Seite 7 — Nr. 12
Nagolder Tagblatt »Der Gesellschafter*
Samstag, den 16. Januar 1932.
Kleine Auseinandersetzung
Skizze von G. Wilhelm S a n d r o ck.
Bedauerlicherweise sind manchmal die lächerlichsten Zufälle dazu angetan, das Glück zweier Menschen zu zerstören. Das Schicksal hat sich eben leider immer noch nicht dem Geschmack der Zeit anpassen und daran gewöhnen können, zu jedem Geschehen, das dazu gehörige „happy end" zu finden.
Da ist die traurige Geschichte von Ellen und ihrem August. Die beiden lernten sich eines kühlen Herbsttages vor dem Schaufenster eines Mäntelhauses kennen. Ellen trug ein bescheidenes Kostüm für 21 Mark und 75 Pfennig. Aus diesem Grunde betrachtete sie wehmütig die Pelzmäntel, die in der Auslage lockten. Da gesellte sich ein junger Herr zu ihr, der elegant gekleidet war und auch sonst recht gut aussah.
Ellen erkannte mit einem Seitenblick, daß ihr Nachbar Mitgefühl für sie und ihre auf einen Pelzmantel gerichtete Wünsche hatte. So war sofort das Band der Sympathie zwischen beiden geknüpft, und August durfte das junge Mädchen ein kleines Stück begleiten.
Man sprach, weil das der beste und Nächstliegende Anknüpfungspunkt war, über die schlechten Zeiten, und fünf Minuten später wusste Ellen, daß ihr neuer Bekannter sich der berechtigten Hoffnung hingab, trotz der bejammernswerten Wirtschaftslage ganz gut durch den Winter zu kommen. Diese angenehme Eröffnung hatte aber sicher nicht den geringsten Einfluß auf Ellens Entschluß die Bekanntschaft mit dem wohlhabend aussehenden jungen Mann weiterhin zu pflegen. Nein, so materiell dachte Ellen nicht. Höchstens an einen Pelzmantel.
Also traf man sich bald wieder und die gegenseitige Zuneigung erwies sich als so groß, daß man einander nach einer Woche duzte. Bei der letzten Zusammenkunft war auch die Pelzmantelfrage vorsichtig gestreift worden. Augusts Antwort ließ darauf schließen, daß er diesem Problem durchaus nicht feindlich gegenüber stand, sondern geneigt war seiner Lösung näher zu treten, sobald er die beseligende Gewißheit besitzen würde, die damit verbundene Kapitalsanlage werde eine nutzbringende sein.
Ellen freute sich über diese Antwort sehr. Sie in ihrem kindlichen Gemüt hatte sich zwar eine Liebeserklärung etwas anders, etwas feuriger vorgestellt. Aber sie war genügend Kind ihrer modernen Zeit, um über so einen Schönheitsfehler schweigend hinwegzugehen, und sie konnte August in jeder Weise beruhigen: „Du bist der erste und einzige!"
Sie war so vernünftig genug, einzusehen, daß sie nicht noch am gleichen Abend, da sie den beseligenden Ausspruch tat. den Pelzmantel verlangen konnte. Außerdem war es schon längst nach Geschäftsschluß. Also begnügte sie sich damit, daß August vorschlug: „Wollen wir nicht in ein Cafe geben?"
— „Ach ja, gern, wenn Du Dich nicht schämst, Dich mit mir in meinem Fähnchen sehen zu lassen."
Davon konnte, wie August versicherte, gar keine Rede sein. Ellen sei ihm auch so schön genug, und außerdem mache es ihm Spaß, einmal seinen sonstigen Gewohnheiten zuwider ein bescheideneres Lokal aufzusuchen. Sicher gäbe es da lauschige Ecken, in denen man besser plaudern könne als in den lichterfüllten Kaffeehauspalästen und vornehmen Gaststätten. die er sonst zu besuchen pflege. Ellen war ihm für diese weltmännische Bescheidenheit dankbar.
