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Der Gesellschafter

Montag, den S. Oktober 1SSS.

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Zeugenaussagen ehemaliger Kommunisten

Leipzig, 29. September. Gleich nach Eröffnung der heutigen Ver­richtung wird der Zeuge Paul Bien g e unter Aussetzung der Vereidigung über dre Gespräche vor dem Neuköllner Wohlfahrts­amt vernommen. Der Vorsitzende hält dem «euqen alle die Bekundungen vor, die Nariknin und auch van der Lubbe über den Inhalt des Gespräches vor dem Wohlfahrtsamt gemacht haben. Menge er­klärt fast auf jeden Vorhalt, solche Wor- -seien dort nie gefallen.er habe davon nichts gehört, er habe auch

k-in Wort mit van der Lubbe ge- wechselt. Insbesondere bestreitet der «enge, gesagt zu haben, Reichstag und Schloß brauchten wir sowieso nicht mehr. Auch dre Äußerung, man müsse SA.-Leute mit Ben- ün begießen und anzünden, erklärt der «enge für eine grobe Unwahrheit. Aus die 5raqe des Vorsitzenden, wovon eigentlich vor dem Wohlfahrtsamt die Rede war, er­klärt der Zeuge, es sei' lediglich von Ler KPD. gesprochen worden, die jetzt vielleicht mit der SPD. zu­ll Minen gehen sollte. So genau könne er das aber nicht sagen, da er seit sei­ner Militärzeit ziemlich schwerhörig sei.

Auf wiederholtes Fragen des Vorsitzenden, was er auf die Frage van der Lübbes nach der Zentrale der KPD. gesagt habe, er habe darauf überhaupt keine Antwort gegeben. Er bestreitet auch die weiteren Angaben des Zeu­gen Panknin, daß er nach dem Gespräch van der Lubbe zu sich gerufen habe. Auf weitere Fragen erklärt er mit Nachdruck, daß er niemals Mitglied der KPD. gewesen sei, lediglich im vorigen Ok­tober. als er keine Arbeit hatte, will er ei- neu Zettel von der Arbeitsschutzstasfel von der Roten Hilfe genommen haben.

Ter Oberreichsanwalt weist dar- auf hin, daß der Zeuge in einem frühe- ren Protokoll davon gesprochen habe, daß jetzt endlich Maßnah­men ergrrsfen werden müßten. Der Zeuge verneint auch dies, gibt aber dann zu, daß davon die Rede war, es müß- ten gegen die Not der Arbeitslosigkeit Maß­nahmen ergriffen werden, um diese zu be­seitigen.

Trotz zahlreicher ernsthafter Vorhalte bleibt der Zeuge Bienge dabei, den Zachow an dem m Frage kommenden Tage vor dem Wohlfahrtsamt überhaupt nicht gesehen zu Haben. Die Frage Dr. Sacks, ob er nur einmal mit Lubbe zusammen gewesen sei. bejaht Bienge.

Ter Oberreichsanwalt beantragt, Bien­ge nicht zu vereidigen, weil er als Mittäter, Anstifter oder Gehilfe in Frage kommen könnte. Als Senatsbeschluß wird dann verkündet, daß Bienge wegen Verdach­tes der Teilnahme unvereidigt bleibe.

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Als nächster Zeuge wird dann Ianecke vernommen. Er gibt zu, früher Mitglied der

KPD. gewesen zu sein, im Pali 1932 aber wegen persönlicher Tnserenzen aus der Par­tei ausgeschu'den zu sein. Auf eine Frage des Vorsitzenden erklärt der Zeuge, daß in der kommunistischen Zelle, dessen Leiter er war, niemals die Frage des Terrors behandelt wurde, im Gegenteil seien die Zellen Mitglieder ge­gen den Terror gewesen. Es habe sich l e d ig l i ch in der Zelle um eine marx i st i sche Schulung gehau - delt. Die KPD. erklärt der Zeuge, wolle zwar den Umsturz, aber nicht durch Terror, sondern durch Wirtschaftskämpfe. Der Zeuge gibt dann an, später wieder Verbindung mit der Partei gesucht zu haben. Der Vorsitzende ersucht nun van der Lubbe, der wie gewöhn­lich zusammengesunken auf seinem Stuhle hockt, aufzustehen, weil jetzt das Zusammen­treffen des Zeugen Janecke mit van der Lubbe erörtert werden soll. Der Zeuge Ja- uecke wendet sich zu van der Lubbe und ruft ihm laut zu: M a r i n u s, k e n n st D u mich denn nicht? Ich habe Dir doch zu essen gegeben. Der Angeklagte van der Lubbe hält den Kopf nach wie vor gesenkt und schweigt.

