Seite 5 — Nr. 198
Nagolder Tagblatt „Der Gesellschafter«
Freitag» 8. Mai 1931
Mite LesW -er. . . M Württemberg. Landtag
- Stuttgart. 7. Mai. j
Der Landtag setzte gestern nachmittag die zweite Beratung des Haushaltplans fort. Einem Ausschußantrag, ab 1 . April 1933 die würlkembergische Gesandtschaft in München aufzuheben, wird zugestimmt. Gegen die Stimmen der Kommunisten wird der Antrag der Regierungsparteien, bei der Reichsregierung auf Schritte für eine baldige Revision des Houngplans hinzuwirken, angenommen. Bei Kap. 2 a (Staatsgerichtshof) wurde beanstandet, daß der Verwaltung»- gerichishof zu langsam arbeitet. Staatspräsident Dr. Bolz gab dies zu, stellte aber eine Besserung in Aussicht, nachdem der Berwaltungsgerichtshof einen Präsidenten im Hauptamt erhalten hat.
Eine längere Aussprache knüpfte sich cm Kap. 8 (Justizministerium). Von kommunistischer Seite wurden einig« Anträge zu 8 218 des Strafgesetzbuchs (Abtreibung) gestellt, dis eine Aufhebung und Niederschlagung aller anhängigen Strafverfahren und Amnestierung der bereits gefällten Urteils verlangt. Abg. Gompper (S.) übte Kritik an verschiedenen Vorkommnissen in der württembergischen Justiz. Er be- hauptete, manche Richter neigen zu den Nationalsozialisten. Notwendig seien bauliche Verbesserungen in Gerichtsgebäuden und Strafanstalten. Abg. Dr. Göz (BB.) wandte sich gegen die Sensakionsprozefse und ihre Ausschlachtung durch die Presse. Das Gericht dürfe nicht zum Theater für ein sensationslüsternes Großstadtpublikum gemacht werden. Der Redner verlangte eine Erschwerung der Zulassung zum surr- stischen Studium und des Examens und größere Vorsicht bet der Anstellung von Frauen als Richter. Die Frau pass« besser an den Familientisch als an den Richtertisch. Gegen, die Rechtsagenken sollte schärfer eingeschritten werden. Eins! Verelendung des Anwaltstands bedeute auch eine Gefährdung der Rechtspflege und des rechtsuchenden Publikums. Dis Todesstrafe müsse bei gewissen schweren Fällen beibehalteni werden. Die württembergischs Rechtspflege habe in Deutschland einen guten Klang. Abg. Bock (Z.) betonte, daß die württembergischs Justizverwaltung des Vertrauens durchaus würdig sei. In Rußland gebe es nur Klassenjustiz, in Deutschland nicht. Di« Lag« der Rechtsanwälte sei sehr traurig. Abg. Fischer (Dem.) erklärte sein Einverständnis mit der Amtsauffassung und der Tätigkeit des Justiz, Ministers. Abg. Dr. Burger (DV.) hob hervor, daß bet der württembergischen Justiz von einer Vertrauenskrise keine Rede sein könne.
Dom Aba. Hagel (VR.) wurde di« VeschlußemsWgkeV des Hauses festgestellt, sodaß die Sitzung um 8 Utzx WM aufgehodM rvtzMn Echte.
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Lob der württembergtfchen RechtsprAhung
In der Fortsetzung der Aussprache am Donnerstag vormittag Sichert« Abg, Hagel (VR.) ein« Reihe von Wün- scheu bezüglich der Rechtsprechung, bezeichnet« aber di« würt- lembergische Justiz als die beste in ganz Deutschland. Abg. Mergenthaler (NS.) erklärte, di« württembergischs 'Justiz steche gegen di« preußische Justiz sehr gut ab. Dis .Nationalsozialistische Partei stelle sich auf den Boden der Weimarer Verfassung, aber die Führer des Marxismus hätten istch im November 1918 des schamlosesten Land- und Hochverrats schuldig gemacht. Neben Crispien fei der Abg. Keil ^selbst Mitschuld an der Revolution in Württemberg. Das !Reichsbanner sei die bewaffnete Kampftruppe nicht für die ! Weimarer Republik, sondern für die sozialistische Republik Zm Sinn« der Marxisten. Während der Rede des Abgeordneten war es im Hause vielfach sehr unruhig. Der kommu
nistische Abgeordnete Schneck wurde zweimal zur Ordnung gerufen.
