Nr. 149
Samstag, 29. Juni 1935
109. Jahrgang
elellscti alter
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England bleibt fest
Eden wieder in London Absage an die Prinziprenpolitik
ist
eg. London, 28. Juni. Der britische Völkerbundsminister Eden noch mn Donnerstagabend von seinen Besuchen in Paris und in Rom nach London zurückgekehrt und hat dem britischen Kabinett am Freitag berichtet.
Eingehend behandelt der Pariser Korrespondent der „Times" die zweimaligen Verhandlungen mit Laval. Zum Unterschied von der ersten Unterredung sei beim zweiten Mal? das deutsch-britische Abkommen mehr in den Hintergrund getreten. Für Großbritannien gelte solgende Reihenfolge der Bedeutung der europäischen Fragen: Luftpakt, Ostpakt, Tonaupakt, Begrenzung der Landrüstungen. Die Rückkehr Deutschlands in den Völkerbund könnte als ergänzende Bedingung bezeichnet werden.
Zum vorläufigen Abschluß eines Flotten- abkommens mit Deutschland habe Eden jetzt dem französischen Ministerpräsidenten Laval erklärt, Großbritannien habe mit bewußter Absicht in den Methoden der allgemeinen Regelung eine Neuerung eingeführt, die nach seiner "Ansicht vielleicht unschätzbare Vorteile zeitigen werde. Die britische Negierung werde das Abkommen daher grundsätzlich nicht ausgeb e n. auch wenn sie vielleicht mit Rücksicht ans die Entrüstung ehemalig.",' Alliier- rer sich zu Kompromissen in der Methode bereitfinden werde. Tie Neuerung bestehe darin, daß man bei Verhandlungen das benutze, was »der Augenblick Günstiges biete im Gegensatz zu dem h a r t n ü ck i - gen Verhalten, alles auf einmal zu erhalten. Da die Wichtigkeit in den oben erwähnten vier Punkten für jede Macht verschieden groß sei. dürfe man fragen, warum nicht jede von ihnen in jeder Richtung, wo sich die Gelegenheit bietet, so schnell wie möglich vorwärts zu kommen strebe. Bei einem solchen System würde, während Großbritannien seine Aufmerksamkeit hauptsächlich der Lnstfrage znwenden würde, Frankreich die Führung zur Erzielung einer Vereinbarung über die Landrüstungen übernehmen können und Italien könnte seine besonderen Ziele einer Regelung in Südeuropa betreiben.
Gegenüber dieser Methode wurde französi- scherseits eingewendet, daß sie nur Deutschland zugute kommen könnte und daß im besten Falle eine einzelne Macht sich versucht fühlen würde, ihrem Nachbarn zuvorzukommen und nach Sicherung ihrer eigenen dringenden Bedürfnisse das Interesse am Rest des Programms verlieren würde. Im Laufe des Donnerstags sei verlautet, daß die britische Regierung sich absolut nicht dazu verpflichten wolle und als Beschützerin der britischen Belange nicht dazu verpflichten könne, eine Vereinbarung abzulehnen, nur weil sie anderen Mächten nicht gefalle. Die Aufrichtigkeit der britischen Regierung könnte ja auf die Probe gestellt werden durch die Frage, ob Frankreich eine Sondervereinbarung über die Landrüstungen begrüßen würde. Falls Laval diese Frage an Eden gestellt hat, dann muß das begeisterte Ja Edens Eindruck auf ihn gemacht haben.
Die französische Presse ist nach der zweiten Aussprache Edens mit Laval sehr kleinlaut. „Oeuvre" stellt fest, daß die Lage zwischen Großbritannien und Frankreich gespannt bleibe. Zur italienischen Haltung meint das Blatt, Mussolini habe sich — von Kleinigkeiten abgesehen — dem französischen Standpunkt angeschlossen.
