Leite 7 - - Nr. 181

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Samstag, den 17. August 1SSS

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ebhaftes Treiben herrschte wie an jedem, so auch an diesem Sonnabend­nachmittag in der Hauptstraße von Oberschönau. Es waren die Stunden 'des Einkaufs, verklärt von der Bor­freude der sonntäglichen Erwartung; man begrüßte Freunde und Bekannte, plau­derte oder stand vor den Schaufenstern, um die schönen Dinge zu betrachten. Nur einer war unzufrieden, das war Friedrich Wilhelm Schräder, Inhaber der Handlung von F. W. Schräder L Co.

Ich weiß gar nicht", brummte er zu feinen:jungen Mann", der im Städtchen nur unter dem klangvollen Vornamen Frido­lin bekannt war,bei uns geht es in letzter Zeit so ruhig her, die Umsätze finken. Drüben bei Eifenharts steht die Ladentür nicht stille, und vor den Fenstern drängeln sich die Leute, als ob es wunder was zu sehen gibt."

Herr Chef", meinte Fridolin, der zwar ein wenig einfältig nussah, aber in Wirklichkeit gar nicht auf den Kopf gefallen war,darüber habe ich mir auch Gedanken gemacht. Ich glaube, ich bin dahintergekommen. Da steht nämlich bei Eifen­harts feit einiger Zeit ein Schild im Fenster, daß sie auf der Leipziger Messe eingekauft hätten und deshalb das Neueste und Preiswerteste bieten. So was zieht natürlich! Wissen Sie,

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Herr Schräder", sagte Fridolin und sich innerlich einen Ruck,Sie sollten mich einmal nach Leipzig schicken. Ihr Geschäft ist zwar das älteste am Platze, aber es muß ein frischer Zug reinkommen. Sie müssen mit der Zeit gehen, der Kundschaft was Neues bieten. Das kann man nur, wie die Zeitungen immer schreiben, wenn man auf der Leipziger Messe einkauft, weil da die Neuheiten immer Zuerst gezeigt werden."

Es kostete viel Mühe, Herrn Schräderherumzukriegen". Immer neue Einwendungen brachte er hervor:Ich kann ja nicht einmal den Reisenden alles abkaufen." Oder:Mein Geschäft verträgt die Spesen nicht." Vielleicht hätte Fridolins Überredungskunst auch nichts vermocht, hätte er nicht eine eifrige Bundesgenossin in Mariechen gefunden, dem blonden Töchterlein des Chefs, an die er sein Herz verloren hatte. Vati", sagte sie,die ganz großen Musterkollektionen können dir die Reisenden doch nicht vorlegen, und wenn Fridolin ein paar Schlager entdeckt, die wir nachher reißend absetzen, spielen die paar Spesen gar keine Rolle. Und was Eisenharts können, können wir auch."

So wurde Fridolins Reise zur Leipziger Messe beschlossene Sache, und sie wurde - um es gleich zu sagen sein größtes Erlebnis.Ich bin", erzählte er später,aus dem Staunen nicht herausgekommen." Fridolins Staunen fing schon an, als er mit seiner altmodischen Reisetasche in der Hand, das Messe­

abzeichen stolz auf dem Rock, auf dem Leipziger Hauptbahnhof stand. So etwas hatte er wirklich noch nicht gesehen. Sechsund­zwanzig Bahnsteige, einer neben dem andern. Ununterbrochen fuhren Sonderzüge ein, Menschenmassen entstiegen ihnen, drängten durch die Sperre, füllten den riesigen Querbahnsteig, die zwei weitgespannten Vorhallen, rissen ihn mit auf die von Autos und Straßenbahnen wimmelnden Straßen. Es war ver­wirrend.

Plötzlich und unversehens befand sich Fridolin an einer Stelle, wo viele Menschen Stufen Hinabstiegen und dann gleichsam unter der Erde verschwanden.Untergrundmeßhalle

Markt" las er, als er näher kam. Kurz entschlossen folgte er dem Strom der Hinabeilenden, und dann empfing er auch schon seine Feuertaufe alsMeßonkel". Aussteller drückten ihm Pro­spekte in die Hand, forderten ihn auf, in ihre Koje einzutreten, ganz unverbindlich, ohne jeden Kaufzwang, und Fridolin, der bisher nur ein kleiner Verkäufer gewesen war, fühlte sich hier als Seine Majestät der Einkäufer.

