Nr. 150
Freitag, 2. 3uli 1937
111. Jahrgang
er G esellscti Mer
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Geheimer Kronrat in London
Die Krise des Nichteinmischungssystems und die Freiwilligenfrage — Paris erwartet Vorschläge zur Anerkennung Fraueos
X London, 1. Juli.
Donnerstag vormittag fand ein geheimer Kronrat statt, bei dem die neuernannten britischen Botschafter für Tokio, Brüssel und Moskau vereidigt wurden. Nach altem Brauch küßten die neuen Botschafter nach der Eidesleistung dem König die Hand. Indessen gehen die Beratungen innerhalb des britischen Kabinetts wegen der Ausrechterhaltung des Nichteinmischungssystems für Spanien weiter. Tie Ansicht, daß im Falle des völligen Zusammenbruchs dieses Systems Großbritannien die spanischen Bürgerkrieg s p a r t e i e n als kriegsüh- rendeMächteanerkennen und seine Neutralität erklären werde, scheint immer mehr an Boden zu gewinnen. Endgültige Beschlüsse werden erst nach Eintreffen der für heute Freitag erwarteten Antworten des Deutschen Reiches und Italiens gefaßt werden. „Preß Association" hingegen meldet, daß Großbritannien der Anregung, die Seekontrolle abzuschaffen und irgendwelche Nichteinmischungsmaßnahmen in Spanien mit dem Zugeständnis der Rechte kriegführender Mächte zu verbinden, nicht zustimmen kann.
Ter Pessimismus hinsichtlich der Aufrechterhaltung des Nichteinmischungssystems wird auch in Paris geteilt. Die Blätter stellen fest, daß die internationale Kontrolle tatsächlich nicht mehr besteht. Man erwartet aber britische Vorschläge zur Frage der Anerkennung Francos und Gegenleistungen Francos.
Italiens Antwort an London
Nach der eindeutigen Klarstellung der italienischen Auffassungen zum spanischen Problem durch den offiziösen Artikel im „Popolo d'Jta- lia" erwartet man in Rom, wie unser iu.-Be- richterstatter meldet, den Ausgang der weiteren Verhandlungen des Nichteinmischungsausschusses mit Ruhe. Um jedoch jegliche Illusion von seiten der Westmächte von vornherein auszuschließen, unterzieht sich die italienische Presse noch einmal der Mühe, interne Fragen der zur Debatte stehenden Angelegenheiten herauszu- stellen.
Das Kontrollsystem ist nach italienischer Ansicht ein Schema, dessen Praxis gemeinsame Beschlüsse aller Beteiligten zur Voraussetzung hat. JrgendeineRegelungohne die Zustimmung Italiens und Deutschlandsist daherausgeschlossen. Man läßt in Rom auch keinen Zweifel darüber, daß eine Umgehung dieses Prinzips, gleichgültig auf welche Weise, nicht geduldet werden kann. Die Durchführung einer einseitigen Flotteniontrolle durch England und Frankreich würde einer versteckten Intervention zugunsten der Bolschewisten Vorschub leisten.
Zur Frage der Freiwilligen- Zurückziehung wird festgestellt, daß entsprechende Vorschläge schon am 8. Januar von Deutschland und Italien dem Nichteinmischungs-Ausschuß unterbreitet wurden. Zunächst wurden sie überall abgelehnt, um dann die Freiwilligenfrage in London Plötzlich als „eigene Erfindung" der Welt zu präsentieren. Aber wiederum erfolgte nichts. Erst als Di- mitroffauf sie zurückkam, fühlte man sich in London und Paris bemüßigt, sich mit ihr zu beschäftigen. Eine Zurückziehung der Freiwilligen käme aber, so erklärt man in Rom, nur bei einer völligen Wahrung der Parität in Frage. Wer garantiert aber dafür, daß ein zurückgezogenes bolschewistisches Bataillon nach einem vergnügten Wochenende in Südfrankreich nicht verstärkt durch neue „Freiwillige" über die französche Grenze nach Katalonien zurückkehrt? Die einzige Möglichkeit, eine Klärung der Lage herbeizuführen, besteht — so betont die italienische Presse weiter — darin, General Franco anzuerkennen. Wenn England und Frankreich bereit wären, ihre „Neutralität" unter Beweis zu stellen, müßte es für e eine Selbstverständlichkeit sein, die Negierung des national-spanischen Staatschefs, der bereits drei Viertel des spanischen Bodens vom Kom
munismus befreit hat, anzuerkennen, und nicht einseitig weiter das bolschewistische Untermenschentum moralisch und materiell zu unterstützen.
