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Gegründet 1SS6.
Donnerstag den 11. Dezember 1824
Fernsprecher Nr. S9.
98. Jahrgang
Tagesspiegel
Me Fraktionen des neuen Reichstags werden in der nächsten Woche zu ihren ersten Sitzungen zusammenkreten. »Zn der voraussichtlich am 'Dienstag stattfindenden ersten Fraktionssihung der Demokraten wird ein Antrag auf Einbringung einer Wahlreformvorlage vorgelegt werden. Die Sozialdemokraten werden voraussichtlich wieder den Abg. Lobe als Präsidentschaftskandidaten benennen.
Die österreichische Bundesversammlung- bestehend aus dem Bundesrat und dem Rationalrat, hat den Bundespräsidenten Dr. Michael hejnisch wieder gewählt.
Wie dem «Mali» " ans Rom gemeldet wird, besteht die Möglichkeit, daß die englische Regierung Frankreich ein Mi- Märabkommen zugestehen wird, in dem ihm der gesamte Schutz über das Mittelmeer übertragen werden soll.
Zu dem englischen Berlaaungsantrag betreffend die in dem Genfer Protokoll vorgesehenen Arbeiten, welcher der jVAkerbun^rat in seiner jetzigen Tagungszeit hinsichtlich der Abrüstungskonferenz hätte beschließen sollen, wurde gestern nachmittag aus Antrag des Berichterstatters Dr. Be- nesch eine Entschließung gefaßt, wonach diese vorbereitenden Arbeiten auf die Tagesordnung der nächsten Tagung gesetzt werden, die im März 1925 abgehallen werden soll.
Nach einer Meldung aus Paris soll in der französischen Frnanzwelt ein Vorschlag ausgearbeitek worden sein, uw die französischen Kriegsschulden an Amerika auf der Grundlage des Dawesplans zu regeln.
Um die Regierungsbildung
— er. Die Reichsregierung wird sich nach der Rückkehr des Reichskanzler Dr. Marx über die Folgen der Wahlen schlüssig werden müssen. Die Frage ist: Soll die Reichs- rogierung in ihrer bisherigen Zusammenstellung auf dem Posten bleiben? Soll sie am 7. Januar 1925, dem Tage» an dem der neue Reichstag voraussichtlich eröffnet wird, zurücktreten? Oder soll sie es auf ein Vertrauensvotum ankommen lassen? Oder endlich: Soll schon jetzt ein erweitertes und umgeformtes Kabinett aufgestellt werden? Die Antwort auf diese .Frage wäre leicht, wenn man sagen könnte, wer bei den Wahlen des 7. Dezember gesiegt hat. Cs war aber — unter den Hauptparteien — eine Schlacht ahne Sieger und Besiegte. Nur an den radikalen Flügeln links und rechts sind große Stücke des Parteienblockes abgesägt worden. Der „Verlust" des Radikalismus kam den Hauptparteien zugute. Sie haben sich alle sozusagen gesund gemacht. Das Schachspiel der Regierungsbildung ist jedoch genau so verwickelt und schwer lösbar geblieben, wie es sich nach den Reichstagswahlen vom 4. Mai dieses bald zu Ende gehenden Jahres gestaltete.
Die Zentrumspartei weist mit Genugtuung darauf hin, daß sie in ihrer Wahlpropaganda um keinen Finger breit von der Linie ihrer bisherigen Politik abgewichen ist, daß sich also jede künftige Koalition um ihre zuverlässigen Mittelpunkt gruppieren könne. Die Deutschnationalen fordern den Bürgerblock. Es fragt sich sehr, ob die nötige Fühlungnahme des Zentrums nach rechts vorhanden ist, nachdem die Führer dieser Partei — durchaus im Verfolg ihrer eindeutigen und gradlinigen Politik — während des Wahlkampfes streng auf dem Boden der Weimarer Ver- sassungsgrundsätze und des schwarz-rot-goldenen Banners geblieben sind. Da die Demokraten überhaupt nichts von dem Vürgerblock wissen wollen, wird das Zentrum nach wie vor zum Linksblock neigen, das heißt, entweder zur bisherigen Minderheitskoalition der Mitte mit wechselnden Mehrheiten und mit stillschweigender Unterstützung der Sozialdemokraten oder zur Großen Koalition von Stresemann bis Scheidemann.
