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Volk in Not!
Ei» Vorschlag zur Hebung der Wohnungsnot.
Von Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Paul Krause-Bonn.
Staat und Gemeinden haben in dem letzten Jahre vergeblich versucht, die immer größer werdende Wohnungsnot zu heben. Viele Millionen sind zur Verfügung gestellt worden, und trotzdem ist der Erfolg gering. An dieser Tatsache besteht kein Zweifel. Die bisher eingeschlagenen Mittel und Wege sind demnach ungenügend. Die Wohnungsnot wird immer größer, die Gefahr für das deutsche Volk in den weitesten Schichten immer furchtbarer. Früher waren Bauherren die Elnzelhausbesttzer; sie kommen heute bei der vollständig unsicheren ivirtschastlichen Lage nur ganz vereinzelt mehr in Betracht. Auch der Bauunternehmer, welcher mit der großen Energie, wie sie im kaiserlichen Deutschland weit verbreitet war, ganze Häuserviertel in den Städten baute, ist infolge der Steuergesetzgebung und der wirtschaftlichen Notlage nicht mehr dazu imstande. Es bleiben noch zu nennen: die Wohnungsbauvereine, die Gemeinden, der Staat. Die Bauvereine sind gegenwärtig in ihrer Tätigkeit ebenfalls so gut wie lahmgelegt. Die Gemeinden stehen fast sämtlich vor dem ivirtschastlichen Untergang. Die Steuergesetzgebung des Reiches hat ihre Selbstoerwallung in erschreckendem Maße beschnitten. Infolge der unglückseligen Gesetzgebung der Nationalversammlung sind selbst die reichsten Städte, wie Frankfurt und Düsseldorf, nicht mehr imstande, in derselben Weise wie früher für allgemein sozialhygienische Aufgaben Gelder flüssig zu machen. Es ist für jeden, der die Verhältnisse kennt, eine geradezu erschreckende Tatsache, daß z. B. Frankfurt a. M. bereits 10 Prozent der Krankenhausbetten hat einziehen müssen, daß, trotzdem die Kranken dritter Klasse täglich 40 in der ersten Klasse sogar 120 ^ bezahlen müssen, allein die städtischen Krankenhäuser ein Defizit von 43 Millionen haben. Es besteht auch kein Zweifel, daß der Staat nicht in der Lage ist, Millionen flüssig zn machen, um die bestehende Wohnungsnot in Deutschland zu heben. Mit einem Satze nochmals ausgedrückt: Hilfe ist von diesen Stellen nicht oder nur in geringem Maße zu ei warten. Auch in dieser Hinsicht hat es den Anschein, als sollte das deutsche Staatsschiff in den meerestiefen Abgrund versinken. Und doch scheint es eine Hilfe zu geben. Unsre Führer müssen ohne Rücksicht auf jede Parteidoktrin Hinausrufen: Volk in höchster Not! Alle Mann an Bord! Es muß gelingen, in dieser Teilfrage noch Rettung zu schaffen. Grund und Boden haben wir in Deutschland genug. In Stadt und Land sollten die zuständigen Stellen durch ihre Selbstoerwaltungs- organe dafür sorgen, daß er sofort für Neubauten zur Verfügung gestellt wird. Juristische Bedenken irgendwelcher Art können da in dieser Lage keine Rolle spielen. Jede Stadt, jedes Dorf hat genügend zur Verfügung.
