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Mittwoch, -er» 17. Juni 1-31.

Nagolder TagblattDer Gesellschafter"

Verratene Zuflucht

Oberschlesische Novelle von Alfred Hain

Robert Dinklage und Kurt Ziaja waren die besten Freunde auf der Schulbank. Unzertrennlich durchwanderten sie das Beuthener Gymnasium von Klasse zu Klasse, waren bei den gleichen Lehrern beliebt oder unbeliebt, blieben während der Lümmeljahre treu und brav in der Obertertia sitzen, verliebten sich als Sekundaner in zwei Schwestern, die ihnen durch Tanzstundenträume und Treffen im Stadt­park das bittere Erklimmen der Oberprima und schließlich die Aengste des Abiturs versüßten. Robert hatte die ganze Schulzeit Kurt bei der Zusammenschusterung der deutschen Aufsätze geholfen und Kurt für Robert die verzwickten mathematischen Aufgaben ausgeknobelt. Als sie sich gerade in die Freuden des ersten Semesters, das die beiden Un­zertrennlichen nach Marburg geführt hatte, mit Hellem Studentenübermut stürzten, da brach der Krieg aus. Robert kam bei der Infanterie, Kurt bei den Pionieren als Kriegs­freiwilliger an. Der eine in Köln, der andere in Minden.

Erst 1916 bei Montfaucon in den Gräben vor Ver­dun sahen sie sich unvermutet wieder und fielen einander, unter dem höllischen Feuer auf der Erabensohle kriechend, schwarz wie die Schweine und bärtig wie die Urwaldunge­heuer. aber mit den alten, verklärten Jungensaugen in die Arme.

Dann kam die Revolution. Der Pole griff nach Ober- schlesicn. In diesen trüben Tagen starb Kurts Vater, der hart an der russischen, nunmehr polnischen Grenze eine Zementfabrik besaß. Kurt übernahm das Werk. Robert studierte in Berlin weiter, um so schnell wie möglich Arzt zu werden. Der Traum vom Privatdozenten und Professor war angesichts der Wirtschaftsnot des Revolutionswinters ausgeträumt.

Erst am Tage der Abstimmung begegneten sich die Freunde auf dem Kaiser-Franz-Josefs-Platz in Beuthen. Kurt, lieber, bester Kerl, da sehen wir uns endlich wieder."

Doch Kurt sah fort, er sprach auf die Dame ein, die an seinem Arm hing. Ja hörte Robert recht polnisch? Der Oberleutnant d. R. Fabrikbesitzer Kurt Ziaja sprach polnisch?

Kurt, erkennst Du mich nicht?" lief Robert jenem

nach.

Die Dame schaute sich verwundert um. Fragte etwas. Er sah, wie Kurt mit den Achseln zuckte.

Ein Brief kam unbestellbar zurück. Bei der Teilung Oberschlesiens wurde das Grenzdorf, in dem Kurt Ziajas Zementfabrik lag, polnisch.

Roberts Mutter (sein Vater war schon lange tot) starb bald darauf an der Grippe, ihre Witwenpension fiel fort. Robert mußte sein Studium aufgeben und übernahm einen kleinen Posten in der Heimat: Durch Vermittlung eines Freundes seines Vaters erhielt er eine Büroftelle in einer der Grubenverwaltungen. Hier wollte er sich einige Jahre lang das Geld zusammensparen, um dann wieder weiter zu studieren. Das Bürogebäude der Gruben lag nach der widersinnigen Grenzziehung, die ja mitten durch die Schäch­te, Wasserwerke und Ortschaften und Bauerngüter gezogen wurde, nun auf polnischer Seite, die Werke der Erubenge- sellschaft waren dagegen bei Deutschland verblieben. Und Robert erging es nun wie Zehntausenden seiner Lands­leute er wohnte bei seiner Schwester in dem deutsch gebliebenen Beuthen und mußte jeden Tag die Grenze über­schreiten, um an seine Arbeitsstätte zu gelangen.