Justizminister Dr. Beyerle gab zu, daß man an einer IlebersÜlle von Gesehen leide und daß manch« überstürzt gemachte Gesetz dem Rechtsempfinden des Volks nicht entspreche. Die württembergischs Rechtspflege habe stets den besten Willen bewiesen und vermeide jeden Schein der Voreingenommenheit. Der Fast Wols-Jakobowih sei in skandalöser weise parteipolitisch ausgeschlachtet worden. Was Berliner Blätter darüber berichteten, war vielfach gänzlich unrichtig,
Frau Abg. Htller (S.) äußerte Wünsche bezüglich des Heilbronner Untersuchungsgefängnisses. Abg. Dr. Höl- scher (BP.) erklärte, daß Frau Iakobowitz, di« nicht Frauen-, sondern Hautärztin fei, in Rußland für ihre Tat erheblich bestraft worden wäre und daß sie sich oft da» Honorar zum voraus habe bezahlen lassen. Der 8 218 fei kein Mordpcrragraph, er wolle vielmehr werdendes Menschenleben vor dem Mord schützen.
Ein Abgeordneter polizeilich aus dem Saal entfernt
Während der Rede des Abg. Geiger (S.) kam es zu einem im württ. Landtag bisher nicht bekannten Zwischenfall. nämlich zur gewaltsamen Ausweisung eines Abgeordneten durch me Polizei. Abg. Geiger hätte erklärt, der kommunistische Abgeordnete Vollmer könne einmal leicht sterben, da er keinen großen Geist aufzugeben habe, worauf Vollmer gut schwäbisch erwiderte: Du Lausbub du dreckiger, ich schlag dir an die Gosch hin. Präsident Pflüger rief Vollmer zur Ordnung. Dieser wiederholte aber zweimal seine Aeußermng, worauf er vom Präsidenten aufgefordert wurde, den Saal zu verlassen. Dieser Aufforderung nachzukommen, fiel Vollmer gar nicht ein. Zweimal unter- brach deshalb Präsident Pflüger die Sitzung auf 5 Minuten, auch die Tribüne wurde aer^imt. Als selbst das gütliche Zureden von Landtagsdirektor Dr. Eisenmann nichts fruchtete, «schienen drei Polizeibeamte von der Landtagswache, die den Abgeordneten Vollmer mit Gewalt aus dem Sackt entfernten. Es gab dabei allerhand Zwischenrufe, aber schließlich konnte die Beratung fortgesetzt und auch dem Publikum wieder Zutritt gestattet werden, während dl« Polizei vor der Saaltüre stehen blieb.
Im Lauf der weiteren Beratung sprachen noch dl« Abgeordneten Fischer (Komm.) und Schneck ( Kom m.), sowie Ar Abg. Heymann (S)>.
Württemberg
Stuttgart, 7. Mat.
Kofularisches. Dem zum Vizekonsul bei dem Generalkonsulat der Vereinigten Staaten von Amerika in Stuttgart ernannten Donald W. Aitken ist mtt Zustimmung der Würft. Staatsregierung im Namen des Reichs das Exequator erteilt worden.
Forstliche Fachprüfung. Bet der in der Zeit vom 14. bis 24. April 1931 in Freiburg vorgenommenen forstlichen Fachprüfung sind 8 Prüflinge für befähigt erkannt und zu Forstreferendaren bestellt worden.
Württ. Landeskheater. Raoul Aslan vom Wiener Burgtheater, der von seiner langjährigen Tätigkeit an den Landestheatern her noch in bester Erinnerung ist, wird am Mittwoch, den 13. Mai die Titelrolle in Shakespeares
Kampf um Rosenburg
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VON llONd.NN!-S WUSTLIN >dl-lcni)tt. VLWOIM
^ - tsetzung 9)
„Der Inspektor sagt... die diesjährige Ernte sei voraussichtlich eine mittlere, viel Stroh und wenig Körner. Hatten Sie den gleichen Eindruck?"
„Bewahre! Gut mutz es körnern. Ich habe meine Augen aufgemacht."
„Nun, wir müssen abwarten, Schafsranz. Morgen treten Sie Ihren Posten an. Sagen Sie, sprechen Sie Polnisch?"
„Ja, sehr gut sogar!"
Willsried hörte es erfreut.
„Dann klappt es ja! Aber. . . mir kommt ein Gedanke! Lassen Sie nicht merken, daß Sie die polnische Sprache beherrschen."
„Wie Sie wünschen, Herr von Kamerlingk."
„Man weiß manchmal nicht, zu was es gut ist."
Drittes Kapitel.
In Leipzig lebte still und zurückgezogen Frau Agnes Schasfranz von der kärglichen Restpension ihres Mannes, die ihr zugebilligt worden war.
Ihre Tochter Else und ihr Sohn Johannes, die beide berufstätig waren, erhielten sie mit. !
Als Else Schasfranz ein mittelgroßes, hübsches Mädchen ! mit schönen tiefbraunen Augen und ebensolchem Haar heute ' heimkam, fand sie die Mutter mit verkniffenem Gesicht in s der Küche sitzen.
