Sette 2 - Nr. 13V
Ragolder Tagblatt »Der Gesellschafter-
Schweres Eisenbahnunglück in Amerika
Lin aus zehn Wagen bestehender Zug. der hauptsächlich mit Reisenden beseht war. die aus dem Wege nach Europa w 2 -eu. um sich zu einer Vergnügungsreise nach Deutschland ei->,schiffen, entgleiste in Hackettskoum während eines heftigen Angewitters. Der erste Wagen wurde. umgeworfen, ebenso die Lokomotive, die explodierte und mit ihrem Dampf Las Personal und die Reisenden verbrühte. Rach den neuesten Meldungen wurden 38 Personen getötet, darunter 20 Frauen. und KV Personen verletzt.
Diese Zahl dürfte sich noch erhöhen, da mit dem Ableben mehrerer Verletzter gerechnet wird. Abgesehen von sieben Mitgliedern des Fahrpersonals sind sämtliche Tote und Verwundete wohlbabende Deutschamerikaner. 182 Reisende gehörten einer Reisegesellschaft von 250 Personen an, die zur Tausendjahrfeier des Rheinlandes nach Koblenz fahren wollten und von dort Reisen nach München, Stuttgart, Frank- mrt a. M. und Mainz beabsichtigten. Don den deutschen Fahrgästen des Zugs sin- 126 mit einem besonderen Zug« Uach Hobogen gebracht worden, wo sie an Bord der „Republik" gingen. Nach dem amtsichen Bericht wurde das Un- > glück dadurch verursacht, daß große Erdmassen der Böschung durch den Gewitterregen auf die Scheuen gespült wurden.
DerHcher Reichstag
Nel der Besprechung der Kulturfragen weist Frau Abg. Dr. Matz (DBP.) auf die starke Gefährdung der sittlichen Einstellung unserer Jugend hin. Alle Schund- und Schmuh- »teratur müsse eingezogen werden. Sie fordert Fahrpreis- iermähigung für das Jugendwandern.
Reichsinnenminister Schiele versichert, daß die Nordmark bei der Förderung kultureller Bestrebungen nicht zu kurz kommen werde. Auf dem Gebiet der sportlichen Erziehung und Ertüchtigung unserer Jugend seien gerade in letzter Zeit bedeutsame Erfolge aufzuweisen. Der Minister kündigt eine Reihe von Gesetzen zum Schutz der Jugend an und macht Mitteilung von einer vorläufigen Regelung der Bekämpfung der Schund- und Schmutzliteratur. Auf dem Gebiet des Schulwesens sei jede Uniformierung abzulehnen. Selbstverständlich dürfe wiederum auf bestimmten Gebieten der Einheitlichkeit der deutschen Kultur kein Abbruch getan werden, namentlich auf dem Gebiet der Lehrerbildung.
Abg. Dr. Schreiber (Zentr.) erklärt: Die Wirtschaft könne nur gesunden, wenn sie fest auf dem gesicherten Unterbau der deutschen Geisteskultur fuße. Alle Kräfte des Volkes sollen Mitwirken, um der Kultur Raum und Licht und Luft zu eröffnen. Abg. Dr. Heuß (Dem.) verlangt ein Reuhs- gefetz für das höhere Schulwesen und ein umfassendes Be- mfsschulgesetz. Abg. Frau Lang-Brumann (Bavr. Volksp.) fordert die Herausnahme der Kunst aus der Gewerbeordnung. Die Kunst falle nicht unter gewerbliche Be- riffe. Zur Frage des Nationalfeiertages erklärte sie, daß ie Bauernschaft einen Feiertag in der Erntezeit im August nicht wünsche. Abg. Künstler (Soz.) erhebt Einspruch ßegen die vielen historischen Filme, die nur nationallozia- Wsche Tendenzen verfolgen.
Der Antrag des Haushaltausschusses, den 18. Januar zum Nationalfeiertag zu bestimmen, wird mit 193 Stimmen gegen 138 Stimmen der Deutschnationalen, der Deutschen Volkspartei, der Völkischen und eines Teils der Wirtschaft- Schen Bereinigung abgelehnt. Die Anträge zum Schutze »er Feiertage und der demokratische Antrag, den 11. August Mn Nationalfeiertag zu erklären, werden dem Rechtsausschuß überwiesen. Der kulturelle Teil des Haushalts wird mksprechend den Ausschußbeschlüssen erledigt.
