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Nr. 147 Gegründet 1827 Samstag, den 27. Juni 1931 Fernsprecher Nr 29 105. Jahrgang

Zwölf Jahre Versailles

Der Totentanz ist nur unterbrochen Nieder mit Versailles!

Am 28. Juni 1819 wurde der Versailler Vertrag von unseren Vertretern unterzeichnet, nachdem er sechs Tage zuvor von der Mehrheit der Nationalversammlung ange­nommen worden war.

Inzwischen sind zwölf Jahre über das geknechtete und verarmte Deutschland dahingegangen. Eine zwölfjährige ^ Leidensgeschichte, an deren Ende eine wirtschaftliche Not

^ steht, wie sie wenige groß« Völker erlebt haben. Auf dem

letzten Markstein stehen die Worte:Notverordnung vom 5. Juni 1931". Sie beideutet oder soll wenigstens bedeuten: Deutschlands letzte Kraftanstrengung". Was dann? Viel- ! leicht ein Chaos von dem Ausmaße, wie es der Zusammen­bruch von 1918 oder die Inflation von 1923 waren? Daß es mit Deutschland schlimm, sehr schlimm steht, zeigt die Tat des amerikanischen Präsidenten vom letzten Sonn­tag. Der Aufruf zu einem einjährigen Weltmora­torium ist ein SOS.-Rus für Deutschland, kurz vor zwölf Uhr, von so großer Dringlichkeit, daß kein« Stunde Aufschub mehr möglich ist. Wohl handelt es sich nur um eine kurze Galgenfrist. Und wenn nicht in dieser Schonzeit die Ketten von Versailles gang gelöst oder wenigstens stark gelockert werden, bann stehen wir übers Jahr genau wieder an dem­selben kritischen Abgrund wie heute.

Es ist bezeichnend, daß an diesem Schluß- und Wende­punkt wiederum ein a m e r i k a n is ch e r Name steht. W i l- son Da wes Poung Hoover: sie bedeuten auch vier Etappen der deutschen Nachkriegszeit. Wilson hat uns, wie der Rattenfänger von Hameln, unter den Frie- d'ensschalmeien seiner 14 Punkte in die Hölle von Versailles gelockt, wo man uns mit schweren Ketten an den Marter- ^ pfähl band und.zu unserer Bewachung den Völkerbund als ! Zerberus vor das Tor setzte. Dawes hat uns einen Tri­butplan zur Zahlung auf unbestimmte Zeit vorgelegt, schön ! garniert mit einer Transferklausöl, damit die deutsche Wäh­rung nicht abermals ein Salto mortale mache. Doung ! hat unsere Jahresrenten herabgesetzt, dafür aber sie auf zwei Generationen verlängert und den Währungsschutz un­terschlagen. Als kleines Pflästerchen bot er uns für den äußersten Notfall ein zweijähriges Moratorium und dieses nur für den aufschiebbaren Teil der Annuitäten an.

Und jetzt der vierte Amerikaner! Hoover kündigt auf 1. Juli bas großeHell- und Jubeljahr" an, aber kein sol­ches, bas alle Schulden erläßt, sondern nur eine Erholungs­pause für das arme gehetzte Wild gewährt. Dann kann der Totentanz von neuem losgehen. Aber er hat doch etwas für uns getan, eine kleine Wohltat, genau so wie seine drei an­deren Volksgenossen. Freilich nicht aus Mitleid. Nein, die böse Welt meint, aus purem Egoismus, damit nicht die Mil­liarden Dollar, die in Deutschland investiert sind, auch noch in den Orkus verschwänden.

