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198 Gegründet 1826 . Mittwoch den 28. August 1825 Fernsprecher Nr. 29. 88. Jahrgang

Die GüLerenteigrmng m Lettland

Als die Letten vor sechs Jahren ihren eigenen Staat begründet hatten und unter Voranmarsch der aus deutsch­baitischen Freiwilligen bestehendenBaltischen Landeswehr" die Bolschewisten außer Landes getrieben waren, wurde als erstes großes Werk der Konstituierenden Versammlung die Agrarreform" vollzogen. Das größtenteils deutfchbaltischen Edelleuten gehörige Gutsland wurde bis auf ein ßrdem Be­sitzer belassenes nur SO Hektar großes Reffgut enteignet und an landlose Letten verteilt, während der reiche Waldbesitz in die Hände des Staates überging. Scheinbar wa.r eine Ent­schädigungszahlung vorgesehen, doch dachte« sich die letti­schen bürgerlichen Parteien eine solche im Umfang von etwa ein bis Zwei Prozent des Werts der Ländereien, während die Sozialdemokraten eine entfchädigungslose Enteignung verlangten. Im Sommer des vorigen Jahrs fiel dann im Parlament die Entscheidung, wobei die deutsche Fraktion, die ihre Stimmen nicht für eine nur dem Ausland Sand in die Augen streuende Schsmentschädigung obgeben wollte, den Saal verließ und der Standpunkt der Linken Leug­nung jeder Entsckädigungspflicht die Mehrheit erhielt.

Ser Vertreter der baltischen Gutsbesitzer im Parlament, Aaron Fircks, erklärte darauf, daß die so schwer (Ässchädig- tm sich gezwungen sehen, die Streitfrage vor ein höheres Forum, den Genfer Völkerbund und das Haager Schiedsgericht zu bringen. Nachdem nun ein Jahr darüber hingegangen war, wird von den lettischen Radikalen ein neuer Sturmlauf gegen die Deutschen gemacht. Die linke Sozialdemokratie richtete im Abgeordnetenhaus an die Regierung dis Anfrage, ob sie eineEinmischung des Völker­bundes in eine innere Airgelegenheit des souveränen lettlän- dischen Staats" dulden wolle. In seiner Antwort gab der Außenminister den Inhalt der Eingabe bekannt, die den Wkerbundrat ersucht, dem Haager Gerichtshof folgende Fragen zur Entscheidung vorzulegen:

1. Ist die Enteignung von Minderheitenbesitz durch die Agrarreform mit der Minderheitendeklaration (von der wei­ter oben schon die Rede war) vereinbar?

2. Haben die Gutsbesitzer der Minderheiten ein Anrecht Ms ein Restgut, das wirtschaftlich lebensfähig ist und in seinen Areal der Größe von der Enteignung nicht betroffe­ner Wirtschaften entspricht (was nämlich beides nicht der Fall ist)?

3. Haben die enteigneten Gutsbesitzer ein Anrecht auf die volle Entschädigung auch für Wälder, Industriebetriebe und anderes enteignetes Vermögen, das mit einer Agrarreform m keinem Zusammenhang steht (enteignet sind nämlich auch Schlösser und Villen mit der ganzen kostbaren Einrichtung)?

5. Haben die Minderheiten ein Recht, zu verlangen, bei der Landzuteilung in demselben Maß berücksichtigt zu wer­de« wie das Mäjoritötsvolk (es werden lettische Kieinsicdler stark bevorzugt)?

Im Äwi-gsn schloß sich der Außenminister im Namen der Tesamtregierung der Auffassung der Sozialdemokraten an, da er vom staatlichen Gesichtspunkte aus unzulässig sei. eine Entscheidung dieser Fragen in Genf oder Haag zuzulassen, «id man daher eine Zurückweisung der Petition erwirken müsse.

Dieser Standpunkt der Regierung dürfte jedoch vor dem wtr "»ationalen Forum kein leichtes Spiel haben, denn der de«-,, u Eingabe sind die Gutachten zweier ll'hr autorita­tiver Völkerbundslehrer beigefügt, die beide die Klage der Gutsbesitzer als berechtigt anerkennen. Der englische Pro­fessor H. Vellot bekundet, daß eine entschädigungsloss Ent­eignung der lettländifchen Verfassung, die das Privateigen­tum respektiert, ferner dem lettländisch-russischen Friedens- Vertrag und endlich den ethischen Grundlagen internationaler «echtsouffassung widerspreche. Der Professor der Pariser Sorbonne, Lapradelle, weist nach, daß das Agrargesetz ein gegen die nationalen Minderheiten gerichtetes Aus­nahmegesetz ist und legt dar, daß der Minderheiten­schutz sich auch auf die Wahrung der wirtschaftlichen Gleich­berechtigung erstrecken müsse, da die wirtschaftliche Erdrosse­lung auch jede kulturelle Eigeuentwicklung unmöolich machen würde.