Während des polnischen Aufstandes trat er in den oberschlesischen Grenzschutz ein, wurde beim Annaberg ver­wundet. Aber den Polen gelang es nicht, einen ähnlichen Streich wie in Wilna zu vollführen. Von den Tagen an galt Robert jenseits der Grenze als spionageverdächtig. Was hatte er getan? Die deutsche Heimat verteidigt. Frei­lich mußte er heute im Büro neben Kreaturen sitzen, die plötzlich die deutsche Sprache verlernt hatten und sich nicht mehr Schmidt und Schulze, sondern Smicz und Skulzy nannten und sich mit ihrem oberschlesischen Wasserpolnisch, das seit Jahrhunderten fast mehr deutsche als polnische Wortstümme enthielt, bemühten, als echte Warschauer Po­len angesehen zu werden.

Doch abgesehen von gelegentlichen mißglückten Ver­suchen. Robert mit Steinwürfen und aus dem Hinterhalt

gerufene Schmähworten einzuschüchtern, geschah nichts, was ihn davon abgehalten hätte, seine Pflicht weiter zu tun. Noch war die Werksleitung in deutschen Händen.

Da kamen die Wahlen im Herbst 1930. Aus den Stein­würfen wurden Schüsse, die haarscharf an Roberts Kopf vorübersausten, wenn er spät abends das Büro verließ und zwischen den Schlackhalden bis zur Straßenbahnhaltestelle ging, wo er in den von Polen versiegelten und verriegel­ten Wagen nach Vorweisung seines Passes einstieg.

Und eines Tages traten ihm die Verfolger offen ent­gegen. Vier Mann:Verfluchter deutscher Hund, nun lauf, pieronie, oder-"

Robert ballte die Fäuste einen Augenblick (warum nahm er nie, wenn es auch verboten war, eine Waffe mit), doch dann sprang er zur Seite, wehrlos, machtlos, gerade noch einem Faustschlag ausweichend, und lief quer über die Halde. Gegen das graue Gestein hob sich seine Gestalt nur wenig ab, und durch Kreuz- und Quersprünge ver­wirrte er die Verfolger, die nach ihm zu schießen begannen.

Dennoch gelangte er auf den Kamm der etwa 100 Me­ter hohen Halde und ließ sich nun mochte er zerschunden werden auf der anderen Seite Herunterrollen.

Aber die Polen hetzten weiter hinter ihm her. Robert lief, lief Schüsse da dort

Vielleicht waren es schon andere Kerle, die ihn ver­folgten.

Da fiel ihm ein: Hier, keine fünf Minuten weit, steht ja Kurts Haus. Gewiß, er hat ihm die Freundschaft aus dem rätselhaften Wechsel seines Nationalgefühls heraus gekündigt merkwürdig, dachte Robert, war Kurt in der Schule und beim Militär nicht immer der viel Draufgänge­rische für die vaterländische Sache gewesen? Strohfeuer. . . Sollte aber, wie das Eerücht ging, allein die Angst, die Fabrik zu verlieren, der Grund seines Gesinnungswechsels gewesen sein? Schäbig. Doch dann wird er seinen Schul­freund nicht verraten.

Polnische Flüche ganz in der Nähe.

Robert sprang in den Straßengraben.

Lief querfeldein, den erleuchteten Fenstern zu. Im nächsten Augenblick stand er Kurt gegenüber. Der fragte ihn gleich, was er wolle.

Kennst Du mich nicht? Deinen Freund weißt Du nicht, vor Verdun? Kurt, Kurt, sie verfolgen mich, hilf mir"

Kurt Ziaja schloß die Haustür nicht hinter Robert, sondern riß sie auf.

Pan Ziaja, ist er hier?" erklangen Stimmen von draußen. Kurt nickte.

Er sah zu. wie sie Robert mit Fäusten und Füßen bearbeiteten und ihn hinausschleiften. Nun werden sie ihm wohl endlich glauben, daß er mit den Deutschen nichts im Sinn hat.

Robert wurde am andern Morgen bewußtlos an einem Straßengraben gefunden und über die Grenze geschoben. Als er wieder zu sich kam, war ein Kündigungsschreiben seiner Werksleitung eingelaufen, die in polnische Hände geraten war. Die deutschen Direktoren mußten flüchten.

Er las die Begründung der Kündigung: Wegen ge­walttätiger Umtriebe und unberechtigter Wahlagitation. Robert lachte das bittere, verzweifelte Lachen jener Men­schen, die nichts mehr zu verlieren haben.