Doch sei dem, wie ihm wolle. Eines ist gewiß: die zwölf Jahre seit Versailles haben uus immer tiefer ins Elend ge- > führt, und wenn ab und zu es anders aussah, so waren es kurzfristige Silberstreifen, Illusionen, die auf Grund neuer und immer wieder neuer Anleihen bewußt oder u: bewußt uns vor :gaukelt wurden, bis man es uns nicht mehr verhehlen konnte. So sprach am 27. Mai 1939, also vor etwa einem Jahr, Minister Dr. Stegerwa l d :Wir stehen jetzt vor der furchtbaren Realität, daß wir in den i letzten I a h r.en v iels a ch i n Illusionen gelebt ! und infolgedessen in unserer ganzen Politik ein groß e^s Maß von Vertrauen verwirtschaftet haben", . und kurz darauf sein Herr und Meister Dr. Brüning (29. Juli 1939):Wir haben uns in Deutschland in den vergangenen Jahren in Illusionen hineingewiegt.. - Man habe an eine günstige Entwicklung geglaubt. Das ist eine völlige Illusion gewesen." Aber die, die damals gewarnt haben, sind nicht gehört worden.

Zwölf Jahre Versailles ist des Elends genug! Nieder mlt Versailles!

Durch die nächtliche Rundfunkrede des Reichskanzlers ist das dringendste politische Problem des heutigen Europa, ! das Verhältnis zwischen Deutschland und Frank­reich, wieder stark in den Mittelpunkt der öffentlichen Erörterung gerückt worden. Wenn man den Aeußerungen der deutschen Linkspresse Glauben schenken dürfte, dann wäre Deutschland in erster Linie an der Spannung schuld, die seit einigen Monaten zwischen beiden Ländern in ver­stärktem Maße besteht. Nirgends ist die Zollunions­politik der beiden deutschen Länder so andauernd kriti­siert worden, wie in einem Teil der deutschen Linkspresse. Zuerst sprach man davon, sie seiunzeitgemäß", später ging man dazu über, diese Aktion und dazu den Stahlhelm­aufmarsch in Breslau dafür verantwortlich zu machen, daß sich das deutsch-französische Verhältnis abgekühlt hat.

Wenn von diesen Kreisen die neue Kanzlerrede begei­stert begrüßt wird, dann ist doch wohl der Hinweis not­wendig, daß die Brüningsche Politik sehr weit verschieden

ist von dem, was in gewissen Redcktionsstubcn der deut­schen Linkspresse immer wieder empfohlen wird. Denn die Politik der deutschen Linken, soweit sie durch diese Presse­organe gemacht wird, läuft darauf hinaus, daß Deutsch­land unter allen Amständen mit Frankreich zu einer Eini­gung gelangen müsse, wobei die letzten Absichten und Me­thoden der französischen Politik gründlich verkannt wer­den. Diese Kreise vertreten die Auffassung, daß Deutschland nur seinen Friedenswillen, beispielsweise durch das Verbot des Stahlhelm, durch die Unterdrückung der nationalen Be­wegung und durch den Verzicht auf eine eigene außen­politische Linie zu beweisen brauche, um dadurch in Frank­reich denFriedensfreunden" sofort zur Macht zu ver­helfen. Diese Auffassung ist immer wieder durch die Tat­sachen Lügen gestraft worden. Trotzdem wird sie in Deutsch­land weiter verfochten, ohne Rücksicht darauf, daß die frarp

zösische Linke, sobald sie politische Verantwortung hat, genau dieselben Maßnahmen trifft und c heißt wie die jetzige französische Regierung.

Was der Reichskanzler in seiner Rundfunkrede vor­geschlagen hat, ist ganz etwas anderes. Die Feststellung, daß die Gestaltung des deutsch-französischen Verhältnisses für die weitere europäische Entwicklung entscheidend sein wird, kann kaum einem Widerspruch begegnen. Wenn Brü­ning nun in der jetzigen Lage den Franzosen eine offene Aussprache vorschlägt, dann kann dieses Angebot für Deutschland nur international günstig wirken, zumal es jetzt in erster Linie darauf ankommt, die Verantwortlichkeit für die kommenden Ereignisse von vornherein klarzustellen. Die französische Politik ist durch die Aktion des Präsidenten Hoover in die unangenehme Lage gebracht worden, endlich einmal klar Farbe zu bekennen. Wir sind jetzt an den Punkt gelangt, an dem die allgemeinen Phrasen nicht mehr -ausr«üchen, mit denen Frankreich es bisher stets verstanden hat, seine eigentlichen imperialistischen und militaristischen Ziele geschickt zu verdecken. Man kennt in Frankreich diese Gefahr und versucht, neue Ausflüchte zu machen, um an einer klaren Entscheidung vorüberzukommen. Eine Klä­rung der Gegensätze und Verständiaungsmöalickkeiten durck