Vorsitzender (zum Zeugen): Hat sich van der Lubbe früher auch so Verhalten? Janecke: Da war er sehr lustig und ge- sprächig. Eine vornübergebeugte Haltung Hal­er auch freilich damals schon gehabt. Von einem Gespräch vor dem Wohlfahrtsamt hat der Zeuge Janecke nichts gehört. Er hat nur beobachtet, daß van der Lubbe in einem Kreis von mehreren Personen stand und daß man sehr erregt sprach. Auf die Frage, ob van der Lubbe sich als Kommunist ausge- geben habe, erklärt der Zeuge, er habe ge­sagt, daß er im kommunistischen Sinne tätig sei und daß er etwas machen wolle. Wir haben ihn gefragt, ob er irgendwelche Aus- weispapiere habe und ob er Mitglied der Partei sei. Das hat van der Lubbe verneint.

Vorsitzender: Worin unterschied sich denn van der Lubbe von Ihnen in diesen Auffassungen? Zeuge: Darin, daß er keine Parteidisziplin hatte, daß er nicht nach den Führern sah, sondern im Gegenteil äußerte, daß man nicht erst abwarten dürfe, sondern etwas machen müsse. Auch in ver­letzten Zeit habe ich gehört, daß die Partei den Terror ablehnt. Wenn Ausfälle vor­kamen, so waren sie meiner Meinung nach meistens von Leuten verübt, die keine Schu­lung hatten.

Landgerichtsdirektor Parrisius: Sie haben vorhin einen Unterschied zwischen der Partei und dem Kampsbund gegen den Fa­schismus gemacht. Wußten Sie, daß der Kampsbund gegen den Faschismus eine ty­pisch kommunistische Organisation, gewisser­maßen eine Unterorganisation der Partei war? Zeuge: Ja! Grade in Neukölln ist aber der Beweis erbracht worden, daß dort Elemente im Kampfbund waren, die für den Terror eintraten. Janecke ver­wahrt sich dann gegen den Vorwurf, daß

! er den Plan eines 'Ueberfalles auf das Neu­köllner Wohlfahrtsamt ausgeheckt habe. Tal­sächlich sei ein gewisser Hi ritze der Mann gewesen, der ihn und andere zu einem sol­chen Ueberfall anstachern wollte. Dimi - troff verflicht wieder mehrere überflüssige Fragen zu stellen, die der Vorsitzende ab- j lehnt. Dimitross fragt dann den tags zuvor j vernommenen Zeugen Panknin. ob er j seiner deutichnationalen Parteileitung von dem Gespräch vor dem Neuköllner Wohl- ! fahrtsamt Mitteilung gemacht habe. ! Zeuge: Jawohl. Dimitross: Wann?

! Vorsitzender: Damit ist die Sache ! erledigt. Der Zeuge hat die Frage bejaht, i Dim , lroi s: Das bezweifle ich ganz entschieden.

Es tritt dann eine kurze Pause ein.

Nach der Pause teilt der Vorsitzende mit, daß der von Janecke erwähnte Hrntze nach­träglich für die nächste Woche als Zeuge geladen worden ist.

Es wird dann der Kellner Starker vernommen. Er gibt zu, bis etwa November Mitglied der KPD. gewesen zu sein. Ueber die kommunistischen Zellenabende erklärt er, daß dort besonders von den kommuni­stischen Zielen gesprochen worden sei, aber nicht von Gewaltanwendung. Das Gespräch am Wohlfahrtsamt hat der Zeuge nicht mit angehört. Van der Lubbe habe dann bei ihm gegessen und geschlafen. Nach diesem Zeitpunkt hat der Zeuge van der Lubbe nicht mehr gesehen. Er habe Lubbe zunächst für einen Kommunisten gehalten, aber aus politischen Gesprächen daun erkannt, daß van der Lubbe nicht Kommunist, ja nicht einmal Marxist gewesen sei, weil er eine po­litische Theorie entwickelt habe, die mit dem Marxismus nicht vereinbar sei. Land­gerichtsdirektor Parrisius weist darauf hin, daß der Zeuge in seinen früheren Verneh­mungen nichts darüber bekundet habe, daß van der Lubbe sich zur Arbeiterunion be­kenne. Es fällt mir weiter auf, erklärt Par­risius. daß Ihre Aussagen in dieser Bezie­hung fast wörtlich mit der Aussage Janek- kes übereinstimmen. Der Zeuge Starker be­streitet jedoch, in der Pause sich mit Janecke über dessen Vernehmung unterhalten zu haben. Starker habe zu Janecke lediglich gesagt, er sei ziemlich laut gewesen, man habe ihn bis draußen gehört. Auf eine Frage Parrisius' gibt der Zeuge zu, etwa tmal je eine Nacht als Kellner der Mitropa ui Hoek van Holland gewesen zu sein. Parrisius: Nach meinen Informationen sollen sie 2 bis 3 Jahre in Holland gewesen ! sein, zeitweise auch als Kellner der Bahn- ! hofswirtschaft in Leyden. Der Zeuge be­streitet das.

