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Donnerstag de« 18. Dezember 1924

Fernsprecher Ni. 29

98. Jahrgang

Tagesspiegel

Der Reichspräsident hat Außenminister Dr. Skresemann die Kabinettsbildung «mgeboten. Skresemann hat sich noch nicht entschieden. Wie verlautet, wird die Kabinettsbildung jedenfalls der Deutschen Volkspartei übertragen, auch wenn Skresemann ablehnen sollte; sie wird aber erst im neuen Jahr ausgeführt werden. Bayer. Volkspartei und Mrlschasts- pctrtei werden sich -an der neuen Reichsregierung beteiligen.

Der deutsche Botschafter in Paris v. Hösch erstattete dem Außenminister Skresemann in der Heilanstalt Fürskenberg Bericht über die Pariser Stimmung.

In Burbach bei Saarbrücken sind 1009 Arbeiter der Eisen- bahnhauptwerkstätte in den Ausstand getreten.

In Estland ist das Kabinett Akel zurückgekreken und durch ein Kabinett Jaakson aus allen Parteien ersetzt.

Die SorvZekregierung hak in einer unerhört scharfen Rokc bei der Regierung der Vereinigten Staaten gegen denun­erlaubten Aufenthalt" amerikanischer Kriegsschiffe in sibiri jjchen Gewässern erhoben. Die Schisse suchten und fanden eine Messingplatte eines verlorenen amerikanischen Schiffs, das geographische Forschungen vorgenommen hakte. Dar Washingtoner Staatsamk wird die Moskauer Rote nicht be­antworten.

Der englische Oberkommisfar in Kairo» Lord Allenby, er­hielt neue Drohbriefe, daß Minister in London ermordet wer­den sollen.

Die Räumung des Kölner Gebiets

Der peinliche Worlbruch Englands,

Die Wahrscheinlichkeit, daß die britische Besetzung Kölns unter Bruch des Versailler Vertrages über den 10. Januar 1925 hinaus verlängert wird, bereitet weiten Kreisen in England selbst nicht geringes Unbehagen. So schreibt der liberale LondonerNew Statesman", die bedeu­tendste englische Wochenschrift:

Recht und Pflicht der Räumung beruhen auf dem Ar­tikel 429 des Friedensvertrags, der die Räumung der drei Zonen davon abhängig macht, daß Deutschland die Vertrags­bedingungen getreulich erfüllt. Da es nstn klar ist, daß Deutschland diese Bedingungen buchst üblich gar nicht erfüllen konnte, so haben die Verbündeten zwischen zwei Möglichkeiten zu wählen. Sie können entweder er­klären, daß Deutschland die Bedingungen nicht erfüllt habe, dann ist der Artikel 429 erledigt, und die Verbündeten müß­ten die ganze Frage der Räumung des besetzten Gebiets mit Deutschland neu regeln. Oder aber sie können zugeben, daß Deutschland wenigstens versucht hat, die Bestimmungen des Vertrages auszuführen, und können den. gestrengen Buchsta­ben des Vertrags zuunsten seines Geistes preisgebsn. Wenn es wieder notwendig werden sollte, einen Druck auf die deutsche Regierung auszuüben, dann gäbe es dazu wirk­samere Mittel als die Anwendung von Verbandstruppen in Köln. Bonn und Koblenz und Mainz.

Auf der anderen Seite begegnet allerdings die Räumung Kölns am 10. Januar gewissen praktischen Schwierigkeiten. Es geht nicht an, daß wir einfach Köln verlassen, damit die Franzosen hinter uns einziehen. Die Angelegenheit ruft also geradezu nach einer Verständigung. Wir müssen noch in Köln bleiben bis die Ruhr völlig geräumt ist, also vielleicht noch ein halbes Jahr. Aber wir dürfen nur in Köln bleiben unter der gutwilligen Zustimmung der deutschen Regierung. Aber wenn wir unser Vorhaben nicht genügend erklären, wenn wir nicht anerkennen. Laß Artikel 429 mit den Räu­mungsfristen vom 10. Januar 1920 an gilt, dann müssen wir mit einer ernsten nationalen Erregung in Deutschland rech­nen. Der Dawessche Plan verlangt zu seiner Ausführung guten Willen auf beiden Seiten, und wir zerstören den guten Willen Deutschlands, wenn wir es über die Bedeutung der Räumungsfristen im Zweifel lassen. Sollen die verflossenen fünf Jahre für nichts zählen? Das ist die Frage, auf die Herrn Baldwins Regierung die Antwort geben muß.