Devtscher Landwirtschaftsral und Zollvorlage
Iriedrichshafen, 17. Juni. Nach dem Vortrag des Dr. Frhr. o. Wang-nheim und einer längeren Aussprache wurde »om Deutschen Landwirtschaftsrat eine Entschließung angenommen, wonach der Landwirtschaftsrat die Denkschrift billigt, aber auch die Einführung angemessener Zollsätze für Futtermittel und eines mäßigen Zollsatzes für Walle für notwendig hält- Der Landwirtschaftsrat begrüßt es, daß « dem Gesetzentwurf über Zolländerungen der Schutz der lebensnotwendigen heimischen Produktion betont werde, erblickt aber in der Gestaltung der Zollsätze keine Verwirk- llchung dieser Grundgedanken. Wichtige Zweige der deutscher? Landwirtschaft sind gar nicht, sehr viele aber ungenügend geschützt. Die weltwirtschaftliche Lage rechtfertige auch keine Mkzessive Steigerung bis zum 1. Juli 1926, sondern erheische die sofortige Einführung ausreichender Völle mit Beainn der
diesjährigen Ernte. Der Landwirtschaftsrat erhebt seine warnende Stimme vor dem deutschen Volke. Wenn man den Zollschutz der Landwirtschaft, den diese im Gegensatz zur Industrie lange Jahre völlig entbehren mußte, nur in unzureichendem Maße wieder herstellt, so ist die Gefahr emer schweren Katastrophe für die gesamte deutsche Wirtschaft in nächste Nähe gerückt. Der Landwirtschaftsrat erwartet daher eine Beseitigung der Mängel und einen angemessenen Ausgleich zwischen den Zollsätzen auf gewerbliche und landwirb schaftliche Produkte. Sollte wider Erwarten der Landwirtschaft ein lückenloser, der Parität mit den Jndustriszöllen entsprechender Zollschutz versagt werden, so müßte der Landwirtschaftsrat für völlige Zollfreiheit auf allen Gebieten Antreten. Es ist unmöglich, daß man der Landwirtschaft den nötigen Schutz ihrer Erzeugnisse versagt und damit d'" Preise für Deutschland herabdrückt, ihr aber gleichzeitig zumutet, daß sie für ihre notwendigen Produktionsmittel Preise zahlt, welche infolge hohen Schutzzolls für sie unerschwinglich werden müssen. Der Landwirtschaftsrat verwahrt sich weiterhin gegen vertragsmäßige Bindungen durch Handelsverträge vor Verabschiedung der Zollgssetze-
In einer weiteren Entschließung werden sofortige Verhandlungen mit Spanien zwecks höheren Zollschutzes. für Wein, üAst und Gemüse oder bei ungünstigem Verlauf dieser Verhandlungen die alsbaldige Kündigung des spanischen Abkommens, ferner die vollständige Beseitigung aller Zollvergünstigungen für Verschnitt; und Dessertweine, außerdem ein Zollsatz von 80 Mark per 100 Kilo weißen Faßwsins und von 130 Mark für 100 Kilo Tabak verlangt.
Direktor Dr. Ströbel von der württ. Landwirtschafts- kammer sprach über württembergische Landwirtschaftsfragsn. Mit ernster Sorge blicke die schwäbische Landwirtschaft in die Zukunft. So wie bisher könne es nicht weiter gehen. Noch zeige sich eine gewisse Geduld, diese Geduld werde ober bald ein Ende haben. Von besonderer Wichtigkeit für Württemberg sei der Wein-,, der Woll- und der Milchzoll. Unsere württembergischen Weingärtner kennen nur barte Arbeit und hoffen auf das nächste Jahr, In ihren Hoffnungen sind sie schändlich betrogen worden. Für die Landwirtschaft mästen die Lebensmöglichkeiten geschaffen werden, die andere Be- rufsgruppen zugestanden erhalten. Wir fordern Gerechtigkeit und Gleichberechtigung.