Mit dem Einkauf freilich beeilte er sich noch nicht.Erst sehen", sagte er sich.Drei Dutzend Meßpaläste soll es geben, da will ich mich erst einmal gründlich orientieren." Als er wieder ans Tageslicht kam, fiel sein Blick auf die Straße vor ihn:. Himmel, war das ein Gedränge! Auf den Bürger­steigen und dem Damm Menschen, nichts als Menschen, nur Schritt um Schritt kam man vorwärts. Aber es war fabelhaft interessant. Englische, französische und spanische Laute drangen an sein Ohr, Menschen mit dunkler Hautfarbe und seltsamer Kopfbedeckung tauchten hier und da auf, das waren doch andere Gesichter, als man sie in Oberschönau zu sehen bekam: schade, daß Mariechen nicht dabei war, da hätte man zusammen staunen können. Schon die Schaufenster gaben einen Vor­geschmack von dem, was man in den Meßhäusern zu sehen be­kommen würde. Wundervolle Porzellangeschirre, herrliches Kristallglas, künstlerische Bronzeplastiken waren ausgestellt. Hätten wir bei Schräder L Co. schon längst aufnehmen sollen", dachte Fridolin. In einem Schaufenster führte ein Herr ein neues Spielflugzeug vor, in einem anderen zeigte ein junges Mädchen einen praktischen Haushaltungsgegenstand.

Überall war Leben, war Geschäftigkeit, aber es war doch wieder nicht die Unrast des Alltags, sondern über den Menschen, ob sie nun Aussteller oder Einkäufer waren, lag so etwas wie eine festliche Stimmung, wie die Freude, an dem großen Er­eignis der Messe teilzunehmen. In den Meßhäusern aber, die er gewissenhaft durchprüfte, fühlte er sich wie in einen Festsaal versetzt, als ihm im Städtischen Kaufhaus der aus Hunderten von modernen Beleuchtungskörpern strömende Lichterglanz entgegenflutete. Da bot sich ihm im Petershof, in Specks Hof, im Neuen Grassi-Museum oder wo er sonst hinkam, die Schön­heit deutschen Kunsthandwerks dar, das auf der Messe seinen guten Ruf und seine Lebenskraft unter Beweis stellte.

Aus einemSeh-mann" so nennt man in Leipzig die Leute, die nur die Muster begucken, nach den Preisen fragen

und sich nicht zu Bestellungen entschließen wurde Fridolin bald zu einemKauf"-mann. Wenn dann der Fabrikant vor ihm stand mit dem Orderbuch und dem zum Schreiben ge­zückten Bleistift und Fridolin sagte:Bitte notieren Sie", dann klang das ganz anders als dasWas ist gefällig?", das er hinter Schräders Ladentisch zu den Oberschönauer Bürgern und Bürgerinnen sagen mußte. Aber die würden in ein paar Wochen schon Augen machen, wenn erst dieSchlager", die er in Leipzig bestellt hat, eingetroffen wären. Das Dauer­bügeleisen mit den doppelten Bügelflächen, die abwechselnd erhitzt werden, der Topfheber in Zangenform, derEier­koch", mit dem man Eier ohne Schale kochen kann, die nicht­tropfende Untertasse, die biegsame Bürste mit Gummi­rücken da würden sich die Oberschönauer Hausfrauen gewiß drum reißen.

Und erst zu Weihnachten die fabelhaften Geschenkartikel, Schreibtischgarnituren aus Buntpapier, dazu hochmoderne Briefpapiere, entzückende deutsche Volkskunstarbeiten und dann die Damenhandtaschen!Gnädige Frau", würde er sagen,dieses Gedicht von einer Damentasche habe ich selbst aus der Messe eingekauft. Echt imitiert Teju-Eidechse. War dabei, wie ein Holländer zwei Gros mit einem Schlage be­stellte." Das wird diesmal ein blendendes Weihnachtsgeschäft werden, zumal Fridolin auch ein paar richtige Schlager in Spielwaren für die Kleinen und Kleinsten und Spiele für die Großen nicht vergessen hatte.

Und auch Schräders Laden würde ein anderes Aussehen be­kommen. Fridolin war nämlich auf der Reichswerbemesse ge­wesen.Herr Schräder und Fräulein Mariechen", sagte er später immer wieder,das war ja nun etwas ganz Groß­artiges. Diese Lichtreklamen, dieses Gezappel von beweglichen Reklamefiguren, da konnte man so richtig sehen, was Reklame ist. Und da Hab' ich denn für unser Geschäft auch so eine Figur und einige von den neuen Leuchtröhren gekauft, da werden die Leute Tag und Nacht vor unserem Laden stehenbleiben."

Draußen auf dem Gelände am Völkerschlachtdenkmal hatte Fridolin, um nichts zu versäumen, noch die Baumesse besucht und die riesige Halle für Betriebsbedarf.Da ist noch manches, was wir später auch einmal aufnehmen müssen." Aber dann war er nach drei Tagen Herumlaufens nach Hause gefahren. An den Füßen merkte er zwar die Anstrengung, aber was machte das aus, wenn man erfüllt ist von all den Eindrücken, wenn man sich wie ein ganz neuer Mensch vorkommt, der nun überhaupt erst weiß, was es heißt, im Geschäftsleben auf der Höhe zu sein.

