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Ar. 5 Gegründet 1827 Samstag, den 7. Januar 1933 Fernsprecher Nr. 29 107. Jahrgang
Der Beschluß des Ältestenrats
Der Aeltestenrat des Reichstags hat in seiner Sitzung am Mittwoch nachmittag, wie bereits kurz gemeldet, beschlossen, daß der Reichstag auf Dienstag, den 24. Januar einberufen werden soll, um die Erklärung der Regierung entgegenzunehmen. Die Befürchtung, der Aeltestenrat werde sich wie in seiner letzten Sitzung, wieder in langes, zweck- und zielloses Gerede verlieren, hat sich überraschenderweise nicht bestätigt. Vielmehr brachte der Aeltestenrat so viel Entschlußkraft auf, nach knapp dreiviertelstündiger Aussprache den EinberufungsbeschluA zu fassen. Die Anträge der Kommunisten und der Sozialdemokraten, die Einberufung auf den 9- bzw. 10. Januar festzusetzen, wurden aber von der Mehrheit abgelehnt in der richtigen Erwägung, daß man den Reichstagsausschüssen, die am 10. Januar zusammentreten, Zeit zu ruhiger Beratung lassen müsse. Darauf ging gegen die Stimmen der Nationalsozialisten der Vorschlag des Zentrumsabgeordneten Dr. Bell durch, die erste Sitzung auf 24. Januar anzuberaumen.
Die Nationalsozialisten hatten — und das war die zweite große Ueberraschung — den Gegenvorschlag gemacht, den Präsidenten Göring zu ermächtigen, den Einberufungstag festzusetzen, ein Vorschlag, der offenbar bezweckte, die Tagung der Vollversammlung auf unbestimmte Zeit zu ver- schieben. Sehr bemerkenswert war in diesem Zusammen-' Hang die Erklärung des nationalsozialistischen Abgeordneten Dr. Fabricius: wenn man nun schon einmal am 24. Januar Zusammenkommen müsse, dann verlange seine Partei, daß über einen Mßkraucnsantrag noch vor der Regierungserklärung abgeskimmt werde. Er sagte aber nicht, wie die nationalsozialistische Fraktion zu der Frage der Mißtrauenserklärung sich stellen werde.
Der Vertreter der Reichsregierung, Staatssekretär Planck, gab den Parteien unmißverständlich zu verstehen, daß die Regierung zwar lange Zeit Geduld und Nachsicht mit der Zaudertaktik des Reichstags bewiesen habe, daß sie aber jetzt dem weiteren Ausweichen der Fraktionen nicht mehr länger Zusehen wolle. Sie verlange daher, daß über die Akißkrauensanträge sofort in der ersten Vollsitzung eine s
tmre Entscheidung getrosten werde; sie werde sich nicht mit einem nochmaligen Ausweichen vor der Entscheidung Ästinden. Die Reichsregierung fühlt sich also den Fraktionen gegenüber stark genug und scheint entschlossen zu sein, ihre Trümphe der Auflösung und der Neuwahlen rücksichtslos auszuspielen, wenn es die Entwicklung fordern sollte. Eine andere Frage ist, ob sich die Reichsregierung als befriedigt erklären wird, wenn der Reichstag die Mißtrauensanträge zwar nicht förmlich ablehnen, -aber sie doch durch Uebergang zur Tagesordnung erledigen würde. Durch einen solchen Beschluß würden diese Anträge geschäftsordnungsmäßig erledigt werden und die Regierung erhielte die von ihr vom Reichstag geforderte Arbeitsfreiheit.
„Das Ienlrum durchkreuzt die Taktik der NSDAP."
Berlin, 6. Jan. Die „Germania" schreibt, die Sitzung des Aeltestenrats scheine ein Beweis dafür zu sein, daß sich das politische Schwergewicht in den letzten Wochen mehr und mehr zuungunsten der Nationalsozialisten verlegt habe. Außer ihnen habe niemand mehr ein Interesse daran haben können, daß die Klärung der Beziehungen zum Reichskabi- uett und Reichstag auf ungewisse Zeit hinausaezögsrt werde. Während sie in ihrer Presse den Rücktritt des Kabinetts Schleicher fordern, tragen sie eine offene Scheu vor einein baldigen Zusammentritt des Reichstags zur Schau. Das Zentrum habe (durch Ken Vorschlag Bell) die Taktik der Nationalsozialisten durchkreuzt.