Auf dieses Ultimatum wartet die Deutschnationale Volks- , Partei, um die schärfste Opposition und damit den Parteien- kampf bis aufs Messer anzukündigen. Dabei gibt sie offen zu erkennen, Laß sie es auch auf den endgültigen Sturz der Großen Koalition in Preußen abgesehen hat. Die preußischen Zahlen, soweit sie bis jetzt vorliegen, geben allerdings zu denken. Den 114 Sozialdemokraten stehen in Preußen 109 Deutschnationale und 45 Mitglieder der Deutschen Volkspartei mit zusammen 174 Mandaten gegenüber. Die 27 Demokraten in Preußen erhöhen die 114 Sozialdemokraten erst auf 142. Die rechte Seite erwartet ferner Verstärkung von den 11 neu eintretenden Nationalsozialisten und von den 11 neugewählten Mitgliedern der Wirtschaftspartei. Das wären also 176 gegen 141. Schlägt sich das Zentrum in Preußen — Las ist die Rechnung der Deutschnationalen --- mit 79 Mitgliedern und 6 Deutschhannoveranern und 2 Polen als Anhängsel zur Rechten, so hätte der preußische Bürgerblock ohne die Demokraten: 176 plus 79 plus 6 plus 2 gleich 263 Stimmen. Das wäre eine tragfähige Mehrheit, da bei 480 Abgeordneten schon 241 die Mehrheit bilden würden.
Aber diese Rechnung ist vorläufig ohne den Wirt, nämlich ohne das Zentrum gemacht. Man wird die Entscheidung
dieser Partei abwarten müssen- Unterdessen geht der Streu um die neue Koalition im Reiche weiter. Einer der maßgebendsten Führer der Deutschnationalen Volkspartei, der aber leider nicht genannt wird, hat im „Tag" den Gedanken der Großen Koalition als völlig undenkbar bezeichnet. Denn bei so ausgesprochenem Linkskurs, der kein Kurs der Mitte mehr sei, hätte die Sozialdemokratie wohl auch äußerlich di« Führung und den Anspruch, als stärkste Partei den Reichskanzler zu stellen. Aber auch wenn dis offizielle Führung in einer Großen Koalition bei der Zer.trumspartei bleibe, so hieße das Umschwenken der Deutschen Volkspar - tei in die Große Koalition „einfach alles auf den Kops stellen, was diese Partei vor der Reichstagsauflösung und während dos Wahlkampfes gesagt hat." Somit spitzt sich der Streit um das. neue Kabinett zu einer Auseinandersetzung zwischen den Deutschnationalen und der Deutschen Volkspartei zu.
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Berlin, 10. Dez. Zur Frage der Regierungsbildung im Reich schreibt die „Zeit" als Antwort auf Aeußerungen des früheren Reichstagspräsidenten Löbe (Soz.), in denen sich dieser für die Bildung der großen Koalition aussprach: Die Deutsche Volkspartei habe im alten Reichstag eine gradlinige Politik verfolgt, die in der Linie einer gesamtbürgerlichen Regierung einmünden sollte. Soviel wir wissen, wird sie diese Linie den Demokraten und den Sozialdemokraten zuliebe jetzt nicht abbiegen, sondern sie wird bei dem bleiben, was vor der Auflösung des Reichstags das einzig mögliche war und auch heute noch geblieben ist. Verwirklichen läßt sich diese Möglichkeit natürlich nur, wenn die Deutschnationalen sich zur Fortführung der bisherigen Außenpolitik bekennen, wie sie es vor der Auslösung des Reichstags vorbehaltlos getan haben. — Nach dem „Berliner Tageblatt" will die Deutsche Demokratische Partei weder direkt noch indirekt mit einem Bürgerblock mit Einschluß der Deutschnationalen etwas zu tun haben. Wie man aus volksparteilichen Kreisen h-ört, ist mit Sicherheil dckmlk'zu rechnen, daß der Parteivorstand die Auffassung bestätigen wird, der einzig mögliche Weg für die Neubildung der Reichsregierung sei der Block der Bürgerlichen Parteien. Ihre Haltung in Preußen wird die Partei von der Entwicklung der Dinge im Reich abhängig Waches-
Der Prozeß Ebert-Rahardt
2km ersten Derhandlungstag wurde zunächst die komm?- stuÄche Vernehmung des Reichspräsidenten Ebert verlesen. <kb«t erklärt darin, daß er vom Anfang bis zum Ende des Krieges sich auf den Boden der Landesverteidigung gestellt
und stets gegen jeden Streik in der Kriegsindustrie gearbeitet habe. Der Munitionsarbeiterstrei-k von 1918 sei ohne Zustimmung und ohne Einvernehmen mit der sozialdemokrati- schne Parteileitung ausgebrochen und habe diese überrascht. Er habe sich dann mit anderen Parteifreunden bemüht, den Streik beizulegen, und das sei dann auch nach acht Tagen gelungen. Bei der großen Versammlung in Treptow habe er weder zum Streik aufgefordert, noch von ihm abgeraten. Eine an den Reichspräsidenten bei seiner kommissarischen Vernehmung gerichtete Frage, ob die Leitung der sozialdemokratischen Partei die damals mehrfach von sozialdemokratischer Seite verfochtene Meinung teile, daß die schwarzweiß-rote Fahne nicht siegreich aus dem Kriege zurückkehren dürfte, ist von dem Verhandlungsleiter der kommissarischen Vernehmung nicht zugelassen worden. Auf die an den Reichspräsidenten gerichtete Frage, ob er an der Abfassung bestimmter Flugblätter beteiligt gewesen sei, die zum Staatsstreich und zum Generalstreik ausforderten, erklärt Herr Ebert bei seiner kommissarischen Vernehmung, daß er sich dessen nicht mehr entsinnen könne.
