Sette S - Nr. 2«2
Der Gesellschafter
Freitag, den S. November 19»4
Etv Mkömpser -es 9 . November 192Z erzählt
Von Iruppkütirer LL88ILK
Kriegsende Id 18. Geborene Soldaten konnten die rote Fahne nicht anerkennen — sie sammelten eine begeisterte Jugend um sich und stritten um die Erhaltung eines Glaubens an große Ueberlieferungen.
Als wilde Freischaren, gehetzt und versemt von der eigenen Regierung, kämps- ten sie an den Grenzen des Reiches — deutsche Idealisten, denen die Zukunft des Volkes mehr galt als die eigene.
Als Sechzehnjähriger vertauschte ich die Schülermütze mit dem Stahlhelm — Jahrgang 1903 trat an zur Pflichterfüllung. Im Freikorps Epp ins Ruhrgebiet, im Freikorps „Oberland" nach Oberschlesien.
Dann kam langsam aber sicher die Stabilisierung der Gesetzmäßigkeit. Endgültige Verbote und Zwangsauflösungen zerstreuten die Freischärler in Kontore. Gutshöse und Gefängnisse. Sie hatten ihre Pflichl getan, sie mußten gehen.
Da trat Hitler auf. Er legalisierte die Zukunftsträume der Freikorps, verwarf Phantome, setzte an ihre Stelle erfüllbare Möglichkeiten, zeigte eine neue Staatsauffassung, für die unsereiner kämpfen und sterben konnte. Der Gedanke der Volksgemeinschaft begeisterte uns so sehr, daß wir das Wort „Partei" auch noch schluckten.
Am 25. August 1921 betrai ich mit einem ausgefüllten Aufnahmeschein die Reichsgeschäftsstelle der NSDAP. — ein finsteres Nebenzimmer voll roter Plakate. Flugblätter und drängender Menschen. Da war Betrieb! Zwar waren es immer die gleichen Leute, ein Häuflein Getreuer, die jede ihrer freien Minuten dem blassen Gefreiten aus dem Weltkrieg zur Verfügung stellten. aber gerade dieser Kampfeswille gegen eine Ueber- macht ließ mich sofort heimisch werden.
Am 8. November 1923 radelte ich nach Büroschluß in die S ch e l l i n g st r a ß e zur Kanzlei der SA., ich mußte Pg. von Scheubner-Richter sprechen. Ein Kommen und Gehen wie immer, nichts Auffälliges. das auf die kommenden Ereignisse Hinweisen würde. Daheim lag auf dem Tisch, wie so oft. ein kleiner Zettel: „2. Komp, sammelt abends 8 Uhr Arz bergerkeller. Uniform." Also schnell in die ..Uniform" und die Leute meiner Gruppe (jetzt Schar) verständigt. Dann gleich in den Ärzbergerkeller und zur Kaserne.
morgens schwarzen Kaffee gab und nach 20 Minuten „schon" das Brot dazu. Um 4 Uhr wurde Käse verteilt. Sollte wahrscheinlich aus das Brot gehören!
Der erste Dien st am 9. November war Gewehrfassen. Im Garten standen einige Lastautos voll davon. Beute aus einem Kloster. Früh 4 Uhr erhielten die einzelnen Kompanien, die noch nicht bewaffnet waren, also auch wir. ihre Gewehre und die dazugehörige Munition. Um 6 Uhr mußte unsere Kompanie antreten. Wir marschierten in die Gegend des Max-Weber-Platzes. ein Standquartier, also Feldwache, wurde errichtet und die Mannschaften auf Straßenpatrouille ausgeschickt. Nasser Schnee fiel vom Himmel, erst mittags wurde das Wetter besser. Die Arbeiter gingen ruhig in die
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Fabrik, sie waren froh, daß der alte Jnfla tionsschwindel aufhören sollte. Wir bekämet gegen 9 Uhr einen Stoß Flugblätter, die wü an die Bevölkerung zu verteilen hatten. De: Inhalt lautete:
„Proklamation an das deutsche Volk
Die Regierung der Novemberverbrecher ir Berlin ist heute für abgesetzt erklärt worden Eine provisorische Nationalregierung ist ge bildet worden. Diese besteht aus Grnera Ludendorff, Adolf Hitler, General von Los sow. Oberst von Seisser."