Herr Schräder hatte zwar zuerst ein bedenkliches Gesicht gemacht, als Fridolin ihm von seinen Einkäufen berichtete. Aber als dann die Waren kamen und später die Kundschaft nach sich zogen, da hatte er Fridolin auf die Schulter geklopft und gesagt:Fridolin, Ihre Reise zur Leipziger Messe war doch eine glän­zende Idee." Selbstverständlich ver- säumteFridolin in Zukunft keineMesse, aber er fuhr dann nicht mehr allein, sondern zusammen mit Mariechen, die inzwischen seine Frau geworden war.

Milliarden gehen durch Frauenbünde

Es wäre nicht nur vom statistischen Standpunkt aus reizvoll, sondern würde auch wichtige Rückschlüsse auf die Struktur unserer Volkswirtschaft zulassen, könnte man feststellen, eine wie große Summe des Volkseinkommens durch die Hände der Frauen geht. Da ist allein dasWirtschaftsgeld", das aus­schließlich Domäne der Frau ist und das einen sehr erheblichen Teil vom Einkommen des Mannes bildet. In den 15 bis 16 Millionen deutscher Haushaltungen eine Zahl, die einen Rückschluß auf die von Frauen verwalteten unsi von ihnen der Wirtschaft zugeführten Werte zuläßt tritt auch bei den ein­maligen und sonstigen Anschaffungen des Hausbedarfs und bei den Einkäufen der Geschenke zu Festen und Geburtstagen die Hausfrau meist als Käuferin auf. Der Mann, durch den Beruf in Anspruch genommen, hat zum Einkäufen oft weder Zeit noch Lust, und tut er es doch, ist es in der Mehrzahl der Fälle nicht für den eigenen, sondern für den Bedarf des anderen Geschlechts.

Man kann sich vorstellen, wie die Frau als Käuferin und zugleich als Treuhänderin des Volkseinkommens und ebenso als Beschenkte die Warenproduktion beeinflußt, nicht nur hin­sichtlich der Art, sondern auch in der geschmacklichen Gestaltung.

Denn fast jeder Frau ist ein Sinn für Schönheit, für Farben und ihren Zusammenklang angeboren.

Anregerin der Wirtschaft aber ist das weibliche Geschlecht nicht zuletzt auf Gebieten, die wir als seine ureigensten be­trachten können: die Mode, die kosmetische Industrie und das Schmuckwarengewerbe.

Die dem sich stets wiederholenden Zwang der Neuschöpfung von Mustern unterworfene Mode, die nicht nur Kleidungs­stücke, sondern auch deren Zubehör, z. B. Handtaschen, betrifft, bedeutet einen ununterbrochenen Antrieb für die Produktion. Wirft man einen Blick in die Zeitung, dann merkt man, wie beträchtlich die Werbung der sogenannten Schönheitsmittel ist und welchen Einfluß der weibliche Bedarf auf das Gebiet der Werbung ausübt. Zu dem kosmetischen Bedarf muß man noch die verschiedenen Ausrüstungsgegenstände, wie Puderdosen, sonstige Behälter, rechnen: auch hier spielen modischer Wechsel und kunstgerechte Fertigung eine große Rolle.

Eine Aufzählung der abertausend Erzeugnisse, deren stärkste Kaufarmee sich aus Frauen rekrutiert, ist unmöglich. Doch eS gibt eine Möglichkeit, sie mit einem Male kennenzulernen und in ihrer volkswirtschaftlichenBedeutung zu verstehen. Man braucht nämlich nur einen Blick in die Häuser der Leipziger Muster­messe zu werfen die nächste Gelegenheit hierzu bietet die vom 25. bis 29. August stattfindende Herbstmesse, und man

wird staunen, wie sich in diesemRiesenschaufenster der deut­schen Wirtschaft" eine Musterfülle zeigt, in der Hunderttausende verschiedenster Dinge den unsichtbaren Stempel tragen:Alles für die Frau."

Eine Umschau im eignen Heim, ein Blick in die Schränke für Kleidung, auf Wäsche, Geschirr oder Küchengeräte zeigt kaum einen Gegenstand, der nicht zuerst auf der Leipziger Messe von seinem Hersteller dem Handel vorgeführt worden ist und den nicht die geübten Augen des Einkäufers aus einer großen Reihe ähnlicher Dinge ausgewählt haben.

So ist die Messe gerade dort wichtig, wo es, wie beim modi­schen Bedarf, gilt, die neuen Muster möglichst viel einkaufender Geschäftsleute gleichzeitig und schnell vorzuführen, um dem Händler die Gelegenheit des gemeinsamen Angebots an den privaten Käufer zu geben.

An dem großen Ziel, die Frau bei anstrengender hauswirt­schaftlicher Arbeit seelisch und körperlich zu entlasten, hat die Leipziger Messe nicht zu unterschätzenden Anteil. Als große Neuheitenschau fördert sie die Herstellung aller Haushalt- und Küchengeräte, die zur Vereinfachung der Hausarbeit beitragen. Ohne die durch die Messe gebotenen Absatzgelegenheiten würde ein gut Teil der sich bei der Schaffung dieser Dinge äußernden Erfindungsgabe ungenutzt bleiben.