Sie hielt einen Brief in der Hand.
„Da. . . lies!" sagte sie hart. „Dein Vater hat geschrieben."
Else las den Brief und mutzte weinen.
„Muttl!" sagt sie dann überglücklich. „Vater arbeitet sich wieder hoch! Gottlob, datz er endlich ein Lebenszeichen von sich gibt. Muttl, jetzt wirst du doch Vaters Bitten folgen und von einer Scheidung absehen."
„Nein!" sagte die Frau hart. „Er hat zuviel Schande über uns gebracht."
„Muttl, wie kannst du hart sprechen! Hat Vater vor Gericht nicht bis zuletzt beteuert, datz er unschuldig ist!"
„Hats ihm einer geglaubt?" sagte die Mutter voll Hohn.
„Und wenns ihm keiner glaubte, du als seine Frau konntest ihm schon beistehen. Weißt du, datz du uns an deinem Herzen irren werden liesest?"
„Else!" rief die Frau entsetzt.
„Ja, Muttl! Hast ihn doch auch lieb gehabt, als du ihn zum Manne nahmst?"
„Wutzt ich, datz er so schlecht an uns handeln würde?"
„Mutter ... ich glaube an Vater! Ich glaube heute noch felsenfest, datz ihn Schurken in das Elend gebracht haben und datz der Tag kommt, an dem ihnen das Gewissen schlägt. Mutter . . . willst du weiter darauf beharren, dich von Vater scheiden zu lasten?"
„Ja!"
Da wurde das Gesicht des Mädchens hart.
„Dann, Mutter, werden wir uns trennen müssen!" sagte sie fest. „Dann weiß ich, datz ich zu Vater gehöre."
„Zu dem Zuchthäusler!"
Da wandte ihr die Tochter den Rücken und ging in ihr Zimmer. Dort übermannten sie die Tränen und sie weinte bitterlich.
Aber sie war ein tapferes Mädel.
Ritz sich zusammen und schrieb dem Vater einen herzlichen Brief, den sie gleich zur Post brachte.
*
Währenddessen ging auf Rosenburg alles ruhig seinen Gang.
Schaffranz war in der Meierei tätig und überwachte die Meiereigeschäfte.
Zwei Polen, die Deutsch verstanden, halfen ihm und er kam gut mit ihnen aus.
Er war acht Tage in seiner Stellung, da begann er einmal nachzurechnen.
Ungefähr vierzig Milchkühe standen in den Ställen. Die erbrachten ungefähr 380 Liter Milch.
Die Summe kam ihm zu wenig vor.
Er beschloß, doch einmal genau zu forschen, woran das lag.
„Corlolan", am Donnerstag, den 14. Mai (Himmelfahrt) den Mephisto in „Faust 1. Teil" spielen. Der Vorverkauf! für beide Gastspiele, die außer Miete im Kleinen Haus stattfinden, hat begonnen. Am Donnerstag, den 14. Ma^ (Himmelfahrt) findet die Erstaufführung von „Sommer von) einst" statt, eine moderne Operette mit der Musik von Lajos^ Lajtai.
Gewittersiurm. In verwichener Nacht gegen 2 Uhr brach ein heftiges Gewitter mit starkem Sturm und wölken- bruchartigsm Regen los. Am Donnerstag regnete es fast ununterbrochen in Strömen. Der Winterfeuchtigkeit hätte man jetzt fast übergenug. Die herrliche Blütenentfaltung brauchte gelinden Sonnenschein.
Tönende Marionetten. Gelegentlich der Tagung .Kultur und Schallplatte' findet am Samstag, 9. Mat, nachmittags 3.30 Uhr, im großen Saal des deutschen Auslands- Instituts am Karlsplah eine Vorführung der .Tönenden Marionetten' des Künistler-Marionekten-Theat«rs von Georg Deinin g«r (Stadtgarten) statt. Durch Verbindung von Rundfunk» Schalü>latt«n und Marionetten kann ein« ganz erstaunlich« Wirkung erzielt werden. ES ist etwas eigenartiges, Pum>en sozusagen beseelt zu sehen und finge« zu hören. Die Puppen werden di« Oper .Bajazzo von Leoncavallo zur Aufführung bringen. Di« Vorführungs- die von der Württ. Landesanstalt für Erziehung und Unterricht und dem Südfunk gemeinsam veranstaltet wird» PHrt etwas Neues in das Reich der Schaustellungen ein.
Im großen Hörsaal des Neubaus der Technischen Hochschule, Keplerstraße 10» werden am Samstag, abeitt>S 8 Uhr, mehrere Vorträge über di« .Schallplatte als BildungSmtt- tel' gehalten, womit die Tagung .Kultur und Schallplatte' ihren Abschluß findet.