Präsident Adorno wies darauf hin, daß >m vergangenen Jahre Tausende von Zentnern deutschen Obstes zugrunde gegangen sind, weil sie nicht absetzbar waren, und daß trotzdem ftir 0,1 Milliarden Mark Obst eingeiübrt wurde, das wir selbst bätten erzeugen können. Der Redner warf die Frage auf, ob denn der Horizont in Berlin so verdunkelt sei, daß man das nicht erkenne. Auch im Hovfenbrm siegen die Verhältnisse sehr mißlich. Der Landwirtfchaftsrat sollte seine Unterhändler dabin instruieren, daß in dieser Beziebuna nicht nachaeg'bsn werde, damit auch dieser Zweig der Landwirtschaft wieder zu seinem Recht komme.
Schließlich wurden zwei Vorträge über die Wirtschaftsberatung und die öffentlich-rechtliche Berufsverkrekung gehalten. Nach einem Bericht von Dr. Schcreffer wurde in einer Entschließung die Zurückziehung des Gesetzentwurfs über Aenderungen in der Unfallversicherung geforder' und außerdem verlangt, daß sich die Eefetzesänderungen ausschließlich auf die Umstellung der Renten- auf Goldmark beschränken. Darauf schloß Präsident Dr- Brandes die Tagung. Er wies darauf hin, daß die deutsche Landwirtschaft mit Sorgen in die Zukunft blicke. In so ernster Stunde wie die diesjährige Tagung bat noch keine geschlossen. Noch in dieser Woche wird der Präsident des Deutschen Lcmdw'rt- schaftsrats beim -Reichspräsidenten oorivrechsn, um ihm Vortrag über den Ernst der Lage zu halten.
Württemberg
Der Finanzausschuß setzte seine Beratung beim Ministerium des Innern fort. Bei Kap. 22 (Staats- und Privak- irrenanstalken) teilte der Minister mit, daß die Regierung* die Errichtung einer Kinderbeilanstalk plane. Ministerial- Rat Scheurlen teilt bei Kap. 23 (Gesundheitswesen) mit, daß der Milzbrand beim Menschen zugenommen habe. Die Krankheit gehe im wesentlichen von Backnang aus, seit die Zufuhr von sog. Wildhäuten wieder möglich ist. Das Mis nisterium habe Verhandlungen mit der Stadt Backnang ge- gepflogen, aber bei den dortigen Industriellen betreffend Reinigung des Abwassers leider nicht das gewünschte Entgegenkommen erfahren. Im Oberland kommt der Krebs häufiger vor als im Frühzeitige Ertennnno
Donnerstag, 18. Zirni 1825
und Operation sind bis jetzt die einzigen Heilmittel. Bei Kap. 24 (Bekerinärwesen) keilt Min.-Rak Osterkag mik, daß zurzeit 35 Gemeinden durch Maul- und Klauenseuchen verseucht seien. Angenommen wurde ein Antrag bes Berichterstatters, von Landeswegen die Möglichkeit der Bekämpfung der Faulbrut der Bienen und anderer übertragbarer ' Bienenseuchen gesetzlich zu schaffen. Bezüglich des Oberamtstierarztgesetzes teilt der Min.-Rat mit, daß in Bälde eine Vorlage eingebracht werde. Bei Kap. 27 (Straßen- und ' Wasserbau) teilt der Minister zur Vorlage des neuen Weggesetzes mit, daß die Frage mit finanziellen Schwierigkeiten verbunden sei. Geplant ist eine Verbesserung der Staatsstraße Stuttgart—Heilbronn auf Markung Feuerbach, stx. ner auf der Strecke Kormvesthsim—Ludwigsburg, ebenst zwischen Cannstatt, Fsllbach und Waiblingen. Auf dielen Straßen soll eine Asphaltdecke nnoebracht werden. Iix Kleinpflasterung der Straßen auf 2 Kilometer langen Streb Ken lall durchaelührk werden, namentlich im Filskal zwischen Plochingen—Göppingen—Geislingen, dann zwischen Ulm- Söflingen, Ravensburg — Weingarten. Die Abstimmung wurde zurückgestellt. Kap. 28 (ösf. Fürsorge) wurde genehmigt. — Bei der Beratung des Haushalts des Skaais- mimsteriums gab Staatspräsident Bazille auf Beran- chssnna pen si„i'->d"mokr^f's'^en und d"mehratischen sowie deutschvolksparteilichen Musterungen Mitteilungen über 7M-I- —>1 ->vr OZ Die Regierung
