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Montag den 8. Dezember 1924
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98. Lahrgang
Tagesspiegel
Durch die bisher vollzogenen Ausritte aus der völkischen Fraktion im bayerisches Landtag ist die Fraktion auf 19 Mit- Meder zurückgegomgen, die denkschnationaie Fraktion auf 14 angewachsen. Die Zahl der demokratischen Abgeordneten beträgt 2, zusammen mit dem liberalen Wirtschaftsbund 5.
Wegen des Aufstands im Sudan sind drei türkische Offiziere erschossen, ein vierter zu 15 Jahren Gefängnis begnadigt worden.
Die für nächsten Sommer vorgesehenen amerikanischen Flottenübungen im Stillen Weltmeer werden die größten sein, die die Vereinigten Staaken bisher abgehackten haben. Die Flotte wird ihre Fahrten bis Australien und Neuseeland «msdehnLN. In Japan herrscht große Aufregung.
Der handelspolitische Wiederaufbau
Zu Beginn der handelspolitischen Verhandlungen mit unfern Kriegsgegnern ist zeitweise viel Wesens davon gemacht worden, daß wir mit dem 10. Januar 1925 unsere handelspolitische „Bewegungsfreiheit" zurückbekämen. Bewegungsfreiheit — das heißt nun in diesem Fall den Mund etwas reichlich voll nehmen. Von jenem Zeitpunkt ab wird ein deutscher Zolltarif wieder einen Sinn haben und eine Wirkung ausüben, aber von Bewegungsfreiheit kann keine Rede sein.
Artikel 268 des Versailler Diktats zwang uns, fünf Jahre vom Inkrafttreten an gerechnet, Waren aus Elsaß- Lothringen zollfrei hereinzulassen. Dieser Artikel war ausgemacht als eine Ausnahme von den vorhergehenden Bestimmungen, von denen uns Artikel 264 zwingt, in alle Ewigkeit keine Waren aus einem der „alliierten und assoziierten" Länder mit höheren Zöllen oder Gebühren zu belegen, als die gleiche Ware bei der Einfuhr aus irgend einen, andern Lande der Welt zu tragen hat. Die „Ausnahme", die wir Frankreich zugestehen mußten, wurde also mit Hilfe des Artikels 264 so verallgemeinert, daß sie ganz von selbst zur Regel wurde. Der eng umgrenzte Gewinn, der uns mit Ablauf der 5 Jahre zufällt, besteht also nur darin, daß die zur Regel erhobene Ausnahme verschwindet, und daß allein die Regel Geltung behält, wonach wir keinem Land eine Zollvergünstigung bieten können, die nicht selbsttätig auch der Gesamtheit der „alliierten und assoziierten" Staaten zufiele. Las ausgezeichnete politische Machtmittel eines Höchst- und Mindest-Tarifs, das vor allem Frankreich mit so großem Geschick zu handhaben versteht, ist uns Deutschen durch das Versailler Diktat verboten. Unsere Entwaffnung erstreckt sich, wie man sieht, keineswegs nur auf das militärische Gebiet.
Aber schließlich, wir sind einmal da, und wenn die Weltwirtschaft und der Weltverkehr, auf dem sie beruht, wieder in möglichst ungestörten Friedensbetrieb gesetzt werden sollen, jo kann man nicht einfach über Deutschland hinweggehen. Die Entdeckung haben die Engländer ja auch schon gemacht, als sie sich, nach dem erfolgreichen Flug des Amerika-Zevpe- üns, ernsthaft für die kürzeste Luftverbindung zwischen London und Kalkutta zu interessieren begannen. Wer uns braucht, wird uns Zugeständnisse machen müssen, und das brauchbarste Zugeständnis, worauf wir unter der Herrschaft des Versailler Diktats rechnen können, wird die Meistb e- günstigung sein. Ist es uns selbst schon verwehrt, zwischen Verwandten, Freunden, Gegnern und Feinden Unterschiede zu machen, so möchten wir tunlichst doch auch nicht schlechter behandelt werden als andere. So einfach ist das nun freilich mit der Meistbegünstigung nicht, daß man sie nur in die Einleitungsformel eines Handelsvertrags hineinzuschreiben brauchte, um ruhig schlafen zu können.