Auch die WochenschriftObserver" empfindet den unleug­baren Wort- und Vertragsbruch peinlich, sie meint aber, Deutschland solle ihn erleichtern. Das Blatt schreibt: Die Eng­länder können nicht unter Bruch des Friedensvertrages in Köln bleiben. Andererseits würden sie aber auch nicht dem Zweck des Friedens dienen, wenn sie das Gebiet ohne Rück­sicht auf die Folgen räumen würden. Deutschland werde Zu­gaben müssen, daß die Anwesenheit britischer Truppen in Köln es gegen die Wiederholung aller französischen Gewalt­maßnahmen schütze (!). (Hat dieAnwesenheit britischer Trup­pen" etwa den verbrecherischen Ruhreinfall verhindert? D. Schr.)Vielleicht" werde Frankreich zustimmen, den Zeit­punkt für die Räumung des Ruhrgebietes vorzulegen, wäh. rend sich Deutschland mit einer entsprechenden Hinausschie­bung des Zeitpunktes für die Räumung Kölns einverstanden erklären könnte. Das Boweismaterial dafür, daß Deutschland seine Entwaffnungsverpflichtungen umgangen habe, werde vollständig und überzeugend sein müssen, um die Beibehaltung einer britischen Garnison auf deutschem. Loden auf unbestimmte Zeit zu rechtfertigen. .

Wäre die Sache nicht so ernst, so könnte man dieses Sich- drohen und Wenden belustigend finden. Wann hätte England jemals einen Vertrag gebrochen? Das ist natürlich völlig un­möglich. Und deshalb soll Deutschland sich freiwillig mit der Vertragsverletzung abfinden, um England so von dem Vorwurf des Vertragsbruchs zu entlasten. Aber man hat zwei Eisen im Feuer. Ist Deutschland nicht freiwillig zu einem Kompromiß" auf seine Kosten bereit, so muß dasvoll­ständige und überzeugende Beweismaterial" dafür zur Stelle geschasst werden, Laß Deutschland seine Entwaffnugs- verpflichtungen umgangen habe. DerObseroer" stellt also tatsächlich die brutale Forderung auf, das Unrecht der Ruhrbesetzung solle vor dem deutschen Vertragsrecht auf fristgemäße Räume den Vorrang hoben. England hat selbst den Ruhreinfall als vertragswidrig bezeichnet. Es ist im höchsten Maß unnobel, Liesen alten, noch nicht wieder gut gemachten Vertragsbruch nun zur Begründung und Rechtfertigung eines neuen zu benutzen und Deutschlands Zustimmung zu dieser schmutzigen politischen Schiebung zu erwarten.

Der Prozeß WertRothardt

Magdeburg, 16. Dez. Auch am heutigen sechsten Vek- handlunastag -ist die Anteilnahme des Publikums unvermin­dert groß. Nach einer Erklärung des Vorsitzenden sind an amtlicher Berliner Stelle einige eingeforderte Schriftstücke, auch solche, die die Treptower Versammlung betreffen, dort nicht mehr vorhanden. Auf Antrag des Rechtsanwalts Bindewald wird Scheidemann nochmals telegraphisch geladen, um festzustellen, wann der Eintritt der S.P.D. in die Streikleitung erfolgt ist. Scheidemann soll auch befragt werden, ob er den fraglichen Artikel imVorwärts" ge­schrieben hat. Zeuge Prof. W eb e r - Heidelberg, der mit Eberk über die damalige Strejklage gesprochen haben soll, erklärte: Ich machte den rein persönlichen Versuch, zu ver­mitteln. Bei einer Besprechung mit Ebert und Scheidemann zeigte sich der letztere sehr erregt über die Maßnahme der .Regierung. Eberk blieb sehr ruhig. Das ganze Verhalten Eberts war das gerade Gegenteil eines Mannes, der ein Interesse daran hak, die Streiklage zu verschärfen. Ich halte es für richtio. daß auch ein nicht der Sozialdemokratischen Partei angehörender Mann seine Wahrnehmungen über das damalige untadelhafte Verhalten des Herrn Ebert aussagt. Deshalb habe ich mich als Zeuge gemeldet. Die Unterredung hak sicher nach dem Tage, an dem der Empfang der Abord­nungen abgelehnt worden war, stattgefunden. Die Art der Verhandlungen hat nicht günstig auf die Arbeiter gewirkt. -- Zeuge Regierungspolizeirat Hemminger erklärt: Die Treptower Versammlung war nur eine Teilerscheinung. Die Polizei wollte den Streik im übrigen allein meistern. Die Hauptsache war, daß die S.P.D. sich nicht an dem Streik beteiligte. Geschah es, so war es gefährlich, sonst aber nicht und es geschah. Unser Streben ging dahin, die Streiken­den führerlos zu machen. Die Massen mußten dahin ge­bracht werden, jeden Streik als Landesverrat zu empfinde«. Abg. Diktmann wurde gefaßt. Ihm wurde der Landesver- raksprozeß gemacht Das wäre auch mit den anderen Red­nern geschehen, wenn man sie gefaßt hätte. Die Rekla­mierten umfaßten etwa 10 v. H. der Belegschaften und wur­den eingezogen. Wir taten alles, Herrn Eberk aus Berlin forkzuschaffen, ihn militärisch einzuziehen. Die Regierung lehnte dies ab, imstaatlichen Interesse". (Als der Zeuge Hemminger auf eine bei dem Internationalen Sozialistische« Parkeikongreß in Genf angeblich gefaßte Resolution ein- gehen will, springen die Berkreter des Nebenklägers erregt auf und erheben Einspruch aegen die Art der Aussage.)