werde alles tun, die württembergischen Interessen wahrzw :bmen und werde hierbei a"-h dem Landtag Gelegenheit geben, dazu Skesinnci zu nehmen. Der Einfluß Württembergs im Reich sei entsprechend. Die Frage der Kriegsschnldlüge sei infolge der Neuwahlen siegen geblieben: er werde sie fehl energisch wieder in Angriff nehmen. Zu der Encwaffnungs- ttacie könne er erst Stellung nehmen, wenn er das offiziell« Material kenne. Es sei nicht auffallend, daß wir jetzt eine Wirtschaftskrise haben, auffallend sei nur. daß der Eintriti der Krise so lange gedauert habe. Der Wiederaufstieg sei nur unter schweren Krisen möglich. Die beabsichtigte Vereinfachung und Umgestaltung der Staatsversassnng brauche Zelt, da es sich um große Arbeiten bandele. Die Vorarbeiten leien schon so weit, daß im nächsten Winter die ersten Gesetze voraeftat werden können. Die Last der RevrÄ'enlaiion sei la groß, daß die Arbeit darunter leide.
Kirchheim u- 17. Juni. Fern von der Heimat gestorben. In Brasilien, wohin cr mutig und entschlossen ausgewandert war, ist Albert Beck, Sohn der Frau Marie Beck in der Gutenbergstraße, einer Typhusepidemie zum Opfer gefallen.
^ Dapsen OA. Münsingen, 17. Juni. Sturz aus dem Fenster. Die beiden Kinder des Bauern und Fuhrmanns M-lb. Sckmelcker vergnügten sich mit Hinausschauen zum Fenster. Plötzlich stürzte das einelnhalbjährige Söhnchen Karl zum Fenster hinaus auf den gepflasterten Hofraum- Es verschied nach kurzer Zeit.
Pomrnerksrveiler OA. Aalen, 17. Juni. Blitzschlag.
Bei einem Gewitter schlug ein Blitzstrahl in das StallgebäÄe des Bauern Josef Mettmann von Straßdorf, ohne zu zünden- Dabei wurde ein im Stall stehendes Pferd vom Blitz getroffen. Es ist nun auf einer Seite gelähmt.
Heidenhcim, 17. Juni. Bauarbeiter streik. Ms > Bauarbeiter traten in den Streik, nachdem ihre Forderung, ^ den Lohn der Klasse 1 zu erhalten, seitens der Arbeitgeber nicht genehmigt wurde. Angestrebt wird die Abänderung des kürzlich seitens der Aentralleitung gefällten Schiedsspruchs, wonach für Heidenheim die Lohnklasse 2 Geltung haben soll.
Dopfmgcn, OA. Neresheim, 17. Juni. Tödlicher ^ Auto Unfall. Hermann Müller zur Steinmühle kehrte von einer Geschäftsfahrt von Heidenheim mit seinem Auto ! zurück, als ihm vor Ohmheim ein Jagdhund ins Auto sprang, wodurch er die Böschung hinabfuhr. Er ist seinen schweren ' Verletzungen nach kurzer Zeit erlegen.
Kleineislingen OA. Göppingen, 17. Juni. Aufgeklärter A u t o d i e b st a h l. In einem hiesigen Anwesen wurde ein Auto einegestellt, das beschlagnahmt wurde. Nunmehr stellte sich heraus, daß der wertvolle Wagen in Saarbrücken gestohlen wurde. Die „Landung" am hiesigen-Platz geschah infolge Schlauchdefekts, den der Wagenlenker wegen Wert- zeugmangels nicht beheben konnte. Der Lenker heißt Kerl Zeller, gebürtig aus Göppingen und wohnhaft in Lauphei»
Bis jetzt konnte er noch nicht ergriffen werden.
