Ragolder Lagblatt »Der Gesellschafter
Sette 2 — Rr. 127
Donnerstag, 4. Juni 1V2L
In Bad Merzetttherm gestarteten Pferde wir- auch in Herk- bronn starte«, sodaß alle« denen, die nicht in Mergentheim waren, Getegsnheit geboten wird, alle die Reiter und Pferde an,zusehe», iBe ans Fachzeitschriften zur Genüge bekannt sind. Wir kÄ«e« deshalb allen Freunden des Pferdesports dringend raten, sich die reitersichen Wettkämpfe in Heilbronn anzu sehen.
Rottenburg. 3. Juni. Neue Brücke. Vom Schlachthaus aus soll in die neue Autenstraße eine neue Brücke gebaut werden. Zurzeit werden vom Geometer die Aus- steckungsarbeiten vorgenommen. Die untere Neckarbrücke ^ ist schon längst defekt.
Tleheen, OA. Tübingen, 3. Juni. Ueberfahren Beim Ueberschreiten des Gleises auf dem Bahnhof wurde der 86jährige Johann Konrad Speidel, Vater des hiesiger Haltestellevorstehers, vom Zug ersaht und getötet.
Nürtingen, 3. Juni. Vom Auto überfahren Gestern kam der 15 Jahre alte Mechanikerlehrling Richard Haußmann von Oberboihingen vor einem um die Straße biegenden Lastauto zu Fall, so daß ihm das rechte Vorderrad über den Oberkörper ging, was seinen alsbaldigen Tod zur Folge hatte. Den Kraftwagenführer trifft keine Schuld.
Roktweil. 3. Juni. Falsches Geld. Hier wurde eir Mann und ejye Frau wegen Verdachts der Falschmünzerei sestgenommen. lÄi dem Mann wurden über 100 R falsches Geld gefunden. Das Geld soll in Pforzheim Hergestell: werden.
Alm, 3. Juni. Entladung einer Legbüchse. Da- 10jährige Tochterchen des Weichenwärters Ries von Söflingen kam beim Spiel im Garten einer Legbüchse, die zun Schuß gegen Einbruch gelegt worden war, zu nahe. Dil Büchse entlud sich und verletzte das Kind am Kopf ziemlick schwer, so daß es ins Krankenhaus verbracht werden mußte
Heidenheim. 3. Juni. Einweihung. An Pfingste» wurde das Haus der „Naturfreunde" auf dem Galgenberg das die Mitglieder des Vereins für die wanderlustige Ju gend erbaut haben, eingeweiht.
Metingen OA. Laupheim, 3. Juni. Unfall. Der 4' Jahre alte Landwirt Joseph Wieland fiel vom Heuboden uni war sofort tot.
Kochertürn OA. Neckarsulm, 3. Juni. Ertrunken. Am Samstag ist ein 28jähriges, braves und unbescholtenes, aber zu Schwermut neigendes Mädchen verschwunden. Zuletzt sah man es beim Hemnachen auf einer Wiese am Kocher. Am Pfingstsonntag fand man die UnglüMche als Leiche im Kocher.
Bvtenzell OA. Biberuch, 3. Juni. Das Selbst de st i m m - n g s r e ch t der Frau. Der Gemeindc-ra BA^luß gefaßt, daß alle Frauen uns F-ä«1en von 20—15 Jahren der Gemeinde Gutenzell durch ihre W fvmmung selbst bestimmen sollen, wer als Hebmss«- aus gebildet werden soll. Am Pfingstmontag fand nrm d>v Zücch m Es erhielten Frau B. Hnkel 39 Stimmen, Frt, Anm Bell 28 St. und Frl. Karvline Mensch 21 St. Frau Hntzs gilt nun nach dem Besckstuß des Gemeinderats --o-—' "s.