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Das Gericht entläßt jetzt auch die übrigen für heute geladenen Zeugen und der Vorsit­zende teilt mit, er wolle heute noch den An­geklagten van der Lubbe darüber verneh­men. wie er den Reichstagsbrand ausgeführt habe. Der Vorsitzende fordert den An­geklagten aus, frank und frei zu erzählen, wie er es gemacht habe. Van derLubbe schweigt und hält den Kops gesenkt. Es entspinnt sich dann ein längeres Frage- und Antwortspiel zwischen dem Vorsitzenden und van der Lubbe, bei dem der Angeklagte ent­weder gar keine oder widerspre­chende Auskunft gibt.

Schließlich fragte der Vorsitzende: Haben Sie das Reichstagsgebäude auge­steckt? Van der Lubbe sagt ganz leise: Ja.

Wann haben Sie den Entschluß dazu gefaßt? fragt der Vorsitzende wei­ter. Van der Lubbe antwortet: Kann ich nicht sagen. Vorsitzender: Sie sollen uns fließend erzählen, wie es gewesen ist. Wenn ein Angeklagter die Aussage verwei­gert, dann bleibt mir nichts anderes übrig, als entsprechend zu verfahren.

Der Vorsitzende unterbricht dann die Ver­handlung durch eine kurze Pause, in der zwei große Karten aufgehängt wer­den, auf denen man die Grundrisse des Erdgeschosses ''und des Hauptgeschosses des Reichstagsgebäudes sieht.

Der Vorsitzende schildert auf Grund der in der Voruntersuchung gemachten Angaben des Angeklagten den Weg, den van der Lubbe genommen hat. An der Karte markiert ein Gerichtsangestellter mit einem langen Stab den jeweils vom Vorsitzenden bezeichneten Punkt. Sie sind also, so führt der Vor­sitzende aus, nachdem sie kurz vor 9 Uhr am Reichstag angekommen waren, rechts von der großen Auffahrt nach Uebersteigung des Geländers an der Außenseite des Gebäudes emporgeklettert und sind nach Ueberwindung der Brüstung des Fensters auf den Balkon vor dem ersten Fenster des Restaurants­raumes im Hauptgeschoß angelangt. Im weiteren Verlauf der Sitzung gibt dann der Vorsitzende ein ganz ausführliches Bild des sogenannten Brandweges. Der Vor- sitzende schließt: Sie haben am Schluß Ihrer Vernehmung angegeben, daß Sie glauben, zur Durchführung der ganzen Brandlegung etwa 15 bis 20 Minuten ge­braucht zu haben. Die Proben, die darauf­hin unternommen wurden, haben die Mög­lichkeit bestätigt, daß man in dieser Zeit den Brand machen und die Brandstiftung aus­führen kann.

Das wollte ich heute zur Klarstellung des Brandweges dem Angeklagten Vorhalten. Er ist diesen Vorhaltungen gefolgt und hat ihre Nichtigkeit bestätigt.

Die nächste Sitzung findet wegen des Deut­schen Juristen tages erst am kommenden Mittwoch um 9.30 Uhr statt.

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kkowan von Helnr Llesuvelt Oopvriskl 1932 b>v älberl Osn^en. KIünZien / krinteck In Oennany

KL. Fortsetzung.

Ums Morgengrauen holte ich das Küchsn- beil und spaltete Holz. Dann machte ich Feuer, daß alle im Warmen erwachen soll­ten. Einer der Lehrlinge wollte sich heimlich vom Waschen drücken, weil der Rhein so eisig war. Meister Erl donnerwetterte, daß das Floß ins Schaukeln kam. Ich sammelte die Laternen ein, der Schlepper läutete, die Anker wurden gelichtet. Wieder nahte ein Abschied, abermals muhten wir uns von einer Welt trennen, die uns das Herz erwärmt und die Seele aufgerichtet hatte. In Roden­kirchen kam schon einer nach dem andern in die Bude Meister Erls, um uns die Hand zu geben. Doch sprachen die Flößer nicht viel, weil sie nicht heucheln wollten. Jeder wußte, daß wir einsame Leute waren.