Nun kommt aber die Hauptsache. Haben wir Baumaterialien? Ich möchte, nachdem ich viele Sachverständige gefragt habe, diese Frage mit einem unbedingten Ja beantworten. Es sind Kohlen vorhanden in Deutschland, Steinkohle wie Braunkohle, um Zemenr, Lehm, Ziegel, Holz und Eisen als Baumaterialien herzustellen. Ems ist allerdings dazu notwendig, und das ist Arbeitskraft. Meiner Meinung nach müßte trotz aller Bedenken jeder deutsche Mann, jede deutsche Frau helfen, um diese Kraft sofort freizumachen. Den Luxus einer nur achtstündigen Arbeitszeit, trotz aller gesetzlichen Festlegung, können wir uns eben nicht leisten. Wenn jeder Deutsche sich verpflichtet, täglich drei Stunden mehr zu arbeiten, jede Gemeinde, sei es in der Stadt oder auf dem Land, in dieser Hinsicht sich zusammenschließt und sich gegenseitig hilft, dann wird es möglich sein, die notwendigen Rohmaterialien an die Baustellen heranzuschaffen. Dann wird es möglich sein, mit diesen freiwilligen Arbeitskräften Wohnungen zu schaffen, und innerhalb von Monatsfrist wird in Tausenden und aber Tausenden deutschen Gemütern wieder etwas mehr Hoffnungs- freudigkeit einziehen. Jeder muß aber eben dem anderen helfen. Der Versuch dieser Selbsthilfe ist in mustergültiger, hervorragender Weise durch die Tatkraft des Haupimanns Schmude in mehreren Siedlungsgenossenschaften dnrchgeführt worden. Die Schilderung aus dem Leben dieser Ansiedler berührt den Leser wie eine Geschichte aus Koopers Jndianererzählungen von der Siedlung Amerikas. Die Männer und ihre Familien, die sich unter Leitung von General Löffler und Hauptmann Schmude zusammentaten, sollten Nachahmer in ganz Deuisch- land finden. Das scheint auf den ersten Augenblick eine Utopie. Und trotzdem glaube ich, daß, wenn selbst nur 50°/» des Gesagten in Wirklichkeit übergeführt wird, daß dann die Wohnungsnot in Deutschland verschwinden wird. Wenn in derselben Weise jeder Flecken deutscher Erde zum Anbau von Früchten verwandt wird, kann auch der uns drohenden Hungerkatastrophe erfolgreich begegnet werden. Hilfe von auswärts zu erwarten, sollte der deutsche Michel in seiner furchtbaren Notlage, in der wir uns seit zwei Jahren befinden, allmählich verlernt haben. Und doch ist es nicht der Fall. Die Proteste, die dauernd unsere Regierung in die Welt gibt, machen ja auf niemand mehr Eindruck. Es ist eben so und wird immer so bleiben: Recht ist nur dort, wo Macht ist. Daher muß der Deutsche sich wiederum besinnen auf sich selber. Nur er selbst kann sich helfen, er allein. Sonst geht er eben rettungslos zugrunde.
Zusammenfafsend: die Wohnungsnot soll und muß behoben werden. Mittel dazu: Staat und Gemeinden stellen Baugelände zur Verfügung. Baumaterialien wie Aufführung der Bauten wiro durch eine tägliche dreistündige Arbeit sämtlicher arbeitsfähigen deutschen Männer und Frauen geleistet. Von Bezahlung darf nicht gesprochen werden. Wenn es nicht freiwillig geht, dann durch Einführung einer dreistündigen Arbeitspflicht zur Sicherstellung der Wohnungsbauten.
Tages'Neuigkeiten.
Sächsisches Porzellangeld.
Dresden, 22. Dez. Die sächsische Regierung wird bald nach Neujahr das schon angckündigte Porzellangeld ausgeben und zwar Stücke zu 20 und 50 zu einer und zu 2 Das Reich hat unter Berufung auf das Münzgesetz gegen die Ausgabe höherer Werte Einspruch erhoben. Es werden aber doch 5 10 ^ und 20 ^ Stücke hergestellt werden,
hauptsächlich für Sammler.
Oesterreichs Geldnot.
Auch in den schönsten Gulaschzeiten hat Wien nicht einmal einen solchen Luxus, ein derartiges Schlemmer- und Schieberlum gesehen, wie heute. Niemals sind die Schaufenster in der inneren Stadt mit funkelnderen Juwelen, mit kostbareren Pelzen herrlicheren Kunstgegenständen, zarter getönter Samten, durchsichtigeren Seidenstrümpfen, gefüllt gewesen als jetzt. Jede Nacht wird ein neues, marmorglänzendes LuxuSrestaurant geöffnet, und die Taffen voll Schlagsahne, die manches Kind vom Hungertod erretten könnten, werden in den vornehmen Lokalen bereits öffemlich serviert. Nicht weniger als dreihundert Bälle werden in diesen Fasching die schiebende Welt vereinigen, und die schönsten Töchter des Mittelstandes und des hungernden Beamtenstandes werden auf den Markt geworfen werden. Doppelt grell, grauenhaft und erschütternd