Göppingen, 29. Mai. Aus dem Gerichtssaal Vor
dem grotzen Schöffengericht in Göppingen fand heute die Verhandlung gegen die Inhaber der Firma Gebr. Ganzenhuber und Sieber statt. Es handelte sich, wie schon früher bekannt geivorden, darum, daß die Firma von der Oberamtssparkaffe Geislingen einen Kredit von rund 400000 zu erhalten gewußt hat, welcher Betrag außer Verhältnis zu der Bedeutung des Geschäftes stand. Ter Direktor der Oberamtssparkaffe Geislingen hatte diesen Kredit ohne Genehmigung der Ausleih- kommission gegeben und hat sich deshalb in nächster Zeit im Disziplinarverfahren zu verantworten. Die Firma Ganzenhuber und Sieber kam nun infolge ihres leichtsinnig großangelegten Bauprogramms in Konkurs, bei dem eine Schuldenmasse von über 900000 zum größten Teil unbefriedigt blieb. Den Kredit der Bauhandwerker und Baufirmen hatte sich der Inhaber der Gesellschaft durch schwindelhafte Angaben zu verschaffen gewußt und wegen dieser Betrügereien standen dieselben nun heute vor Gericht. Die Verhandlung ergab ein deutliches Bild über die verübten Betrügereien. Sie wurden dementsprechend mit Ausnahme eines der Inhaber, dem der Betrug nicht deutlich genug nachgewiesen werden konnte, zu Geldstrafen von 150 und 300 verurteilt. Diese auffallend niederen Strafen finden ihre Begründung dadurch, daß das Gericht annahm, sie hätten sich bei der energielosen Haltung des Sparkaffendirektors trotz der verschiedenen schriftlichen Kreditkündigungen und Zahlungsaufforderungen für berechtigt halten können, anzunehmen, daß ihnen auch weiterhin noch Kredite gewährt
würden.
Aus Stadt und Land
Nagold, den 4. Juni 1925.
Frage nicht, was andre machen,
Acht' aus deine eignen Sachen.
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Dom Rathaus.
Gemeinderatssitzung vom 28. Mai 1925.
Bau- und Wohnungssachen. Von der Landesversicherungsanstalt Württemberg erhält die Stadtgemeinde ein Baudarlehen von 30 000 Goldmark zum Wiederausleihen an Einzelversicherte der Versicherungsanstalt, die sich Kleinwohnhäuser erstellen. Zu dieser Schuldaufnahme ist die Genehmigung der Minist.-Abteilung für die Bezirks- und Körperschaftsverwaltung einzuholen. — Die Wvhnungskreditanstalt hat die 40o/g igen Aufwertungsbescheide für die gegebenen Bauzuschüffe und Baudarlehen aus Grund der 3. Steuernotoerordnung herausgegeben. Die Stadtgemeinde trifft es insgesamt 3824 die zur sofortigen Zahlung angewiesen werden. — Die Beschränkungen der Hypothekenbestellung bei Heimstätten hat einige Heimstätter veranlaßt, das Gesuch zu stellen, die Heimstätten abzulösen. Der Gemeinderut ist gegen Bezahlung einer Ablösungssumme von 500 ^ damit einverstanden. Nach dem Reichsheimstätteugesetz ist die Ablösung von der Zustimmung der obersten Landesbehörde abhängig. - Zu mehreren Baudarlehen der Wohnungskreditanstalt wird die vorgeschriebene Bürgschaft der Stadt übernommen, und zum Einbau eines Zimmers ein Baudarlehen von 1000 .46 gewährt. — Zum Ausbau der Hohestraße ist das Grundstück des Carl Rapp, Kaufmanns, zu 5 .>16 50 Z pro qm vollends erworben worden. Der Bauplatz Nr. III wurde unter den bereits bekannten Bedingungen an L. Wohlbold, Elektrizitätswerksbesitzer, abgetreten. - Das Württ. Kultministcrium hat mit Erlaß vom 12. Mai 1925 Nr. 6538 die auf Grund des Gemeinderatsbeschlusses vom 3. Juni 1903 vom Staat angebrachte Feuertreppe an der Präparandenanstalt der Stadt überlassen. Zur Instandsetzung des Musikpavillons im Stadtacker und zur Legung eines neuen Brettcrbodens sind 200 ^6 erforderlich, die für Rechnung 1925 beivilligt werden. Aus Anlaß eines besonderen Gesuchs wird ausgesprochen, daß die Anbringung von Reklameschildern aller Art am Rathaus grundsätzlich unstatthaft ist. Die Neuordnung des Platatmeseiis in der Stadt soll in die Wege geleitet werden.
