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Rt 305
Donnerstag den 30. Dezember 192V
84. Jahrgang
Verbesserung unserer Ernährungslage durch Stickstoffdünger.
Von Ernst TrebesiuS.
Unter den vielen bitteren Enttäuschungen, die der unvermutete Kriegsausgang und die zwei schicksalsschweren Jahre der Nachkriegszeit für daS deutsche Volk im Gefolge halten, war ohne Zweifel die größte die. daß alle Hoffnungen auf eine baldige Verbesserung unserer Ernährnngslage immer wieder elend zu Schanden wurden. Während die letzte Ernte m den überseeischen Ländern einen großen Ueberschuß an Getreide brachte, verschlechterte sich bei uns diele Ernte in derart erschreckendem Maße, daß wir nur durch große Aufkäufe des teuren Auslandsgetreides die ohnehin knapp bemessene Brotration bis zur'nächsten Ernte aufrecht erhalten können. Auf dem Weltmarkt ein Angebot von 20 Millionen Tonnen überschüssigem Brotgetreide und bei uns ein Mangel, der nur durch Auskäufe von 2 V 2 Millionen äußerst notdürftig gedeckt werden kann. Und diese 2*/- Millionen Tonnen Änslandsgetreide erfordern einen Reichszuschuß von rund 15 Milliarden Mark, da sonst die Brotpreiss unerschwrnolick» teuer würden. Das ist in kurzen Umrissen die Lage unserer Ernährung bis zur nächsten Ernte. Und so oder ähnlich wird unsere Ernährnngslage auch noch manches weitere Jahr sein, wenn nicht endlich mit eiserner Energie an die Hebung der inländischen landwirtschaftlichen Erzeugung geschritten wird. Daß eine Vermehrung unseres Getreidebaues auch unter den obwaltenden schwierigen Verhältnissen sehr wohl möglich ist, soll im Nachfolgenden ein wenig näher erörtert werden.
Es ist allgemein bekannt, daß mir schon vor dem Kriege in immer steigendem Maße Kalk, Kali, Phosphorsäure und Stickstoff zur Düngung unserer Aecker heranziehen mußten, da eine sy intensive Bcdenkulur, wie wir sie entsprechend der räumlichen Beschränkung und der stetig anwachsenden Be- oölkerungszahl Deutschlands notgedrungen treiben mußten, nur bei ausreichender Düngung Aussicht auf Erfolg hatte und für diese Zwecke der natürliche Dünger, Stallmist usw-, nicht ausreichte. Das wichtigste von den eben erwähnten künstlichen Düngemitteln ist ohne Zweifel der Stickstoff, da ohne diesen keine Pflanze gedeihen kann. Unsere Landwirtschaft verbrauchte vor dem Kriege jährlich enva 225000 Tonnen Stickstoff, der sich auf folgende Hauplstickstoffdüngearten verteilte: 750000 Tonnen Salpeter mit etwa 115000 Tonnen Srickstoffgehait, 450000 Tonnen schwefelsaures Ammoniak mit etwa 90OM Tonnen Stickstoffgehalt, IM000 Tonnen Kalk- stickstoff mit etwa 20 OM Tonnen Slickstoffgehalt. Von diesen erheblichen Mengen wurde rund die Hälfte in den deutschen Kokereien und Gasanstalten in Form des schwefclsauren Ammoniaks (etwa 550 MO Tonnen mit NO MO Tonnen Stickstoff) und in den Kalkstickftoffwerken (etwa 50 MO Tonnen Katkstickstvff mit 10 000 Tonnen Stickstoff) gewonnen. Dis andere Hälfte der verbrauchten Menge wurde in Form des Chilesalpeters. Guanos usw. aus dem Auslande etngeführt. Der Krieg brachte natürlich die ausländische Zufuhr alsbald zum Stocken. Uns verblieben somit nur die in den einheimischen Werken erzeugten Slickstoffmengen, die freilich, obwohl sie den Bedarf der Landwirtschaft nur zur Hälfte zu decken vermochten, noch nicht einmal ausschließlich für Düngezwecke verwendet werden konnten, da erhebliche Mengen für Munitionszwecke bereitgestellt werden mußten. Die Folge des Stickstoffmangels waren die geringen Einteerträge, die die Unterernährung mit all ihren üblen Begleiterscheinungen im Gefolge halte. Natürlich spielten bei den geringen Ernteerträgen noch eine Reihe anderer Umstände mit, so vor allem« die Tatsache, daß durch die Einziehung zahlreicher Landwirte und landwirtschaftlicher Arbeiter die Felder nicht mehr mit der genügenden Sorgfalt bestellt werden konnten, ferner der Umstand, daß die landwirtschaftlichen Wanderarbeiter aus Polen und Galizien nicht mehr in der deutschen Landwirt- schaft tätig waren und schließlich auch die Mengen des natürlichen Stickstoffdüngers, des Stallmistes und der Jauche, durch die Einstellung großer Mengen von Pferden in den Heeresdienst und die Wegschlachtung zahlreicher Schweine im ersten Kriegsjahre immer geringer und auch in der Güte immer minderwertiger wurden, da die Kühe und Schweine kein Kraftfutter mehr erhielten.