Soweit die Pariser Morgenblätter sich mik dem Zeit­punkt des Besuches des Reichskanzlers und des Reichsaußen- minislers in Paris beschäftigen, sprechen sie, wie auch der Makin", von den ersten Tagen des Juli, einzelne nennen den 4. Juli. Der Besuch würde bis zum 6. Juli dauern.

Der Berliner Polizeipräsident, Grzefinski, hat das am 20. Juni erlassene Verbal der roten Spartakiade wieder aufgehoben. An diesem Verbot ist sicher auch das Reich»- innenminiskerium beteiligt gewesen, zumal die Notverord­nung des Reichspräsidenten vom März 1931, die der Reich»- Regierung unbeschränkte Dikkaturbefugnisse verleiht, das Reichsinnenministerium verpflichtet, alle offenen Vorberei­tungen zum Bürgerkrieg zu verhindern.

Im Rkmkgenkhaler Mordprozeß verurteilte das Schwur­gericht beim Landgericht III Berlin den Arbeiter Willi Ret­tich wegen Beihilfe zum Mord und versuchten Mord« zu drei Jahren einem Monat Zuchthaus, den Arbeiter Alfred Schultz wegen des gleichen Delikts zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren.

Der Streik der Milchauslröger in Sevilla hak zu ver- schiedenen Zwischenfällen geführt. Es wurden Revolver­schüsse gewechselt und mehrere Verhaftungen vorgenommea. Angesichts des Streiks der Arbeiter der Gas- und Elektri­zitätswerke faßt der Gouverneur die Aufrechlerhaltung der Betriebe durch Militär ins Auge, um für die Versorgung der Stadt mit Licht zu sorgen.

eine deutsch-französische Aussprache'könnte deshalb für den weiteren Fortgang der europäischen Politik nur günstig wirken, vorausgesetzt, daß die Reichsregierung in solchen Verhandlungen die deutschen Lebensfcn Herwigen sachlich, aber mit unbeugsamer Energie zur Geltung bringt.

Zeigt sich dann, daß es sich wirklich nur, wie ein Teil der derrtschen Presse meint, umMißverständnisse" handelt, dann'dürste sich bei gutem Willen auf beiden Seiten der Weg zu einer Verständigung schnell finden. Stellt sich da­gegen heraus, daß die Gegensätze tiefer liegen und in der allgemeinen Richtung der französischen Politik begründet sind, dann erscheint es uns als ein Verdienst, wenn in die­ser Beziehung endlich einmal die Atmosphäre gereinigt wird. Eine Aussprache. die zu diesem Ziele führt, hat

Berlin, 26. Juni. Gestern vormittag um 11 Uhr fand am Mittelweg in Neukölln eine Protestversammlung der Ar­beitslosen gegen die neue Notverordnung statt. Es bildete sich ein Demonstrationszug von etwa 299 Personen, der sich unter den Nufen:Wir haben Hunger!" nach der Hermannstraße zu bewegte. In der Hermannstraße traten aus dem Zuge acht Leute in ein Fleisch Warengeschäft und entnahmen ihm etwa 19 Pfd. Wurst und Fleischwaren, die sie unter die Draußenstehenden verteilten. Auf dem weiteren

Hoover soll sich verbürgen

Paris, 26. Juni- Heute nachmittag wird sich di« Kammer mit dem Vorschlag des Präsidenten Hoover und der französischen Antwort ans ihn beschäftigen: In politischen Kreisen ist man der Ansicht, Laval werde daraus Hinweisen, daß Hoopers Vorschlag den Noungplan als sol­chen gar nicht berühre, da es sich nicht um ein Moratoriums sondern um ein Feierjahr handele.