Auch von der Abendpresse wird hervorgehoben, daß die Aussprache zwischen Laval und Eden mit einem unzweideutigen Mißerfolg geendet habe. „Die Front von Stresa löst sich auf", stellt die „Li- berte" fest. Seine Besprechungen mit Mussolini müßten Eden, meint das Blatt, davon überzeugt haben, daß die Auffassungen Frankreichs und Italiens zum d e u tsch - e n g li s ch e n Flottenab. kommen nicht völlig überein- stimmten. Das Beispiel „jeder für s i ch" sei somit gegeben. Jetzt zeichne sich be
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reits der Lnftpakt nicht mehr als westeuropäischer Pakt, sondern als ein Pakt zwischen England und Deutschland ab. Das sei das persönliche Werk Sir Samuel Hoares, der für die „splendid isolation" eintrcte.
Schweizerische Slraßenbaickonzcssion in Abessinien
Die abessinische Regierung Hai die Kon- zessionsürdenBaueinerStraße von Addis-Abeba nach Karthum (Sudan) an ein Schweizer Syndikat vergeben. Die Arbeiten wurden bereits begonnen. Sie werden voraussichtlich im Jahre 1938 beendigt sein.
Doppelmord des Wiener Systems
Staatsgefährliche Kornblume
Wien. 28. Juni.
Wie erst jetzt bekannt wird, hat sich vor einigen Tagen in Gut am Steg in der Wachau (Niederöfterreich) ein tragischer Vorfall ereignet. Ein Schutzkorpsmann, der von einer Kundgebung heimkehrte, schoß den Landarbeiter Franz Kausl nieder. Der aus nächster Nähe abgegebene Schutz drang durch den Körper des Unglücklichen und traf eine hinter ihm stehende Frau. Beide wurden auf der Stelle getötet.
Die Hintergründe der Tat bedürfen noch der Klärung, da noch nicht feststeht, ob es sich um einen unglücklichen Zufall handelt. Möglicherweise handelt es sich um einen politischen Mord, da der Getötete eine Kornblume als Zeichen nationaler Gesinnung im Knopfloch trug. Am Donnerstag fand die Beisetzung des Kausl statt, die von 20V Gendarmen gesichert wurde, da man Zwischenfälle befürchtete. Eine Traueranzeige für Kausl, die davon sprach, daß er von Mörderhand gefallen sei. wurde von der Behörde beschlagnahmt.
Ueber den Vorfall erfährt man noch:
Am letzten Sonntag fand m Spitz a. d. D. em Ausmarsch der ostmärkischen Sturm» scharen statt, bei dem die Anführer wüste Hetzreden gegen die Nationalsozialisten hielten. Nach dem Abtransport der auswärti- gen Sturmschärler blieben zwei zurück und äußerten sich in den von ihnen besuchten Gaststätten, daß ..heule noch einige von den verfluchten Nazis hin werden müssen". Sie luden ihre Gewehre und begaben sich in die bei Spitz gelegene Ortschaft Gut am Steg. Am Ortseingang standen mehrere Leute, darunter der 23jährige Weinbauerssohn Franz Kaufet, der eine Kornblume im Knopfloch trug.
Nach kurzem Wortwechsel mit Kaufe! riß der eine der Sturmschärler sein Gewehr von der Schulter und gab aus Kaufe! einen Schuß ab. Die Kugel traf ihn mitten ins Herz, trat beim Rücken wieder aus und drang der hinter ihm stehenden 70jährigen Hauerswitwe HögeI in den Kopf, riß ihr die Gehirnschalk auf. so daß das Gehirn austrat. Die Kugel flog noch zweihundert Meter weit und riß einem Unbekannten die Wange vom rechten Mundwinkel bis zum Ohr aus.
Die beiden Sturmschärler wurden von der erbitterten Menge halbtot geprügelt. Die Be- völkerung der dortigen Umgebung befindet sich in derartiger Aufregung, daß die Regie- rung sich entschließen mußte, mehrere hundert Mann Militär und Gendarmerie in die Gegend zu entsenden.
Tie Bezirkshauptmannschaft hatte der Bevölkerung die Teilnahme an dem Mittwoch nachmittag um 2.30 Uhr erfolgten Begräbnis der von den Sturmscharen ermordeten Personen unter Androhung des Gebrauchs der Schußwaffe verboten.
Der Totenschein für Kausl, der lautete: ..Durchschuß Brust, innere Verblutung. Mord" ist von der Polizei eingezogen worden. Ter Täter wurde angeblich verhaftet.
?MchZwaAnmiva!tlM" der WS
Berlin, 28. Juni.