Im I^öivsnbräukoIIsr
..Eins — zwei — drei — vier!" Die „Latten". unser Fachausdruck für Modell 98. gingen zuck-zuck auf die linke Schulter, wieder herunter und so fort. Bis — bis um II Uhr ein junger Oberlandler in die Exerzierhalle kam und unserm Bataillonsführer Meldung machte. Dieser ries die Komp.-Füh- rer zu sich und den Ausbildungsoffizier, besprach sich mit ihnen. Wir merkten, es mußte etwas ganz Wichtiges los sein. Eine laute Stimme erscholl: „Halbkreis marsch — marsch!"
Und nun erfuhren wir von dem Ereignis: Die Negierung der Novemberverbrecher ist gestürzt. Hitler. Ludendorff. Pöhner, Kahr. Lossow und Seisser bilden die nationale völkische Diktatur! —
Vor dem Bürgerbräukeller wogte eine Menschenmenge auf und ab. vaterländische Lieder singend. Eine Abteilung der SA. sorgte für Ruhe und Ordnung. — Wir traten in den größten Saal Münchens. Welch ein Bild bot sich uns! Ein wahres Feldlager! In der Mitte eine Reihe Gewehrpyramiden, wunderschön ausgerichtet. Links und rechts davon. zwischen den Säulen, auf den Galerien, auf der Bühne: Hunderte — nein: Tausende SA.-Männer. alle in Uniform, auch vom „Oberland". Freikorps „Roßbach", der ..Reichskriegsflagge". „VV. München" usw. Dazwischen Reichswehrsoldaten. Wir bekamen ein bescheidenes Plätzchen, wo wir weiteren Befehl abwarten sollten. Die Offiziere mußten zu Besprechungen, wir machten es uns bequem. Um I Uhr wurde die Lage bekanntgegeben. Alles gut! Es herrschte bei uns trotz der Enge eine muntere Fröhlich- ' ' die sich noch erhöhte, als es um 8 Uhr
Um 12 Uhr mittags zogen wir die Zugwachen ein. die Kompanie sammelte, marschierte an die Ludwigsbrücke und traf dort auf das l. Batl. der SA. Am andern Ende der Brücke, stadteinwärts, stand eine kleine Schupowache. Wir hörten das Gerücht, daß die Schupo keine Leute von uns ins Innere der Stadt ließen. Es blieb uns nicht viel Zeit, darüber nachzudenken, denn vom Bürgerbräukeller kamen Tausende von Menschen herunter: ein langer Zug. die ganze Straßenbreite einnehmend, in der Mitte in 18er Reihen die Truppen der SA., die Oberlandler und Roßbacher, und an der Spitze, vor den Fahnen, die Führer: Hitler. Ludendorff, Graefe usw. Unser Kompanieführer kommandierte, wir nahmen die Gewehre über und schwenkten in Gruppen in den Zug ein. an den uns zustehenden Platz, neben der 1. Kompanie, also gleich hinter den Fahnen. Mühsam bahnten wir uns dabei den Weg durch die Zivilisten, die uns mit Heilrufen begrüßt hatten. Wir passierten die Brücke ldie Schupowache war unterdessen von einer anderen Abteilung unseres Bataillons entwaffnet worden) und marschierten somit an der Spitze des Zuges i n s I n n e r e d e r S t a d t ein. Von Kameraden erfuhren wir. daß Kahr nicht mehr recht mitmachen wollte und wir ihm nun zeigen sollten, daß ganz München für uns sei. Und das war auch der Fall! Die Häuter hatten zahlreich beflaggt, weißblau, schwarzweißrot und verschiedene sogar mit Hakenkreuzfahnen. Eine unzählige Menschenmenge begleitete den Zug, ununterbrochen „Heil Hitler!" rufend. Der Stoßtrupp, links und rechts von Führern und Fahnen. konnte nur durch sanfte Gewalt ein
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Vorwärtskommen des Zuges ermöglichen. Bald stimmten wir Lieder an. Die Menge sang mit. Mächtig brauste das Hitlerlied durch die Straßen. Am Marienplatz, der schwarz von Menschen war, herschte ein ungeheurer Jubel: vom Rathaus wehte die Hakenkreuzfahne! — Wir bogen rechts in die Theatinerstraße ein und zogen durch die Perusastraße in die Residenzstraße. Links hatten wir Privathäuser, rechts die Breitseite der Residenz. Und vor uns den Odeonsplatz mit der Feldherrnhalle.