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Gaben jeder Art nimmt außer den bekannten Sammel­stellen jederzeit die Buchhandlung Zaiser-Nagold

entgegen.

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Zollunion zwischen Württemberg und Baden

Es ist schon lange her, 600 Jahre, daß der ehrsame, weise und fürsichtige Rat der freien Reichsstadt Heilbronn mit dem Wunsch an den Grafen Ulrich von Württemberg und dem Markgrafen Rudolf von Baden herangetreten sind, die Wasserstraßen aus der Wiir m, der Nagold, der Enz und dem Neckar zu öffnen und den Verkehr darauf zu regeln. Die beiden Fürsten sahen ein. daß eine solche Regelung für sie und ihre Nachkommen sich nur vorteilhaft auswirken könne und einigten sich am 2 8. Februar 1322 auf einen für beide Teile undfür ewige Zeiten" giltigen Vertrag, der folgendes bestimmte: Auf der Würm gibt der Flözer bei seiner Durchfahrt durch das Wehr bei S ch l o ß L i e b e n e ck für 100 Zimmer­hölzer oder 100 Dielen sechs Heller als Zoll, beiWeißen- ftein zehn Heller.

Wer auf der Enz bis Besigheim und von da auf dem Neckar bis Heilbronn flößen will, gibt in den Städten Neuenbürg, Pforzheim, Vaihingen, Besig­heim an jedem Wehr zehn, in den Dörfern an der Enz aber nur vier Heller. Die Wehre sollen überall zwölf Schuh breit, mit Schutzbrettern versehen und ohne Schaden und Gefahr passierbar sein. Die Flözer und die Kaufleute, die das Flozholz befördern, verkaufen oder einkaufen, sol­len Frieden und sicheres Geleit haben, ob sie auf dem Floß fahren oder auf dem Lande reiten.

Von der Floßfahrt auf der Nagold wird im einzel­nen nichts gesagt. Der Verkehr dürfte aber in derselben Weise geregelt worden sein, wie auf den übrigen Flüssen.

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Kampf um Rosenburg

von MllllSTLIN > VLWOIM

(Fortsetzung 40)

Sie sah ihn an mit leuchtenden Augen. Alle Sehnsucht ihres Herzens, ihre gewaltige Liebe lag in dem Blick. Gespieltes war nicht mehr an ihr. Sie war nur ein liebendes Weib.

Ich Hab' dich lieb!"

Wohl über eine Stunde blieben sie noch zusammen und schmiedeten Zukunftspläne.

Er geleitete sie noch ein Stück, bis das Waslewskische Gut rn Sicht kam. dann schwang er sich aufs Pferd und ritt . . . Jubel nn Herzen . . . heim nach Rosenburg.

Als er die Freitreppe emporstieg, stieß er auf Else, di rhn vorwurfsvoll ansah.

Sie sind wieder allein geritten, Herr von Kamer lrngk?"

Ja, Fraulern Else! Ich bitte um Absolution'" Vater bangt um Sie! Bitte . . . nehmen Sie ihn immer mit. Ich denk' immer . . . noch sind Feinde um Sie " Ihre Sorge um mich tut mir so wohl, Fräulein Else"! sagte er warm.Haben Sie Dank!"

Da sah ihn das Mädchen an. In den Augen schimmerte es.

And er sah abermals, wie schön Elses Augen waren. Sie sah aus, wie das leibhaftige Gleichen. Von Rein­heit und Güte umflossen.

Wissen Sie, daß Sie schön sind, Fräulein Else!" sagte er plötzlich unvermittelt.

Das Mädchen sah ihn erschrocken an und stammelte: Herr . . . von Kamerlingk!"

Ja, schön wie ein Sonnentag! Wer Sie ansteht, der muß gut werden."

Das Mädchen ließ resigniert das Haupt sinken.

Es . . . gibt . . . noch viel schönere. Herr!" sagte sie

leise.

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Da ergriff er ihre Rechte, drückte sie herzlich und sagte: Ich wünsche Ihnen, daß sie das Glück finden, das Sie suchen!"

Sie schüttetlte den Kopf.