Eine zweitägige Verhandlung vor dem Votksgerichishof gab einen aufschlußreichen Einblick m die Organisation und den Aufgabenkreis der illegalen, Ende 1933 ausgeflogenen „Reickiswaftenverwaltuna" der KPD., deren sünfköpfiger Mitarbeiterstab sich untet der Anklage der Vorbereitung zum Hochverrat. des Schußwafsenvergehens und teilweise auch des Sprengstosfverbrechens zu verantworten hatte.
Tie Leitung der „Reichswaffenverwaltung" lag in den Händen des politisch in Moskau geschulten 39jährigen Willy Zimmer lich aus Berlin. Er erhielt vom Zentralausschuß der KPD. ein Monatsgehalt von 200 Mark und hatte weiter 300 Mark monatlich für besondere Ausgaben zu seiner Verfügung. Auf feine Veranlassung sind große Mengen Sprengstoffe, und zwar in einzelnen Posten bis zu fünf Zentner, für die umstürzlerischen Ziele der KPD. ..sichergestellt" worden. Als Bezirkswasfenverwalter von Halle-Merseburg trat vor allem der 40jährige Friedr. Lober aus Döllnitz im Saalekreis hervor. Dieser Mitangeklagte ist bereits sechsmal vorbestraft. Lober erteilte im Einverständnis mit Zimmerlich dem-29jährigen Kurt Kuhles aus Halle den Auftrag zur Beschaffung von Pistolen, auch hat er größere Sprengstoffmengen, die in Nordhausen entwendet worden waren, nach Halle gebracht, wo sie von einem Berliner Geheimfunktionär abgeholt werden sollten. Nach der Festnahme Lobers hak Kuhles, der ähnlich wie Zimmerlich seine waffentechnische Ausbildung in Moskau erhalten hat, als Nachfolger Lobers weitergearbeitet. Auch der Mitangeklagte, der 46jähr. August Schülbe aus Kassel, der ebenfalls mehrfach vorbestraft ist, hat eine Zeitlang nn Dienste Zimmerlichs gestanden. Weiter stahl er Ende März 1932 große Mengen Sprengstoff und brachte sie zu dem 42jähri° gen Mitangeklagten August Boß aus Jhringhausen.
Der Volksgerichtshof rechnete gründlich mit den Angeklagten ab, die bereit waren, die von ihnen angesammelten Waffen und Sprengstoffe rücksichtslos im politischen Kampf einzusetzen. Da sie durch ihr staatsfeindliches Treiben schwerste Gefahr für Leben und Gesundheit ungezählter Volksgenossen heraufbeschworen haben, konnten nur ganz exemplarische Strafen in Frage kommen. Zimmerlich und Lober erhielten je 10 Jahre Zuchthaus und 10 Jahre Ehrverlust. Kules und Schülbe 9 Jahre Zuchthaus und 9 Jahre Ehrverlust und Boß 7 Jahre Zuchthaus und 7 Jahre Ehrverlust. Außerdem wurden sämtliche Angeklagten unter Polizeiaufsicht gestellt.
SowMan-Mvertrag vom jmnzWchen Senat ratifiziert
Paris, 28. Juni.
Ter französische Senat hat den vorläufigen sranzösisch-sowjetrussischen Handelsvertrag und die Verordnung über die Befreiung sowjetrussischer Waren vom Währungszuschlag ratifiziert; vom Sprecher des auswärtigen Senatsäusschufses wurde dabei die Aufnahme von Verhandlungen über die rus-, fischen Vorkriegsschulden und über die Enteignung des französischen Besitzes in der Sowjetunion verlangt.
KMleunigllirg der Entschuldung
Berlin, 28. Juni.
Der Reichsminister der Justiz, Dr. Gürt- ner, hat an die für die Durchführung der landwirtschaftlichen Schuldenregelung errich- teten Entschuldnngsämtcr, die am 1. Juli ihre Arbeit beginnen, einen Erlaß gerichtet, in dem zur Erzielung einer möglichst einheitlichen Entschuldungspraxis und einer möglichst schleunigen Durchführung die Neu- gliederung der Entschuldung angeordnet wird. Insgesamt sind 345 Entschuldungsämter errichtet und 28 Landgerichte zu ge- meinschaftlichenBeschwerdegerichten bestimmt worden.