Also gingen sie auf die Suche nach diesem kleinen gemütlichen Lokal. Sie mußten dabei die Hauptverkehrsstraßen verlassen, und sie fanden sich bald in einer Gasse allein. Dagegen hatten beide im ersten Augenblick nicht das geringste einzuwenden.
Die Lage änderte sich aber sofort, als aus einem finsteren Hausflur ein Mann hervortrat und August eine mattschimmernde Pistole unter die Nase hielt: „Das Geld oder das Leben!"
Ellen war zu verdutzt, um etwas sagen zu können. August aber erfaßte die Lage mit einem Blick, griff in seine Tasche und gab seinen Geldbeutel her: „Alles, was ich bei mir trage. Zweihundert Mark."
Da erwachte Ellen aus ihrer Erstarrung: „Zweihundert Mark!" Ihre Augen leuchteten im schwachen Schein der Straßenlampe grün vor Wut: „Zweihundert Mark! Mein Pelzmantel!" Und ungeachtet der drohenden Pistole schlug sie dem Straßenräuber die Faust ins Gesicht, und mit der anderen Hand griff sie nach dem Geldbeutel.
Erschrocken krachte ein Schuß. Die Kugel pfiff an Ellens Backe vorbei und schrammte das reizende Oehrchen.
Doch den Geldbeutel hielt der Straßenräuber fest, und im nächsten Augenblick lief der Mann davon. August atmete hörbar auf.
Ellen fand zwar diese spontane Gefühlsäußerung ein wenig unmännlich, aber die Wut über die verschwundenen 200 Mark ließen sie über Augusts Haltung nicht weiter Nachdenken. Dafür schrie sie umso lauter in die Nacht hinaus: „Polizei, Räuber, festhalten!"
Der Erfolg ihrer Rufe war verblüffend. Der Räuber wollte gerade um die nächste Ecke biegen, als zwei Schutzleute auftauchten. Er lief ihnen förmlich in die Arme, war eine Biertelminute später wehrlos gemacht. Triumphierend schritt Ellen hinter dem Verhafteten her zur Wache. Augusts Schritt klang merkwürdigerweise ein wenig schleppend.
Der Tatbestand war bald festgestellt. Der Wachhabende beglückwünschte Ellen zu ihrem mutigen Auftreten. Daß er nach all dem Gehörten August mit einem kurzen Seitenblick maß, war nicht weiter erstaunlich. Nach Lage der Dinge fand es der Beamte auch ganz natürlich, wenn die junge Dame auf seine an ihren Begleiter gerichtete Frage: „Wieviel Geld war im Beutel?" antwortete: „Zweihundert Mark."
„So?" sagte der Wachhabende erstaunt und blickte August fragend an: „Zweihundert Mark? Hier sind nur eine Mark und 57 Pfennig!
August sah hilfesuchend um sich. Er entdeckte nur die weit aufgerissenen Augen Ellens und erkannte, daß ihm aus ihnen keine Hilfe kam. So nickte er kleinlaut: „Mehr Geld war auch nicht drinnen."
Da sagte Ellen kalt und hoheitsvoll, zum Wachhabenden: „Brauchen Sie mich hier noch? Nein? Dann guten Abend!" Ihren August würdigte sie keines Blickes.
Doch an der Tür wandte sie sich noch einmal. „Aufschneider!" fauchte es durch den Raum. Dann knallte die Tür hinter Ellen zu.
Der Räuber grinste. Das Erlebte war ihm ein schwacher Trost in seinem Pech.
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Kv 8 ts 1 üer k« 88 l! 86 katter mit 8 kiv 6 N vielen kevsgev sv Veste b >8 31 . 3 svnsr.
Ka mer, mei Seel, fast net verhehla.
Denn satt er „hischt" no sait sui „hott":
Es ischt, bigott, a Schand ond Spott!