Das . . . Herr . . . das wage ich nie zu hoffen! Ich bin nur ein . . . kleines, einfaches Mädel, Herr . . . und das darf nicht nach den Sternen greifen."

Manchmal kommen aber die Sterne herab zu dem kleinen Mädel, Fräulein Else. Warten Sie auf Ihren Stern! Gute Nacht, Sie kleines, liebes Mädel!"

Er nickte ihr noch einmal zu, dann sprang er leichtfüßig die Stufen empor.

Er traf Frau Käthe in lebhafter Unterhaltung mit Hellmer am Tisch beim Abendessen.

Wieder zurück, Will?" rief ihm Hellmer entgegen.

Ja!" entgegnete Willfried glücklich und schüttelte ihnen die Hände.

Ja, ich bin wieder heim . . . glücklicher denn je!"

Das heißt" sagte Hellmer,wir werden bald Ver­lobung feiern?"

Ja, bald, Hellmer!"

Frau Käthe sah den Bruder erstaunt an.

Du!"

Ja, ich! Damit du es weißt. Schwesterherz ... ich habe mich mit der Katja Waslewski verlobt!"

Mit der Tochter deines Nachbars?"

Ja, Al . . . Käthe!"

Da sprachen die beiden ihre Glückwünsche aus.

Behaltets noch für euch! Erst am Sonntag, wenn wir im Dorf zum Erntefest sind, dann solls bekannt werden, Herr von Waslewski kommt auch mit Katja!"

Du bist glücklich, Will?" fragte die Schwester leise.

Unbeschreiblich!"

Da traten die Tränen in Frau Käthes Augen. Sie dachte an ihre verpfuschte Jugend und Ehe.

Willfried umarmte sie und sagte herzlich:Aber Schwe­sterchen, wer wird weinen! Bist in die Irre gegangen. Hast dich noch zur echten Zeit besonnen. Alles wird wieder gut werden."

Frau Käthe,,, schloß sich Hellmer an.Sie sind so zung noch und . . . so ein hübscher Kerl! Jetzt kommt das Leben erst! Augen auf! Jetzt den Rechten juchen."

Frau Käthe hatte sich wieder aufgerichtet und sah die Männer dankbar an.

Ja!" sagte sie leise.Ich bin noch jung! Vielleicht . . blüht auch mir noch ein bißchen Glück! Ich bin ja so beschei­den geworden."

Egon von Verghammer" stand auf der Karte, die ihm der alte Diener reichte. Kamerlingk betrachtete sie erstaunt.

Ein Verwandter seiner Schwiegersohnes!

Ich lasse bitten!"

Nach einer kurzen Weile trat ein hochgewachsener schlanker Herr, bartlos, in den Dreißigern ein und grüßte.

Berghammer!"

Kammerlingk! Darf ich bitten, Platz zu nehmen?"

Der East machte eine tadellose Verbeugung und setzte

sich.

Herr Kommerzienrat!" begann er.Sie haben Aus­künfte über die Familie Berghammer eingeholt."

Sie wissen . . ." entgegnete der Kommerzienrat ver­legen.

Nein! Ich wußte es nicht, daß Sie der Auftraggeber waren. Aber ich sagte mir, wer kann es anders sein, als Sie. Ihre Auskunftei ist verschwiegen, die hat kein Wort gesagt. Hätte sie es getan, dann wäre es auch nicht schlimm gewesen. Es ist doch so, Sie haben Auskünfte eingeholt."

Ganz recht, ich gebe es zu!"

Sie haben einen Herrn Eberhard von Berghammer als Schwiegersohn?"

Ja!"

Ich glaube nicht fehl zu gehen, wenn ... er ihnen Grund gab. sich einmal über die Familie Verghammer zu orientieren."

Das könnte sein!"

Der sympathische Besucher nickte. Dann begann er: Herr Kommerzienrat ... ich bin der Letzte des Geschlechts von Berghammer. Wir stammen aus Westfalen. Mein Va­ter ist vor drei Jahren gestorben. Ich bin ein kleiner An­gestellter bei einer Berliner Bank und schlage mich recht und schlecht durch, mein Vater besaß nichts, als er starb. Wir haben also nichts als den Adel, und der ist in der heutigen Zeit oft eher im Wege als dienlich."

(Fortsetzung folgt.)