Seite 8 Nr. 222

Nagolder Tagblatt »Der Gesellschafter-

Mittwoch, den 23. September 1936

Zortschrill in der Volkswirtschaft

Sie Betriebskosten eines Kleinwagens

Eine interessante Prüsungssahrt

Kunst und kuusthandwerk am Vau

Aus dem Leipziger Ausstellungsgelände am Völker­schlachtsdenkmal findet zur Zeit die Baumesse statt, seren Kern die Vor- und Hilfsindustrien des Bauens darstellen. Wenn heute auch geschäftliche Aufgaben im Vordergrund stehen, das heißt, wenn diese Ausstellung ein willkom­mener Ratgeber dafür ist, wie die Umstellungen zu lösen sind, die auch im Baufach das Rohstoffproblem notwendig macht, so stehen diesmal doch Kultur und Geschmack aus der Leipziger Baumesse mit im Vordergrund.

Das Bauen soll heute alle dabei schöpferischen Kräfte organisch zusammenfassen. Es soll in Zukunft also nicht allein wirtschaftliche oder technische Forderungen und Not­wendigkeiten erfüllen. Die SonderausstellunaKunst und Kunst Handwerk am Ba u", deren künstlerischer Leiter Professor Frick-Königsberg ist, besitzt keine un­mittelbaren Bindungen mit der Bauwirtschaft, sondern weist auf eine Kulturaufgabe hin: auf die deutsche Bau­kunst als den sichtbarsten Ausdruck der Kultur unseres Volkes. Nach den Ausführungen von Professor Frick ist Bauen nicht nur schöpferisches Gestalten mit Hilfe kon­struktiver und mathematischer Funktionen, es ist darüber hinaus lebendiger Ausdruck unserer Zeit, unserer Menschen und unserer Gesinnung. Das beim Bau für das Auge Sichtbare kann nicht von dem inneren Erleben getrennt werden. Schale und Inhalt soll es nicht mehr getrennt geben, sondern Technik und Schöpfergeist müssen eine Ein­heit darstellen. Durch diese Einheit wird dann die Bau­kunst zur Mutter der Künste. Sie stellt damit dem Archi­tekten, dem Maler, dem Bildhauer und dem Kunsthand­werker, also allen schöpferisch Tätigen, eine gemein­same Aufgabe.

Nus diesen Gedankengängen, die der Leiter der Aus­stellung entwickelte, ist zu sehen, was die Ausstellung an­deuten will. Sie kann nicht für alle Einzelfälle gültige Lösungen und Rezepte verschreiben, sie soll vielmehr nur zeigen, wie es gemacht werden kann, ohne den Eigenwillen des Künstlers zu fesseln. Die AusstellungKunst und Kunsthandwerk am Bau" legt sich nicht fest für eine Richtung oder bestimmte Form, sie wirbt vielmehr für eine freie und geistige Gesinnung, der sich nicht nur der Baumeister und Künstler verschreiben müssen, sondern die sich an alle Volkskreise wendet.

Ein Wort zum Kongreß für Lichtforschung:

Das Lichk lm Dienst der Gesuiltcheik

Auf dem zur Zeit in Wiesbaden tagenden 3. Inter­nationalen Lichtsorscher-Kongreß gab Ministerialdirektor Dr. Eütt einen Ueberblick über die aufsehenerregenden Entdeckungen auf dem Gebiete der Lichtforschung. Nach seinen Worten gilt es jetzt, die Ergebnisse der Forschung, die die exakten wissenschaftlichen Grundlagen für die An­wendungsmethoden des Lichtes geschaffen haben, der Volksgesundheit nutzbar zu machen. Die Forschung hat beispielsweise die Möglichkeiten der natürlichen und künst­lichen Bestrahlung in der Medizin außerordentlich er­weitert. Innere Medizin, Tuberkulofebehandlung, Kinder­heilkunde, Chirurgie, Augenheilkunde usw. sind ohne Licht­behandlung heute nicht mehr zu denken. Weil noch viele Probleme ungelöst sind und einer Klärung bedürfen, ist es Aufgabe der Lichtforschung, die Anwendung des Lichtes in der Medizin weiterhin zu erforschen.