Ond sait er „hott", no sait sui „hischt":
Ond wenn dr Frieder z'frieda ischt,
No wurd se wild ond macht en Lärm Ond zoegt ein Frieder d< Fäuscht ond d' Aerm, Bis zmol en deam Dischkurs ond Streit Dr Frieder uff am Voda leit.
Hoorgnau a so isch domols gwea:
Dös Hot mit oegene Auga gseah Dr Nochber, dear grad komme isch Ond fend't da Frieder ontram Tisch.
Dös send, potz Türka, domme Sacha Ond er ond süi hent nex zom Lacha.
Doch sui ka sich en sötte Laga Schnell wieder fassa, muaß mer saga:
Drom stoht se z'mol wia Lämmle na Ond sait zom Frieder, iahrem Ma:
„Komm ruff! Dr Nochber will de bsuacha!
Du kascht dean Zehner morga suachal"
Doch, onser Nochber isch em Klara,
Sonst hättet's andre net erfahra. Emir.
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Witzecke
Fritz schreibt einen Schulaufsatz über den Menschen: „Durch den Körper des Menschen geht eine Stange, die Rückgrat heißt. Auf dem einen Ende sitzt der Kops, auf dem anderen sitzen wir selbst."
Er kennt sich. „Wenn Sie' plötzlich hundert Schilling in ihrer Weste fänden, woran würden Sie zunächst denken?" „Daß ich eine falsche Weste anhabe!"
Enkes Gedächtnis. „Mein Gedächtnis ist ausgezeichnet!" sagt Herr Meier. — „Nur auf drei Dinge kann ich mich schlecht besinnen: erstens auf Namen, zweitens auf Gesichter und drittens auf - hm — zum Donnerwetter, es ist mir ganz entfallen, welches das dritte Ding ist!"
Schrecklich! .Wieviel Kinder haben Sie? — „Drei - und mehr gibts auf keinen Fall." — Warum nicht?" - „Ich habe gelesen, daß jedes vierte Kind, das zur Welt kommt, ein Chinese ist."
Moderne Ehe. „Ja", sagte Frau Müller, „mein Mann ist schrecklich nachlässig. Immer sind die Knöpfe an seinen Sachen abgerissen." — „Vielleicht, Emilie", antwortete die Freundin freundlich, „wurden sie nicht fest angenäht." — „Das ist es ja gerade! Er näht sie stets so flüchtig an."
A Lämmle
's passieret oft em Leaba Sacha,
Dia send zom Heula ond zom Lacha.
So Hot se's kürzlich amol gea,
Do Hot sts ischt wo em Äemtle gwea) —
A Weib mit a-m-a giftga Zah A-n-andre Moenong wia iahr Ma.
Do wär no net viel drüber z'saga,
Sonst hättet älle Männer z'klaga.
Doch dean Fall, dean i will verzähla, l
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Zumpe mach! Karriere
Eines Pechvogels lustige Geschichte von jfrih Körner
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Die Kassiererin, eine nicht mehr ganz junge Dame, die Den schönen Namen Elli Schallert trug, warf dazwischen: „Das wird Herr Stallbaum doch nicht tun! Einen so eleganten Menschen . . .!"
„Iefällt Ihnen wohl, der Bengel?"
„Gott, was heißt gefallen! Ich seye schöne Männer gerne!"
„Sehr jut! Passen Sie man uff, Frollein Schallert . . Der kommt erst in den Packraum und da kriegt ihn Billy Wickel der Boxamateurmeister von Brandenburg, in die Hände. Billy ... ist ein ruppiger Kerl!"
Und es war so, wie der prophetische Buchhandlungsgehilfe geahnt hatte.
Herr Stallbaum hielt ungeheuer würdevoll eine längere Rede, in der alle die Schlagworte, die eben vorgetragen worden waren, vorkamen.
Anton ließ die Rede stillschweigend wie einen Wasserfall über sich ergehen. „Man muß die Leute reden lassen, dann werden sie von selber wieder still," dachte er.
