Serie 8 Nr. 299 _Nayolder Taablatt »Der Gesellschafter* Freitag, den 24. Dezember 1937

Deutsche feiern Weihnachten

In allen Erdteilen sind Deutsche unterm Lichterbaum vereint

Uan8 si'rieckriok Munok:

Ich komme von der Weihnachtsfeier eines auslandsdeutschen Kreises und fühle mich so sehr ergriffen, ich weiß mir kaum zu erklä- ren. was in mich gefahren ist. Wer erinnert sich nicht einer jener zitternden Augenblicke der Jugend, wo ein gewandelter Schmerz, eine unerwartete winzige Freude, die Entdeckung einer unbekannten Blume, der Blick eines Mädchens uns in ein Schwingen versetzen konnten, wie es später nur noch in seltene» Stunden über uns kam. So sehr und ich weiß keinen anderen Vergleich hat mich heute die Macht ergriffen, die das Wort, die ein Lied über alle Grenzen hinaus besitzt.

Was ist denn eigentlich gewesen? Gewiß, es tröstet uns. mit Deutschen von weither zu­sammen zu sein. Das Reich schwindet seit dreihundert Jahren im Westen, im Süden und im Osten; wir leiden zudem seit fünf­zehn Jahren bis ins Herz unter der Bestel­lung unseres Namens, unter Demütigungen ohne Ende, unter dem Ausschluß vom Recht jedes Volkes, freier Herr in seinem Volks­raum zu sein. Und die politische und mili­tärische Ohnmacht quält uns io tief und bewegt uns so sehr, daß auch in uns Welt- abqewandte die Leidenschaften einfallen und daß wir ein Bekenntnis zum Volksgefühl als Stunde der Erhebung und des Glaubens empfinden.

Aber es war nicht das. Im Gegenteil, wir. die wir die Bindung unseres Volkes im Staat wünschen, sollten mit diesen Gästen nicht vom Staat reden. Alle Deutschen im Ausland sind überraschend gründliche Bür­ger ihrer Staaten. Der erste Eindruck des Abends war ein unerquickliches Zerwürfnis zwischen einem Siebenbürgen rumänischen Staatsbürgertums und einem ungarischen Schwaben, wobei jeder sein Land heftig ver­trat.

Der Ausgleich gelang rasch: man hatte da ein rasches Schlichtungsverfahren unterein­ander und bemühte sich, die reichsdeutschen Gäste nichts spüren zu lassen. Denn diese jungen Menschen, meist Studenten hatten sich untereinander gesammelt wir waren die Geladenen. Zwischen Luxemburg und Wolga, zwischen Norwegen und dem Bal­kan. nein, weit darüber hinaus bis Asien, bis nach Südamerika hinüber lag ihre Hei­mat. Nun hatten sie sich untereinander ver­abredet. hatten sogar einige ..Deutschländer" Oesterreicher und Schweizer. denen sie sonst gern als unsichtbares Reich für sich gegen­überstehen. als Gäste hinzu geladen und hat­ten einen Tannenbaum und kleine Geschenke und Lieder vorbereitet.

Die Mädchen sangen zuerst wie vermag die Weichheit von Frauenstimmen die Män­ner ans dem Alltag zu führen. Es waren Legenden und auch kleine Ehristlieder ihrer Landschaft, die sie in verschiedenen Gruppen sangen: oft hatten sie Worte eingestockiten die wir nicht mehr verstanden, oft auch Melo­dien. die das Land verrieten, in dem sie ge­boren waren. Einige Männer hielten kurze Reden, oft in mundartlicher Färbung: die Balten mit tiesen Kehlstimmen die Süd­amerikaner mit jenem nicht unschönen Ab­laut. dem sich wie man sagt alle euro­päischen Sprachen in jenem Erdteil unter­

In der Tropennacht Sstalrikas

Ein ehemaliger deutscher Offizier lebt im ehemaligen Deutsch-Ostafrika. Er schreibt:

Das erste Weihnachten, das ich in mei­ner zweiten Heimat Ostafrika beging, war recht traurig, denn allein saß ich in meinem noch nicht einaerichteten Hanse. Wie anders war es 1985' Die geschickte Frauenhand hatte das Hänschen mittlerweile zu einem gemüt­lichen deutschen Heim ausgestattet. Ans Zedernzweigen hatten wir »ns einen Ad­ventsleuchter gewunden Weihnachtskerzen brannten aus ihm. Bescheidene Geschenke mengten non der gegenseitigen Liebe mit der sie dargebracht wurden. Am Nachmittag hatten die farbigen Arbeiter ihr .Bakshish ha' siknku' d. h. ihr Festtagsgescbenk in Ge­stalt eines neuen Schillings erhalten.