Die Erkenntnis, daß Licht und Luft für die Gesund­heit des Menschen, vor allem des Kindes und des Jugend­lichen, nicht entbehrt werden können, hat in der Praxis auf zwei Gebieten besondere Auswirkung gehabt: in der Wohnungsfrage und in der Freiluft- erziehung. Es entstehen heute sonnendurchflutete Siedlungen, und wir finden den Arbeiter in seiner freien Zeit draußen im Garten. Dem Bedürfnis danach und der Notwendigkeit von Licht und Luft ist die Gestaltung der Hitlerjugend, des Landjahrs, des Arbeitsdienstes und auch der Jugendherbergen in Deutschland angepaßt worden. Alle diese Einrichtungen führen das Kind und den Jugend­lichen hinaus aus das Land und in die Sonne. Auch die Ferienhilfe und die Erholungskuren für Mütter und Kinder sehen im Licht, in der Sonnenstrahlenwirkung ihre wichtigsten Heilfaktoren.

Das Bedürfnis des Menschen im praktischen Leben steht also mit der Lichtforschung, der der gegenwärtige Internationale Licht-Kongretz in Wiesbaden dient, in engster Verbindung.

Die Gebührenbefreiung

beim kleinwohuungsbau

Im Reichsgesctzblatt vom 29. August ist eine Verord­nung des Reichsjustizministsrs über die Gebührenbefreiung beim Kleinwohnungsbau veröffentlicht. Danach find Woh­nungsunternehmen, die aus Grund der Gemeinnützigkeits- Verordnung als gemeinnützig oder als Organe der staat­lichen Wohnungspolitik anerkannt find, von der Zahlung der in der Kostenordnung bestimmten Gerichtsgebühren befreit Das gleiche gilt für Gemeinden, Gemeindever­bände und ähnliche Körperschaften des öffentlichen Rechts in Angelegenheiten, di« der Schaffung von Kleinwohnun­gen oder der Förderung des Kleinwochnungsbaues dienen. Ob ein Kleinwohuungsbau vorliegt, bestimmt sich nach Artikel 9 der Ausführungsverordnung zur Eemeinnützig- kertsverordnung vom 20. März 1931 in der Fassung des Artikels M des Gesetzes vom 14. Juli 1933. Zum Nach­weis daß ein Kleinwohnungsbau vorliegt, sowie zum Nachweis der übrigen taHächLcheu Voraussetzungen für die

In BerNn wurde mit einem serienmäßigen Wagen der Adler-Werke eine interessante Versuchs- und Prüfungs­fahrt durchgeführt, bei welcher der Wagen ununterbrochen SO 000 Kilometer fuhr und dabei ständig unter der Kon­trolle der Ingenieure des Berliner Dampfkessel-Ueber- wachungsvereins stand. Durch diese Fahrt konnte endlich der objektive Nachweis für die tatsächlichen Betriebskosten eines Kleinwagens erbracht werden. Um es vorwegzu­nehmen: sie betragen umgerechnet auf 100 Kilometer im Durchschnitt 7,55 Liter Treibstoff, ein Fünftel Liter Oel, ferner für Reparaturen, Reifenverschleiß, Pflege und Jn- standsetzungsarbeiten 4H Pfennig pro Kilometer.

Alle 510 Meter Bremsen gebraucht

Neber alle Vorgänge wurde genau Buch geführt. So ergibt sich, daß auf diesen 50 000 Kilometern 57 612 mal geschaltet und 98173 mal (also alle 510 Meter!) gebremst wurde. Die Kupplung wurde 69 101 mal benutzt, die Ge­schwindigkeit wechselte 181000 mal. und 6306 mal mußte der Wagen ganz zum Halten gebracht werden.

Der hohe Wert der Kraftfahrzeug-Prüfungen ist heute unbestritten. Sowohl die ausgesprochenen Rennen als auch die Eeländesport-Deranstaltungen fördern den Fortschritt des Kraftfahrwesens. Die dabei gewonnenen Erfahrungen liefern manchen wertvollen Beitrag zur Weiterentwicklung des normalen Eebrauchswagens. Aber das Kraftfahrzeug ist heute in erster Linie ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. So muß im Interesse der angestrebten Motorisierung Deutschlands zu den beiden schon bekannten Erprobungsarten, dem Rennen und 'der Geländefahrt,

Oie Lvlliio!IgliLi»st«vg üss VsrsvcdsMggSll»

(Leksiuasebllitt)

Gebührenbefreiung genügt in der Regel eine Versicherung der Körperschaft des öffentlichen Rechts.