Auf unbeschränkte Meistbegünstigung läßt sich so leicht kein Staat ein, vollends nicht uns gegenüber, die wir die Fessel des Versailler Diktats mit Herumschleppen. Meistbegünstigung aber, wenn sie nicht gänzlich bedingungslos geliehen wird, ist unterschiedlich zu behandeln, je nachdem ste sich auf Waren, Personen oder Rechtsansprüche bezieht. Die Zollsätze spielen in Handelsverträgen keineswegs immer die Hauptrolle. Es gibt da Bestimmungen über den Handelsund Schiffahrtsverkehr, über amtliche und private Handelsvertretungen, über Patente, Verträge, Rechte und Ansprüche der verschiedensten Art, die unter Umständen bedeutungsvoller sein können als die schönsten Vereinbarungen über die Zollsätze. Ein Handelsvertrag will also als Ganzes von den verschiedenen Jnteressenten-Kreisen sehr genau gewertet sein, ehe man ein leidlich abschließendes Urteil darüber fällen kann. Wenn in England über den deutsch-englischen Vertrag, der unterzeichnet ist, aber noch der Genehmigung durch die Volksvertretungen bedarf, von der „Westminfter Gazette" bis zur „Daily Mail" allgemeine Befriedigung herrscht; so haben wir, ohne genaueste Kenntnis aller Einzelheiten, ganz und gar keinen Anlaß, diese Befriedigung ohne weiteres zu teilen. Bezeichnend dafür, wie wenig die Bedeutung eines Handelsvertrags, zumal eines Vertrags mit England, durch die Frage der Zollsätze erschöpft wird, ist der Umstand, daß die englische Befriedigung nicht zum wenigsten aus der Möalicbkeit beraeleitet wird, englische Ver
sicherungsgesellschaften könnten nun wieder Geschäfte in Deutschland machen. Das ist nichts weiter als e'nc Folge der Meistbegünstigung, und ob unsere deutschen Gesellschaften, die eben erst anfangen, sich von der Verwüstung der Inflation zu erholen, sehr erfreut darüber sein werden, dem kapitalkräftigen englischen Wettbewerb preisgegeben zu sein, darf man bezweifeln. Immerhin ist zu hoffen, daß alle zurechnungsfähigen Deutschen die Erfahrungen des Kriegs doch nicht umsonst gemacht haben werden, und daß sie es sich nach der völkerrechtswidrigen Art, wie England zuerst das Privateigentum im Krieg behandelt hat, doch noch sebr überlegen werden, ehe sie aufs neue deutsches Geld in England anlegen.
Die Regierung Baldwin in England wird zweifellos den Uebergang vom grundsätzlichen Freihandel zum praktischen Schutzzoll vollziehen, wenn auch unter möglichst wenig aufreizender Bezeichnung. Im Rahmen des neuen „Schutzgesetzes für die Industrie" sollen dann die Dominions — die davon keineswegs unterschiedslos erbaut sind — Vorzugszölle erhalten. Welche Rolle in diesem System der 26pro- zentigen Abgabe auf die deutsche Ausfuhr nach Großbritannien zugedacht ist, ist noch nicht klar — vorausgesetzt, daß man sich dabei bisher überhaupt viel gedacht hat. Klar ist nur, daß diese Abgabe, als ein Teil der deutschen Entschädigungszahlungen, ausgespielt hat, nachdem der Generalagent erklärt hat, daß er sie Deutschland nicht länger gutschreiben und keine Zahlungen dafür mehr leisten werde.
Neue Nachrichten
Aus der Wahlbeweguug
Der Stuttgarter „Beobachter" (Dem.) verbreitete, Dr. Eck euer habe zu dem demokratischen Führer Dr. Derritz u r g gesagt: „Ich (Eckener) bin Demokrat. Durch die Politik Rathenaus ist die Zerstörung der Zeppelinhalle verhindert und der Bau des Amerikaluftschiiss ermöglicht werden." — Darauf teilt Dr. Eckener der „Südd. Ztg." telegraphisch mit, daß die Behauptung des „Beobachter" frei erfunden sei. Er habe vielmehr in einem Gespräch mit Dernburg ausdrücklich gesagt, daß er weder der demokati- schen, noch einer anderen Partei angehöre. Ueber Rathenau habe er mit Dernburg überhaupt nicht gesprochen.