Zouhaux gesteht die Einmischung in Spanien
Bisher 18 Millionen Franken auf die spanischen Bolschewisten — „Helden der Sowjetunion" in Spanien
X Warschau, 1. Juli
Der berüchtigte französische Gewerkschafts- bonze Jouhaux teilte in einer vertraulichen Sitzung des gegenwärtig in Warschau tagenden Generalrates der marxistischen Ge- werkschastsinternationale mit, daß die Gewerk s ch a f t s i n t e r n a t i o n a l e bisher 19 Millionen Franken den V a l e n c i a - Bo l s ch e w i st e n zur Verfügung gestellt hat, wovon die sranzösi- sehen Gewerkschaften allein 11 Millionen ausbrachten. Auch nach der Nichteinmischungs- erklärung der französischen Regierung wurden beträchtliche Munitions- und Wasfen- transporte nach Spanien gesandt. Citrine- Frankreich beantragte eine Aufforderung an die sowjetrussischen Gewerkschaften zu einem gemeinsamen Schritt zugunsten der spanischen Bolschewisten; dieser Antrag fand eine Mehrheit von 8 L-timmen.
In der Sowjetpresse wurde ein Regierungsdekret über die Verleihung des Titels „Held der Sowjetunion" an 5 Offiziere und 1 Unteroffizier für musterhafte Ausführung eines Sonderauftrages „zur Befestigung der Wehrkraft der Sowjetunion und für dabei bewiesenen Heldenmut". Auffällig ist, daß die Verleihung dieses Titels an 28 Angehörige der Roten Armee am 31. Dezember 1936, 21. Juni und 27. Juni 1937 ohne die Angabe vollbrachter Leistungen erfolgte, weshalb anzunehmen ist, daß es sich um eine Belohnung für die Tätigkeit in Sowjetspanien handelt.
L > g e u d e r i c t> t ck e r 14 8 - k> r e s s?
ctg. Amsterdam, 2. Juli.
Das „Nationale Dagblaad" weist in einem Leitartikel daraus hin, daß durch das Verhalten einiger im Nichteinmischungs-Ausschuß vertretenen Regierungen die Neutralität. der Niederlande aufs schwerste gefährdet ist. Die Lage in Spanien befindet sich jetzt in einem entscheidenden Stadium. Airs diesem Grunde ist es das Gebot der Stunde, daß die Niederlande sich ihre Handlungsfreiheit sichern, um eine Politik der selbständigen Neutralität verfolgen zu können. Die Nie- derlandx müssen daher aus dem Nichteinmischungs-Ausschuß austre- ten und die niederländischen Offiziere veranlassen. ihre Posten als Beamte des Kon- troll-Äusschusses niedcrzulegen.
IZoo Geiseln befreit
!X -"lbao. 1. Juli
Seit der Einnahme von Bilbao sind die nationalspanischen Streitkräste 40 Kilometer in Richtung Santander vorgerückt. Gegenwärtig haben sie eine Linie erreicht, die von knapp vor Laredo an der Küste — von wo nationale Artillerie das bolschewistische „Hauptquartier" nach Santo na verjagte — südwärts über Trucios — wo 1500 Geiseln aus den Händen der Bolschewisten sich noch vor Eintreffen der nationalen Truppen befreien konnten — westwärts und südwärts vonValmaseda gegen Bill a- sante u. Cilleruelo geht. Im Raume Orduna-Nava sind etwa 1000 Milizleute völlig eingekreist. Zahlreiche bolschewistische Milizleute haben sich den nationalen Truppen ergeben.
Die Sorgen der neuen französischen Regierung
Unter dem Druck der Generalstreikgefahr X Paris, 1. Juli.