wirkt darum der Schrei, den der Bundeskanzler Dr. Mayr kürzlich den versammelten Ententegesandten zurief: „Rettet unsere Seelen!" Jenseits des Bezirkes der Schieber und Dirnen wandelt sich — schreibt der Wiener Mitarbeiter des „Berl. Tagebl." — das Bild voll Licht und Buntheit sofort in Nacht und Grauen. Dort in den Vorstädten magern die Menschen dem sicheren Tod entgegen, u. zwischen den Strichen satten Landes breiten sich die Wüsteneien verfallender und hungernder Städte. Die versprochenen Nahrungsmittelkredite, die erwarteten Transporte aus Süd- slawien und Amerika sind ausgeblieben, die vorhandenen Getreidemengen reichen nur noch bis Mitte Januar. Deutschösterreich steht unmittelbar vor dem wirtschaftlichen u. finanziellen Zusammenbruch, wenn ihm nicht noch im letzten Augenblick Hilfe von außen wird. Der Staatshaushalt weist einen Fehlbetrag von 25 Milliarden Mark auf, der aber tatsächlich sich auf 42 Milliarden beläuft, da die Ausgaben für Lebensmittel überhaupt nicht eingestellt sind. Die Staatsschulden werden sich Ende dieses Jahres 100 Milliarden genähert haben. Sir William Goode, der Vorsitzende der Wiener Abteilung der Reparationskommiiston, hat deshalb der Pariser Kommission einen Wiedergutmachungsplan vorgelegt, der die furchtbaren Verstümmelungen zu heilen versucht, die Deutschösterreich mit dem Friedensinstrument von St. Ger- main beigebracht worden sind. Die Verwirklichung dieses Wiedergutmachungsplanes setzt aber ein Interesse des internationalen Kapitals an dem Wiederaufbau Demschöstdrreichs voraus, wie es in dieser Lebhaftigkeit niemals zu erwarten ist. Der Bundeskanzler erklärte bei einem Empfang der Pressevertreter freimütig, daß die nächsten Wochen die endgültige Entscheidung über Fortbestand oder Auflösung des jetzigen Oesterreichs bringen müssen. Der Staat muß jährlich allein 26 bis 30 Milliarden Kronen nur für die allerwichtigsten Lebensmittel bereitstellen, während die aufs höchste angespannten Steuern nicht 20 Milliarden Klonen einbrin- gen und keine Steigerung mehr möglich ist.
Aufstand in Galizien.
Berlin, 22. Dez. In den Karpathen und in Ostgalizien wütet längs der tschecho slowakischen Grenze ein Kleinkrieg der ukrainischen Ortsbevölkerung, der sogenannten Huzulen, gegen die polnischen Behörden. Die Aufständischen finden im Hochgebirge Schlupfwinkel, die für die polnischen Truppen unzugänglich sind. Sie sind gut bewaffnet und stehen unter Führung geschulter Soloaten.
Bereithaltung englischer Schlachtschiffe zur Abfahrt in die griechischen Gewässer.
Paris. 22. Dez. Wie „Chicago Tribüne" aus Malta meldet, haben die englischen Schlachtschiffe „Ajax" und „Con- queror" Befehl erhalten, sich zur sofortigen Abfahrt bereit zu machen. Man nimmt an, daß sie sich in die griechischen Gewässer begeben sollen.
Die sozialisierte russische Industrie.
Moskau, 22. Dez. Ein Aufruf der Regierung verweist aus die schwere Lage der Metallindustrie. Im vorigen Jahr arbeitete nicht ein einziger Hochofen. In diesem Jahr leien 5 Hochöfen im Betrieb, die ungefähr 3 Mill. Pud Metall liefern, das heißt 3°/o der Erzeugung vor dem Krieg. Die Metallindustrie brauche ungefähr 20000 Arbeiter. Etwas > besser sei die Lage der Textilindustrie, die im vorigen Jahr
in Anbetracht des Mangels an Baumwolle fast vollständig still lag. Heute habe die Rote Armee Turkestan befreit und Rußland habe ungefähr 3 Mill. Pud Baumwolle zur Ver fügung. Die Erzeugung müsse in allen Zweigen mindestens auf die Hälfte der Erzeugung vor dem Krieg erhöht werden.
Der kritische Augenblick in Brüssel.
-Brüssel, 22. Dez. Am Montag hat sich die Konferenz in eine Anzahl von Miniaturkonferenzen zerlegt, die meist auf Grund der Sachverständigendarlegungen vom Samstag geführt wurden. Die Japaner haben die Schiffahrlsfrage übernommen, die Italiener die Meistbegünstigungsfrage, sowie die anderen von deutscher Seite am Samstag behandelten Fragen der Handelspolitik, die Engländer besprechen die Re- prcssaliendrohungen und das Clearing Verfahren, die Franzosen die Nachlieferungsfrage. Die alliierten Vertreter baben sich nun über ihre weitere Taktik zu entschließen. Insofern ist jetzt der kritische Augenblick der Konferenz eingetreten.
Eine englische Stimme über die Höhe der Entschädigungen.