Ob in dieser Frage die Politik oder das Recht sich als Wärter erweisen wird, dürfte auch für Deutschland ein lve-t- voller Fingerzeig bezüglich des Wertes des Völkerbunds sein.

Bon der Wettkirchenkonferenz

Stockholm. 25. August.

Ein Schreiben des Reichskanzlers Dr. Luther Aus der Kirchenkonferenz brachte Erzbischof Söder- biom ei« Schreiben des Reichskanzlers Dr. Luther zur "kn^sustg, jn dem ausgeführt wird:

Das äußere Leben der zivilisierten Menschheit und rück- 5"lkend fast der gangen Menschheit wird feit Jahrzehnten surch die ungeheuren Fortschritte der Technik beherrscht. Bie Umwälzungen sind am tiefsten da, wo die Form der A*?mvirtschaft sich entwickelt hat. Dort sind die einzelnen «rveller, sowohl die Handarbeiter, wie in der großen Mehr­zahl auch Kopfarbeiter, in doppelter Weise anders gestellt, Wsrüher: ich möchte sogen, in doppelter Weise vereinsamt. IsMns ist ein großer Teil der Arbeiter losgelöst vom Em>- -rgebms der Arbeit. Der einzelne ist nur noch ein Glied in ^". Aieist unabsehbaren Kette des gesamten wirt- sihajllichen E-ntstehungsvcrgangs. Dadurch ist im inneren vieler Arbeiter die Grundlage seelischer Liebe zur rvttk erschüttert. Zweitens ist im Großbetrieb der Arbeiter A.-Agetfall jetzt auch ohne innere Beziehungen zum Ar- tMber. einfach, weil die Zahl der Arbeiter im Verhältnis

DüsseldorfDuisburg frei!

Die franz. Note Kein Fortschritt in der Sicherheitssrage

Düsseldorf geräumt

Düsseldorf, 25. Aug. Die Franzosen haben am Diens­tag morgen den rechtsrheinischen Stadtteil von Düsseldorf geräumt, die Räumung der linksrheinischen Stadt erfolgte mittags. In Duisburg-Ruhrort soll eineSchissahrtskom- mission" von 4 Offizieren und 40 Mann Zurückbleiben. Die Stadt Duisburg hat die Reichsregierung gebeten, zu prüfen, ob dieSchiss cchrtstömmission" nach dem Londoner Ab­kommen zulässig sei.

Auch die Stadt Duisburg wurde heute geräumt. Als-die lebten Truppen die Stadt verlassen hatten, läuteten alle E.v._

Die französische Antwortnote

Berlin, 25. August. Die gestern nachmittag im Aus­wärtigen Amt übergebene Antwortnote der franzö­sischen Regierung wurde heute vormittag 11 Uhr dem Kabi- nettrat vorgelegt. Die Note soll in Frankreich am Don­nerstag veröffentlicht werde«. Die französische Regierung soll ersucht haben, die Veröffentlichung in Deutschland auf Freitag (?) zu verschieben, was bei der Reichsregie­rung sehr verstimmt habe.

Ueber den Inhalt der Note verlautet, daß sie die Hauptpunkte der deutschen Note kurz berühre, es-aber ver­meide, auf Einzelsragen einzugehen, die künftigen münd­lichen Verhandlungen Vorbehalten bleiben sollen, ohne Laß ein bestimmter Zeitpunkt hiefür genannt wird. Zu unbe­quemen Fragen wie dem Art. 16 der VMerbunüssatzung wird gesagt, Frankreich sei hiefür nicht zuständig, sondern allein der Völkerbund. Die Note macht bei aller höflichen Form den Eindruck, daß sie jeder bestimmten Antwort aus- weiche. Frankreich halte daran fest, daß der Vertrag von Versailles unabänderlich sei» daß Frankreich als Bürge für die Unverletzlichkeit der Grenzen Polens und der Tschecho­slowakei aufzutreten habe und daß Deutschland für den Eintritt in den Völkerbund keine Bedingungen stellen dürfe. Die Schiedsgerichtsverträge sollen sich nicht nur auf wirt­schaftliche und Rechtsfragen, sondern auch auf politische Fragen erstrecken. Die Meinung geht dahin, daß die französische Note keinen Fortschritt in der Sicher­heitsfrage darstelle.