Auch die Muniltonsherstellung für das Heer wäre wohl bald in Frage gestellt worden, wenn es nicht gelungen wäre, den Ausfall des ausländischen Stickstoffes durch Vermehrung der inländischen Stickstofferzeugung allmählich wieder wett zu machen. Es gelang dies durch ein von Geheimrat Haber erfundenes Verfahren, welches ermöglicht, den Stickstoff der Lust mit Wasserstoff zu Ammoniak zu verbinden. Zu schwefelsaurem Ammoniak weiterverarbeitet, kann der so aebundene Luftstickstoff alsdann als Stickstoffdünger für die' Pflanzen verwendet werden, deren Wurzeln die gelösten Salze im Boden ohne weiteres aufzunehmen vermögen.
Heute sind die beiden großen Anlagen, die sich mit der Herstellung des Luftstickstoffdüngers beschäftigen, die Leuna- Werke bei Merseburg und das Werk Oppau bei Ludwigs Hafen, die beide der Badischen Anilin- und Sodofabrik unterstehen, so weit ausgebaut, daß der gesamte Bedarf unserer Landwirtschaft nach dem Stande des Jahres 1914 vollauf
gedeckt werden kann. Da zur Gewinnung des Luftstickstoffes hohe Temperaturen und hohe Drucke (bis 200 Atmosphären), ferner ein großes, geschultes Arbeiter- und Beamtenpersonal. ausgedehnte Anlagen, kostspielige Apparate und Maschinen erforderlich sind, so stellen sich selbstverständlich auch die Preise bedeutend höher als m der Vorkriegszeit. Sie betragen für die verschiedenen Arten des künstlichen Stickstoffdüngers im Mittel das Zehnfache des Friedenspreises. Inzwischen sind aber auch die Preise für die landwirtschaftl. Erzeugnisse, rechnet man die Drusch-Prämien und die Zuschläge für Saatgut hinzu, um rund das Zehnfache gestiegen. Die Verwendung des künstlichen Stickstoffdüngers ist also auch heute sür den Landwirt genau so lohnend wie in der Vorkriegszeit. Darüber hinaus aber hat die Frage hohe volkswirtschaftliche Bedeutung, da die jetzige Zuschußwirtschaft des Reiches, die letzten Endes doch der Steuerzahler zu tragen hat, nicht ins Endlose fortgesetzt werden kann. Der Vorschlag des preußischen Landwirischastsministers Braun, unter Umständen auf Reichskosten eine Verbilligung der Stickftoffdüngerpreise herbeizuführen und damit die Landwirie zu einer erhöhten Verwendung des Stickstoffes anzuregen, ist deshalb den fetzigen Zuständen, die 15 Milliarden ins Ausland zu geben zwingen und damit unsere Valuta immer tiefer drücken, entschieden oorzuziehen.
Tages-Neuigkeiten.
„Erzberger geht um".
Berlin, 29. Dez. An der Spitze des Blattes bringen die „Münchener Neuen Nachrichten" in Fettdruck eine Notiz mit der Ueberschrift „Erzberger geht um", welche lautet: Wie wir hören, war Erzberger dieser Tage inkognito in München. Der Zweck seines Hierseins soll gewesen sein, Mitglieder der Bayerischen Volkspartei für den Sturz.des Ministerpräsidenten Kahr zu gewinnen, da Erzberger ihn als stärkstes Hindernis für seine Rückkehr in den Reichsdienst betrachtet.
Selbstverständlich ist dem „vielgewandten" Herrn Erzberger auch ein solcher Plan durchaus zuzutrauen. Sollte ihn aber nicht der über ein Jahr mühsam hekämpfte „dringende W»nich", sein Verhältnis zum Strafgesetzbuch zu klären, soweit in Anspruch nehmen, daß ihn Ministerstürze jetzt kühl lassen?