Als der Abend hereinbrach, wurde der Adventskranz erleuchtet die Flügeltüren zur Veranda geöffnet und auf dieser das Gram­mophon ausgestellt. Deutsche Weihnachts­lieder und Glockenklang und Orgelbeglei­tung erklangen in die Helle Tropensternen- nacht. Festumschlnngen ging ich mit meinem tapferen Weggenoß aus den Vorplatz des Hauses. Welch eine herrliche Weihnachts­stimmung - viel schöner als unter Hunder­ten von Menschen in einer Großstadt. Naturverbunden über uns das .Kreuz des Südens' dazu die schönen ko lieben Klänge unserer alten deutschen Weihnachtslieder.

Im Adventskranz verlöschten die Feuer und die Neger angelockt durch die eigen­artige Musik schlichen sich leise heran und hockten sich still bin in gewissem Abstand. Das war deutsche? Weihnachten - sern der alten Heimat auf deutschem Neuland bas vor Jahren im Weltkriege von uns ver­teidigt wurde.'

ziehen. Aber noch standen sich alle feierlich fremd gegenüber. Wie schön, dachte man als Dichter, wie weit geht die Ehre deiner Sprache! Wenn sie auch überall zurückge­drängt wird, im Elsaß, in Tirol, im Osten, wie groß ist sie noch! Schon wollte man heimlrch Betrachtung darüber anstellen, wie weit Gewalt die Selbstbestimmung wohl zu überlärmen vermöchte, schon wollte die Bit­terkeit aufkommen da klingelte es leise, tat sich die Tür zum Tannenbaumzimmer aus. da spielte jemand und wir fielen ein. und sangen die drei Lieder, die wir seit unserer Kindheit an diesem Tage singen. Und mit dem Singen kam es über uns: Tie Schran­ken zwischen Gast und Gastgebern fielen, alle eignen Lichter in unseren Händen waren vor der Helle des Baumes erloschen. Wir sahev einander an und lächelten beschämt üver unsere Empfindsamkeit, befangen üver das. was mit uns allen geschah: über die unsicht­bare Bindung zur Brüderlichkeit durch das deutsche Lied. Wir sahen einander scheu auf den Mund, wir versuchten uns noch vorzu­stellen. daß dieser oder jener weit über Land und See gekommen war. wo uns doch zu Mut war. als sei man von jeher unter die­sen Liedern der Liebe, unter der Helle dieses Baumes und im Fest der erwachenden Lich­ter vereint gewesen. Und man blickte wieder zur Seite, um nicht die Weichheit anderer

zu sehen; denn über alle Grenzen hinweg waren wir in diese Sprache und Melodie eingesunken, waren gleich im Geist. Einheit im Erlebnis der Hoffnung und Brüderlich­keit im Brausen einer Liebe, die aus unserer Sprache quoll und Herz um Herz durch- strömte; waren einig auch im Erlebnis dieser Stunde, welche die Freiheit deutschen Geistes, dem die Sprache entspringt, wie in alten hundertjährigen Liedern fordert.

Wenn ich von Erschütterungen der Jugend sprach, wenn ich von Stunden sprach, die zu den großen Feiern unseres Lebens gehören, ich erlebte noch einmal eine von ihnen in diesem Raum, in dem die Menschen aller Weltteile sich in Liedern sammelten, deren Worte durch Jahrhunderte gebildet wurden, die wir aus der Kindheit herüberzogen, in denen unsere Gedichte. Legenden und Geister aufstanden, die uns zum Tod berauschen und zum Leben zu begeistern vermögen. Eine jener Stunden war es. die zur Hingabe ent­fesseln, die uns Menschen aus uns selbst aus­zuheben und in unirdische Reiche des Wortes zu traben weiß. Was ist unser Leben, wenn nicht eine Kette weniger großer Stunden, die uns zur Seligkeit einer tiefen Liebe, oder zur Nähe vor Gott, oder zur Eingesunkenheit in Volk und Wort seiner Dichtung versenken? Sie erst machen das Leben lebenswert und doch schön".

