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Nr. 23
Frauenarbeit — ein Kulturproblem.
(>v. >v.) Der s. Z. mit dem Nobelpreis ausgezeichnete indische Dichter Rabindranath Tagore schrieb vor einiger Zeit in einem feinsinnigen Aufsatz: „Die moderne Kultur hat in ihrer zügellosen Gier nach Macht und Reichtum die Frau fast ganz aus ihrer Welt gedrängt, und das Heim muß von Tag zu Tag immer mehr dem Geschäftszimmer Platz machen." Diese Entwicklung findet ihren Ursprung in dem gewaltigen Aufschwung der modernen Technik. Insbesondere war es die Erfindung zahlloser Maschinen, die eine wesentliche Vereinfachung der Arbeit herbeiführten; hierdurch wurde erst die Verwendung der Frau in der Fabrik in größerem Umfange möglich. Sv sehen wix seit mehreren Jahrzehnten eine stetige Zunahme der Frauenarbeit in allen Kulturstaaten der Erde.
Will man sich einen-Ueberblick verschaffen über den Anteil der deutschen Frau am Erwerbsleben, so geht man zweckmäßig von den drei großen Berufszählungen der Jahre 1882, 1895 und 1907 aus. Nach der letzten Berufszählung im Jahre 1907 waren bereits 33,8°/o (— 9 482 881) aller Erwerbstätigen (---28 092 117) weiblichen Geschlechts. Nach der allmonatlich im „Reichsarbeitsblatt" veröffentlichten Krankenkassenstatistik war der Beschäftigungsgrad der Frauen und Mädchen am 1. Januar 1914 — 29,6°/» (aller Mitglieder), am 1. Januar 1918 dagegen — 51,2°/». Deutlich kommt hier die starke Inanspruchnahme der Frauenarbeit durch die Kriegsindustrie zum Ausdruck. Mit Beginn der Revolution, dem Zurückfluten der Heere, der sich anschließenden Demo- bilisation wurde naturgemäß das Tätigkeitsfeld der Frau erheblich eingeschränkt. Am 1. Dezember 1919 betrug ihr prozentualer Anteil am Erwerbsleben ^nur noch 40,9°/», was fedoch die Vorkriegszeit immer noch weit übertrifft.
Zum Wiederaufbau unserer Volkswirtschaft können wir die weibliche Arbeitskraft nicht entbehren, aber die Pflicht, daS Verantwortungsgefühl vor den kommenden Geschlechtern, muß uns aufs eindringlichste ermahnen, keinen Raubbau mit der weiblichen Arbeitskraft zu treiben, wie es leider in der nnselig«t-Kriegszeit in großem Umfange geschehen ist. „Die Kultur eines Volkes erkennt man am besten aus der Stellung, welche die Frau einnimmt" heißt es in August Bebels Buch „Die Frau und der Sozialismus".
Tages-Neuigkeiter»
Der Zustand Erzbergers.
Berlin, 27. Jan. Die Röntgenuntersuchung der Schußverletzung des Ministers Erzberger, die unter Hinzuziehung von Professor Hildebrand durch den Hausarzt Professor Dr. Plesch vorgenommen wurde, ergab nachstehenden Befund: Die Kugel, die Teile des Schulterblattes zersplittert hat, sitzt noch.fest. Da größere Blutungen eingetreten sind und die Wunde äußerst schmerzhaft ist, ist es zur Zeit nicht möglich, das Geschoß zu entfernen.
Ein dritter Schuß auf Erzberger.
Berlin, 27. Jan. Ans einer Unterredung, die ein Mitarbeiter des 8 Uhr-Abendblattes beim behandelnden Arzt des Ministers Erzberger^ Prosessor Dr. Plesch, hatte, geht hervor, daß auf den Minister noch ein dritter Schuß abgegeben wurde. Dieser Schuß, der durch die Wagenscheibe ging, hat eine.kleine, aber unerhebliche Verletzung am Kopfe des Ministers hervorgerufen, die von den Splittern der dicken Wagenscheibe herrührt-. Die Splitterwirkung war so groß, daß der Hut des Ministers vollkommen durchsiebt ist.
Die Vernehmung des Täters.