Die Verordnung tritt am 1. Oktober 1936 in Kraft. Gleichzeitig treten die landesrechtlichen Vorschriften über die Befreiung beim Wohnungsbau außer Kraft.

Mevlel Volksgenossen erreichen das Rundsunkaller?

Nachdenkliche Statistik am Lautsprecher

Die deutschen Rundfunksender haben den schönen Brauch eingeführt, vor aller Öffentlichkeit denjenigen Volksgenossen Glückwünsche zu übermitteln, die das 90. Lebensjahr vollenden. Es ist nicht nur eine hübsche Aufmerksamkeit, die den Geehrten zuteil wird, sondern es steckt in den Gratulationsworten des Rundfunksprechers auch eine nachdenkliche Anregung für alle, die sie am Laut­sprecher hören.

Es gibt wohl wenige Menschen, die sich nicht die Frage vorlegen, wie das lange Leben derer, die nun dasRund­funkalter" erreicht haben, sich gestaltet haben mag; neun­zig Jahre sind eine weite Spanne, und das bewußte Leben der heute Neunzigjährigen begann in einer Zeit, die für den Dnrchschnittsradiohörer bereitshistorisch" ist. Ge­boren wurden diese Neunzigjährigen, das muß man sich einmal vergegenwärtigen, als beispielsweise die Eisen­bahn noch eine gewaltige und verdächtige Neuerung war, an die man sich nur schwer gewöhnen wollte: als man in den Krankenhäusern noch nicht den Segen der Narkose kannte, sondern auch die schwersten Operationen ohne jede Schmerzbetäubung vorgenommen werden mußten; als noch kein Mensch an die Wunder -der Elektrizität geschweige denn an die Aetherwellen denkSn konnte. Vieles, was wir in der Geschichtsstunde in der Schule lernten, haben diese Geburtstags-Kinder", denen dev, Rundfunkzum Neun­zigsten" gratuliert, noch selbst mitörlebt.

Von 100 000 werden zehn 100 Jahre att

Und es wird dann auch kaum einen Rundfunkhörer geben der sich nicht insgeheim fragt, ob er selbst wohl das Rundfunkalter" erreichen wird und wie für ihn dann die Welt aussehen mag. Me Wissenschaft weiß auf die Frage in nüchternen Zochlen M antworten. Wenn -uch die moderne Lebenshaltung, Sport, Gesundheitspflege und die Kunst der Aerzte die durchschnittliche Lebensdauer des

eine dritte treten: die Wirtschaftlichkeitsprüsung, die nun auch durchgesührt wurde.

Die Fahrt selbst...

Der Verlauf der Prüfungsfahrt war folgender: Auf einer Strecke von rund 100 Kilometern, die kreuz und quer durch die belebtesten Stadtteile der Reichshauptstadt führte, lief ein Serienwagen ununterbrochen 50 000 Kilo­meter, eine Leistung also, die bei normalem Gebrauch einer zwei- bis dreijährigen Wagenbenutzung entspricht und bei dieser Prüfung eine Fahrdauer von nur 77 Tagen erforderte. Die Fahrt stand vom Beginn bis zum Schluß unter der Kontrolle der amtlichen Prüfungsftelle für Kraftfahrzeuge, des Dampfkessel-Ueberwachungsvereins Berlin, in dessen Auftrag etwa 20 Fachingenieure nicht nur jede Sekunde des Fahrtverlaufes. der Aufenthalte, des Tankens, Reinigens usw. beobachteten und darüber genau Buch führten, sondern auch vor Fahrtbeginn die ein­wandfreie Serienmäßigkeit, nach Fahrtende den Zustand des Wagens und aller seiner Teile feststellten und protokollierten.