Auf die Meldung des „Vorwärts", daß der Massenmörder Angerstein in Haiger Mitglied des Jungdeutschen Ordens und Deutschnotionoler gewesen sei, stellt die „Deutsche Allg. Ztg." fest, daß Angerstein Vorsitzender der demokrati- schen Ortsgruppe ist.
siälbamklicbe Korrespondenzbureaus berichten über die angebliche Absicht der englischen Regierung, die Räumung Kölns von dem Ergebnis der Reichstagswahlen abhängig zu machen. — Das ist doch eine unwürdige Art der Wahlbeeinflussung.
Das deutsch-französische Skahlabkommen
Paris, 7. Dez. Die „Journee Industrielle" erfährt, der von den deutschen Industriellen vorgelegte Plan eines deutsch-französischen Stahltrusts sehe den Ankauf von jährlich 1 Million Tonnen französischen und lothringischen Stahls durch die am Trust beteiligten deutschen Industriellen vor. Da die französische Erzeugung rund 10 Millionen Tonnen jährlich betrage, so wäre das Geschäft für Frankreich sehr vorteilhaft. Es müsse aber durch geeignete Zölle dem vorgebeugt werden, daß Frankreich von deutschen Maschinen überschwennnt werde. — Also alle Vorteile nur für Frankreich.
Die Pariser Besprechung
Paris, 7. Dez. Ueber die Besprechung CH amber- lains mit Herriot wird eine amtliche Mitteilung ausgegeben, die so nichtssagend ist, daß vermutet wird, die Einigkeit der beiden Minister sei nicht groß oder jedenfalls nicht weitgehend gewesen. Darin stimmten sie jedoch überein, daß Las KölnerGebietnochlängerbesetztblej- bensoll, nur soll darüber vor den deutschen Wahlen nichts bekannt werden. Chamberlain sprach sich nicht gegen die Anerkennung der Moskauer Sowjetregierung aus, er meinte aber, daß Rußland gegenüber die größt« Vorsicht beobachtet und den bolschewistischen Wühlereien mit aller Strenge ent- gsgengetreten werden müsse. — Vor der Abreise nach Rom ersuchte Chamberlain die Vertreter der Presse um ihre Unterstützung, damit Meinungsverschiedenheiten, die unter den besten Freunden Vorkommen, überbrückt werden können. — Auf der Rückreise nach London wird Chamberlain nochmals eine Begegnung mit Herriot auf dem Bahnhof in Paris haben.
Der Kommunismus in Frankreich
Paris. 7. Dez. Gestern fanden im Ministerium des Innern Besprechungen mit den höheren Polizeibeamten statt über Maßnahmen gegen den Kommunismus, der seit der Ankunft und der Verhaftung Sadouls eine außerordentliche Rührigkeit entfaltet. Der Bürgermeister von Douarnenrey wurde abgesetzt, weil er sich dem Gendarmeriehauptmann zugunsten der Kommunisten widersetzte. In Tourcring werden offene Gewalttaten befürchtet. In der Kammer erklärte Herriot, die Regierung werde den Kom
munisten entaegentrcten, aber unnötige Scharfe vermeiden. Die kommunistischen Lehrer sollen entlassen und nicht w eder eingestellt werden. Eine Anzahl zugereister ausländischer Kommunisten soll ausaewiessn werden.
Der Londoner „Daily Herold" will wissen, Chamberlain habe Herriot erklärt, England könne niemals dulden, daß irgendeine Macht an der marokkanischen Küste, in Tanger oder im bisherigen spanischen Marokko, dem englischen Gibraltar gegenüber einen Kriegsstützpunkt erbaue.
Die Ruksenschifftz entwaffnet
""As, 7 Die im Hafen von Biserta untergebrachten
r 'tzcben Kriegsschiffe des Generals Wränget sind nunmehr entwaffnet worden. — Der Zarengeneral Wrangel hatte bekanntlich im französischen Auftrag und mit französischer Unterstützung die Sowjetherrschaft in Rußland längere Zeit bekämpft, war aber dann unterlegen, als Frankreich vlötz- lich die Unterstützung einstellte. Der Rest seiner Flotte wurde in den Hafen von Biserta (Tunis) gebracht. Es sind 2 Panzerkreuzer, 2 Kreuzer, 1 Flachschiff, 9 Torpedoboote und 4 Tauchboote.