Polizeirat Henning sagte aus: Die Beamten hätten bei der Treptower Versammlung nichts gehört, was sie zum Einschreiten gegen die Redner-hätte veranlassen können. Nur die Sache selbst, daß überhaupt verödet wurde, führte zur Verhaftung Dittmanns. In den Fabriken ging die Rede um, man solle den Einziehungsbesehlen nicht folgen. In der Tat mußte an einem Tage auch eine Reihe von Leuten zwangsweise von der Militärbehörde geholt werden. Wir hatten die Empfindung, daß der Vorstand der S. P. D. nur deshalb in die Streikleitung eingetteten ist, um die Arbeiter in der Hand zu behalten, in der Befürchtung, sonst.an die Wand gedrückt zu werden.

Zeuge V r o l a t - Berlin gab an: Während des Streiks habe ich mit dem Vorstand der S. V. D. in Verbindung ge­standen. Ich habe besonders mit Ebert und Scheidemann verhandelt. Wir sprachen auch von den Gestellungsbefehlen. Beide Herren sagten, die Streikenden hätten wissen müssen, daß die Gestellungsbefehle kommen würden. Jedenfalls müßten die Gestellungsbefehle befolgt werden. Gesagt wurde noch, die Abegeordneten würden ihren Einfluß einsetzen, da­mit die Gestellungsbefehle zurückgenommen würden. Ebert oder Scheidemann habe bei einer Besprechung gesagt, es müsse alles getan werden, zu vermeiden, daß die Sozial­demokratische Partei auch nur der Schein eines Vorwurfes treffen könnte, sie habe sich gegen die Landesverteidigung gewandt.

Magdeburg, 17. Dez. Der Vorsitzende verliest ein Tele­gramm Scheidemanns aus Kassel, daß er erkrankt und nicht reisefähia sei. Zeuge Ni sten kann sich nicht mehr s

erinnern, ob er der Treptower Versammlung' ungewohnt habe. Zeuge Gobert, der in dieser Versammlung war, erklärt, er sei aus der Rede Eberts nicht recht klug geworden. Deshalb habe er Ebert einen Zettel gegeben und Ebert habe geantwortet, daß einem Gestellungsbefehl nicht Folge geleistet werden dürfe; man solle sich an die Abgeordneten werden, die versuchen würden, daß die Ge- tellungsbefehle zurückgenommen würden. Vor­sitzender: Kann es nicht so gewesen sein, daß Ebert ge» sagt hat, er werde sich dafür verwenden, daß die Gestellungs­befehle zurückgezogen würden? Zeuge Gobert: Nein, meiner Ansicht nach ist es so gewesen, wie ich es schilderte. Vorsitzender: Glauben Sie. daß Ebert den Zettel ge­lesen hat? Gobert: Das glaube ich. Generalstaats- unwalt: Sind vielleicht andere Zettel herausgereicht worden? Gobert: Das ist möglich. Rechtsanwalt Lands- derg: Was haben Sie auf den Zettel geschrieben? Zobert: Ich habe gefragt, wie wir uns den Gellellw-"'- oesehlen gegenüber verhalten sollen. Vorsitzender: 5 .- Reichspräsident behauptet, er habe schon damals ohne L. 'e licht lesen können, und diese nicht aufgesetzt. Zeuge G o- iert: Das weiß ich nicht. Ich kann nur sagen, daß Ebert hemlich am Schluß seiner Rede gesagt hat, den Gestell,mos- »efehlen dürfe nicht Folge geleistet werden. Soll­en Unannehmlichkeiten eintreten, dann sollten sich die Ein­berufenen an ihn (Ebert) und die anderen soz. Abgeordneten venden. Diese würden dann alles tun, was sie könnten, um >ie Zurückziehung der Gestellungsbefehle zu erwirken.