Am Donnerstagvormittag fand ein längerer Kabineltsrat statt, der sich in der Hauptsache mit dem drohenden Streik der Hotels befaßte. Außenminister Delbos berichtete über die außenpolitische Lage. Außerdem wurde beschlossen, der Kammer noch vor den Parlamentsferien folgende Gesetzentwürfe vorzulegen: lieber landwirtschaftliche Schuldenregelung, Zollvollmachten, Hilfeleistung für Nordafrika und Gesetze über die Handelsmarine.
Der Vergnügungspark der Weltausstellung ist noch immer geschlossen. Die Drohung der Hoteliers, am Samstag zu schließen, der sich die Gaststätten und die Nahrungsmittelgeschäfte angeschlossen haben, lastet als schwerer Druck über der französischen Haupts.wt. Noch verhandelt die Regierung, doch sind die Aussichten für eine Beilegung sehr gering, da sich auch die Wäschereien mit der Absicht tragen, wegen der Erhöhung des Wasserpreises von 1,55 auf 2 Franken dem Unternehmerstreik anzuschließen und andererseits die Gewerkschaften mit dem Generalstreik als Gegenaktion droben.
Tie geplante Erhöhung der Eisen- bahntarise trägt ebenfalls bei, die Stimmring in Unternehmerkreisen zu verschärfen.
Nachdem die Vorschüße der Bank von Frankreich an den Staat aus 15 Milliarden Franken erhöht wurden, sind die Wertpapierbörsen wieder geöffnet worden. Es liegt jetzt auch eine Erklärung Frankreichs vor, daß es das Dreier-Währungsabkommen nicht kündigen wird.
Ter marxistische Kampf gegen den Senat hat nun in der Form eines Gesetzesvorschlages des sozialdemokratischen Abgeordneten Chaussy Gestalt gewonnen, in dem vorgeschlagen wird, in Zukunft den Senat nicht mehr durch das beschränkte, sondern durch das allgemeine Derhältniswahlrecht wählen zu lassen und die Mandatsdauer von neun auf sechs Jahre herunterzusetzen.
Die Oberste Heeresleitung in Salamanca stellt fest, daß seit Beginn des Bürgerkrieges von den Nationalen 421 bolschewistische Flugzeuge abgeschossen, 63 schwer und 18 leicht beschädigt wurden. Die Flugzeugver- lüfte der Nationalen hingegen erreichen nicht einmal 10 v. H. dieser Zahlen.
Eine plumpe Lüge der Valencia- Bolschewisten über eine geheimnisvolle Flottendemonstration von sieben fremden Kriegsschiffen vor der Insel Menorca, die in rotem Besitz ist, wird durch die britische Admiralität nicht bestätigt und als neueS Schwindelmanöver der Gangster von Valencia entlarvt.
Danzlger KommuliistenMwr geflüchtet
i g e o d e r i c d l ck-r 148-presre äti. Danzig, 2. Juli.
Wie der „Danz. Vorposten" auf Grund genauer Informationen mitteilt, ist der Führer der verbotenen Kommunistischen Partei, Ple- nikowski, der noch 1935 auf seiner eigenen Liste zum Volkstagsabgeordneten gewählt worden war und noch zu einer letzten parlamentarischen Sitzung erschien, geflüchtet und hält sich gegenwärtig in DänemaA auf. Dort ist er Gast der Internationalen Roten Hilfe, die seinen Aufenthalt finanziert und ihm sogar eine „Kur" verordnet Hai.
Mord als Waffe der „Semokratie"
X Paris, 1. Juli.
Auf den Bürgermeister von Oran, den katholischen Pfarrer Lambert, wurde am Mittwochabend auf der Straße ein Revolveranschlag verübt. Der stellvertretende Ver-
Äiaiüek rm- Sdrr Sau-
Die politische Entwicklung im Nahen Osten wird maßgebend bestimmt von zwei großen Persönlichkeiten: Atatürk, dem türkischen Regierungschef, und Jbn Saud, dem König von Arabien. AtatüA ist der Typ des modernen Muselmans, der eine ganze Reihe traditioneller Bräuche innerhalb seines Volkes kurzerhand durch Verbote beseitigte, während Jbn Saud zwar ebenfalls Reformator ist, jedoch in anderen. Sinne.