Staatsanwälte sind unter gewissen Umständen viel bedeutsamere Persönlichkeiten als bayerische deutschgestnnte Ministerpräsidenten.
Fälschungen.
Berlin, 29. Dez. Der Saarverein teilt mit: Im Sommer wurden im Saargebiet verschiedene Briefe veröffentlicht, die angeblich von Berliner Büros stammen sollen, und in denen sowohl die betreffenden Berliner Büros wie einzelne Persönlichkeiten im Saargebiet bei den dortigen französischen Behörden kompromittiert werden sollten. Die veröffentlichten Schriftstücke, insbesondere das angebliche Schreiben der Geschäftsstelle des Saaroereins an das Auswärtige Amt, welches bet den Gemeinderatswahlen in Saarbrücken eine Rolle spielte, haben sich als glatte Fälschungen erwiesen. Nunmehr wurde eine ganze Reihe solcher gefälschter Schriftstücke bei einem gewissen Fink aus Altenwald gelegentlich seiner Verhaftung in Berlin gesunden. Fink gab an, die Dokumente teilweise entwendet, teils von einer Schreibdame aus dem Büro der U. S. P. in Saarbrücken erhalten zu baben. Er habe beabsichtigt, sie in Berlin zu verkaufen. Die Briefe sind auf den ersten Blick als Fälschungen erkenntlich. Es sind Angaben darin enthalten, die geradezu lächerlich wirken für jeden, der die Verhältnisse kennt. Aus dem Inhalt geht hervor, daß der oder die Fälscher beabsichtigten, bestimmte Personen des Saargebiels bei den französischen Behörden verdächtig erscheinen zu kaffen.
Es ist offenbar, daß die Fälscher die Behörden im Saargebiet aufs schwerste getäuscht und dadurch mit dazu beigetragen Haien, eine ungesunde Atmosphäre des Mißtrauens heroorzurusen, ganz besonders gegen die bekannte Geschäftsstelle des Zaarvereins in Berlin. Es ist anzunehmen, daß manche Fanilie im Saargebiet ihr Unglück diesen Fälschern, von denen ihre Angehörigen in der gemeinsten Weise verdächtigt wurden, zu verdanken hat.
Die Feier des 18. Januar 1921.
Berlin. 29. Dez. Zur Frage der Feier des 18. Januar 1921 hat sich die Reichsregierung dahin schlüssig gemacht, von der Bestimmung dieses Tages als eines gesetzlich anerkannten Feiertags im Wege der Gesetzgebung abzusehen. Sie erachtet es aber als wünschenswert, daß an diesem Tage in den Schicken der Einigung der deutschen Stämme durch die Gründung des Reichs und seines nunmehr 50 jährigen Bestehens in angemessener Weise gedacht wir). In einem Rundschreiben an die Landesregierungen spricht der Reichsminister des Innern die Bitte aus, in dieser Richtung alsbald das Weitere veranlassen zu wollen.
Die S,tscheidung über die deutschen Festungen.
Berlin. 29. Dez. Die Bolschafterkonferenz hat durch eine Note vom 17. November der deutschen Regierung mit- gckeilt, daß nach ihrer Auffassung die Entscheidung der inter- aliieneu militärischen Kontrollkommission in der Frage der Ausstattung der deutschen Festungen mit Artillerie dem Buch
staben wie dem Geiste der Art. 167—180 dem Vertrage von Versailles entspreche und daß sie diese Entscheidung nur bestätigen könne. Die Reichsregierung hat nun an die Bot- schasterkonfcrenz eine Note richten lassen, worin sie mitleilk, daß sie nicht anzuerkennen vermöge, daß die Entscheidung mit den Bestimmungen des Friedensoertrags in Einklang steht.
Berlin, 29. Dez. Der französische Kriegsminister machte laut Täglicher Rundschau neue Angaben über die Zahl der bis heute von Deutschland abgelieferten Geschütze. 30495 Geschütze wurden der Interalliierten Kontrollkommission, 7600 beim Waffenstillstand und 3—4000 im Laufe der Ablieferungen ausgeliefert. Im ganzen also wurden 41—42 OM Geschütze abgeliefert oder werden demnächst abgeliefert sein.
Eine bayrische Gesandtschaft?
Im bayrischen Landtag wurde der Antrag gestellt, in Stuttgart wieder die bayrische Gesandtschaft einzurichten. Es ist Aussicht vorhanden, daß in nicht zu ferner Zeit Bayern wieder einen Vertreter in Stuttgart hat, der dann auch in Karlsruhe und Darmstatt beglaubigt werden dürfte.