Die Rechtsanwälte Heine und Landsberg richten an den Zeugen die Frage, ob er sich nicht täuschen könne. Gsb.tt verneint dies mit aller Bestimmtheit. Auf die Frage, auß .welche Weise er zur Zcugenschaft gekommen sei, erklärt des Zeuge, daß er sich nach Kenntnisnahme der Prozeßberichte it» Len Zeitungen selb st gemeldet habe.

Hierauf werüsn die Reichstagsreüen des damaligen Ab« geordneten Ebert vom 4. 2. 1918 und vom 22. 10. 1918 sowis einige seiner Zeitungsartikel verlesen und dann die Beweis­aufnahme geschlossen. Die Reden von Staatsanwalt und Verteidigung beginnen am Freitag. Das Urteil wird am Montag oder Dienstag verkündigt.

Neue Nachrichten

Die Regierungsbildung

Berlin, 17. Dez. Reichspräsident Ebert hatte heute ein» Besprechung mit dem Führer der Bayer. Volkspartei, Prätal Leicht.

Heute nachmittag 4 Uhr fand eine Besprechung der Frak­tion der Deutschen Volkspartei statt, an der Stresernann teit- nahm.

In einer Versammlung der Zentrumsfraktion des Reichs­tags erstattete Reichskanzler Dr. Marx einen Bericht übe« die politische Lage.

Die Reichstagsfraktion der Deutschnationalen wählte Abg. S rb i e l e - Naumburg zum Vorsitzenden.

Die kommunistische Fraktion beschloß, jede Verbindung der Parteien (Koalition) im Reichstag zu bekämpfen.

Auf dem Verordnungsweg

Berlin, 17. Dez. Am 1. Januar 1925 tritt der neu« österreichischeZolltarifin Kraft, der für die wich tigsten deutschen Ausfuhrwaren erhebliche Zoller- Höhungen enthält. Da der neu» Reichstag nicht vor deq 5. Januar, zusammentreten wird, hat der Reichsprästdeck durch Verordnung vom 14. Dezember die entsprechende St« lungnahme Deutschlands zur österreichischen Zollerhöhun» festgesetzt, bis der Reichstag das notwendig werdende ZcÄ gesetz bestätigt haben wird.

Unter den obwaltenden Umstünden blieb zwar schließlick nichts anderes übrig, als die Angelegenheit durch Veror» nung zu regeln. Allein man wird sich hüten müssen, de> 'bereits sehr stark entwickelten Vorliebe der Reichsregierung wichtige Angelegenheiten durch Verordnungen zu erledig«, statt sie auf den verfassungsmäßigen Weg der Gesetzgebun, zu verweisen, allzusehr die Zügel schießen zu lassen. Auck IN dres-em Fall rächt sich der Fehler der ReichstagsauflösUN'L wichtige Arbeiten des Reichs blieben seit Oktober unertodig oder sie verfallen der nicht unbedenklichen Behandlung durck die Verordnung, bei der das Parlament ganz ausgeschal

Die englische Flotte der Schuh des Friedens

London, 17. Dez. In einer Rede sagte der Erste Lord de, Admiralität Bridge man. weder Japan noch die Ver ewigten Staaten brauchen in dem Ausbau Singapores u einem mächtigen Flottenstützpunkt Angriffsabsichten zu be furchten. Die englische Flotte habe nicht den Zweck des Am grifss, sie sei vielmehr der beste Schutz des Friedens.

Der Fall Campbell

17. Dez. Am Montag soll im Uliterhaus di« 7tied«schlagu»g des Strafverfahrens gegen den Kommuni­sten Eomvbell (weaen Aufreizung von Heer und Flotte zur