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98. Jahrgang

Zum 300. Todestag Jakob Böhmes

Von Dr. Helmut Wocke

Wer sich eingeheird mit Jakob Böhme beschäftigt, fühlt immer aufs neue, wie schwer es ist, letzte Erkenntnisse in das Gewand der Sprache zu kleiden. Dem Verständnis Böhmes setzen sich zudem noch andere Schwierigkeiten entgegen: Die Eigenart und Eigenwilligkeit der Gedanken, oder vielmehr der Gesichte. Denn der Görlitzer Philosoph ist ein Denker schauender Erkenntnis, und was er in Stunden innerer Erleuchtung gesehen hat, kann unmöglich begrifflich festgelegt werden. Sein Weltgebäude ist nicht starr, sondern bewegt, im Fluß. Unendliche Hingabe, ein wirkliches Einleben er« fordern Böhmes Werke.

In dem Dorf Alt-Seidenberg (nahe an der böhmischen Grenze) ward Jakob Böhme 1575 geboren, lieber die Kmd- leit und Jünglingsjahre wissen wir nichts Näheres. Der Vater, ein Bauer, ließ den Knaben das Schuhmacherhand­werk erlernen. Sichere Nachrichten erhalten wir von 1599 ab. Da erhielt Böhme in Görlitz das Bürger- und Meister­recht; und in demselben Jahr heiratete er die Tochter eines Fleischermeisters. Still und zurückgezogen lebte er, ohne in den Kreisen der Stadt aufzufallen bis 1612 eine Wendung in seinem Dasein eintrat: seineAurora" entstand damals. Durch Abschriften wurde das Werk alsbald bekannt. Der Verfasser trat mit Männern in Verbindung, die mystisch- iheosophischen Anschauungen huldigten; unter ihnen vor allem Karl Ender von Sercha, im nahen Leopoldshain. Da griff Gregor Richter, der Primarius der Stadt, entscheidend in des Schuster-Philosophen Leben ein. DieMorgenröte" irar ihm bekannt geworden: er fand Stellen darin, die ih n als ketzerisch erschienen. Der Angeklagte wurdeaufs Rat­haus gefordert", von der Kanzel aus predigte Richter gegen d:nfalschen Propheten". Böhme mußte sich verpflichten, nichts mehr zu schreiben, sondern astrein gehorsamer Gott still zu halten". Freunde forderten den Verurteilten zu wei- ierer schriftstellerischer Tätigkeit auf mit dem Hinweis, man müsse Gott mehr gehorchen als den Menschen. Bis zum (fahre 1618 schwieg Böhme. Dann begann er aufs neue wsi der Niederschrift seiner Gedanken. Durch Reisen sein Handwerk hatte er inzwischen aufgegeben wurde die fol­gende Zeit rastloser Tätigkeit mehrfach unterbrochen. Do entlud sich im März 1624 ein neues Unwetter, über Jakob Vöhme. Ohne sein Wissen war die SchriftDer Weg zu Ehrisio" durch den schlesischen Adligen Hans Sigismund non Fchwsinichen in Druck gegeben worden. Auf Veranlassung Richters wurde er wieder vor den Rat gerufen. Eine Ver­teidigungsschrift Böhmes wurde vom Rat nicht angenom­men. Am 10. 4. beendete Böhme die Schutzrede wider seine Gegner, die er handschriftlich verbreiten ließ. Von Mitte Mai bis über Mitte Juni 1624 hielt sich Böhme in Dresden auf. Mitte Oktober unternahm er wieder eine Reise nach Schlesien. Am 16. oder 17. November ist er in Görlitz ge­storben.

Von seinen Schriften bekennt Böhme, er habekeine Zeit gehabt, zu bedenken nach dein rechten Verstand des Buch­stabens, sondern alles nach dem Geist gerichtet, welcher öfter in Eile gegangen, daß dem Schreiber die Hände wegen der lln gewöhn heit gezittert. Ich habe dem Geist immer nach­geschrieben, wie er es diktieret hat, und der Vernunft keine Stätte gelassen, und erkenne es nicht als ein Werk meiner Vernunft, welche allzu schwach wäre, sondern es ist des Gei­stes Werk." Gott ist ihmalles", der Urgrund, das ewige Vichts, einewig Ein", der Grund aller Wesen, Finsternis und Licht, Liebe und Zorn. In Gott lebt ein Wille, aber ein Will«, der sich aus sich selber bezieht und kein Objekt außer sich kennt. Gott ist wohl in der Natur, aber die Natur in ihrer Gesamtheit darf nicht mit Gott gleich gesetzt werden. Vöhme ist nicht Pantheist. Nach ihm ist die Natur nicht Gott, wohl aber ein Teil seines Wesens. Gewaltige Kräfte herrschen in ihr; dies sind die sieben Quasitäten, deren Wesen durch bloße Worte kaum zu erklären ist.