Berlin, 27. Januar. Im Anschluß an das Verhör des verhafteten Oltmig v. Hirschfeld im Polizeipräsidium erfolgte sofort seine eingehende Vernehmung durch Oberstaatsanwalt Krause von der Staatsanwaltschaft I. In dieser Vernehmung hat der Täter im wesentlichen dieselben Angaben wiederholt, die er bereits vorher gemacht hatte. Heute vormittag ist er dem Untersuchungsrichter in Moabit zugeführt worden.
Berlin, 27. Januar. Zu dem Mordversuch auf Reichsfinanzminister Erzberger teilte der I. Staatsanwalt am Landgericht I, Oberstaatsanwalt Krause, mit: Nachdem ich gestern den Täter persönlich im Polizeigefängnis vernommen habe, sind mir heute die Akten zugegangen. Gleichzeitig ist der Beschuldigte in das hiesige Untersuchungsgefängnis eingeliefert worden. Ich habe mit dem heutigen Tage gegen den Beschuldigten die gerichtliche Voruntersuchung wegen Mordversuches beantragt.
Die Kanalisierung des Neckars
als Wasserstraße und Kraftquelle, die, wie schon gemeldet, in Kürze die deutsche Nationalversammlung beschäftigen wird, findet die wachsende Unterstützung weiter Volkskreise im Süden. Es würde damii endlich unter Führung des Reiches ein Werk in Angriff genommen, das längst im deutschen Binnenschiffahrlsgesetz- von 1911 vorgesehen war und eine unerläßliche Voraussetzung bildet für den Wiederaufbau des süddeutschen Wirtschaftslebens. Kaum werden sich — wie am Neckar — irgendwo wieder gleich günstige Bedingungen finden, aus Rechnung reicher Wasserkräfte Arbeitslose in ge-
Donnerstag den 29. Januar 1920
waltiger Zahl produktiv zu beschäftigen und mit demselben Geld gleichzeitig eine neue leistungsfähige Großwasserstraße zu schaffen. Das deutsche Volksvermögen wird durch die Wasserkräfte und den neuen billigen Verkehrsweg des Neckars eine dauernde Bereicherung erfahren. Zudem kann die Strecke Mannheim—Stuttgart—Plochingen Ersatz bieten für den der deutschen Verfügung verloren gegangenen Oberrhein Mannheim—Basel und- mit Recht erblickt man in den reichen Eisenerz-, Salz- und Kalksteinlagern des Schwabenlandes unerschöpfliche Talfrachten für Neckar und Rhein und neue schätzbare Rohstoffe für die ganze deutsche Volkswirtschaft.
Neue deutsche Note in der Auslieferungsfrage.
Paris, 28. Jan. Dem Sekretariat der Friedenskonferenz wurde gestern eine neue deutsche Note bezüglich der Auslieferung der Schüldigen übergeben. Die deutsche Regierung erhebt darin neue Vorwände gegen die Ausführung, des Artikels des Vertrags hinsichtlich der Auslieferung und stellt fest, daß die Auslieferung zweifellos wirtschaftliche und politische Störungen zur Folge hätte und daß die Bergwerke in ihrer Produktion dadurch stark beeinträchtigt würden. Zum Schluß schlägt die deutsche Regierung die Aburteilung der Schuldigen in Deutschland vor unter Mitspracherecht der Alliierten bezüglich des einzuschlagenden Prozeßverfahrens, wie sie es schon früher vorgeschlagen hatte.
Vorbereitung der Antwort an Holland.
Paris, 27. Jan. New Dork Herald schreibt: Die holländische Note, die die Auslieferung des Exkaisers verweigert, wurde in der heutigen Morgensitzung der Botschafterkonferenz besprochen. Die Vorbereitung einer Antwortnote, in der neuerdings auf der Auslieferung beharrt werden soll, wurde einer juristischen Sachverständigenkommission, die dem französischen Außenministerium zugeteilt ist, übertragen. Die Antwortnote wird am Samstag fertiggestellt sein und man erwartet, daß die Vertreter der Alliierten diese der, holländischen Regierung anläßlich der nächsten Sitzung der Botschafteikonferenz am Montag übermitteln werden.