Alm, 17. Juni. Stapel lauf. Vom Stapel gelaufen ist am Montag das dreiteilige Schiff, das der Verein für Fremdenverketzr zur Aiwiiitzwii-w rwu --cmesrnälzinen Doneu-
Verständnislos sah Erdmule sie an. Dann brach sie in lautes Lachen aus. „Ich habe ja an was ganz anderes gedacht!"
Nach einem reichen Frühstück scheuchte Frau Meyhöfer den vorlauten Backfisch hinaus und sprach dann lange und eindringlich mit Marie über ihr Verhältnis zu Karl.
Mit rührender Scham bekannte Maris, dah sie sich von Karl habe küssen lassen.
„Ich habe Karl so lieb," sagte sie schlicht, „daß ich schwach wurde. Aber sie werden es mir wohl verzeihen, denn meine Eltern billigten es und für mich war es der erste Giücksstrahl im Lebe«, der auch der einzige bleiben wird."
Wenn Frau Meyhöfer das Mächden nur geachtet und geschätzt Harke, dann gewann sie es jetzt lieb wie eine Tochter. Aber sie blieb in schweren Gedanken zurück, als Marie gegen Mittag weggegangen war. Die Schande, die der alte Schuster über sich und seine Familie gebracht hatte, erschien jetzt auch ihr als schwereres Hindernis als der Widerstand ihres Mannes.
13.
Der Schulze war nach der Szene mit Marie sofort ins Dorf gegangen. Er wollte mit einem heftigen Donnerwetter dazwischen fahren und feststellen, wer dem Schuster die Uniform mitgegebeu hatte. Dadurch hatte er nicht nur den Napoleon verloren, jo«' dern auch den Spott der Benkheimer zu befürchten, die man jetzt um Herausgabe der Uniform ersuchen mußte.
Als er an der Schmiede oorbeikam, blieb er stehen und rief den Gesellen heran.
„Na, wie ist es nun. Wittstack? Wollen Sie den Napoleon spielen?"
Franz nahm die Mütze ab und kratzte sich hinter dem Ohr.
„Ja, Meister, aber nur unter einer Bedingung."
„Und die wäre?"
„Daß ich mich wehren kann, wenn Sie mich am Abend rer- hauen wollen."
Auf der Stirn des Schulzen schwoll die Zornader.
„Sie haben Kleidung und Wäsche erhalten, :ch Hab« Ihne« Arbeit gegeben, alles nur, weil Sie sich verpflichteten, dev Napoleon zu spielen. Was damit verknüfpk war, wußten Sie... i« oder nein?"
Franz sah ihm offen in die Augen. „Ja, Herr Aeqhißer» das Hab« ich allerdings gewußt, ich dachte aber..."
(Fortsetzung salzt.)
Der Bismarck von Kerschken
21) Ein lustiger Roman von Fritz Skowronnek
Lop^rl^rd 1924 d? Karl Köhler u. Co.. Berlin 'iV 15
(Nachdruck verboten.)
Endlich fanden sie Herrn Meyhöfer in seinem Arbeitszimmer, s Erdmute zog Marie an der Hand nach sich und rief schon an > der Schwelle: !
„Väterchen, ich bring dir einen lieben Besuch... Manschen-
aus Benkheim." j
Und Marie flüsterte sie im Abgehen zu: „Nur Mut, ich schicke! die Mutter zu Hilfe." !
Ja, Mut brauchte das tapfere Mädel wirklich in diesem Augenblick, denn der Schulze von Kerschken trat ihr mit ernster Miene und der ganzen Würde eines Bismarck entgegen.
„Womit kann ich Ihnen dienen?"
„Ich bin Marie Paluttke aus Benkheim. Ich bringe Ihnen die hundert Mark wieder, die Sie gestern dem Vater gegeben haben. Er wird den Napoleon nicht spielen."
Damit nestelte sie in ihrem Handtäschchen und legte den Geldschein vor Meyhöfer aus den Tisch.