Trichinenschau. Das Ministerium des Innern enrpfiehlt auf Grund eines Gutachtens der Stuttgarter tierärztlichen Gesellschaft den Genreinden nrit öffentlichen Schlachthäusern die Einführung der Trichinenschau. In Uebereinstimmung mit der Ansicht des Fleischbeschauers und der Metzgerinnung wird ein Bedürfnis hiefür nicht anerkannt und von der Einführung, der Trichinenschau hier abgesehen. - Frauenbad. Das Frauenbad kann bei günstigem Wetter wieder in Benützung genommen werden, es ist aber dafür zu sorgen, daß die angeschwemmten Steine ans der betreffenden Fläche des Nagoldbetts vor: Zeit zu Zeit, wie früher, entfernt werden. Als Badfrau ist Frau Marie Klumpp tätig. An Eintrittsgeld wird erhoben für Benützung eines offenen Abteils 10 Z, für Benützung eines verschließbaren 20 Z. Im Abonnement für 12malige Benützung I bezw. 2 ,46.
Sonstiges. Für die Feuerwehr ist eine Anzahl Ausrüstungsgegenstände anzuschaffen. Beschluß: Genehmigung. — Solange der Sportverein seinen Sportplatz an der Calwer- straße den hiesigen Schulen zur Mitbenützung zur Verfügung stellt, wird vom Sportverein für den Eisbergsportplatz ein Pachtgeld nicht erhoben. - Die Bewohner hinter dein Eisenbahndurchlaß beklagen sich über Belästigung durch das reisende Dolk» das jeweils dort lagert. Die Klage erscheint berechtigt: eine Verbotstafel wird angebracht. — Von dem Bericht des Oberlehrers Sandler über den Betrieb der Volksbücherei wird Kenntnis genommen. Seine- Belohnung wird etwas erhöht. — Nachdem sich die Verhältnisse wieder gebessert haben, werden von jetzt aö die Gesellschafter nicht mehr an den öffentlichen itlnschlagstafeln angeklebt. — Auf die Vorstellung des Gewerbevereins und der Stadtverwaltung hat die Eisenbahnbau-Jnspektion Calw mitgeteilt, daß die Instandsetzung der Vorhalle und des Warteraums 4. Klaffe im Bahnhofgebäude bereits bei der im Herbst letzten Jahrs vorgenommenen Bauschau zur Aufnahme in den Jahreshochbauvoranschlag für 1926 vorgesehen wurde. Zurückstellung dieser Arbeit mußte wegen Mangel an Geldmitteln erfolgen. Die.Erhebungen der Eisenbahnbau-Jnspektion über eine zweckentsprechende Verbesserung der Bahiffteigsperreordnung sind noch nicht abgeschlossen; die in Anregung gebrachte Erbreiterung des Eingangs zur Vorhalle ist wegen des hiedurch eintretenden stärkeren Luftzugs an
den Fahrkartenschaltern nicht durchführbar, es wird vielmehr eine Trennung der ankommenden und abgehenden Reisenden anzustreben sein. Anordnungen wegen OeffnenS des Warteraums 2. Klaffe wurden getroffen.
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Mörikeabend im Seminar. Heute vor 50 Jahren ist Eduard Morste gestorben. Ihm, dem größten deutschen Lyriker nach Goethe, dem Dichter, der wie "kein anderer der Seele seiner schwäbischen Heimat eine goldene Sprache geliehen, ih„i dem Reinen, Zartem Kindlichen, wollen wir eine Stunde andächtigen Gedenkens weihen. Hermann Achenbach wird Wols- Lieder singen. Zu Beginn ein paar einleitende Worte. Näheres s. Anzeige.
Nagolder Turner als Preisträger im Ausland.
Wie unsere deutschen Turner auch im Ausland sich bewähren und den guten Ruf der deutschen Turncrei in fernen Ländern Hochhalten, zeigen die Erfolge unsrer beiden Landsleute Fritz Walz und Mar H ärger. — Fritz Walz, der sich in einer auserlesenen Mannschaft an einern Städtewettkanm im Geräteturnen (Union Hilt gegen Elizabeth Turnverein) beteiligte, wurde zweitbester seiner Mannschaft und drittbester überhaupt, eine Leistung, die umso anerkennenswerter ist c>K Fritz Walz erst kurze Zeit drüben turnerisch tätig ist. M,- Hörger hat bei einem hauptsächlich von Newark, New-Mf und Philadelphia bestrittenen Wettkampfe im Hochspnmg sich den zweiten Preis errungen, bei der starken Konkurrenz der Turner und Sportler ein recht schöner Erfolg- — Den beiden Turnfreunden und Landsleuten überm Meer ein herzliches „Gut Heil!"
