Nr. 263

Samstag, 10. November 1834

108. Jahrgang

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Friedrich Schiller, sein Werl und wir Bon Dr. Theodor Riegler

In Marbach, vor dem Geburts­haus Schillers, findet heute die natio­nale Feier statt, mit der die Eröffnung des Erweiterungsbaues des Marbacher Schillermuseums verbunden ist. Die Blicke der ganzen Welt werden auf das idyllische Neckarstädtchen gerichtet fein.

Die Gestalt Friedrich Schillers, herauf­gewachsen aus einer Zeit patriotischer Vor­ahnung kommender nationaler Ereignisse, ist längst zu einem festen Begriff geworden. Wenn Goethe eine objektive Welt des organischen und im Weitesten Sinne sinnlichen Wachstums ver­körpert, wenn es ihm nach jahrelangem Ringen gelang, aus der vielfältigen Ungebnndenheit geistiger Formen und Strömungen eine klar gestaltete, weltweise Form zu finden, so ist Schiller auch in den Jahren seiner Wohl be­hüteten familiären Häuslichkeit immer der Ausdruck und Inbegriff alles Stürmen­den und Revolutionären geblieben.

Hunderte und Tausende haben Werk und Wesen dieses Mannes analysiert und gewür­digt. Sein Geist und seine Worte wirken und leben weiter, das deutsche Volk kennt und liebt seine Werke, die deutsche Jugend berauscht sich an der Kampfkraft seines mitreißenden Pathos, Denkmäler zeugen von der tiefgreifenden Volks­tümlichkeit seines Schaffens, in tausenden Fa­milien stehen seine Bücher, der Feuergeist seiner unsterblichen Freiheits­dramen zieht immer die Hörer in magischen Bann, sein Leben kennt jeder Deutsche. Mit einem Wort: Schiller ist lebendiger denn je. Und dennoch: eine Zeit des individualistischen Denkens und Urteilen», eine Zeit der materia­listischen Weltbetrachtung hat sein Bild für viele getrübt. Es war eine Epoche, die für den innersten Sinn seines Werdens und seines nationalen Werkes wenig Verständnis hatte. Eine Epoche, die alles ablehnte, was irgendwie mit Pathos, Heroismus, Idealismus und Moral zusammenhing.

Heute, da diese Zeit überwunden ist, ist es «ne Ehrenpflicht des deutschen Volkes, das ver­erbte Bildnis Schillers in all seiner kraftvollen Reinheit, seiner innersten Lebendigkeit und fleckenlosen sittlichen Größe erstehen zu lassen. Denn Schiller war, wie er wirklich wirkte und lebte, ein Mensch aus Fleisch und Blut, eine kernhafte, temperamentvolle Erscheinung von bezwingendem Rhythmus und höchster Vitali­tät. Kein blasser, über den Wolken ichwebenderJdealistundabstrak- terSchöngeist, sondern innerlich kraftvoll und ausgesprochen männlich in seiner Ent­schlossenheit, in der Herbheit seiner Entschei­dungen, in der Unbedingtheit seiner, sittlichen Forderung. Einer, der sich sein Leben zurecht­zimmerte und im aufreibenden Kampf mit lausend Sorgen, Enttäuschungen und Zermür­bungen immer die geistige Führung behielt. Geladen mit aufschäumenden Energien, von einem edlen Feuer der Begeisterung durchglüht, besessen von seiner Kunst, gewaltig durchdrun­gen von den Ideen der Geschichte, Kultur und Philosophie, sich ^wig verzehrend in der eigenen Flamme visionärer Gestaltung.

Alle Werke Schillers, die lyrischen wie die dramatischen, wurzeln im Erdreich eines reinen und altruistischen Wollens. Wie wuchtig und kraftvoll, aber auch wie vornehm tönend zugleich ist diese Sprache, stets von neuem an- Mcht und dramatisch Vorwärtsgetrieben, und M Worte der Schillerschen Helden leuchten auf streben wie gewaltige Brandfackeln in den vwiMel einer reinen und besseren Welt. 'Miner offenbart sich auf- neue der große Schwärmer und Idealist der glänzende Rhetoriker, derleidenschaftlichePa-

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triot und nicht zuletzt der im Inner­sten seines schwäbisch bedingten WeIens n r d e u t > m e E y a r a t t e r. Deutsch im weitesten und schöpferischsten Sinn des Wortes ist alles an tiefem Mann gewesen: deutsch sein hoher persönlicher Mut,' Ventsch seine Heimatliebc, deutsch sein ehrliches Stre­ben und Ringen, deutsch seine Neigung zu Reflexionen und Grübelei, deutsch sein jubeln­des Pathos und ü misch seine Idee von einer hohen, kulturell verankerten Sittlichkeit des ge­samten Volkes.

Die Generation der Freiheitskriege, diese stürmende und drängende Hcldenjugend, «evte und starb im Zeichen Schillers. In Hunderten von Schlachten, die zur Befreiung und Erlö­sung Deutschlands führten, wirkte sein Geist wie ein anfenerndes, belebendes Symbol.Das hohe sittliche Pathos seiner Muse," schreibt Treitschke,setzte sich um in patriotische Leiden­schaft, seine schwungvolle Rhetorik ward das natürliche Vorbild für die Jünglingspoesic die­ses Krieges." Die freiwilligenJäger hatten seine Verse im Herzen und sein Reiterlied auf den Lippen. Und ein alter Offizier, der Archäologe Ernst Boetticher, schrieb:Wir, die wir 1870 mit gleicher Begeisterung wie die Jugend von 1813

und unempfindlich gegen alle Beschwerden des Krieges für das Paterlanö gestritten haben, waren erfüllt von Schillerschen Idealen." Und ein anderer:Wer das Jahr 1870 miterlebt hat, der wird diesen nuferen Schiller nie ver­gessen!"

