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Ragolder TagblattDer Gesellschafter"

Dienstag, den 1». August 1933

lenBelange- erwas zu kurz kamen. In der Lat sieht man noch nicht, wer die Lücke wieder ausfüllen könnte, die etwa Grazia Deledda im italienischen Schrifttum hinterlassen hat. Dem geistigen Schaffen hat sich dabei die Italienerin keineswegs entfremdet. Das weibliche Element ist in der italienischen Studentenschaft mit 16 Prozent (rund 8300) verhältnismäßig stark vertreten. In einigen Disziplinen wie im Lehramt, im philosophischen und pharmazeuti­schen Studium geben die Frauen sogar den Ausschlag. DieEuffine", der Typ der neuen italienischen Studentin, fehlen heute bei keiner patriotischen Veranstaltung. Frische, sportlich gestählte Mädchen nicht unähnlich den glück­lichen Absolventinnen der faschistischen Frauenakademie von Orvieto, die im neuen Italien wohl mit Recht als die In­karnation der körperlich und geistig gleich leistungsfähigen neuen Frauengeneration betrachtet werden. Alle sportliche Leidenschaft hindert übrigens die jungen Mädchen durchaus nicht daran, nach getaner Arbeit den Trainmgsanzug flink mit einem vorteilhaften Abendkleid zu vertauicben und nock

§ in der Garderobe hingebungsvoll denanderen Menschen" mit frischem Lippenrot und blassem Wangenton heroor- zuzaubern.

Donna Jtaliana das ist auch jene Frau, der die wei­ten Räume des neuen Imperiums nie geahnte Daseinsmög- lichkeiten bieten. Männer waren es wohl, welche die Kolo­nien eroberten,' aber die Konsolidierung des Kolonial­besitzes in der Form, wie sie den Italienern heute vor- schwebt, kann doch nur unter der tätigen, emsigen, opfer­bereiten Mithilfe der Frau erfolgen. Noch mangeln die Kolonialfrauen! Jene Frauen, die fernab von der zivili­sierten Welt nicht nur Mutter und Gattin sein dürfen, son­dern auch Aerztin, Köchin, Schneiderin. Gärtnerin, Schrei­nerin. Für die künftigen Kolonialfrauen, die kurzum alles können müssen, hat die Faschistische Partei vorausschauend Sonderkurse eingerichtet, die in den einzelnen Provmzortem mit einer gewissen Feierlichkeit seinerzet ihre Tätigkeit be­gannen.

Und darüber, daß es in Danzig so ruhig ist, darüber wundern sich wieder die Hergekommeuen.

Auf dem Seesteg herrscht ein reger Betrieb. Zwei Kilometer von Zoppot entfernt liegt Adlershorst, schon in Polen, es heißt jetzt Orlowo. Vor dem Seesteg stehen dort in erner Reihe zwei polnische Kriegsschiffe.

Es sind die ZerstörerBurza" undWicher", belehrt mich ein Danziger.Und das, was Sie da hinten sehen, das ist das SchulschiffBaltyk" ein uralter Kreuzer, der dort aufgefahren wird, um die theatralische Aufmachung wirksamer zu gestalten. Die Geschütze sind auf Danzig gerichtet. Wir fallen Angst bekom­men und klein gemacht werden von denSiegern" im Nerven­krieg. Aber wir kennen ja auch unsere Flotte."

Die Danziger?"

Nein, die deutsche!"

Und abends flammen über Edingen die Scheinwerfer auf. Hin und wieder gleiten sie auch über den Seesteg von Zoppot. Die Kurgäste hier empfinden das in dem Selbstvertrauen, das alle erfüllt, mehr als eine Illumination und nicht als das, was die Polen durch diese Provokation erwecken möchten.

Vor einigen Tagen", erzählt mir ein Kurgast,veranstalteten die Polen einige Kilometer vom Zoppoter Seesteg entfernt Schießübungen. In ihrer Presse schrieben sie dann, wir seien alle davongelaufen. Aber Sie sehen ja selbst, wiegähnend leer" Zoppot geworden ist."

Ich k'n mit einem Angehörigen der verstärkten Danziger Schutzpolizei verabredet. Seine Eltern haben ein großes Ge­schäft in Zoppot. Gr selbst hat freiwillig im Reich gedient und ist nun in den Dienst der Polizei getreten. Heute batte er Son- verurlaub.Für Erledigung der wichtigsten Eeschästssachen", er­zählt er mir.Alle Freiwilligen aus den Reihen der Polizei bekommen solchen Sonderurlaub, damit sie neben dem Dienst weiter ihren dringenden beruflichen Verpflichtungen Nachkom­men können."