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Es wurde das Lied: „O Deutschland hoch in Ehren..." angestimmt, der Sang schallte mächtig in der schmalen Straße. Die Spitze des Zuges, etwa 10 Meter vor unserer Kompanie. mußte an der Restdenzwache. gegenüber der Feldherrnhalle, angelangt sein, wir waren in Höhe des Preysing-Palais. als plötzlich unser Gesang jäh unterbrochen wurde:
rrrrrrrrr ... tack-tack-tack ...!
Das Lied verstummte, weiter hinten starb es langsam ab. Die Menschenmenge, die die ganze Straßenbreite eingenommen hatte, stockte. Sekundenlang Ruhe. Nur: ... tack- tack-tack ...!
Dann: gellende Schreie! Und ein Zurückfluten der Menschen links und rechts vom Zuge. Wir standen eingekeilt, Schulter an Schulter.
Das Gewehr heruntergerissen: «Was ist loS!" — «Sie schießen! Zurück — zurück!" — Doch wir standen. Hundert Gedanken durchstürmten auf einmal den Kopf! «Sie schießen? Wer? Wo? Und Hitler? Ludendorff? Die Fahnen?" Links drängten die Zivilisten zurück. Vor und neben mir noch einige Reihen Sturmabteilung. Und immer noch-tack — tack — tack...! Da
drängte es auch in unseren Reihen, einige sprangen seitwärts, andere lagen am Boden. Nun sah ich vor mir graugrüne Uniform. Und Gewehrläufe. Und Blitze daraus! — Ich wurde zurückgedrängt, ein — zwei Meter, und stürzte über ein am Boden liegendes Fahrrad. — Von uns schrie jemand: „Feuern!!" Doch schien die Ueberraschung zu groß gewesen zu sein: Freunde von gestern schießen heute auf uns!!
Ich nahm noch ein Gewehr und kroch, fest an den Asphalt gedrückt, einige Meter zurück in die Seitenstraße hinter das Preysing- Palais. außer Schußlinie. Hunderte von Menschen in dieser kleinen Gasse. Ich stand auf, blickte zurück. In der Nesidenz- straße zehn — zwanzig — dreißig MenschenaufdemBodenliegend. Im Blute! Und Gewehre, eine Mütze, ein Mantel, ein Fahrrad — und eine Fahne. An der Ecke das MG. — Das Schießen hatte aufgehört. „Du — hol die Fahne!! Schnell die Fahne! — Ich das MG." Ein junger Oberlandler sprang hinaus, packte die blutige Fahne, eilte zurück in die Deckung. Ich zog mit einem Kameraden das MG. um die Ecke. — Motorgeknatter. Ein Auto fuhr von hinten vor. bis zur Spitze, und wieder zurück.
Wieder trat Ruhe ein. Doch jetzt: Hitler? Ludendorff? Gerüchte: Ludendorff tot. Hitler verwundet! Nein, das durste nicht sein! (Später erfuhren wir. daß das Auto den verwundeten Hitler und einen kleinen Jungen geholt hat. Ludendorss war durch das Feuer der Schupo entgegengegangen und ist verhaftet worden.)