Pfingstausflug des Ehristl. Vereins Zanger Männer.
„Geh aus mein Herz und suche Freud!" Dieser Aufforderung unseres großen Dichters Gerhardt haben über die Pfingst- seiertage 25 Junginannen des C.B.J.M. Folge geleistet und sind hinausgezogen, um die icenerwachtc Natur in ihrem Festgewand zu sehen. Am Samstag nachmittag gings »nt der Bahn nach Schopfloch, von wo aus ein iVJtüudiger Marsch im Glanz der Abendsonne an das Ziel d^s ersten Tages, den Ursentaler Hof zwischen Glatten und Hombach führte. Ein guter Freund des Leiters hatte dem Vercinseinen großen Bauernhof als. Nachtquartier bereitgestellt. Nach einein kurzen Jmbij) und Abendandacht gings zur Ruh§ in Betten und aufs Heu, um am andern Morgen zeitig aufbrechen zu können. Um 6 Uhr morgens wurde, nachdem man sich bei dem Gastgeber noch mit einem warmen Truuk erquickt hatte, der Weitermarsch ins Kinzigtal angetreten. In etwa Istündigem Marsch war Alpirsbachg erreicht, das mit seinem alten Kloster und Kirche manch Sehenswertes bot. Ein Gottesdienst in letzter Stunde wurde nicht versäumt, um in den Naturschönheiten auch den zu hören, dessen Geist alles so wunderbar geschaffen hatte: Mit der Bahn gings sodann gegen I l Uhr weiter talabwärts nach Schiltach. Bon hier ans führte der Weg entlang der bad. Grenze zn First hinaus auf das sog. Mosenmättle, eine freigelegene kleine Ansiedlung,, wo die fetbstbereitete Suppe und das Vesper trefflich mundeten. Ans etwa 850 m Höhe wurde sodann der 'Abstieg ins 400 m tiefer gelegene Gutachtal unternommen. Vorbei an typischen Schivarzwnldhäusern mit strohgedeckte», weit Herabreichensen Dächern, oben auf der Höhe das weidende- Vieh mit seinen Hellen Glocken, unten iin Tal das muntere Bächlein, das heut sein Wasserrad nicht treiben kann, weils Sonntag ist. Ueber Kronbach gelangten wir abends in Gutach an, wo die treubesorgten Hauseltern des Jugendheims einer verwandten Bestrebung trotz der Verspätung uns noch Verpflegung, und ein Nachtquartier für die- müden Glieder , auf Strohsäcken gewahrten. Am andern Morgen wurde- zeitig nach dem nahen Hornberg, das schon von Weitem mit seinem malerisch gelegenen Schloß uns grüßte, aufgebrochen, nur von hier mit der Bahn nach Tri- berg zu fahren. Trotz der frühen Morgenstunde herrschte hier schon reges Leben und Treiben durch die Kurgäste pnd Ausflügler, ums bei der schönen Lage der Stadt und der majestätischen Pracht des in verschiedenen Absätzen herabstürzenden »B von der Mvrgenfonne schön beleuchteten Wasserfalls nicht verwunderlich ist.. Nach dem Gang zum Wasserfall bot sich Gelegenheit, dieStcM.Geiverbeausstellungzu bcsichtiaen, die eine Fülle von Erzeugnissen der heimischeutthren- und Metallindustrie enthielt. Von hier arcs bringt uns die Bahn nach Peterzell. Nach I Stunde Fußmarsch istKönigsfeld erreicht. Nun scheint uns aber das Wetter nicht mehr hold zu sein und der Weg zum Bcrnecktal mußte ein gut Stück in strömendem Regen zurückgelegt werden. Doch kaum war der Abstieg ins Tal beendet und in einem Bauernhaus Rast gemacht, als auch schon die liebe Sonne wieder kam und die Freunde zu einem Bad im nahen Bach einlüd, an das sich nachher noch turnerische Hebungen auf der Wiese nnschlossen. Dann kam der letzte Teil der Wanderung, das malerische, tief eingeschnittene Bernecktal mit seinen tannenbewachsenen Felsen,
Der Msmürä von ^erschien
H Ein lustiger Roman von Fritz Skowronnek
LopiriLtN 1924 dx Kar! tt'öhlcr u. Co.. Berlin iS
(Nachdruck verboten.)