Wenn Hoover einwandfrei bestätige bzw. garantiere, daß der Poungplan nach einem Jahr wieder in seinem vollen Umfange in Kraft trete und daß die französischen Rechte in keiner Weise in Frage gestellt werden sollen, so sei es möglich, daß die Kammer in irgendeiner Form auch aus die ungeschützten Zahlungen verzichten werde.

Die französischen Gegenvorschläge hätten hauptsächlich be­zweckt, eine Erklärung Hoovers über die Unverletzbarkeit des Houngplans hervorzurusen. Diese Feststellung werde es der Negierung ermöglichen, den Sturm jn der Kammer zu be­schwichtigen.

Laval wird heute in der Kammer den Text der franzö­sischen Antwortnote verlesen. Die Aussprache wird sich vor­aussichtlich sehr in-die Länge ziehen, so daß wahrscheinlich eine Nachtsitzung notwendig wird. Es find allein elf Interpellanten vorgemerkt, von denen jeder Anspruch aus eine Stunde Redezeit hat.

Während noch vor drei Tagen die Stimmung der Kammer aus dem Siedepunkt war, ist mittlerweile eine unver­kennbare Abkühlung eingetreten. Alle Fraktionen sind entschlossen, der Regierung ihr Vertrauen Zu gewähren und dadurch die Autorität des Kabinetts in der gegenwär-

Zuge durch die Hermannstraße drang die Menge auch in mehrere Bäckereien ein und entnahm diesen Lebens­mittel, die ebenfalls unter die Demonstranten verteilt wurden. Ein Bäckermeister rief in seiner Angst den Leuten zu: Nicht anfassen. Ich gebe euch alles umsonst!" Darauf verteilte er eine Menge Backwaren unter die Leute, die wei- terzogen. Als das Ueberfallkommando eintraf, verlief sich der Demonstrationszug.

tigen ernsten Situation zu stärken. Es ist anzunehmen, daß sich di« Debatte auch auf die beabsichtigte deutsch- französische M i n i ste rz u s a in me n k u n f t ere strecken wird.

Sommerreisen der Staatsmänner

Washington. 26. Juni. Amtlich wird mitgeteilt, daß Staatssekretär Stim son sich morgen an Bord derConte Grande" nach Europa einschifft. Am Donnerstag spätnach­mittags erklärte Stimjön, daß mit Einverständnis Hoovers beschlossen sei, auf der Europareise mit den Außenministern Deutschlands, Englands, Frankreichs und Italiens über die Schulden frage zu verhandeln. Seine Ankunst in Neapel werde am 7. Juli erfolgen. An­schließend daran erfolge die Weiterfahrt nach Rom. Jn Paris werde er am 15. Juli sein und am 21. Juli nach Ber­lin kommen, um am 27. Juli nach London zu fahren. Stim- som betonte, daß er während des Besuches Mac Donalds md Hendersons in Berlin nicht dort anwesend sein werde.

Aus eine Anfrage der belgischen Botschaft hat das Staatsdepartement geantwortet, Präsident Hoover betrachte Belgien als einen Hauptgläubiger

Deutschlands und erwarte daher von 8er belgischskf W gierung eine Antwort auf seine Vorschläge. Durch dies» Erklärung wird der in Brüssel aufgetauchten Spekulation ein Ende gemacht, daß Belgien nicht zu den in der Hoover- Nöte erwähntenHauptgläubiger-Mächten" gehöre und da­her vom Feierjahr der Schulden- und Reparationszahlungen nicht Strossen werde.

3n Berlin wird geplündert