ! Reichsregierung mitzuteilen, daß die französische Regierung ; gezwungen sei, vom 3. September, 5 Uhr nachmittags an, ihre , Polen gegenüber eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen.
> Gleichzeitig übergab der französische Botschafter eine entspre- chendo schriftliche Mitteilung. '
s Der Reichsaußenminister erklärte daraufhin abschließend, daß j die französische Regierung die volle Verantwortung für die Lei- ! den trage, die den Völkern zugefiigt werden würden, wenn ' Frankreich Deutschland angreife.
Polnische Gefangene berichten
„Man hat uns in den Tod gejagt — In drei Tagen sollte« wir in Berlin sein — Die Führung versagte völlig"
— 6. Sept. (Von unserem W.V.-Sonderberichterstatter.) Der Dienstag diente der Sammlung der vielen Tausende polnischer Gefangener, ihrer Zusammenstellung und ihrem Abtransport in das Innere des Reiches Wir hatten Gelegenheit, einen rund 3000 Mann umfassenden Transport polnischer Gefangener zu sehen, bevor er aus dem Kampfgebiet nach Westen in Marsch gesetzt wurde. Die Gefangenen, die zum größten Teil im Gebiet der Tucheler Heide gefangen genommen worden waren, boten s einen erbarmungswürdigen Eindruck. Schlecht gekleidet, völlig s direktionslos, von ihren Offizieren kaltblütig im Stich gelassen, § seit vier Tagen ohne Verpflegung, standen sie in langen Reihen ! vor den Güterwagen, die sie bald zur Fahrt nach Westen be- ! steigen sollten. Die Güterwagen waren mit Sitzbgnken ausgerüstet, so daß die völlig erschöpften Gefangenen aus der Bahnfahrt zum erstenmal sich wieder erholen können.
Unter den Gefangenen befindet sich ein Großteil Urkainer und Weißrussen, die zum Kampf für Polen gepreßt wurden. Man hatte ihnen berichtet, daß die deutsche Armee so schlecht sei, daß sie nur vorwärts zu marschieren brauchten, um in drei Tagen in Berlin zu sein und dort in den feinsten Hotels die schönsten deutschen Mädchen zu finden. Es könne ihnen gar nichts passieren. Die deutschen Soldaten würden vor ihnen wie Hasen davonlaufen. Es gab ein furchtbares Erwachen für diese armen verführten Menschen, als sie in den Feuerhagel der deutschen Maschinengewehre und in die,furchtbaren Bombenangriffe der deutschen Luftwaffe hineingerieten. Wir unterhalten uns mit einigen von ihnen mit Hilfe eines Dolmetschers, llebereirstim- mend berichten sie, daß die militärische Führung vollkommen versagt habe.
„Man hat uns immer dahin gestellt, wo das 'deutsche Feuer uns mit schrecklicher Gewalt getroffen hat. Dabei patten wir nichts als unsere Karabiner. Mir mußten vier Tage hintereinander mit schlechtem Schuhwerk und schwerstem Gepäck marschieren, bis wir in der Frontlinie waren. Wenn einer liegen blieb, kam der Offizier mit dem Revolver und sagte: „Marschier, Du Hunds In Berlin kannst Du Dich ausruhen!" Wer zusammenbrach, wurde einfach liegen gelassen oder von den Offizieren abgeknallt." Wir fragen: „Seid ihr denn nun froh, daß für euch der Krieg vorbei ist?" Und die polnischen Soldaten antworteten: „Ach, Herr, wir hatten solche Angst vor dem Eefangenwerden. Man hat uns gesagt, Wenn Dich die Nazis erwischen, werden Dir alle Glieder einzeln abgeschnitten."
Ein Lächeln huscht über die blassen, eingefallenen Gesichter der Gefangenen, und einer sagt: „Und dabei habt ihr uns nichts getan, sogar Essen habt ihr uns gegeben, Kaffee und Zigaretten und auch einen Arzt."
Zwischendurch berichten andere Gefangene von Truppenbefehlen, die ihnen mehrfach eingeschärft worden sind. Polnische Offi-
Ueberläuser
An der Begrüßung einmarschierender dtsch. Truppen nehmen auch polnische Ueberläufer teil, unter ihnen Volksdeutsche, die nur gezwungen ihrer Mobilmachungsorder gefolgt waren. „bKOXVi^."
(Scherl-Bilderd., Zander-M.-K.)