Die Stationen seines Werdegangs zeigen die Entwicklung eines Menschen, der, sich aufbäu­mend gegen geistlosen Zwang und äußeren Druck, im ständigen Kampf gegen Tyrannei und Unterjochung, nach einem innerlich beweg­ten Leben voller Konflikte und Sorgen, in den behaglichen Kreis eines bürgerlich geregelten, zuchtvollen Lebens znrückfindet. Im Kind schon regen sich jene Eigenschaften, aus denen er sich später immer wieder neue Ströme der Kraft und Zuversicht erschließeDie jüngeren," heißt es da,fürchteten ihn, und auch den älteren imponierte er, weil er niemals Furcht zeigte." Und:An seinen Freunden hing er fest und innig und kein Opfer schien ihm zu groß, das er nicht in seiner Anhänglichkeit an sie zu bringen vermocht hätte." Württembergs Herzog Karl Eugen, jener Fürst, der einmal unwillig ausrief:Was Vaterland! Ich bin das Vater­land!" wurde zu seinem Schicksal. Die Zeit des unerfreulichen Zwanges auf der Militär­akademie formte und gestaltete seinen Sinn.

«Lr geriet plötzlich in eine Welt der Sinnlichkeit und Verlogenheit, in einen Kreis, der seinem innersten Wesen völlig fremd war. Dort, in den Räumen der Militärakademie, erwachte in ihm der leidenschaftliche Revolutionär, aus der dumpfen Enge des Zwanges, aus dem Moder einer Welt ohne Ideale erwuchs ihm die ele­mentare Kraft eines lodernden Freiheitswil­lens. Für die Größe und Lauterkeit des Schil­lerschen Charakters besitzen wir die eindrucks­vollsten Dokumente.

So schreibt einmal der Verlagsbuchhändler Göschen:Dieser Schiller HU uns oft mit dem großen Ernst, mit hinreißender Beredtsamkeit, mit Tränen in den Augen ermuntert, ja alle unsere Kräfte, ein jeder in seinem Fache, an­zuwenden, um Menschen zu werden, die die Welt einmal ungern verlieren möchte. Wir alle heben ihm viel zu verdanken. Und in der Stunde des Todes werde ich mich seiner mit Freude erinnern!"

Auf die ergreifendste Weise aber zeigte sieb das Gefühl der Verehrung, die das deutsche Volk für Schiller empfand, nach einer Auffüh­rung seiner Jungfrau. mir Orleans, die mir beispielloser Begei'stcrun z ausgenommen wurde. Das Haus war, ungeachtet des heißen Tages, zum Erdrücken voll, die Aufmerksamkeit war die gespannteste. Kaum rauschte nach dem ersten Akt'der Vorhang nieder, als ein tausendstim­migesEs lebe Friedrich Schiller!" wie ans einem Munde erscholl, in welchen allgemeinen Jubelrnf die Pauken wirbelten, die Trompeten schmetterten."Der bescheidene Dichter," so heißt es in einer zeuge miss«scheu Schilderung, dankte ans seiner Loge mit einer Verbeu­gung." Als Schiller nach der Vorstellung das Theater verließ, bildeten die Menschen ehrfürch­tig Spalier und entblößten in stummer Er­griffenheit ihre Häupter:Das Publikum nahm ihn auf eine Weise auf wie noch nie einen Dichter, wie meines Wissens auch nie einen Fürsten!", schreibt ein Augenzeuge.

Aus allen diesen Zitaten und Bemerkungen, die Werk und Wesen Schillers schärfer um­reißen als es eine rein wissenschaftliche Wür­digung vermöchte, erhebt sich strahlend die Größe und Reinheit seines Wesens. Sturm­und Drangperiode in Stuttgart, die aben­teuerliche Flucht nach München, das Bauer­bacher Asyl, die Aufenthalte in Mannheim, Leipzig und Dresden, die Verlobung und die Hochzeit, das Eheglück und die Krank­heitsnot, die Aufnahme in den Weimarer Kreis, der Tod im eigenen, mühsam erwor­benen Haus: was besagen diese äußeren Daten eines gigantischen Lebens im Ver­gleich zu der ungeheuren Innerlichkeit, von der Schiller bis zum letzten Rande seines Wesens ansgefüllt war . . .

Wir leben m einer Zeit, die nach ihrer ganzen seelischen und geistigen Struktur und Neuwrmung wohl imstande ist. der in­nersten Bedeutung Schillers gerecht zu wer­den. Sein Charakter ist würdig. Vorbild einer arbeitsamen, strebenden und ireiheits. begeisterten Nation zu sein. Denn in Schil- lers Gestalt, die makellos in unserer Erin­nerung fortlebt, verbindet sich ein kühner. offenherziger Idealismus, ein kraftvoller Freiheitswille mit einem tiefen Verständnis für das leise, stillere Glück der Familie, für die schöpferische Wirk­samkeit eines bürgerlich gebundenen Lebens. Nicht nur durch die nationale Sprach- und Jdeengewalt seiner Dramen und Balladen, nicht nur durch die Gedankenfülle seiner weithin tönenden Lyrik ist Schiller zum Symbolträger eines ganzen Volkes gewor­den. Seine Persönlichkeit selbst ist es. die wie ein Unkörperliches, aber dennoch Wirksames weiterlebt. Er war nicht nur ein genialer Dichter und ein glühender Patriot, sondern einer der wahrhaftesten Deutschen, die jemals gelebt haben.