«Mach et kurz", knurrte Meister Erl. Er küßte Maria, er küßte den jammernden Se­bastian. Boche kläffte frech unterm Rock mei­ner Frau. Dort war es am wärmsten.

16.

Rach Muttern!

Mt Sack und Pack standen wir am Kölner Frankenwerft, ich fühlte mich nicht daheim. Zwar waren die Spitzgiebel am Ufer immer noch rissig und schief, zwar hatten die Schel­len der Elektrischen immer noch ihren bellen­den Klang. Aber das Gehabe der Menschen! Ms ich noch Knabe war, liefen wir Gören den Hundefängern fünfzig Meter voraus, um leben Köter zu verscheuchen. Die Kinder von heute hatten andre Freuden: sie lungerten in Rudeln umher, weil Schülerstreik war. Und wese khakigelben Engländer! Jeder dritte führte eine Bulldogge an der Leine, wunder­bar gepflegte Exemplare. Es gab mehr Tier- nebhaber als Menschenfreunde unter den Siegern.

«Wohin, Maria?"

Sie zuckte mit den Schultern, als wollte üe sagen, Ich müßte das besser wissen. Nichts wußte ich besser, doch brachte ich Maria und ven Jungen mit allem Gepäck in eine Kaffee- Artschaft, wo es von fetten Gassenweibern "urunelte. Die Bude war blau vor Qualm,

am Schanktisch kippten Kutscher, Matrosen und Sackträger ihre Schnäpse, aber irgendwo mußte meine Familie solange ins Warme, bis ich ein Dach für sie fand. Die Männer und Weiber an den Tischen sahen, daß sich aus gewiesene Leute hierher geflüchtet hatten. Da gab der eine den Kaffee, der andre den Streuselkuchen, der dritte warf Boche eine Wurstpelle hin. Doch lachte man mich ein­mütig aus, als ich von den unmenschlichen Franzosen sprach. Hier im Stammlokal der Primitiven warf man alle Schuld und allen Haß auf die deutschen Unternehmer. Warum? Es Hütte so in der Zeitung gestanden. Und als ich schüchtern meinte, im Rheingau seien die Großen zusammen mit den Kleinen ins gallische Gefängnis gewandert, da schwiegen die Erhitzten zwei Herzschläge lang, bis ein junger Tätowierter auch diesem peinlichen Verstummen aus der Verlegenheit half: Den Unternehmern sei jedes Mittel recht, um die Kleinen zu chloroformieren!

Ich verließ entwaffnet die Kneipe, ging über die Hängebrücke, wollte ins Deutzer Ho­spital. Fragte dort nach Schwester Rosa Vi- terbo, fragte auch nach deni Doktor mit der Brille und den gutmütigen Chinesenaugeu. Beide kamen, beide schüttelten die Köpfe: Wer ich denn sei? Was ich denn wollte? Die Zunge keilte sich mir in den Gaumen. Ich stockte, stammelte, nannte meinen Namen, sagte, ich sei doch derjenige, der damals im November 1918 das Mädchen aus dem Was­ser geholt habe, ich hätte doch unten rechts in der Stube gelegen . . .

Der Doktor lachte und ging. Schwester Rosa Viterbo blieb und tröstete mich, ich dürfte nicht erschrecken, es würden fast alle Tage lebensmüde Mädchen ins Haus ge­bracht, damals sei noch Kriegsbetrieb ge­wesen, einzelner Namen und Gesichter könnte man sich unmöglich erinnern.

Aber die Maria Selbach hat doch hier ihr Kind zur Welt gebracht!"

Die Nonne senkte die Augen, strich sich über die wächserne Stirn:Ja, der Name kEMt mir jetzt bekannt vor, aber wissen

Lie, ver uns war das schon so oft so viele Mädchen Kinder zur Welt"

Es war mir, als würden meine Augen in die Stirn gedrückt. Hätte ich jetzt um Ob­dach und warmes Essen gebeten, wäre ich wie ein Hochstapler erschienen. Unser Schick­sal teilten viele? Unsre Not war nicht so groß gewesen, daß man sich ihrer erinnerte.