Die ersten Zeugen sind fünf ehemalige Gendarmen und kommunale Polizeibeamte, die übereinstimmend aussagen, daß der Abgeordnete Dittmann bei der nicht genehmigten Versammlung in Treptow am 31. Januar 1918 erklärt hatte: „Wir müssen den Streik aufrecht erhalten." Dittmann wurde dann damals verhaftet, weil er den Anweisungen der Beamten nicht nachkam. Die Zeugen Eimler und Weimann erklären, nichts davon zu wissen, daß eine schriftliche Anfrage an Ebert gegeben worden sei, die dahin ging, was die Reklamierten, die streikten, tun sollten, wenn sie einen Gestellungsbefehl erhielten. Der Leiter des Prozesses gegen Dittmann stellte fest, daß das Protokoll über die Verhandlung gegen Dittmann genau den Zeugenaussagen entspricht, aus denen hervorgeht, daß der erste Redner Ebert von den Ta- aesfragen gesprochen hat, zu denen auch vor allem der Munitionsarbeiterstreik zu rechnen ist.
Abg. Dittman schildert bei seiner Vernehmung die da- malige Stimmung in der Arbeiterschaft.
Der Munitionsarbeiterstreik von 1918 sei aus den Arbeitern spontan heraus entstanden, hauvtsächlich aus politischen Gründen. Man wollte den Frieden erzwingen. Dü Arbeiter wollten nicht durch die Abgeordneten, sondern unmittelbar verhandeln und ihre Wünsche durchsetzen. Nack, der Zerschlagung der Verhandlungen wurde eine Versammlung jm Treptower Park abgehalte». Hier sprach der " ^ Ebert- Dann tauchte er in der Men-ze murr.
die Frage des Präsidenten, ob Dittmann etwas da. von wisse, daß Ebert ein Zettel gegeben worden sei, mi der Frage, was die Streikenden tun sollten, die einen Gestellungsbefehl erhielten, und dann die Antwort erfolgt sei der Befehl solle nicht befolgt werden, erklärte Dittmann. dieser vollkommen ausgeschlossen. Ebert habe über die Streikfrage und über die Zixle, die aus den Frieden Hinausliesen, gesprochen.
Ein Zwischenfall entsteht dadurch, dak der Vorsitzende fragt, ob Herr Dr. Gansser im Saale sei. Dr. Gansser meldet sich und wird aus der Anklagebank in den Zuschaner- raum verwiesen. Es kommt dann zu einer scharfen Aus- einaersetzung zwischen Rechtsrat Dr. Martin, dem Verteidiger des Angeklagten, und dem Zeugen Dittma, n. dew Rechtsanwalt Landsberg beispringt.
Dr. Martin beschuldigt den Zeugen Dittmann. an d?i Flottenmeuterei beteiligt gewesen zu sein, was von Dtzu.ianr in aufgeregter Weise bestritten wird.
Zeuge Syrig gibt eine eingehende Schilderung du- Vorgänge bei der Versammlung im Treptower Park. E n ihm Unbekannter hätte Ebert einen Zettel heraufgereicht. Eber» hätte den Satz vollendet, dann den Zettel gelesen und a'.ich gesagt: „Wenn ein Reklamierter einen Gestellungsbefehl erhält, soll er ihm nicht Folge leisten."