„Für diesmal soll es dir verziehen sein, aber störe mich nicht wieder. Die Sache ist sehr ernst. Das Mädchen, sehr schlicht, ja beinahe ärmlich, aber sehr adrett und sauber angezogen, stand zwischen einer Schar jüngerer Geschwister und teilte ihnen von «nein Brot Schnitten aus. Ich tonnte sie einige Minuten beobachten, denn sie hatte noch nicht bemerkt. Aus ihrem Gesicht iag ein unendlich rührender Zug. Ich merkte auch die Ursache. Es tat ihr weh, das; die Schnitten so klein waren, die sie den Kindern zuteilen muhte. Wahrscheinlich war es diese Mischung von Liebe und Trauer, die mir so gefiel."
„Also Liebe auf den ersten..Mitten im Satz hielt Crdmute erschrocken inne und drückte die Hand gegen den Mund. Die Gebärde war so komisch, daß der Bruder lächelte.
„Da kannst du recht haben. Schwesterlein. Das Mädchen erregte mein Interesse, das sich bald zu einem wärmeren Gefühl steigerte, als ich mich mit ihr in ein Gespräch einließ. Sie ist nicht schön, höchstens kann man sie leidlich hübsch finden. Etwas größer als du, mein Schwesterlein, die Gestalt etwas dürftig, infolge der ungenügenden Ernährung . . ."
„Also ein ganz armes Mädchen?"
„Jawohl, Erdmute, ein ganz armes Mädchen, wenn man irdische Glücksgüter als Maßstab anlegt. Aber reich, unendlich reich on Geist und Gemüt. Sie genügt sogar dem landläufigen Begriff von Bildung, denn sie hat die Stadtschule bis zur ersten Klasse be- sucht."
„Das soll deine Frau werden, also meine Schwägerin? Ach, Brüderlein, tu doch nicht so geheimnisvoll ... Ich muß sie heute noch besuchen, um sie kennen zu lernen."
„Na, wer weih, ob sie dir so gefallen wird wie mir?"
Mir wird sie schon deshalb gefallen, weil du sie liebst."
„Das ist ein schönes Wort, liebe Schwester, wofür ich dir von Herzen danke."
„Nun laßt mich auch etwas sprechen," warf die Mutter ein. „Du fürchtest, mein Sohn, wie ich hieraus höre, daß der Bater deine Wahl nicht billigt und möchtest uns beide als Bundesgenossen werben. Wie weit bist du mit dem Mädchen? Hast du dich ihr schon erklärt?"
„Nein, liebe Mutter. Ich möchte sie nicht in die Kämpfe hineinziehen. Dazu steht sie nur zu hoch."
„Das finde ich verständig, mein Sahn. Aber weshalb nimmst du denn an, daß der Vater deinem Wunsche entgegen sein wird? Bloß weil sie arm ist?"
„Nein. Mutter," erwiderte Karl mit einem tiefen Seufzer. „Cs kommt noch manches andere dazu. Mariechens Mutter. . ."
„Ach, Manschen heißt sie, das gefällt mir schon von ihr . . ."
„Mariechens Mutter ist eine einfache, aber sehr brave Frau. Nur gegen den Vater sind einige Einwendungen zu machen. Manchmal spielt er eine komische, manchmal eine traurige Figur. Er ist im allgemeinen ein guter Vater und ein fleißiger Arbeiter, bis ihn der Alkohol packt. Mit einem Wort: er ist Quartalstrinker."
„Das ist böse, mein lieber Sohn."
„Ja, Mutter, man kann es ja auch milder beurteilen. Monatelang wehrt er sich gegen die Versuchung, bis ihn ein Zufall umwirft. Dann läuft er tagelang durch alle Kneipen. Erst vertrinkt er die wenigen Groschen, die er heimlich zu diesem Zweck be- gniffen hat, dann sucht er zu borgen und schließlich bettelt er jeden Menschen an, den er in der Kneipe trifft."
Er stützte mit einem tiefen Seufzer den Kopf in die Hand und starrte vor sich hin. Um seiner Bewegung Herr zu werden, stand er auf und ging mit großen Schritten in der Stube hin und her.