Falls der jetzige Reichstag noch länger am Leben bleibt, liegt ihm bereits ein reichhaltiger Beratungsstoff vor. Außer den Mißtrauensanträgen der Sozialdemokraten und Kommunisten sind eine Reihe von Vorschlägen zur Abänderung verschiedener Notverordnungen, Große Anfragen des Zentrums über den Begriff „subventionierte Dekriebe". über die Finanzen u. a., eine deutschnationale Große Anfrage für Schaffung der Stelle eines Staatssekretärs für Handwerk und Einzelhandel und Rentabilität der Landwirtschaft, ferner internationale Abkommen betr. Arbeitszeit im Kohlenbergbau, weiterhin Arbeitsbeschaffungsplan usw.
Tagesspiegel
Der Herr Reichspräsident hak am Donnerstag den Ko- lonialsekrekar a. D. Exzellenz von Lindequist empfangen.
Der Reichspräsident wird bei der Beerdigung des früheren Reichskanzlers Dr. Luno in Hamburg durch Reichsver- kehrs- und Reichsposlminisier Frhrn. Elz v. Rübenäcy v r- trelcn sein. Die Trauerfeierlichkeiken finden in der katholischen Marienkirche stall, worauf die Ueberfühnmg nach d:m Ohlsdorfer Friedhof erfolgt. In der Kirche und am Grab wird nur der Geistliche sprechen.
Halbamtlich wird erklärt, daß von Besprechungen Gre- gor Slraßers mit dem Reichskanzler oder von derartig n Absichten nichts bekannt sei.
Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft hak den Regierungen der Länder und den mit der Vergebung der Reichskredike für die landwirtschaftliche Siedlung beauftragten Stetten die Grundsätze zugehen lassen, nach denen vom 1. Iuli 1932 ab auf die Dauer von zwei Iahren die Jahresleistungen der landwirtschaftlichen Siedler ans Z.5 «. H. — bei Anliegersiedlungen 4 v. H. — gesenkt werden.
Das brennende Wrack der „Aklantique" wurde am Donnerstag nachmittag von der englischen Küste bei Wcymouth aus gesichtet.
Die chinesischen Truppen unter Tschangsueliang haben sich in Ordnung südwestlich von Schanhaikwan zurückgezogen und werfen Schützengräben auf. Sie haben Befehl, weiterem Vordringen auf Peking oder Peiping, wie die alte Reichshauptsiadt nunmehr heißt, äußersten Widerstand zu leisten. Der japanische Außenminister erklärte, nachdem die Japaner ihr strategisches Ziel in Nordchina erreicht hätten, stellen sie die militärischen Unternehmungen vorläufig ein-
Die Besprechung des Reichskanzlers v. Schleicher mit dem preußischen Ministerpräsidenten Braun hat am Freitag vormittag skattgesunden. Das Haupkthema bildete die Frage der Behandlung des preußischen Haushalts vor dem Landtag. Die Besprechung hat ganz in der Linie der Politik des Reichskanzlers gelegen, der um die Beilegung des Konflikts zwischen dem Reich und der alten preußischen Regierung bemüht ist. Weitere Besprechungen werden kolgen.
Der Reichskanzler hat die Vorskandschast des Landbunds empfangen, die ihn von der großen Erbitterung der Landwirte unterrichtete.
Der Reichskommissar für Preußen hak beschlossen, die Universität und die Techn. Hochschule in Breslau zum 1. April 1933 zu vereinigen.
In Münster (Wests.) ist Erzbischof Dr. Poggenburg m 71. Le- bensjahr gestorben. Er war 1S1Z zum Bischof geweiht worden.
Der bekannte Großindustrielle Geheimrat v. Borsig ist in Berlin in: 63. Lebensjahr an einem Herzschlag gestorben.