Man erzählt sich aber doch im Ausland, daß viele reichs- deutsche Soldaten in Danzig sein sollen."

Das ist eine der üblichen Lügen, nicht mehr! Glauben Sie, wir haben etwa nicht genügend wehrpflichtige Männer hier bei uns? Wir können nicht einmal alle unterbringen die sich frei­willig zu uns melden. Wenn es um die Sicherheit unsere Hei­mat geht, dann werden wir alle wie ein Mann dastehen und das Land, in dem wir ausgewachsen sind und leben, bis zum Letzten verteidigen."

*

Auf der Straße treffe ich einen Bekannten. Der Mann lebt schon dreißig Jahre in Zoppot. Er hat alles hier mitgemacht, die Vorkriegszeit, den Krieg, die Revolution und die Erschaffung der sogenanntenFreien Stadt".Wir haben lange Jahre ge­wartet. Wir warten geduldig, aber wir glauben nun, daß die Zeit nicht mehr allzu fern ist, in der wir in die große Heimat zurückkehren werden und unser aller Sehnsucht sich erfüllt. Wann das sein wird, wißen wir nicht. Wir fühlen aber, daß bestimmt einmal der Tag kommen wird, an dem der Führer uns rufen wird." .

Auf der Reede von Zoppot liegt ein englischer Dampfer. Er hat amerikanische Touristen hierhergebracht. Mit den absurdesten Ansichten über die Verhältnisse in Danzig sind sie hier angekommen. Sehr schnell wurden sie eines Besseren be­lehrt. Mit eigenen Augen konnten sie sehen, wie es wirklich in Danzig aussieht und wie sie von ihrer Presse und Propaganda belogen werden.

Am Abend sieht man die Pastagiere auf dem Steg wandeln. Hier kommen sie unmittelbar mit allen Schichten der Bevölke­rung zusammen, mit Reichsdeutschen, mit Danzigern, mit Deut­schen aus Polen und auch mit den wenigen Polen, die sich trotz ihrer eigenen Hetze immer noch in Zoppot einfinden. Da gibt es keine Vermittler, da wird die Wahrheit gesagt, wie sie ist, da sehen sie im Dunst der See die polnischen Zerstörer vor Or­lowo und das Spiel der Scheinwerfer über Edingen.

Da sehen sie, wo die Ruhe herrscht, und wo die Nervosität, wo die Hetze und wo das felsenfeste Selbstvertrauen. L.

Wie sieht es wirklich in Danzig aus 7

Einer, der nach Danzig fuhr, berichtet

NSSK. Lesen Sie die Auslandspreste? Na, dann misten Sie ja genau Bescheid, was sich in Danzig tut. Kriegszustand, Kriegs­angst, höchste Nervosität...

Eines schönen Tages saß ich daher in einem Flugzeug. Ziel: Danzig. Ich wollte mal mit eigenen Augen sehen, was dort in Wirklichkeit los ist.

Schnell waren die Formalitäten der Paß- und Zollkontrolle in Langfuhr, dem Flughafen von Danzig, erledigt. Mit Eile begab ich mich nun in die Stadt. Auf der Hauptstraße von Langfuhr treffe ich auf einen Zug Uniformierter.Was sind das für Leute, wohl Militär, was?" frage ich meinen Nachbarn, der neben mir stehend, gleich vielen anderen, der vorbeiziehenden Truppe zusah.

Das ist unsere Polizei", antwortete er. Und dann fuhr er weiter fort:Misten Sie, was die Polen wollen? Sie wollen Danzig und Ostpreußen, ganz Schlesien und Pommern, und wenn es geht noch mehr. Wir aber sind Deutsche und wol­len heim ins Reich. Da sollen mal jetzt die Polen zu uns kommen und ihre wilden Phantasien wahrmachen wollen, wir werden sie entsprechend begrüßen."

Das also ist die Antwort auf die Berichte der ausländischen Zeitungen, daß die Danziger sehnsüchtig auf die Polen warten sollen.