Die drei Gefahren
London. Dez. Die Blätter veröffentlichen >"'ber die sprcchung Cbamberlains mit Herriot keine bestimmte Angaben. Nach der Auffassung Chamberlain? müssen England und Frankreich sich gegen die Gefahren einigen, di» ihnen vom Bolschewismus, von Deutschland und von der islamitischen Bewegung drohen. Herriot habe gegen diese Auffassung keine Einwendungen erhoben.
Wie es gemacht wird
London. 7. Dez. Der „Daily Telegraph" will erfahren haben, die Berichte der verbändlerischen „Generalinspektion" seien weniger günstig ausgefallen, als man erwartet habe. Es sei darum so gut wie sicher, daß Köln am 10. Janpar noch nicht geräumt werde. Aber wenn es auch geräumt würde, so bleibe die heikle Frage, — wohin die englischen Truppen sich dann zurückziehen sollen. Es sei Koblenz vorgeschlagen worden, aber „viele Deuffcbe" wünscben die Engländer in Trier zu haben. Die Franzosen möchten ihnen Düren an der belgischen Grenze zuweisen. — Die Reichsregierung und Deutschland hatten bisher in il"-sr „befremdlichen Leichtgläubigkeit" die Meinung, die Engländer- haben sich nach beendeter Besetzung — nach England zurückzuziehen.
Hornes Austritt aus der Firma Baldwin
London, 7. Dez. Der frühere Schatzkanzler Harne ist aus der Firma Baldwin G.m.b.H. ausgetreten. Die einen sagen, er sei verärgert, daß er von fernem Geschäftsgenossen Baldwin nicht wieder ins Ministerium ausgenommen worden sei» von anderer Seite wird behauptet, Harne sei wegen „Ar- beitsüberhäufung" aus dem Geschäft ausgetreten. — Horn« ist Teilhaber an der Stahlgroßhandlung Baldwin.
Einreisebeschränkung in England
London, 7. Dez. In einer Versammlung hoher Beamter unter dem Vorsitz des Innenministers Hicks wurde festgesetzt, daß die Einreisebedingungen für Ausländer in England erheblich verschärft werden sollen.
Amschwung in Amerika
Washingkon, 7. Dez. Der Berichterstatter der Londoner „Times" erfährt, die Verhandlungen mit dem französischen Botschafter Jusserand über die Regelung der französischen Kriegsschulden habe nicht der Schatzsekretär Mellen, sondern Staatssekretär Hughes selbst geführt. Es seien dabei die politischen uird finanziellen Beziehungen zwischen Amerika und Frankreich überhaupt erörtert worden. Die Regierung der Vereinigten Staaten scheine nun doch zuzugestehen, daß die Angelegenheit der Verbandskriegsschulden von derKriegsentschädigungs- °frage nicht zu trennen sei. Eigentlich sei dies schon lange die Ansicht der leitenden Kreise gewesen, aber man habe sie aus politischen Gründen nicht zum Ausdruck bringen wollen.
In der Handelsgesellschaft in Thicago erklärt« Präsident Coolidge, die Vereinigten Maaten dürfen sich nicht länger dem Wahn hingeben, als ob sie außerhalb der Welt lägen. Auch während des Weltkriegs haben fi« nicht beiseite bleiben können, obgleich di« Krieysursache und di« Kriegsmächte ihnen gleich fremd gewesen seien.
Der englische Botschafter wird bei der amerikanischen Regierung vorstellig werden, daß hinsichtlich der Schuldentilgung England nicht schlechter behandelt werden dürfe als Frankreich und daß daher das englisch-amerikanische Tilgungsakff kommen so abgeändert werden müsse, wie dasjenige mit Frankreich gestaltet werde.
Widerstand in Aegypten
Kairo, 7. Dez. Die Erschießung der ägyptischen Offiziere in Kartbum hat die Bosksstnnmung aufs neue gereizt. Di« Unzufriedenheit mit der R«gi«rung Ziwar ist allgemein. Der Stadtrat von Alexandrien weigerte sich, den fremden Be- amten die von den Engländern geforderten Recht« einzu- räumen. Ministerpräsident Hmwr mußt« mit Zrvangsmaß- regeln droben.