DerPetit Parisien" meldet aus Berlin, Deutschland werde auf seine Vorbehalte betreffs der militärischen Ver­pflichtungen dem Völkerbund gegenüber nicht verzichten.

Der Preisabbau

Berlin, 25. August. Die Besprechungen des Reichskanz­lers, des Reichswirtschaftsminifters und des Ernährungs­ministers über die astgemeine Preissenkung wurden gestern vormittag abgeschlossen. Morgen empfängt der Rsichs- wirtschaftsminister noch eine Abordnung der Gewerk­

schaften. Die Vorschläge gehen nunmehr "an das Gesamt- minifterium, das sich noch in dieser Woche mit ihnen zu be­fassen haben wird.

Die Geschäftslage der Reich-?--ahnen Berlin, 24. Aug. Die Einnahmen der Reichsbahn in den Monaten März-Mai betrugen 1139 106 090 RM. Die Aus­gaben 966 674 060 RM- Die am 1. September 1925 fällige zweite Entschädigungszahlung mit 100 Millionen Goldmark wurde bereits sichergeftellt. Nach den bis jetzt vorliegenden Ergebnissen kann damit gerechnet werden, daß die Gesamt- wirtfchaft der Reichsbahn in dem Geschäftsjahr 1925 plan- mähia verläuft. Auf dem Gesamtgehiet der Ausgaben ist immerhin trrbdem eine gewisse Vorsicht geboten.

Die Lohnbewegung der Eisenbochner Berlin, 25. August. Der Reichsarbeitsminister hat sich zur Einsetzung eines Schlichters in der Lohnbewegung der Eisenbahnarbeiter bereit erklärt- Beiden Parteien wurde davon Mitteilung gemacht. Morgen werden voraussichtlich neue Verhandlungen geführt werden. Das alte Lohn­abkommen der Reichsbahn läuft am 1. September ab-

Der Schiedsspruch für den Ruhrbergbau abgrlehrit Essen, 25. Aug. Die vier Bergarbeiterverbände haben den Lohnjchiedsspruch vom 19. August abgelehnt.

Der Krieg in Marokko

Paris, 25. August. Nach den letzten Meldungen aus Marokko ist es an der Front gegenwärtig ziemlich ruhig. Es sei nur gelungen, den größeren Teil des Stammes der Tfuls zu unterwerfen, das sei aber ein verhältnismäßig kleines Gebiet. Der französische Angriff soll in den näch­sten Tagen wieder ausgenommen werden.

Die Blätter msKsen, Abd el Krim habe die Führer, die für den Verlust des Dschebel-Skrsas verantwortlich seien, ins Gefängnis werfen lassen.

Caillaux' SchulLenverhandlungen in London London, 25. August. Radio meldet, Caillaux werde i« den Verhandlungen mit dem britischen Schatzamt Vorschlä­gen, daß England sich mit einer französischen Jahreszahkung von 12 Millionen Pfund Sterling begnüge, oder daß Frankreich eine Zahlung von 6 Millionen gewährleiste, während weitere 6 Millionen aus den deutschen Dawes- zahlungen für Frankreich an England abgeführt werden. Für diese letzteren Zahlungen werde Frankreich allerdings keine Bürgschaft übernehmen.

Nach derDaily Mail" hat Caillaux nur vier Millionen Pfund Sterling von Frankreich und 6 Millionen Pfund von der deutschen Entschädigung angeboten. DieTimes" kommt in einer Berechnung zu dem Schluß, daß Frankreich jährlich 55 Millionen Pfund Sterling bezahlen könne.

zum Arbeitgeber dafür vlek zu groß kst. ReverRes ist Der Arbeitgeber vielfach ein juristisches Gebilde (Aktiengesell­schaft usw.), wodurch die Entpersönlichung der Beziehungen noch deutlicher wird.

Diese neue Wirtschaftsgestaltung hat mit innerer Not­wendigkeit Gegenwirkungen im sozialen und politische« Le­ben. den Zusammenschluß der Arbeiter in den gewerkschaft­lichen Organisationen und vor allem die ganze Fülle der öffentlich-sozialen Maßnahmen hervorgerufen, wie sie ge­rade in Deutschland seit der bekannten Botschaft Koster Wilhelms I. vom Jahr 1881 als Krankenversicherung, Al­ters- und Jnvalititätsversicherung, Unfallfürsorge und in einer Gestalt, die grade jetzt immer bestimmtere Umrisse gewinnt, als Erwerbslofenfürsorge ins Leben trat.