Zur Brüsseler Konferenz.
Rotterdam, 29. Dez. Der „Ntenwe Rotterdamsche Courant" in Paris meldet. Ueber die Brüsseler Konferenz kann mitgeteilt werden, daß die französischen, belgischen und italienischen Abgeordneten sich untereinander verständigt haben. Deutschland wird bald ein Vorschlag gemacht werden. Der französische Delegierte Seydoux ist Vermittler. Im Augenblick kann man aber nicht weiter verhandeln, da Bergmann nicht genügend Vollmachten hat. Er muß erst mit seiner Regierung konferieren. Man ist in französischen Kreisen der Meinung, daß man Deutschland schon sehr entgegengekommen ist, umsomehr als im Lande und namentlich auch im Parlament die Opposition gegen einen deutschen Schadenersatz in Naturalien zunimmt.
jDenkmalsschändung.i
Tarnowitz, 29. Dez. Heule nacht wurde der Versuch gemacht, mit einer Dynamitpatrone das Denkmal Kaiser Wilhelms I. zu sprengen. Während die unteren Steinstufen u. die Umfassung des Denkmals zertrümmert wurden, blieben der Socket und die Figur unbeschädigt. Der angerichtete Schaden ist jedoch sehr beträchtlich. Im Umkreis von IM Meilen wurden sämtliche Fensterscheiben zertrümmert.
Das reiche Amerika.
Foreign Preß Service meldet. Eine Zählung des gesamten zirkulierenden Geldes am 1. Oktober in den Vereinigten Staaten hat ergeben, daß 5106 Dollar auf jeden Kopf kommen. Auf Grund einer vorläufigen Schätzung beläuft sich das amerikanische Nationalvermögen einschließlich des immobilen Kapitals, in diesem Jahre auf 220 OM OM MO.
Aus Litauen.
Kowno, 29. Dez. Litauische Telegraphenagentur. DaS litauische Kriegsgericht erörterte vom 14. bis 24. 12. den Prozeß der geheimen polnischen politisch-militärischen Organisation in Litauen, die am 28.9 1919 den Sturz der litauischen Regierung zugunsten Polens vorbereitete Das Gericht verurteilte sechs Angeklagte zu lebenslänglicher Zwangsarbeit.
Die Verhandlungen zwischen Rußland u. Polen abgebrochen.
Paris, 39. Dez. Nach einer Meldung des Exchangs Telegraph sind die Verhandlungen zwischen der russischen und der polnischen Delegation abgebrochen worden. Joffe habe erklärt, daß die internationale Lage Rußlands jetzt so günstig sei, daß die Klauseln des mit Polen abgeschlossenen Vertrags nicht mehr den Charakter der Notwendigkeit hätten und daß Rußland gezwungen sei, die polnischen Kriegsgefangenen nicht in ihre Heimat zurückkehren zu lnffen. Sie würden jetzt in Rußland beschäftigt werden.
Die Regierungstruppen vor Fiume.
Rom, 29. Dez. Wie die „Agencia Stefani" mitleilt, entbehren alle Gerüchte über nichiordnungsmäßigeS Verhalten der Regierungstruppen vor Fiume jeder Grundlage. Die Truppen machen von den Waffen nur im Falle der äußersten Not Gebrauch. Die Aeutzerungen der Verwundeten gehen einstimmig dahin, daß die Regierungstruppen die ihnen erteilten Befehle. Beschädigungen von Eigentum und Personen soweit nur möglich zu vermeiden, auss genaueste befolgen. Aus der Luft gegriffen sind auch die von Fiume aus verbreiteten Gerüchte, daß Abteilungen der Regierung»- truppen gemeutert hätten. Die Manneszucht der RegterungS- liuppen ist ausgezeichnet.
Inirrnalionale Industrie-Ausstellung.
Madrid. 29. Dez. Nach einem Telegramm aus Lima wird die peruanische Regierung zum 28. Juli 192l, dem Tage der Jahrhundertfeier der peruanischen Unabhängigkeit, eine internationale Industrieausstellung veranstalten.
Kein« amerikanisch-russischen Wirlschastsverhandlungeu.
Stockholm, 29. Dez. Der amerikanische Gesandte in Stockholm hat erklärt, er wäre überzeugt, daß das Sowjet regime sich nur noch einige Monate halten könne. Aus diesem Grunde seien Abmachungen über irgend welche Kon Zessionen völlig zwecklos. Kein ernster und maßgebender amerikanischer Kaufmann beschäftigt sich finit dieser Frage.
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