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Sas Neueste tu Kurze
In Württemberg stellten sich im Laufe des Freitags noch zahlreiche Auswirkungen des Erdbebens heraus. Auch ein leichtes Nachbeben war noch zu verzeichnen.
Die große Hitze der letzte« Tage forderte in Württemberg zahlreiche Todesopfer.
Reichsminister Rust verkündete in Goslar die neue Studienordnung für das landwirtschaftliche Studium.
Der britische Völkerbundsmiuister Eden ist wieder in London eingetroffen und hat am Freitag dem Kabinett Bericht erstattet.
BerstaatWungderRMougS'
Industrie tu FrunkrM
Paris. 28. Juni.
Am Donnerstag sprach Finanzminister Reg- nier vor dem Finanzausschuß der Kammer über die für die Landesverteidigung (Heer, Marine und Luftflotte) vorgesehenen außerordentlichen Ausgaben. Nach Anhörcn des Ministers stimmte der Ausschuß einem günstigen Gutachten für diese Ausgaben mit 14 gegen 7 Stimmen zu. Ein Ausfchutzmitglied brachte einen Zusatzantrag ein, wonach bei den staatlichen Aufträgen ausbedungen werden soll, daß jeder Verdienst, der 5 Prozent überschreite, vom Staat eingezogen werden soll. Mit 9 gegen 8 Stimmen bei 2 Enthaltungen wurde ein Antrag angenommen, daß die Massenherstellung und der Waffenhandel vom I. 1. 1936 ab ausschließlich vom Staat besorgt werden soll.
„Srsanjjatioi, der Nation in Krlegs- zeiten' ln Krankreich
In der Kammer ist ein Gesetzentwurf über die Organisation der Nation in Kriegszeiten verteilt worden. Abschnitt I stellt die allge- meinen Grundiäke aus. Abschnitt 2. der die Verwendung der Personen und der Sachen zum Gegenstand hat, setzt fest, daß alle Franzosen männlichen Geschlechts über 18 Jahre herangezogen werden können, ohne Anrecht auf eine andere Entschädigung zu haben, als auf Gehalt und Lohn. Hinsichtlich der Sachen sieht der Entwurf ein Mittelding zwischen Freiheit und Beschlagnahme vor, ^ nämlich „freundschaftliche Einigung ohne Gewinnabsichten". Nur wenn die freundschaftliche Einigung nicht erzielt wird, soll : zur Beschlagnahme geschritten werden. Ab- ^ schnitt 3 betrifft die Anpassung der behörd> lichen Stellen an die außergewöhnlichen Umstände eines Krieges, wobei vermerkt wird, daß der Regierung dis Leitung des ! Krieges, dem Oberkommandierenden die Führung der Operationen obliegt. Im übrigen trägt der Entwurf autarkischen und zentralisierenden Charakter
Ekmllmigranken unter sich
Paris, 28. Juni.
Wie Havas aus Foix berichtet, kam es im Lager der Saaremigranten bei der Mittags» Mahlzeit am Donnerstag zu einem Streit zwischen zwei Flüchtlingen wegen der Teilung einer Fleischportion. Der 55 Jahre alte Joseph Morscheid versetzte dem 42 Jahre alten Fritz Heschler, der ihn an der Kehle gepackt hatte, einen Fußtritt in den Unterleib. Heschler war auf der Stelle tot. Morscheid wurde sofort ver- z haftet.
i 4« MWüge in Budapest
Die Hitzewelle über Mitteleuropa hat in Budapest eine Lemperatursteigerung hervorgerufen, die auch für ungarische Verhältnisse kaum tragbar erscheint. Am Donnerstag nachmittag wurden 37 Grad Celsius gemessen. 40 Personen erlitten in den Nachmittagsstunden auf der Straße H tz - schlüge und mußten in Krankenhäuser gebracht werden. Der Wasserverbrauch ist so gestiegen, daß die Wasserwerke bei weiterem Anhalten der Hitze den Bedarf kaum noch decken können. In Kleinpest, einer Vorstadt von Budapest, macht sich bereits erheblicher Wassermangel bemerkbar.