Rotterdam, 26. Ja». Wie „Nieuwe Rotterdamsche Courant" aus London' meldet, schreibt das Regierungsblatt „Daily Chronicle" in einem Leitartikel, die Antwort Hollands sei in Deutschland mit Befriedigung ausgenommen worden, u. zwar nicht allein von den alldeutschen, sondern auch von den radikalen und sozialistischen Blättern. Die Alliierten hätten die Weigerung- der Niederlande erwartet, und sie bedeute wahrscheinlich nicht das Ende des Gedankenaustausches. Das Blatt zweifelt daran, daß man einen Druck auf Holland ausüben wird, dLN vormaligen Kaiser auszuliefern; die Niederlande könnten vielleicht gezwungen werden, ihn zu internieren. — „Daily Chronicle" findet es überraschend, daß die Alliierten ihre Aufmerksamkeit aus den vormaligen Kaiser beschränkt haben, da er doch weniger Aussicht habe, auf den Thron zu kommen, als seine beliebteren Familienmitglieder. Es sei Schade, daß der Friedensvertrag die Bestimmung enthalte,. die Deutschen zu zwingen, alle Hohenzollern für immer aus Deutschland zu verbannen. — Eoening News meldet, der Oberste Rat werde wahrscheinlich die niederländische Regierung ersuchen, einen Juristen abzuordnen, der die Frage der Auslieferung des Kaisers mit den Sachverständigen Hollands und der Alliierten untersuchen könnte. In offiziellen Kreisen würde man einen Prozeß ohne den Kaiser nicht gerne sehen.
„Eoening Standard" meint, der Oberste Rat werde auf seiner Auslieferungsforderung bestehen. — Die Northcliffe- Presse schweigt sich über die Auslieferungsfiage weiter aus.
Die Fuldaer Bischofskonferenz.
Berlin, 28. Jan. Wie dem „Berliner Tageblatt" gemeldet wird, ist die Konferenz deutscher Bischöfe gestern Vormittag in Fulda durch eine feierliche Andacht eröffnet worden. Den Vorsitz führt Kardinal Fürstbischof Dr. Bertram aus Breslau.
Der Streit um die Beute.
Paris, 27. Jan. Die gestern stattgehabte Botschafterkonferenz nahm den Verteilungsplan der deutschen Kriegsschiffe unter den Alliierten an. Es entstand eine längere Debatte über die Frankreich zngesprvchenen 5 Kreuzer und 10 Zerstörer. Die Lieferung dieser Einheiten befriedigte den französischen Admiralstab nicht. Ein Entschluß ist nicht gefaßt worden. Die Botschasterkonferenz vereinigt sich am nächsten Montag wieder.
Prozeß Erzberger-Helfferich
Berlin, 27. Jan. In der heutigen Sitzung beschloß das Gericht nach längeren Beratungen über die weitere Verhandlungsmöglichkeit, zunächst die Verhandlungen auf Freitag vormittag zu vertagen. Es soll dann der Fall Ostropa verhandelt und dazu Zeugen geladen werden. — Der Vorsitzende macht noch bekannt, daß er nach dem gestrigen Vorfall strenge Maßnahmen über Zulassung' zum Zuschauerraum treffen wird. Alle Besucher sollen auf Waffen untersucht werden.
Ein Ultimatum der badischen Eisenbahner.
Mannheim, 27. Jan. Die Eisenbahner hatten gestern nachmittag in dem Nibelungensaal des Rosengartens eine
94. Jahrgang
Hauptversammlung einberufen, um zu der Bewilligung der Vorschüsse durch den badischen Landtag Stellung zu nehmen. Die Versammlung nahm einen stürmischenVerlauf. Es wurde nach Mündiger Dauer folgender Antrag angenommen: Jeder Arbeiter oder Beamte, ledig oder verheiratet, ganz gleich welchen Alters oder Berufs, der an der Eisenbahn beschäftigt ist, erhält einen Lohnvorschuß in zwei Raten, die erste Rate 250 sofort, die zweite in 3 Wochen. Von der Regierung, Haushaltungsausschuß und Finanzministerium, wird hinnen 3 Tagen Antwort ob ja oder nein verlangt. Im verneinenden Fall wird von allen Organisationsvertretern verlangt, sofort das Signal der Arbeitsniederlegung zu geben und gleich darauf mit allen Mitteln im ganzen Lande Arbeiter und Beamte zu verständigen. Ferner wird beantragt, allen Arbeitern und Beamten an der Eisenbahn rückwirkend vom 1. Januar 250 prozentige Lohnerhöhung zu gewähren.
Zur italienischen Eisenbahnerbewegung.