Ein Ehedrama vor dem Schwurgericht. Der S4jähri«
Wilhelm Lieb von Stuttgart Hatte am zweiten MeHnachw- feiertag seine zweit«, leichtsinnig veranlagt« Ehefrau — dl« erste Ehe war wegen beiderseitiger Schuld geschieden wo«, den — bei einem Streik mtt einem Beil derart bearbeitete daß sie nach zwei Tagen starb. Das Schwurgericht verurteilte Lieb wegen Totschlags zu 4 Jahren Gefängnis.
Verkehrsschuhmann verunglückt. Gestern nachmittag wurde der am Schwanenplatz in Berg postiert« Berkehrsschutzmann von einem von auswärts kommenden Motorrcck» mit Beiwagen angefahren und erheblich verletzt. Der Der« unglückte wurde mit einem Privatauto ins Krankenhaus, der Kraftfahrer samt seiner Maschine auf» Polizeirevier verbracht.
Stuttgart, 7. Mai. DieArbeitsmarktlags. Am 30. April 1931 standen im Bezirk des Landesavbeitsamt» Südwestdeutschland in der versicherungsmäßigen Arbeitslosenunterstützung 111 618» in der Krisenunter, stützung 40513 Personen. Di« Gejcmchzcchl der Unterstützten fiel um 17 026 oder 10,1 v. H. von 169187 auf 152131 Personen (122 482 Männer, 89 649 Frauen). Davon kamen auf Württemberg 68 019 gegen 72 354 und auf Baden 89112 gegen 96 803 am 30. 4. 1931. Im Gesamtbsgirk des Landesarbeitsamts kamen am 30. April ds. Js. auf 1000 Einwohner 30,3 Haupttmterstützungs» empfänger gegen 18,5 zur Zeichen Zeit des Vorjahre».
Im Arbeitsamtsbezirk Stuttgart waren am 1. April 11275 männliche und 2566 weiblich« Arbeitslos e n un t e r stütz u n g s «mp f ä n ge r vorhcmden. Bet Len Männern ergibt sich ein Abgang um 1108, bei den Frauen ein solcher um 32 Personen. Stand am 30. April: 10172 männliche und 2534 werbliche, zusammen 12 706 Arbeitsloserrunterstützungsempfänger. In der Kr isen- unterst ützung standen am 1. April 1931 4878 männliche und 663 weibliche Personen. Bei den Männern ergibt sich ein Zuaana um 148. bei den Frauen «in solcher um
Er besuchte am Nachmittag, kurz nach dem Esten, den alten Burger, der sich in seinem blühenden Garten sonnte.
Der alte Mann begrüßte ihn herzlich.
„Herr Burger!" sagte Schasfranz. „Wissen Sie eigentlich genau, wieviel Kühe zurzeit Milch geben?"
.Ja! Vierundvierzig!"
„Und wieviel sind davon neumelke?"
„Nur zwei jetzt!"
„Hm! Sagen Sie mal, was kann man denn als Durchschnitt rechnen?"
Der Alte überlegte und sagte dann: Vierzehn Liter als Durchschnitt pro Tag. Wir haben Kühe, die das Doppelte geben. Vierzehn Liter . . . nee, nee, das ist nicht zu hoch gerechnet."
Schaffranz rechnete.
„Vierundvierzig mal vierzehn ist ja über 600 Liter den Tag."
Burger nickte zustimmend und sagte: „Ja, das müssen die Kühe gut geben."
„Ja, wissen Sie, Herr Burger, was täglich abgeliefert wird? Das sind 380 bis 410 Liter? Haben wir Kundschaft, die gleich vom Stall wegholt?"
„Nein! Nicht einer tut das."
„Im Haushalt wird doch auch nicht viel verbraucht?"
„Nicht ein Liter direkt vom Stall! Die Mamsell lätzt ja immer von Ihnen holen."
„Richtig! Hatte ich ganz vergessen! Ja, das verstehe ein anderer. Hier stimmt was nicht!"
Schaffranz schüttelte den Kopf.
Burger sah ihn fragend an. dann beugte er sich zu ihm und sagte geheimnisvoll: „Hier. . . stimmts überhaupt nicht, Herr Schafsranz. Ist mir schon mancherlei auf- gesallen."
„Was ist Ihnen ausgefallen, Herr Burger?" fragte Schasfranz mit gespielter Gleichgültigkeit.
„Nun . . . das mit der Ernte ... so wenig, wie wir immer Körner haben, hat keiner in der ganzen Gegend."
„Ja, aber woran soll das liegen? Der Inspektor ist doch so peinlich."
Burger zuckte die Achseln.
„Ja, ich weiß auch nicht."
(Forlsrtzun, fol»t).