Die Straßenbahn ist voll besetzt. Ruhige Gesichter überall. Panik, Panik soll in den Gesichtern dieser Menschen hier ge­schrieben sein, so hatte ich es gelesen. Und nun diese klare Ruhe, als ob man sich nicht im Brennpunkt Danzigs befände. Und überall dasselbe Bild. In den Straßen von Danzig, deren halen- städtische Lebendigkeit besonders bemerkenswert ist, in den Gas­sen, die dieselbe Ruhe atmen, wie seit Jahrhunderten,

»

Wuchtig erhebt sich vor mit der gewaltige Turm von St. Martin, dem großartigsten Denkmal des deutschen Danzig. Hoch oben, von der 82 Meter hohen Plattform des Turmes, hat man eine wunderbare Aussicht. Fast den gesamten Freistaat kann man sehen. Ueber die Dächer der Häuser und die Türme der Kirchen gleitet der Blick zum Hafen, zum Herzen der Stadt. Die Polen haben den Danzigern den Himmel auf Erden ver­sprochen, der Verkehr im Danziger Hafen sollte ungeahnte Aus­maße annehmen, den Umschlag von Hamburg erreichen. Don Jahr zu Jahr geht aber der Verkehr zurück. Polens Lügen wer­den immer sichtbarer. Und drüben liegt Edingen.

*

Brösen. Es ist das Stadtbad von Danzig. An der See gelegen, ist es von Danzig aus am schnellsten erreichbar. Die Jugend der Stadt scheint sich hier ein Stelldichein gegeben zu

haben, denn von allen Seiten schallt das Helle Lachen der lusti­gen und quietschvergnügten Buben und Mädel. Ich liege im Sand und genieße die Sonne und die herrliche Seeluft. Eine Gruppe Arbeiter erscheint. Auch sie wollen ein Bad nehmen nach des Tages Last und Müh Sie unterhalten sich über Politik.

Auf der Westerplatte buddeln die Polen rum, bauen da wohl Befestigungen oder ähnliches", erzählt der eine.Ist doch aller­hand, was sich die Burschen erlauben, hier in unserem Land."

Na, habt mal keine Bange, der Führer wird's schon machen."

Ja, der Führer, an ihn glauben sie hier, auf ihn vertrauen sie, sein Wille ist ihr Wollen.

In Zoppot soll eine gähnende Leere herrschen, behaupten viele ausländische Zeitungen, die ihre Informationen aus War­schau beziehen. Polen sind ja nun kaum da, das stimmt. Aber dafür um so mehr reichsdeutsche Badegäste.Misten Sie, ich wundere mich, daß die Leute alle hergekommen sind, bei dem Geschrei und der Ereuelhetze über Danzig", erklärt mir ein Wirt.

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Sisher hat -le NS-Volkswohlfahrt 22 Mutter un- Kinü-Hetme errichtet.

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Ich müßte mich freuen, daß meinem Verlobten die Freiheit winkt", sagt sie leise,aber ich kann es doch nicht so recht. . . auch hier wieder... er. . . mein Bruder..."

*

Vor Kibelkes Hof hält der Wagen.

Wir wollen sehen, daß wir ihn zu sprechen kriegen, dann halte ich ihm den Brief vor. Nach der Joppe können wir nachher immer noch Umschau halten."

Ohrenschall nickt, dann treten sie beide durch die niedere Tür ins Haus.

Ist der Bauer da? Ich möchte ihn sprechen", wendet sich der Kommissar an die Magd, die ihnen im Flur entgegentritt.

Er mutz im Stall sein, soll ich ihn holen?"

Ja, wir warten hier auf ihn..."

Mit klappernden Holzpantoffeln eilt das dralle Mädel

davon.

Dort hängt sie, die Joppe...", flüstert Ohrenschall

aufgeregt.

Halten Sie mal den Faden dagegen. Und wo steckt denn wieder meine Lupe... ?"

Es stimmt, Herr Kommissar, es stimmt... da braucht es weiter keinen Beweis..."

Ja, das ist nun klar, aber ruhig, da kommt der

Kibelkes Schatten fällt in die Tür. Beim Anblick

des Beamten stutzt er.

Ach, der Herr Kommissar ist wieder da...

Ja, Kibelke, und ich habe von neuem ein paar Fragen für Sie..." . ^

Tie Beamten sind zu sicher, sie wähnen den Mann schon in ihrer Gewalt, Overbeck verrät sich, während der Bauer noch draußen steht, und das ist ein Fehler...

Tie Tür donnert plötzlich ins Schloß, außen Poltert etwas. Die Männer stehen im Dunkeln. Und wenn sre auch sofort zur Tür eilen, sie öffnen wollen, so finden

sie doch Widerstand, Kibelke muß von außen her irgend etwas dagegen gestemmt haben.

Aber dem Bemühen der beiden Männer gibt sie schnell nach, über den umgestürzten Karren hinweg, der das Hindernis bildete, springen sie in den Hof hinaus, wo die Magd mit verwirrter Miene steht.

Wo ist er hin, der Bauer?" schreit Overbeck sie an. Reden Sie doch! Stehen Sie nicht da wie ein Klotz! Wohin ist der Bauer?"

Dorthin!" sagt die Magd eingeschüchtert und weist auf die Lücke zwischen Stall und Scheune.