Schwester, es gibt wohl viele Hospitäler in Deutschland?"

Viele, sehr viele, n kann sie gar nicht zählen!"

Do ging ich. Und meinte die Pflaster­steine wären weiche Kissen. Ich torkelte und

hatte doch nichts getrunken. Meine Knie zit­terten, Angst quoll aus allen Poren, ich wurde erst wach, als ein Menschenknäuel auf der Brückenrampe lärinte. Zwei Offi­ziere zerschlugen sich mit den Fäusten. Ein Engländer und ein Franzose.Gib ihm ! Saures", schrien die Kölner dem Tommie ! zu. Und er gab ihm Saures. Entente cor- diale. Ein Militärpolizist machte dem Spuk ein Ende, der Franzosenleutnant wurde in die nahe Kürassierkaserne getragen, den Tommie hoben die Kölner auf die Schul­tern.The Frogs are dirty People", fluchte der Brite. Würdig War das Spektakulum mitnichten, aber der Franzose hatte einen

deutschen Zivilisten angerempelt, Tommie wollte das nicht gutheißen.

Ich lief dem Menschenstrom nach, kam

wieder nach Köln, sah die gläsernen Dächer der Markthalle, dachte an Witwe Jodokus Himmelreich. Und kam in den lärmenden Palast, wo es wieder Gemüse, Aepfel, Fleisch, Käse und Eier in protzigen Bergen gab, wie hungrig und ausgequetscht waren wir doch 1918 gewesen! Ich suchte den Stand, auf dem ich den Handlanger gespielt hatte, aber das Schild der Mutter Himmelreich aus

Efferen am Vorgebirge war verschwunden. Ich fragte andre Marktfrauen, niemand wollte etwas wissen. Nur ein alter Sack- träger knurrte mich über die Seite an, die Witwe Himmelreich sei längst tot. Das konnte stimmen, die Alte hatte damals schon die Beine voll Wasser.

Ich ging wieder zur Frankenwerft und öffnete die Kneipe, wo mir das Gesicht Sebastians entgegenlachte. Man hatte den Bengel mit Schokolade gefüttert, er starrte vor brauner Schmiere, die Menschen aus dem Volke kreischten. Sie hatten schon ein

Herz, vielleicht war diese Tugend gewichtiger als alle Unwissenheit?

Maria hockte bleich in der Ecke. Ich sah, daß sie welk war und Augenränder hatte wie eine schwindsüchtige Wöchnerin. Frau Sorge. Ihr stumpfer Blick erlöste sich auch nicht, als ich den mutigen Lächler spielte. Da fühlte ich mich schuldig und mußte mich entscheiden.

Maria komm!"

Wohin, Manes?" §

Mit mir!"

Sie zögerte nicht, fragte nicht, sie nahm nur den Jungen, griff nach dem Koffer, stand auf. Ich wußte: Sie folgt mir wieder blind und fragt nicht, weil ihr dieses Fol­gen ein Gesetz ist.

Die Leute aus der Kneipe verstummten. Sie hatten schon alles für Maria und ihr Kind bezahlt. Einige hundert Milliarden. Ich dankte den Freigebigen und jeder schien sich zu schämen. Boche winselte, er fürchtete wohl die schneidende Luft des Rheinufers. Auf der Straße merkte ich, daß ich den Korb mit den Kleidern vergessen hatte. Da ging ich zurück in die verqualmte Budike, schon umdrängten mich die Männer und Weiber. Sagten, sie hätten noch Platz daheim, eng aber friedlich. Ich schlug es aus, und alle waren gekränkt.

Wir flohen von i.uem, die Laternen brannten schon, im Stapelhaus spielte die Musik der Engländer eine vertraute Melo­die: Wer will unter die Soldaten, der muß haben ein Gewehr . . .!

Wohin gehen wir, Maria?"

Sie keuchte Dampfmollsn, der kalte Wind machte ihr die Augen naß.

Ich möchte zum Bahnhof, Maria. Wir fahren zu deiner Mutter!"

Da stolperte sie vor Glück. Da kam es stockend aus ihrem Munde: Das sei wie im Traum. Der Vater werde sich wohl ver­söhnen lassen. Der Alte müsse doch einsehen. daß sein Kind die Prüfung bestanden habe.

Maria redete sich heiser und schluckte und schluchzte dabei. Gewiß ihre Prüfung war bestanden. Meine Frau wäre zum Nordpol mit mir gewandert, wenn ich das verlangt hätte.

(Fortsetzung folgt).