Er selbst habe zu Leu Streikenden gehört und auch sofort den Gestellungsbefehl erhalten, dem er aber nicht naä gekommen sei. Der Zeuge bleibt bei dieser seiner Aussage, amh während des Kreuzverhörs, in das er von den Rechtsanw ölten Heine und Landsberg genommen wird. Der Zeu-s erklärt auf Befragung, daß er weder Geld erhalten habe, -'vE Laß ihm solches versprochen worden sei. Hätte Ebert gesogi: ^Geht knnein in die Fabriken. J3>- schadet sonst Eurem Da- RVland!", dann wären wir alle hmeingegangen und w-ö::n nicht unglücklich geworden. Aus Antrag der Vertreter des Nebenklägers beschließt das Gericht, den Zeugen Syrig nock einmal dem Reichspräsidenten gegenüberzustellen und zwar am Mittwoch, nachmittag 5 Uhr, in der Molimina des Reichspräsidenten. Zum 11. Dezember soll der frühere Reichskanzler Müller geladen werden.
Der zweite Prozeßtag wurde mit der Vernehmung des Abg. Barth begonnen. Der Zeuge erklärte dann, daß der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei deshalb in die Streikleitung eingetreten sei, um dafür zu sorgen, daß der Streik schleunigst beendigt werde. Das sei namentlich auch durch die Erklärung Ledebours klar hervorgetreten, der gemeint habe, mit dem Eintritt von Ebert, Scheidemann und Brauns in das Aktionskomitee sei der Streik verloren. Das Gericht faßt auf Antrag der Vertretung des Nebenklägers den Beschluß, den Zeugen Dittmann ebenfalls zur Vernehmung im Hause des Reichspräsidenten zu laden. Zeuge Wußlick sagte aus: Ebert hätte damals erklärt, er denke gar nicht daran, hier einzugreifen: man müsse die Leute, die sich die Suppe eingebrockt hätten, sie auch cuslösseln lassen. Erst nach längeren Verhandlungen habe der Parteivorstand zugestimmt, sich an der Streikleitung zu beteiligen. Personen seien zunächst noch nicht bestimmt worden. Erst später, als die sozialdemokratischen Funktionäre weiter drängten, habe der Parteivorstand auch Fritz Ebert, bcheidemann und Brauns in das Aktionskomitee entsandt. Eberts Aufgabe habe darin bestanden, den Streik so schnell wie möglich zu beendigen. Auf die Frage des Rechtsanwalts Heine, was Ebert in Bezug auf die Gestellungsbefehle an die Reklamierten gesagt habe, erklärt der Zeuge, Ebert hätte ausdrücklich betont, er könne nicht den Rat erteilen, dem Gestellungsbefehl nicht zu folgen, schon in Bezug darauf, welche unabsehbaren Folgen für die Verweigerer und ihre Familien eintreten würden. Scheidemann und- Lrauns bä'ttev dieselbe An.sickit vertreten.
Rechtsanwalt Binbewald verliest aus der Lruckschrksr
einen Passus, in dem gesagt wird, daß die Zahl der Strei» kenden nach Eintritt der Mehrheitssozialisten in die Streikleitung sofort von 60 000 auf 200 000 gestiegen sei. Zeuge Wuschick bezeichnet dies als die größte Unwahrheit. Schp« früher seien die Arbeiter aus den Betrieben gegangen, wenn auch zum Teil gezwungen. Die Verteidigung beruft sich das Protokoll des Sozialdemokratischen Parteitages, in dem es im Bericht des Parteivorstandes heißt: „Der Hinzutritt der Sozialdemokratischen Partei gab dem Streik den festen Halt und seine Bedeutung." Danach müßte doch also der Parteivorstand mit dem Streik einverstanden gewesen sein. — Der Zeuge Richter sagt über die Verhandlungen zwischen den Streikenden und dem Parteivorstand aus, Ebert hätte ausdrücklich betont, daß der Parteivorstand unter keinen Umständen mitmachen würde, wenn politische Forderungen ausgestellt würden. Der Parteioorstand wäre bereit, mitzuwirken, wenn es sich lediglich um emen wirtschaftlichen Streik, um bessere Ernährungsmöglichkeiten zu gewährleisten, handle. Später sei dann der Eintritt erfolgt und die Folge wäre die schnelle Beendigung des Streiks gewesen.
Hierauf wird die Sitzung auf Donnerstag vertagt, wo Scheidemann und Bauer als Zeugen vernommen werden sollen. Der Gerichtspräsident begab sich mit den Parteien kifft dem Mittagszug nach Berlin zur nochmaligen Vernehmung des Reichspräsidenten und zur Gegenüberstellung des Reichspräsidenten mit dem Zeugen Syrig, der stark belastend aeaen ihn ausaeiaat hatte.
l Gottesdienst in WÜdderg