Die Männer eilen in dieser Richtung davon, arbeiten sich durch den ein wenig verwilderten Krautgarten, überklettern einen Zaun...

Da fährt er, Herr Kommissar, er hat sein Rad, auf dem schmalen Weg und über die Acker kommen wir mit dem Wagen nicht nach..."

Aber da rennt Overbeck schon los. Der Assistent folgt ihm.

Ich rufe ihn an, bleibt er nicht stehen, geben wir Feuer!"

Pistolen liegen plötzlich in den Händen der Beamten.

Halt!" gellt Overbecks Stimme auf, und tut es noch ein zweites, ein drittes Mal. Aber der Radfahrer achtet nicht darauf.

Schießen wir!" sagt Overbeck lakonisch. Aber ehe sie ihre Waffen heben, hat sich Kibelke umgewendet, ein Revolver glänzt matt in seiner Faust, Schüsse krachen» bedrohlich umschwirren die Kugeln die beiden Polizisten.

Und der will nicht schießen können!" wundert sich Ohrenschall und drückt ab.

Noch hallt vom Waldrand her, den der Flüchtige nicht mehr erreichen konnte, das Echo des Schusses wieder, als Kibelke im Sattel schwankt und vergeblich wieder Halt zu finden sucht. Samt dem Rad stürzt er schwer zu Boden.

Vorsichtig, Ohrenfchall, vorsichtig! Er könnte noch 'ne Kugel im Lauf haben!" warnt der Kommissar.

Aber diese Vorsicht ist überflüssig. Die erfahrenen Beamten erkennen es schnell: dieser Brustschuß ist von tödlicher Wirkung...

Kibelke", sagt Overbeck zu dem Verwundeten, den man im Haus auf ein Betr niedergelegt hat.Kibelke, sagen Sie uns alles. Das traurige Schicksal Ihrer armen Tochter kennen wir und verstehen nun auch die Tat. Sie haben Baron Facius im Wald niedergeschossen, geben Sie es zu...?"

Ja", flüstert der Sterbende.

Sie wollten Ihre Tochter rächen. Aber sagen Sie uns, wie kamen Sie zu Röggs Gewehr?"

Mühsam formen sich die Worte auf den Lippen des Bauern.

Ich haßte ihn ... den Verführer ... ich schwur ihm Rache... aber wie?... aber wie? und in Zinnberg... im Herrenhaus... in der Halle..."

Ich verstehe. Sie kannten sich da aus, wußten, daß man unbemerkt vom Park aus in die Halle kommen konnte, daß da Röggs Gewehre hingen..."

Ein mattes Nicken wird ihm als Antwort.

So kam der Tag, an dem Ihr Entschluß feststand, Facius mit einem Gewehr Röggs niederzuschießen..."

Wieder bestätigt es der Todwunde.

Ja... das Wetter... jede Spur hätte es verwischt! Facius... er war im Wald... ich schlich mich ein, nahm das Gewehr und Patronen dazu... niemand sah mich!"

Und dann trafen Sie Baron Facius?"

Ja... ich rief ihn an... wissen sollte er, daß ich es war... er erkannte mich, sah das Gewehr, griff nach dem seinen... da... da drückte ich ab ..."

Erschöpft hält Kibelke inne. Bluttropfen treten auf seine Lippen. Aber Overbeck fragt nach kurzer Paus« weiter.

Dann trugen Sie also das Gewehr ins Herrenhaus zurück und hängten es an der alten Stelle wieder auf!"

Ja..."

Aber ich fand den Lauf sauber, man erkannte nicht, daß geschossen war aus ihm..."

Ja... ich... ich reinigte ihn... er, Rögg... er sollte nicht in den Verdacht kommen..."

21 .

...nach der erneuten Aussage des Bauern Kibelke schienen alle Beweise dafür gegeben zu fein, daß Herr von Rögg den Mord an Baron Facius verübte. Da fand in letzter Minute Kriminalassistent Ohrenschall an Röggs Selbstspannerqewehr einen grünen Wollfaden, den er als von der Lodenjoppe Kibelkes stammend er­kannte. Es war nunmehr zu folgern, daß dieser seine Aussage nicht wahrheitsgetreu gemacht hatte. Zweifellos trug er die Lodenjoppe, eine kräftige Wetterjacke» am Mordtag. an dem es stark regnete.

Auf der Suche nach Facius muß Röggs Gewehr Kibelke gestreift haben. Dabei schob sich der Faden zwischen Schaft und Kappe. Nachträgliche Versuche haben gezeigt, daß das bei dem Körpergrößenverhältnis der beiden Männer durchaus möglich war.