Mailand, 27. Jan. Der „Corriere della Sera" meldet, daß verschiedene Attentate gegen fahrende Eisenbahnzüge ausgeführt wurden. Bei Massa-Carrara wurden auf einen Zug Gewehrschüsse abgegeben. Ein anderes Attentat wurde in Verona verübt. Bei Florenz mußte auf der Linie nach Ponto-Sieve der Zug angehalten werden, da die Schienen sabotiert waren. In Ronco-Scribia bei Genua wurde auf den Lokomotivführer ein Revolverschuß abgefeuert.
Mailand, 27. Jan. Nach dem „Corriere della Sera" haben die Eisenbahner ein Schiedsgericht abgelehnt. Wie der „Messagero" aus Rom meldet, sollen aber Verhandlungen zwischen Vertretern der Eisenbahner und der Regierung einen guten Verlauf nehmen. Die Ausbezahlung des Lohnes für die Streiktage wird von der Regierung abgelehnt. Desgleichen will der Transportminister die Freiwilligen beibehalten, deren Entfernung die Streikenden verlangen.
Aufstand in Syrien.
Amsterdam, 27. Jan. Laut „Telegraaf" meldet die „Times" aus Kairo, daß die politische und die wirtschaftliche Lage in Syrien äußerst ernst sein soll. Alls entbehrlichen Truppen find aus Beirut u. vom Libanon zur Bekämpfung der Aufständischen abgesandt worden.
Zum deutsch-holländischen Kreditabkommen.
In einer Betrachtung über das deutsch-holländische Kreditabkommen in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung heißt es: Das kleine Holland ist es, das Deutschland als erstes hilfreich die Hand reicht, das als erstes dem deutschen Volk ein Vertrauensvotum ausspricht. Neben diesem nicht zu unterschätzenden ideellen Moment tritt weiter in den Vordergrund die praktische Seite für das deutsche Wirtschaftsleben. Wesentlich und von größter Bedeutung für Deutschland ist es, daß es jedem fremden Staat oder jedem Privatmann freisteht, sich dem holländisch-deutschen Abkommen anzuschließen, so- daß also eigentlich dieses Abkommen die Grundlage für einen großen internationalen Kredit an Deutschland bildet.
Im „Berliner Tageblatt" wird eine Unterredung erwähnt, die Reichsfinanzminister Erzberger mit dem Berliner Vertreter eines' holländischen Blattes kurz vor dem Attentat über die holländisch-deutschen Kreditverhandlungen hatte. Erzberger sprach die Hoffnung ans, daß Europa allmählich einsehe, daß ein ruhig arbeitendes Deutschland mit einer endlich von der Verzweiflung des Hungers befreiten Jndustriebevölkerung das erste Ziel Europas sein müsse, zur Abwehr eines offensiven russischen Bolschewismus. Jedenfalls'werde es Holland unvergessen bleiben, diese erste -Lat getan zu haben in dieser Zeit der Debatten.
Der Völkerbund.
Carnarvon, 26. Jan. (Funkspruch.) Wie aus London gemeldet wird, beginnt der Völkerbund heute seine praktische Arbeit. Zum ersten Mal werden deutsche Delegierte an den Beratungen teilnehmen.
Der Anmarsch der Bolschewisten auf Indien.
Paris, 27. Jan. Das Reutersche Bureau bezeichnet die Meldung, daß bolschewistische Kavallerie in Indien eingerückt sei, als unrichtig. Von der indischen Grenze seien die Bolschewisten noch 400 (engl.) Meilen entfernt.
Ententetruppen für den Kaukasus.
HBL. Pariser und Londoner Meldungen besagen, daß der Oberste Rat beschlossen habe, ein Heer von über 200 000 Mann zur Bekämpfung der Bolschewisten in den Kaukasus zu schicken. Ob die Nachricht in dieser Form der Wahrheit entspricht, lassen wir dahingestellt. Es ist jedoch zu berücksichtigen, daß Indien durch den Vormarsch der roten Truppen in Zentralasien ernstlich bedroht ist u. die Lage in Asien den Engländern die schwersten Besorgnisse einflößt. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, daß England sich genötigt sieht, jetzt entschiedener gegen eine weitere Ausbreitung des Bolschewismus vorzugehen.
Kleine Nachrichten.
Berlin, 27. Jan. Die Reichszesttralstelle für Kriegs- und Zivilgefangene teilt mit, daß der Dampfer „Mainz" am