Oebroeksnsr Maff6N8liIl8lanci
„Waffenstillstand! Holt eure Verwundeten!" Ein grüner Schupoleutnant schrie uns das zu. Wir eilten hinaus, holten vier — fünf Verwundete. Wollten wieder hinaus — Feuer! Päng — päng...! Zurück! Einer von uns blieb liegen — in seinem Blute. «Die Hunde! Haben den Waffenstillstand gebrochen!" —
Im Stiegenhaus Dutzende von Menschen. Männer, Frauen, Kinder: Sturmleute, Verletzte. ein Toter! — Blut! Und diese Luft in dem dunklen Flur! Ein alter Mann bekommt einen Nervenschock. Wir helfen. Wir verbinden, mit Hemdfetzen, Taschentüchern. Ich hatte ein Verbandpäckchen in meinem Waffenrock. „Hier — Herr Leutnant'" — «1^>o
ist die Kompaniefahne?" — «Im ersten Stockwerk hält sie ein Mann." — „Fahne her!" Das Fahnentuch, feucht von Blüh heruntergerissen. Anton bindet es sich unter dem Waffenrock um den Leib. Und ich das weißblaue Band. — das wir beim Deutschen Tag in Nürnberg, am 2. 9. 1923, an die Fahne heften durften... jetzt hat es rote Flecken! O Gott! Deutsches Blut! Von Kameraden, von Freunden! Durch Verrat I Wer ist der Verräter? Kahr? Lossow?
— — SanitätsautoZ kamen, holten Verwundete, Tote...
Was nun? Wir sind abgeschnitten. Schi no wird kommen! — Und unsere Waffen? Die bekommt sie nicht! Wir tragen unsere Waffen in das erste Stockwerk. Hier war die Küche der Konditorei. Nun ging es ans Verstecken. Jemand gab uns die Erlaubnis. Also: Gewehre hinter Schränke, unter Oefen. Pistolen, Seitengewehre. Munition usw. — in volle Mehlsäcke, in Kaffeemaschinen. in Tortenschachteln. (Nach fünf Tagen kamen die Sturmleute wieder, ihre Sachen zu holen: sie waren fast alle noch da!)
Dann kam die Schupo. „Waffen?" — „Hab' keine!" Ein Griff in unsere leeren Taschen, dann konnten wir gehen.
Neben der Feldherrnhalle Schupo. Sie schütteten Wasser kübelweise auf die Straße. Aus die rote, blutige Straße! Unsere Fäuste ballten sich. Rache! Rache! — Am Odeonsplatz stand ein Panzerauto. In der Ludwigstraße noch eins. — Wir dachten an unsere Toten. An die zwei Verwundeten unserer Kompanie — beide Familienväter, über 40 Jahre alt.
Abends trafen wir uns wieder. Gingen in die Stadt: fast an jeder Ecke Reichswehr und Schupo mit Maschinengewehren. mit aufgepflanztem Seitengewehr. Die Schupo noch mit Gummiknitteln. Und doch: auf und ab wogten durch die Straßen unabsehbare Menschenmengen. «Heil Hitler!" — „Heil!" „Nieder mit dem V e r r ä t e r K a h r!" — „R a ch e f ü r u n- sere Toten! — Rache..." — „Hitler-Lied!" Brausend sang die Menge entblößten Hauptes: „Mag man uns auch bekämpfen, der Geist darf nicht untergehn ..." Reden wurden gehalten. Plakate der „alten" Negierung adgekratzt (Inhalt: „Ter Preuße Ludendorfs und sein Anhang... gez. Matt. Kultusminister!") Tausende Menschen überall.
— „Heil Hitler!" — Ein Schuß, noch einer, Schupo zu Pferde. Attacke in die Menge — mit Reitpeitschen schlugen sie auf Männer,
Frauen, Kinder.-Aus Deutsche — auf
Deutsche!
Drei, vier Tage ging es in München so zu. Dann trat allmählich äußerliche Ruhe ein. Die Toten wurden begraben. 16 Tote! Sechzehn deutsche Helden, die ihr alles fürs Vaterland gaben — gefallen, gefallen, gemordet — durch Verrat — von „Deutschen"!
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Alfarth, Kaufmann Bauriedl. Hutmacher Casella, Bankbeamter Ehrlich. Bankbeamter Faust. Bankbeamter Hechenberger, Schlosser Körner. Kausmann Kuhn. Oberkellner Laforce, Student Neubauer, Diener vonPaPe. Kaufmann vonderPfordten, Landgerichtsrat Rickmers, Rittmeister vonStransky. Ingenieur Dr. von Scheubner-Richter Wolf. Kaufmann