Jbn Saud gehört zu den Wahabiten, den Anhängern von Mohammed Jbn Abd ul Wa- hab, der die Erneuerung des Islams predigte, Mißbräuche innerhalb des mohammedanischen I Gottesdienstes ausrottete und den Glauben in > seiner Ursprünglichkeit wiederherstellte. Er verbot seinen Anhängern beispielsweise das Rauchen, ferner das Musizieren. Die Heiligen Gräber erklärte er mit Ausnahme des Grabes des Propheten für heidnisch. Gleich Jbn Wahab setzte sich auch Jbn Saud zum Ziele, dieara - bischenStämmezueinemVolkzu- sammenzuschweißen.
Der Kampf unter den Mohammedanern spielt sich also zwischen den beiden Richtungen des orthodoxen Jbn Saud und des modernen Atatürk ab. Bei den Aegyptern, die schon mehr unter westliche Einflüsse geraten sind, hat man wenig Verständnis für den strenggläubigen Wahabitensürsten, während man andererseits Atatürk in sehr vielen Kreisen als zu „europäisch" orientiert betrachtet. Es kommt hinzu, daß man seitens der Araber die Türken als „europäische Mohammedaner" ansieht, während die Türken sich meist als Asiaten zu bezeichnen pflegten.
Es läßt sich jedoch nicht verkennen, daß sich im Nahen Osten eine islamitische Front zu bilden beginnt. Ob Atatürk oder Jbn Saud die Führerstellung erringen wird, läßt sich noch nicht absehen. Atatürk kann sich dabei auf England stützen, Jbn Saud aus Jta- lien. Die Bestrebungen, die arabischen Stämme an die Türkei anzunähern, gingen hauptsächlich von Bagdad und Kairo aus. Sowohl in Aegypten, als auch im Irak sind starke englische Einflüsse vorhanden. Das Haupthindernis der von England geförderten Entwicklung liegt in der Haltung der Araber Palästinas, die infolge der Juden- frage äußerst englandfeindlich sind.
Daß man in Aegypten alles daran setzt, um einen englischorientiertenAraber- Block zu bilden, evtl, unter Führung der Türkei, ist begreiflich, daAegypten — vor allem nach der Einverleibung Abessiniens — mitten im italienischen Interessengebiet liegt. Dazu kommt, daß in Saudi sch-Arabien starke Sympathien für Italien vorhanden seien. Hier wird auch deutlich, warum England, ims sich den Unabhängigkeitswünschen Aegyptens so lange Jahre widersetzte, im vorigen Jahr plötzlich eine andere Haltung in dieser Frage einnahm.
England hat eingesehen, daß es besser ist, Aegypten aus dem Verbände des Imperiums zu entlassen, weil es im Ernstfall wahrscheinlich unmöglich sein wird, das Land militärisch zu halten. Jetzt tst Aegypten gezwungen, selbst für seine Verteidigung zu sorgen, wobei es freilich wohl stets auf Englands Unterstützung rechnen kann, schon wegen der englischen Interessen am Suez-Kanal. DaS erklärt auch, warum Aegypten, das seine Armee ausbaut, einen Vertrag mit der Türkei abgeschlossen hat und war- -am es darnach trachtet, die arabischen Stämme ganz Vorderasiens an die Seite der Türkei zu bringen. Zweifellos ist die Entwicklung im Nahen Osten, der ein Konfliktherd ge - waltigsten Umfanges ist, wert, vo« Westeuropa mit ganz besonderer Aufmerkjam* keit verfolgt zu werden.
Waller des Museums von Oran, der em» anderen politischen Richtung angehört, gab s aus den Bürgermeister zwei Revolverschüsie j ab, durch die Lambert lebensgefährlich v«- letzt wurde. Im Krankenhaus wurde fest» gestellt, daß die Kugeln beide Lungenflügel durchbohrt haben. Man befürchtet, daß der Bürgermeister nicht am Leben erhalten werden kann. Sein Angreifer wurde verhaftet.
Verläßt llülh HMM die Kontrolle?