„Das gibt es nicht, Fräulein, Ihr Vater hat sich schriftlich dazu verpflichtet."
„Ach, lieber Herr Meyhöfer... haben Sie doch Mitleid mit uns... Sie können doch den alten gebrechlichen Mann nicht schlagen..."
Dem Schulzen war der Auftritt sehr peinlich. Mit dem Aer- ger darüber, daß ihm dieser Napoleon aus den Fingern schlüpfen sollte, mischte sich die Empfindung des Mitleids mit dem Mädchen, das für ihren Vater bitten mußte. Er räusperte sich einige- male, ehe er antwortete: s
„Liebes Fräulein, ich habe Ihrem Vater schriftlich und münd- ^ sich zugesichert, daß ich ihn glimpflich behandeln werde. Ich will i noch einen Schritt weiter gehen und Ihnen das Versprechen geben,! daß ich Ihrem Vater nicht wehe tun werde. Ich brauche aber diese symbolische Handlung..." ^
„Herr Meyhöfer, das ist es ja gerade, wrs uns in Schande ^ bringt, daß mein Vater sich für Geld schlagen lassen soll..." I
Jetzt verließ sie die Selbstbeherrschung. Weinend, schluchzend stieß sie hervor:
„Sie hoben uns in Schande gestürzt. Mein Vater... gestern «bend..
Im Uebermaß des Herzeleids brach ihr die Stimme. Da tegle sich ein weicher Arm um sie, und führte sie ein paar Schritte zum nächsten Stuhl. Eine sanfte mitleidsvolle Stimme sprach zu ihr:
„Beruhigen Sie sich, mein liebes Kind, es wird sich alles zum Guten wenden. Nicht wahr, Otto? Denk mal, wenn dein Kind so dastehen müßte und für dich bitten."
Der Schulze wandte sich ab und brummte etwas vor sich hin, was niemand verstehen konnte. Bei .den letzten Worten seiner Frau war -ie Rührung über ihn gekommen... Hastig nahm er den blauen Lappen vom Tisch und warf ihn in eine Schublade, die er geräuschvoll zustieß. Mit rauher Stimme sagte er:
„Liebes Fräulein, es ist alles erledigt, ich verzichte auf Ihren Vater als Napoleon."
Mit einem dankbaren Blick in den Augen stand Marie auf und streckte ihm die Hand hin: „Ich danke Ihnen von Herzen, Herr Meyhöfer."
„Keine Ursache, ich wollte bloß noch sagen, daß Ihr Vater sich selbst dazu erboten hat, und daß ich ihm eine sehr anständige Summe geboten habe."
.Und was war dann gestern abend mik Ihrem Vater, liebes Kind?"
„Ach, Frau Meyhöier, schrecklich!"
Ziemlich gefaßt erzählte Marie die traurigen Vorgänge. Auch § die Begegnung am heutigen Morgen... daß der Nachtwächter von Benkheim die Uniform aufs Rathaus getragen habe.
Zuerst stieß der Schulze einen kernigen Fluch aus, um sich von dem Aerger zu befreien. Dann sagte er mitleidsvoll:
„Liebes, Fräulein, daran bin ich ganz unschuldig. Ihr Vater sollte die Uniform nur anprobieren, damit sie unser Schneider ihm zupassen konnte."
Frau Meyhöfer war durch Mariechens Erzählung aufs tiefste erschüttert. Sie mußte an ihren Sohn denken, dem dieser Vorfall die Ausführung seines Herzenswunsches nahezu unmöglich machte. In diesem Augenblick empfand sie auch den Abstand der beiden Familien und die Hindernisse, die sich zwischen den Herzen der jungen Leute auftürmten.
Um so größer wurde ihr Mitleid mit dem jungen Mädchen, dem die Liebe ihres Sohne gehörte. Sie nahm Marie in das Wohnzimmer, wo Erdmute schon sehnsüchtig wartete und sie mit -er Frage empfing, ob sie „den Alten rumgekriegt" hätte.
Mit feinem Takt erwiderte Marie, daß Herr Meyhöfer ihren Vater aus der Verpflichtung, den Napoleon zu spielen, entlassen l habe.