London, 22. Dez. Die „Westminster Gazette" bemerkt zu Bergmanns Rede in Brüssel: Die deutsche Entschädigung könne nicht anders als in Waren bezahlt werden. Eine Geldzahlung sei unmöglich und eine Uebertragung von Geldkredit, der keinem Warenfluß entspreche, wäre nutzlos, da der Markwert sofort dem Nullpunkt nähergebracht würde und die Geldkredite völlig nutzlos gemacht würden. Wir müssen uns mit dem Gedanken aussöhnen, daß wir nie einen Pfennig erhalten werden, wenn wir keine deutschen Waren hereinlassen. Die Höhe der Entschädigung muß begrenzt sein.
Die Wahlen in Spanien.
Madrid, 22. Dez. Vorgestern fanden hier die Wahlen für die gesetzgebenden Körperschaften statt, wobei die Monarchisten eine große Mehrheit errangen. In Barcelona sind die Corteswahlen normal verlaufen. Die nationalistische Mehrheit erzielte 5, die republikanische Minderheit 2 Sitze.
Rkcktrittsgesuch des'jgriechischen Kabinetts.
Athen, 22. Dez. Ministerptäsident Rhallis hat dem König das RücktriiiSqesuch des ganzen Kabinetts überreicht. Der König hat Rhallis gebeten, mit dem Ministerium bis zum Zusammentritt der Kammer im Amte zu bleiben.
Eine 4 Millionen Dollar Anleihe zur Bekämpfung'der sHungersnot in China.
Paris. 12. Dez. Nach einer Meldung aus Peking sind ausländische Banken bereit, einen Vorschuß von vier Millionen Dollar zur Bekämpfung der Hungersnot zn gewähren. Als Garantien werden Zollkontrolle und eine Kontrolle der Ausgaben seitens der Banken gefordert..
IGine französische Nachwahl.
Genf, 22. Dez. Die Nachwahl im französischen Departement Lot-et Garantie hat gestern im zweiten Wahlgang zu einer Niederlage des nationalen Blocks geführt. Beim ersten Wahlgang, am 5. Dezember, erhielt der Kandidat des nativ nalen Blocks 12 996, der Sozialist 12 184, der Radikale 7910 Stimmen, während 4028 Stimmen auf den difsidenten Radi kalen fielen. Bei der gestrigen Wahl hatte sich der offizielle Kandidat. der radikalen Partei zu Gunsten deS Sozialisten zurückgezogen, während der dissidente seine Kandidatur aus- rechterhielt. Das Departement zählt 327 Wahlbezirke. Heute früh waren bei der Präfektur in Agen die Ergebnisse aus 43 Gemeinden noch nicht eingetroffen, weil die Verbindungen durch starke Schneefälle gestört sind. Das Ergebnis aus den übrigen 283 Bezirken ist jedoch derart, daß an dem Siege des Sozialisten nicht gezweifelt werden kann: Dieser hat nach dem Teilergebnis 17 446 Stimmen erhalten, während auf den Kandidaten des nationalen Blocks 12 740 und auf den Radi kalen 5813 entfallen sind. Das Ergebnis ist umso interessanter als eS sich um ein Departement mit durchaus bäuerlicher Bevölkerung handelt und als der Ministerpräsident LeygueS einen der vier Sitze des Departement innehat. „
Polen vor einer Finanzkastrophe.
Basel, 22. Dez. Wie der Warschauer „Courier" meldet, steht Polen unmittelbar vor einer Finanzkatastrcphe von beispiellosen Folgen. Die Warschauer Börsen sind bereits geschlossen. Die polnische Regierung wendet sich an die Alliierten mit der Bitte, eine Rettungsaktion für die polnische Mark einzuleiten.
Don den Eisenbahnern.
Berlin, 22. Dez. Nach Mitteilungen der Eisenbahn- direklion Altona sind, dem „Bert. Lok.-Anz." zufolge in der Zeit vom 1. Dez. 1919 bis 30. Nov. 1920 wegen Güterberaubung, Fundunterschlagung und ähnlicher Vergehen im Eisenbahndirektionsbezirk Altona insgesamt 586 Bedienstete entlassen worden.
Rücktritt des Oberbürgermeisters Leinert.
Hannover, 22. Dez. Oberbürgermeister Leinen, der Präsident der preußischen Landesversammlung, erklärte in der gestrigen Sitzung der städtischen Kollegen seinen Rücktritt. — Die Demokraten hatten den Antrag gestellt, eine Kommission zur Prüfung der Bestände der Hannoverschen Wirtschaftsgemeinschaft einzusetzen, für die der Magistrat die Peilung eines MrlliouendefizitS gefordert hatte. Oberbürger-