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Deutsche Wechnachtsglocken über NeuWrk

kline kliinnei-unZ von 8enis Lorllel

Durch die Wolkenkratzerstraßen Neuyorks rast und brandet seit Tagen der Weihnachts­verkehr. Kaum war .Mlu-nksgiving", die Ev- innerungsfeier an das Begraben des Kriegs- beiles zwischen dem roten und dem weißen Manne vorüber, da stammten an allen Straßenecken und Plätzen die riesigen bunt­erleuchteten Weihnachtsbäume auf. Der deut­sche Weihnachlsbaum hat sich mit seinem Zauber die ganze Welt erobert. Und wenn seine ersten Lichter erstrahlen, beginnen die Kinderbesuche beim Santa Claus. Jedes Warenhaus Neuyorks hat in seiner Spiel­zeugabteilung einen lieben, netten, freund­lichen alten Weihnachtsmann sitzen, so lieb, wie wir ihn einst im schönsten Märchen er­träumten. An ihm marschieren die Kinder Neuyorks vorüber. Jedem gibt er die Hand, jedem ein kleines Geschenk, und jedes verrät ihm seinen liebsten Wunsch. Die Eltern stehen dahinter und hören heimlich zu. und daß der geäußerte Wunsch möglichst erfüllt wird, ist sicher.

Aber auch in Neuyork. dieser Stadt uner­hörtesten Reichtums und erschütterndster Ar­mut. leben Menschen, für die es kein Weih­nachtsfest gibt. In welcher furchtbaren Not befinden sich hier manche deutschen Familien, die noch nicht eingebürgert sind. Mehrere- Hilfsorganisationen sind ins Leben gerufen worden, um deutschen Bürgern und Deutsch- stämmigen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Gegen fünfzigtausend deutsche Ar­beitslose sprachen in wenigen Wochen allein in einem dieser Büros vor. Zwei junge Leute unter ihnen mußten, da sie völlig verhungern waren, sofort ins Hospital übergeführt wer­den. Der eine nächtigte wochenlang in einem Aufzugsschacht, der andere im Central-Park.

Die Deutsche Gesellschaft in Neuyork hatte mich gebeten, sechshundert deutschen Arbeits­losen den Heiligen Abend durch künstlerische Darbietungen zu verschönen, eine Bitte, der ich mit tausend Freuden entsprach. Je näher der Weihnachtsabend herannahte, um^ so- quälender wurde das Heimweh. Am späten Nachmittag wurde das Glockengeläut der be­rühmtesten deutschen Kirchen und Dome durch die großen amerikanischen Radiosender übertragen. Da sprach die Heimal zu mir wie eine gütige Mutter ... Dann aber riß: mich wieder das amerikanischen Tempo em­por. Schnell hinein in die Untergrundbahn, zur Turnhalle in Lerington Ave. Dort be­scherte die Deutsche Gesellschaft, die gegründet wurde, um deutsche Auswanderer vor Miß­brauch und Ausbeutung zu schützen, sechs­hundert deutschen Arbeitslosen. Vom Kock, bis zum Kellner. Küchenjungen und Abwasch­mädel hatten sich alle völlig kostenlos zur Ver­fügung gestellt. Selten sah ich Menschen mir so viel strahlenden Gesichtern für andere ar­beiten, wie an jenem Abend. Niemals kann ich auch die Augen dieser Zuhörer vergessen, die unter Tränen lächelten, als ich ihnen du Sprache der Heimat brachte.

Ein erschütterndes Weihnachtsfest, und dennoch ein Abend den ich nicht aus meiner Erinnerung misten möchte. Denn mit mir trug ich die tröstende Gewißheit: ..Wo du- Freude machst, bist du im Vaterlande!"

Weihnachten im Grönlandeis

Von Ingenieur Kurt tterctemerten. IVlitglieci cler Wegener-Lxpeciition

Zurückgekehrt aus der Eiswüste Grön­lands sitze ich über mein Tagebuch gebeugt, mit Wehmut zurückdenkend an das Weih­nachtsfest 1930.