Mit Hilfe eigenartiger Instrumente, die dem Wagen- innern ein sonderbares Aussehen gaben, wurde jeder Ve- dienungsvorgang Kuppeln, Schalten, Bremsen ge­nau registriert, wurden alle Betriebskosten Treibstoff- und Oelverbrauch, Jnstandsetzungs- und Wartungsarbeiten u. a. m. eindeutig errechnet, wurde der Beanspruchungs­grad bei allen betriebswichtigen Fahrzeugteilen festgestellt, wurden die verborgensten Zusammenhänge zwischen Ver­brauch, Verschleiß, Fahrweise. Tageszeit- und Witterungs­einflüssen, Straßen- und Verkehrsverhältnissen in einer bisher nie erzielten Genauigkeit und Vollständigkeit er­mittelt. Die Fahrt, auf der man dieses Material gewann, wurde zugleich ein Bewährungsbeweis für den Wagen, der sie vollbrachte, wie auch für die Leistungsfähigkeit der deutschen Automobilindustrie.

Durch diese Versuchsfahrt wird die Aufmerksamkeit der Oeffentlichkeit auf ein Gebiet der Kraftfahrt gelenkt, um das man sich bisher nicht viel kümmerte, weil es gewisser­maßen zur gefühlsmäßigen Einstellung gehörte, daß der Autofahrer aus dem Vollen schöpfen könne. Die Offenheir aber, mit der die Zahlen dieser Fahrt aufgedeckt werden, stellt eine erfreuliche Abkehr von der Methode der Heim­lichkeit dar, die bisher bei der Industrie gepflegt wurde.

heutigen Menschen gehoben haben so bleibt doch immer noch die Erreichung des neunten Jahrzehnts ein seltener Fall. Von 100 000 heute Lebenden haben nach den neuesten Errechnungen der Statistiker nur 1673 die Aussicht, neun­zig Jahre alt zu werden. Von 100 000 Menschen sterben nämlich in einem Alter von 40 bis 50 Jahren 5301, von 50 bis 60 Jahren 19 328 und im Alter von 70 bis 80 Jahren 28 275. Von den dann noch übrigen 1673 Neunzigjährigen erreichen wiederum etwa zehn das volle Jahrhundert.

Bor 80 Jahren...

Die Aufmerksamkeit richtet sich bei solchen Statistiken gern aus die Spitzenzahlen. Mit Unrecht, denn die anderen Ziffern, die nicht die Ausnahme, sondern die Regel bezeichnen, sind wichtiger. Die nüchternen Tabellen verraten nichts von den Schicksalen der Hinterbliebenen der Familienväter, die in den mittleren Altersstufen starben, nichts darüber, ob die Gattin durch eine Lebens­versicherung ausreichend versorgt ist, ob darüber hinaus die Ausbildung der Kinder gesichert ist. Und die Zahlen lassen auch nichts über das wirtschaftliche Schicksal derer erkennen, die das siebzigste, achtzigste und neunzigste Le­bensjahr überschreiten. Sie entstammen noch einer Zeit» in der es noch keine rechte Möglichkeit gab, in aus­reichender Weise Vorsorge für die Zukunft zu treffen. Denn die Jugend und wirtschaftliche Reifezeit dieser Män­ner und Frauen, die heute auf neunzig Jahre zurück­blicken können, lag in einer Zeit, in der die Lebensver­sicherung, die heute in Deutschland bereits 22 Millionen Volksgenossen mit einem versicherten Kapital von 21 Mil­liarden Mark umfaßt, noch ganz und gar in den Kinder­schuhen steckte und der Gedanke des wirkungsvollen Selbst­schutzes noch längst nicht Gemeingut aller Volkskreise war. Deshalb entspricht leider die wirtschaftliche Lage der meisten Hochbetagten ganz und gar nicht dem jahrzehnte­langen Mühen und Arbeiten, das hinter ihnen liegt. Das Studium der Statistik, zu dem die Rundfunkgratulation an die Neunzigjährigen anregt, wird jeden verantwortungs­bewußten Menschen nachdenklich stimmen, wird ihn ge­rade an solchen Beispielen erkennen lasten, wie wichtig es für ihn und seine Familienangehörigen ist, für sich selbst und die Seinen beizeiten Vorsorge zu treffen anstatt das Schicksal späterer Jahrzehnte dem blinden Zufall zu über­lasten. In 30 bis 40 Jahren wird die Statistik über die- Versicherten im Rundfunkalter doch auch voraussichtlich eine für die Volkswirtschaft bedeutend günstigere Gestaltung erfahren haben.