Und dabei setzte er eine so aufmerksame Miene auf, als lausche er einem spannenden Kriminalroman von Wallace, daß Stallbaum plötzlich den neuen Volontär ganz nett fand und seine Rede, weil sie gar so gut gefiel, noch etwas ausdehnte.
Aber alles hat ein Ende. Die Rede auch.
„. . . und damit Sie nun den Buchhandel von Grund auf kennen lernen, werden Sie 14 Tage im Packraum arbeiten. Sie müssen von der Pike auf beginnen! Müssen
ersl mal lernen, wie man einen Buchhandlerknoten macht! Können Sie den?"
„Nein! Mein Vater hat'mir nur den Schuhmacherknoten gelernt!"
„Den müssen Sie lernen, dann packen, richtiggehend packen! Das müssen Sie können!"
Zumpe nickte. „Werde ich, Herr Stallbaum! Gut, ich arbeite erst im Packraum."
Seine Willigkeit gefiel.
„Und dann ... ich sehe meine jungen Leute immer gern gut angezogen, aber ... in dem Aufputz können Sie nicht arbeiten."
Zumpe nickte gleichmütig. „Gewiß! Das ist ja auch gewissermaßen meine festliche Fassade . . .!"
„Ihre festliche . . . Fassade!" sagte Stallbaum und durchbohrte Anton mit den Blicken, als wenn er ihn zur Ordnung rufen wollte.
„Jawohl!" sagte Anton ganz gleichmütig. „Ich wollte mich Ihnen doch als Gentleman vorstellen! Sie haben doch gewiß Verständnis dafür . . .! Gewiß doch, das ziehe ich aus! Ich habe mir einen Leinwandkittel mitgebracht, da kanns dann im Packraum losgehen!"
Stallbaum reichte ihm die Hand.
„So seien Sie mir also willkommen! Hoffentlich werden Sie unserer Firma eine wertvolle Kraft."
„Ich danke Ihnen, Herr Stallbaum! Werde mir alle Mühe geben."
*
Anton zog in den Packraum ein.
Adolf brachte ihn dahin, nachdem er ihn bei dem Personal vorgestellt hatte.
„Hier bringe ich meinen Bruder!" sagte er zu den Anwesenden, die man in dem Halbdunkel nicht so richtig unterscheiden konnte. „Er soll 14 Tage im Packraum arbeitend"
„Jemacht, Herr Zumpe!" tönte Billy Wickels Stimm« aus der Ecke.
Adolf reichte Anton die Hand. „Hals- und Beinbruch? Der Alte ist etwas geladen auf dich! Du mußt ihm etwaB . . . anders kommen!"
„Passiert noch! Passiert noch! Abwarten!"
Billy Wickel, der Markthelfer oder Hausdiener, wie sie in Berlin heißen, kam näher und betrachtete den Neuankömmling.
„Also Sie sin' Anton Zumpe, der Bruder vom Herr» Prokuristen?"
„Bin ich!"
„Na jut! Ick bin Billy Wickel, Hausdiener, und det hier sin' meine zwee Kollegen Orje und Peter."
Zumpe hatte sich an das Licht soweit gewöhnt und betrachtete die drei Gestalten.
Billy war ein großer, ungeschlachter Kerl, etwa in feiner Statur, ihm fehlte nur das ausgeglichene Harmonische. Orje war ein kleiner, krummbeiniger Rotkopf mit einem unbeschreiblich dreisten Gesicht. Ein typisches Ohrfeigengesicht.
Peter war auch groß und stattlich. Er schien von Natu, stiller und gutmütiger zu sein.
Nacheinander schüttelte Zumpe den Dreien die Hand, dann sagte er: „Also denn man rin ins Vergnügen! Wo kann ich mich ausschälen?"
„Häng'n Sie's dort hinter an den Nagel!"
Anton kleidete sich aus und zog den weißen Kittel über.
„Sie sin nich aus de Branche?"
„Nee! Ganz unbekannte Materie!"
„Wo waren Sie denn früher?"
.Ministerium!"
„Donnerkiel! Und von da sind tRe fort?
(Forts, folgt.',