Der 30. Präsident der Vereinigten Staaken, Calvin Coolidge. ist am Donnerstag im Alter von öl Iahren gestorben. — Loolidge war der Nachfolger hardings und Vorgänger Hoovers. Er war der Typus des puritanischen Neu-Lngländers und wegen seiner großen Schweigsamkeit, die der Amerikaner mit Recht beim Staatsoberhaupt liebt, sehr volkstümlich.
Die Reichsbank beabsichtigt, im Sommer mit einem Erweiterungsbau zu beginnen: die Baukosten werden auf etwa 25 bis 30 Millionen Mark geschäht.
legen schwerer Vergehen gegen die Devisenbestimmungen sind in sclin sechs Bankleute festgenommen worden. — Der Berliner Börsenmakler Nathan Ginsberg wurde wegen Verschiebung von 106 000 Mark verhaftet.
Ausarbeitung und Vertretung
Berlin, 6. Jan. Durch das Urteil des Staatsgerichtshofs vom 25. Oktober ist der alten preußischen Regierung u. a. die Vertretung der Staatsregierung gegenüber dem Parlament belassen worden, und zu den Aufgaben der Staats- regierung gegenüber dem Landtag gehört die Vorlage eines Haushaltgesehes vor Beginn jedes neuen Rechnungsjahrs. Da aber die eigentliche Regierungsarbeit dem R'eichs- kommissar und seinen Beauftragten obliegt, würde sich der merkwürdige Zustand ergeben, daß die Regierung Braun einen Haushaltplan vorzulegen hätte, bei dessen Ausarbeitung sie gar nicht beteiligt ist.
Am Freitag oder Samstag werden nun die Be-- fprechungen zwischen dem Reichskanzler v. Schlei»' cher und dem Ministerpräsidenten Braun fortgesetzt werden und wird dabei u. a. die Haushaltfrage anschneiden: die alte Regierung könne nur einen Haushaltplan vor dem Landtag vertreten oder chm zustellen, wenn sie Gelegenheit erhalte, durch eigene Nachprüfung der Unterlagen und durch eigene Mitarbeit einzelne Teile des Haushaltplans vertreten zu können.
Seitens der kommissarischen Regierung wird dazu halb
amtlich bemerkt, daß gegenwärtig die Vorarbeiten für den Plan in den zuständigen Ministerien noch nicht zum Abschluß gelangt sind, weil man die Absicht habe, im neuen Haushaltplan schon alle die Aend erringen zu berücksichtigen, die durch die verschiedenen Reformmaßnahmen, wie die Auflösung des Wohlfahrtsministeriums usw. notwendig werden. Unter diesen Umständen ist nicht damit zu rechnen, daß der preußische Staatshaushaltsplan fristgerecht, d. h. bis zum 31. März d. I., vom Parlament verabschiedet werden kann. Allerdings werden irgendwelche praktischen Schwierigkeiten für die preußische Verwaltung aus dieser Verzögerung nicht entstehen. .
Reue Nachrichten
Vertagung deutscher Zahlungen an Amerika
Berlin, 6. Jan. Der deutsche Botschafter in Washington teilte dem amerikanischen Schatzsekretär mit. Deutschland werde außerstande sein, die am 31. März fällige Zahlung von 33 Millionen Mark für Ersatz bestimmter Schäden (mixed claims) und amerikanische Besatzungskosten zu leisten.
Nach dem Schuldenabkommen vom 13. März 1930 steht Deutschland das Recht zu, die jeweils halbjährlich fälligen Zahlungen mit dOtägiger Vorankündigung aufzuschieben. Von diesem Recht ist erstmalig zum 30. September vorigen Jahres Gebrauch gemacht worden.
SA. bleibt im Rahmen des Gesetzes
München, 6. Jan. Gegenüber Behauptungen des „Vorwärts" über angebliche Bewaffnung und ungesetzliche Bestrebungen der SA. erklärt die Nationalsozialistische Parteikorrespondenz: „Wie schon unzählige Male betont worden ist. sind alle derartigen Nachrichten frei erfunden."