„Mein Sohn," begann nach einer Weile die Mutter mit bewegter Stimme. „Ich sehe, daß dir selbst der Entschluß schwer wird. Nun willst du ihn mir auf die Seele legen."
„Nein, geliebte Mutter, nein! Der Entschluß steht in mir fest. Ich möchte nur, daß ihr beide mich nicht falsch beurteilt. Ich möchte nur das geliebte Mädchen aus den unseligen Verhältnissen erlösen und als ihr Mann das Recht gewinnen, helfend einzugreifen. Ich fürchte aber, sie wird es von meiner Seite als ein Opfer an- sehen und zu stolz sein, es anzunehmen. Jetzt erhalten die beiden Frauen, Mutter und Tochter, durch aufreibende Arbeit die große Familie. Wenn die Tochter aus dem Hause geht, dann muh der Schwiegersohn einen Teil der Last auf sich nehmen und das weih ! Marie und deshalb wird sie meine Bewerbung ausschlagen."
Mit großen Augen sah die Schwester den Bruder an. Das Herz schlug ihr bis zum Halse hinauf, daß sie das Pochen und Hüiinnern fühlte. Zum ersten Mal trat der Ernst des Lebens vor ihre fröhliche, lichte Seele. Und es war kein Fremder, dem sie die Teilnahme widmete, sondern der einzige Bruder, an dem sie mit schwärmerischer Liebe hing. Er war sünf Jahre älter als sie
UIW solange sie üenken konnte, war er Ihr Ritter um» Sestyatz» gewesen. Jeden Wunsch nach einem Spielzeug, den ihr die Ettern versagt, hatte er ihr heimlich erfüllt und wie oft war sie aus seine» Knie, den Kopf an seine breite Brust gelehnt, eingeschlasen. Nr« war die Liebe dem Bruder ins Herz gezogen und sollte ihm nicht Freude, sondern Leid bringen. Mit Tränen in den Augen trat sie zu ihm und legte den Arm um ihn.
„Siehst du, kleines Schwesterlein . . . das Leben hat nicht nur Sonnenschein, sondern auch düstere Schatten."
Still überlegend saß die Mutter da. Sie kannte die ehrenfeste Gesinnung ihres Einzigen. Und sie fühlte, -aß diese Neigung nicht verfliegen würde, ibeiin sie keine Erfüllung fand. Das war kein Strohfeuer, sondern die große, kiese Leidenschaft, die ans Leben- geht. Keinen Augenblick war sie im Zweii tt ob das Müd-yen dieser großen Neigung würdig sei. Er h- sicherlich lange geprüft und'reiflich überlegt. Dennoch fragte ,,, jetzt:
„Wie lange kennst du Marie?"
„Ein Jahr, liebe Mutter."
„Mütterchen, du tust ganz so, als wenn du sie schon kennst und Karl hat doch noch keinen Namen genannt."
„Ja, liebe Schwester, die Mutter weiß es schon, sie hat es nach meiner Beschreibung erraten. Aber ich will es dir auch sagen. Marie ist die älteste Tochter des Schuhmachers Paluttke aus Benkheim. Damit dir die Neugier nicht das Herz erdrückt, will ich dir erlauben morgen hinzufahren. Du kannst dir ein Paar Schuhe nach Maß bestellen, das Leder dazu gebe ich dir mit. Du mußt dir natürlich nichts merken lassen."
„Aber Karl, weiß denn Marie noch gar nicht, daß du sie lieb hast?"
„Liebes Schwesterchen. Nicht nur der Mund spricht, sondern auch das Auge. Und deshalb glaube ich, Marie und ich, wir tragen beide unausgesprochen das Bewußtsein in uns, daß wir uns gm sind." .
„Mein Sohn, was hast du dir nun für einen Plan gemacht.
„Liebe Mutter, ich möchte erst den ganzen Rummel m,t der Sedanschlacht, die jetzt den Vater ausschließlich beschäftigt, von, c gehen lassen und dann vor ihn hintreten, um seine Einwilligung zu erbitten."
„Soll ich den Vater darauf vorbereiten?"
„Nein, Mutter, das hat keinen Zweck."
„Und wenn er seine Einwilligung versagt, was gedenkst vu z» run?"
lForttekuml kolok.1