Wenn diese Entwicklung in anderen Ländern zum Teil noch nicht so fortgeschritten ist, so kann man die Ursachen immer in einer verschiedenen Natur der Dinge sinden. Ent­weder ist die Großwirtschaft noch nicht so weA vvrange- schritten, oder aber es handelt sich, wie bei den Vereinigten Staaten von Amerika, um Länder, die noch keine Aebei- bevökkerung haben, und in denen trotz der Möglichkeit vor­übergehender Erwerbslosigkeit doch grundsätzlich die Nah­rungssicherheit des Einzelnen viel größer ist, als in den übervölkerten Ländern. Wo sich ferner die allgemeine Demokratie schon vorfand, ehe die Großwirtschaft in das Leben der Menschheit eingriff, konnte das Vorhandensein weitgehender politischer Rechte sich als ein gewisser Aus­gleich für die sozialen Gefahren erweisen. Ist solche Be- trackstungsweise richtig, so muß man folgern, daß in großem Ausmaß an die Stelle sröberer menschlicher Beziehungen des Arbeiters zu seinem Arbeitsergebnis und zu seinem Arbeitgeber eine große politisch« und besonders soziale Form getreten ist.

Dieser Ersatz bezieht sich indessen nur auf die äußere Seite der fteher allgemein inneren Beziehungen. Er bietet keinen Ausgleich für die Kraft der Liebe, die früher lebendig war. Je größer indessen der Umkreis wird, der einer inneren Lebendiamachung durch seelische Beziehungen be­darf, um so deutlicher wird, daß die Quelle hierfür nur im Religiösen gefunden werden kann.

Alles, soziale Handeln, das sich auf Religion rufLaul, hat den festen, unerschütterlich festen Anlergrund, c stz ihm jeler Mensch als ein Gefäß seelischer Ewigkeitswerte erscheint. Bei solcher Einstellung ist allgemeine Menschenliebe nicht ein Etwas, das man haben kann oder nicht haben kann, sondern kür solche reliaiöle Betrachtung ist der Dienst am

DM der ganzen TNensiMeik nur eine Nrk des Dienens vor Gott.

Gerade iür die Menschen von heute ist der Arbeiter, der ein Glied ein"r kür ibn unübersetzbaren wirtschaftlichen Ac- beitskette darstellt, wie ein Gleichnis unserer aesamlsn see- lichen Lage. Das Fortschreiten der Naturertsnntn!' har uns den Mick in alle Fernen des Geschehens unendlich er­weitert. Je weiter aber der Ausblick geworden ist, um so weniger sehen wir Anfang und Ende und um so weniger haben wir Formeln für die Bedeutung des Geschehen^ über­haupt. die uns innerlich befriediaen. So sind wir all», auch die, denen die Schätze des Wissens und Forschem osseu- liegen durch alle Fortschritte menschlicher Geill-sarbeit im­mer einsamer geworden. Auch der seelische Bruck» mit der Vergangenheit kulturellen Lebens klafft immer starker. Die ganze den Sinnen zugängliche Wirklichkeit um uns herum, in Raum und Zeit, hat ihre Festigkeit eingebüßt. Der Mensch aber kann in allen diesenRelativitäten" nicht wur­zeln, sondern braucht einen Wurzelstock iw. Absolut «. So scheinen mir die Aufgaben der Religion und belond-rs des EP^kx-ntums. das wir bekennen, größer denn je. Wi" dürft« uns auch durch Erschlaffungserscheinungen.ini kirck- liche^tt-ben, wie sie vielfach in der Welt und auch im Ein- zcllebeu . '-'"ser Menschen bemerkbar sind. nG't ir>--> machen lassen. Auch die Ausdrucksfermen religiösen Le­bens stehen im Strom geschichtlichen Werd ns. Eine solste Erkenntnis kann niemals bedeuten, daß feste Formen nickt erforderlich seien. Umgekehrt spricht alle innere Erfahrung dafür, daß. de»- Einzelne den Weg zu Gott am lck ' iftten in den festen Formen findet, die ihm von Zrmend m ver­traut find. In der Weltkonferenz für praktisches Christen­tum sehe ich nicht nur die Bekundung des Willens zum praktischen Christentum, sondern besonders auch die Welt­konferenz, in der auch gerade das evangelische Christentum, in dem icb ausgewachsen bin und lebe, aus der Zersvaltung keines geschichtlichen Merdeaanas beraus den Gestaltung?»-