Am 7. Dezember kam die Ersatzgruppe zurück, ohne Alfred Wegener. aus den sie wochenlang gewartet hatte. Furchtbar lastete die Ungewißheit über sein Schicksal aus uns. den Insassen der Weststation.

Schon am Morgen des WeihnachtS- tages ist aus den Gesichtern der Kame­raden ein Widerschein der Freude zu sehen. Jeder hat den Wunsch, dem anderen schöne Worte zu sagen, kleine Freuden zu machen, um ihm diese» Tag in der furchtbaren Ein­samkeit zur schönen Erinnerung zu gestalten.

Am Mittag gehe ich aus dem Stations­haus hinaus. Auch dort draußen ist Weih­nachten. aber anders als im Vaterland. Eine tiefe L-ehnsucht nach den verschneiten Wäl­dern der deutschen Heimat wird plötzlich in mir groß. U^ber mir peitscht der harte Phos­phorglanz des Polarlichtes mit rasender Ge­schwindigkeit und seht den ganzen Himmels­dom in Brand. Unfaßbare Gewalten der polaren Winternacht. Das Nordlicht ver­blaßt. ungezählte Sterne senden Ruhe und Frieden ins Herz. Der eisige Sturm, die

In unserem XViMerbaus, tiel unter äer Lcbnss- ctscke, leierten aucli wir äeutsclie Weitinaclitsn

ein deutsches Weihnachtsfest sehen. Und dann geht es an die Vorbereitungen. Eine Bowle wird angesetzt, unser letztes Pferde­fleisch wird hereingeholt. Gemüse liefern die Konserven. Schokolade. Mandeln und Back­werk sind in den eigens zu diesem Zwecke mitgenommenen Weihnachtskisten.

Tann stehen drei kleine Bäumchen mit Lichtern, II Teller mit Süßigkeiten, Zigaretten und Tabak aus dem Tische. Jeder kramt in seinem Gepäck nach kleinen Sachen, um sie als geringe Aufmerksamkeiten den Kameraden zu überreichen.

Und dann läutet auch unsere Weih­nacht s g l o ck e, die großen Eis-Stahl- Bohrer geben einen schönen klaren Klang. Tie Lichter werden angezündet und wortlos sehen wir uns an. Es ist die ferne Heimat, die in den Augen glänzt. Es dauert lange Zeit, ehe wir in unser Lied einstimmen kön­nen.

Und dann tönt in der trostlosen Eiswüste das ..Stille Nacht, heilige Nacht". Der Bann ist gebrochen und wir denken an die anderen Kameraden, die nicht bei uns sind.

Wie mag es den dreien gehen, die unten am Fjord sitzen und mit einer Kolonie ver­suchen. Verbindung zu bekommen? Sie hau­

große Kälte treiben mich bald wieder hinab in das Winterhaus.

Es liegt so friedvoll rief im Schnee, nur der Schornstein ragt darüber hinaus. In der geisterhaften, nur sternenerhellten Finsternis ist es schwer zu denken, daß acht Menschen dorr unter dem rauchenden Rohr leben und diese Einsamkeit auf sich genommen haben, um Dienst an deutscher Wissenschaft zu leisten.

Wohlige Wärme schlägt mir entgegen, wie ich durch Schacht und Fenster hinabsteige.

Auch drei Grönländer sind bei uns. die durch das Meereis verhindert sind heimzu- sahren. Auch sie werden zum erstenmal

sen dort in einer aus Kisten und Brettern vrovisorisch zusammengeschlagenen Hütte, durch deren Ritze der furchtbare Fallwind der grönländischen Fjorde heult. Wie mag es in der Station ..Eismitte" aussehen, die in einem Eiskeller den Polarwinter in der töt- lichsten Verlassenheit, die die Welt auszu­weisen hat. durchkämpsen und nun wohl auch das Heilige Fest entsprechend feiern?

Und Wegener. Loewe und ihr grön­ländischer Begleiter Rasmus?

Wir hoffen, daß auch sie in ..Eismitte" ihr Weihnachten haben. In dieser Feierstunde war es wohl gut für uns. daß wir noch daran glauben durften.