Lin Nationalsozialist als Leiche aufgesunden
Güstrow (Pommern), 6. Jan. In der Hebel am Mühlenstauwerk wurde die Leiche des 34 I. a. Arbeiters Westphal, der seit dem 10. November vermißt wurde, gefunden. Er war Mitglied der NSDAP. Ob Mord oder Selbstmord vor- liegt, muß die Untersuchung ergeben
Tatsachen und Vermutungen
Schleicher — Stratzer
Berlin, 6. Jan. Ueber die innerpolitische Lage herrscht in den politischen Kreisen noch immer völlige Unklarheit. Um so mehr behilft man sich mit Vermutungen. Trotz der halbamtlichen Wider- legung wird bestimmt behauptet, und es scheint Tatsache zu sein, daß Gregor Slraßer am MiNwock eine Aussprache mit dein
Reichskanzler gehabt hat. General v. Schleicher hat bekanntlich früher sehr gute Beziehungen zu den Nationalsozialisten unterhalten. Da er die Politik niemals mit dem Gemüt, sondern stets mit dem Verstand betrieben hat, läßt er sich durch die gegenwärtigen Angriffe aus dem nationalsozialistischen Lager nicht beirren, sondern hält an der Auffassung fest, das Staatsinteresse erfordere es, die NSDAP, als Ganzes für den Staat zu gewinnen. Deshalb hat er auch die Amnestievorlage eingebracht.
Von der Gegenseite Hai der Reichskanzler bis jetzt weder eine Zusage noch eine Absage erhalten. Und nun fangen die Vermutungen an. Der „Fall Straßer" ist innerhalb der NSDAP, noch nicht erledigt. Der Reichskanzler soll nun entschlossen sein, falls er von Hitler eine Absage erhalte, die Unterstützung und Mitarbeit desjenigen Teils der Partei anzunehmen, der sich um Gregor Straßer gruppiert. Der Reichskanzler und Straßer wollen jedoch anscheinend den Verlauf der Tagung des Reichstags und das Schicksal abwarten, das die nationalsozialistisch« Fraktion dem Mißtrauensantrag bereitet. Sollte der Antrag von der Fraktion unterstützt werden, so glaubt man annehmsn zu können, daß Gregor Straßer mit seinen Freunden aus der Fraktion austreten werde, und dem Reichskanzler stünde es frei, nach der Auflösung des Reichstags in ein offenes Bündnis mit der Straßer-Gruppe zu treten. Man spricht in diesem Fall von einer Vizekanzlerschafk, ja auch zugleich von der preußischen Minister- Präsidentschaft Slraßers oder auch davon, daß er Reichskommissar für Preußen werden könnte.
Wie gewagt diese Vermutungen sind, geht schon daraus hervor, daß zwar der Hessen-Nassauer Dr. Held, also ein Preuße, Ministerpräsident in Bayern werden konnte, daß es aber doch nicht gut denkbar ist, daß der Bayer Straßer zum Ministerpräsidenten in Preußen gewählt oder zum Reichskommissar ernannt werden könnte. Wie groß die Gefolgschaft Straßers innerhalb der NSDAP, ist, ist ganz unbekannt, und Schleicher wird schwerlich die Erfahrung machen wollen, die Brüning mit Treviranus gemacht hat. Di« Deutschnationale Volkspartei wurde zwar gesprengt, aber bei den Neuwahlen zog Treviranus nicht die Mehrheit dieser Partei mit sich, sondern er stand mit wenigen Leuten einsam und ist mit ihnen seitdem von der Bildfläche überhaupt verschwunden. Dem Kabinett Brüning ist Treoiranus eher Hemmung als Stütze geworden.
Popen — Hitler
Die Besprechung Hitlers mit Herrn v. Popen hat, wie jetzt auch die Nat.-Soz. Korrespondenz bestätigt, tatsächlich stattgesunden, und zwar im Haus des Bankiers Baron Schröder in Köln. Reichskanzler v. Papen erklärte dem Düsseldorfer Vertreter des Conti-Nachrichtenbüros: „Ein Teil der Berliner Press« habe an die Meldung von der Unterredung mit Hitler Mitteilungen geknüpft, die frei erfunden sind, so insbesondere dt» Darstellung, als die Unterredung eine Spitze gegen den Reich» kanzler oder die gegenwärtige Regierung gehabt habe. (Angeblich sollte Hitler den Herrn o. Papen ersucht haben, mit Hilfe d«» Obersten v. Hindenburg den Reichspräsidenten zu einer Kan^e»