Den Kernpunkt von Böhmes Weltanschauung bildet die Lehr« vom Bösen. Auch das Böse ist gottgewollt, sagt er, damit das Gute offenbar werde. In allen Dingen liege ein tza und Nein. Aber diese beständen nicht nebeneinander» sorchern seien in Wirklichkeit eins. Das Nein wiederum sei kinGegenwurf" des Ja oder der Wabrheit. Ja und Nein men zwei Mittelpunkte: ein jedes wirke und wolle in sich selber.

Unbestritten ist Böhmes große Bedeutung für die deutsche ^istesgeschichte. König Karl I- von England urteilte, als er cue Schrift des schlesischen Philosophen kennen gelernt hatte: «Gott sei gelobt, daß.es noch Menschen gibt, die von Gott ""d seinem Worte ein lebendiges Zeugnis aus der Ersah- zu geben wisse«."

Tt liegt wenig daran, wie man geboren wurde,

Aber er ist viel daran gelegen, wre man sterbe.

Königin Christine von Schweden.

m Totensonntag!

Totenfest!

Heut kommen stille Boten Zu dir vom Morgenrot: Geben! an deine Toten, Gedenk an deinen Tod!"

Sie flüsterns deinem Herzen, Sre sind dir nah gesellt,

Du fühlst mit süßen Schmerzen Gin Wehn aut jener Welt.

Gedenke, wie sie waren,

Wie jeder trug und litt,

Wie Bittrer sie erfahren, Vielleicht durch dich auch mit; Wie ihrer Liebe Walten DaS Schweift' auch überwand, Wie Treue sie gehalten,

Ob du sie oft verkannt

Dir blüht aus ihren Mühen, Was hoffend du geträumt,

O laß in dtr erblühen,

Den Dank, den du versäumt! Durch tätig reines Streben Bewähr im Sonnenlicht An denen, die noch leben.

Die heil'ge LebenSpfltcht'l

Bald ist der Tag erblichen, Bald hat mit ihrem Bann Die Nacht dich überschlichen, Da niemand wirken kann. Daß sie dir sanft und leise Die Augen schließen mag, Sei rüstig auf der Reise,

Sei wach am Hellen Tag!

Hör' auf die stillen Boten, Fühl ihres Odem, Wehn, Laß dein« lieben Toten Im Herzen auferstehen;

Sie sind dir nicht geschieden, Gehst du auf Gottes Pfad, Sie segnen dich htenteden Für jede gute Tat.

Ernst Denker.

Im Licht der Ewiakeit

Zum Totensonntag 1924

Memento mori"Gedenke des Todes", so grüßen wir uns heute. Der Toten gedenken wir und des Todes. Sie sind es wert, daß wir ihrer gedenken, unsere Vorange­gangenen. Erinnerung soll zu uns reden, aber so, daß die Hoffnung ihre Klänge gebe zum Lied der Erinnerung. Sonst wird uns die Erde zu schwer, sonst erdrückt sie unser Herz. Wo aber beide zesammenklingen, Erinnerung und Hoffnung, da läutets den Sonntag ein.

Gedenke des Todes. Arnold Böcklin hat sein Selbstbild­nis so gemalt, daß ihm der Tod über die Schulter schaut, als wollte er ihm etwas ins Ohr flüstern. Voll gespannter Auf­merksamkeit sind des Künstlers Züge, nicht Schrecken ist's, sondern ernstes Aufhorchen. Ob der Tod uns nicht Lebens­weisheit lehren kann? Herr lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden, so fleht einer vor uralter Zeit. Soll nun alles für mich im Schatten des Todes siegen, mein Arbeitstag und mein Feiertag, mein Schaffen, und die mir lieb sind? Es ist kein Schade, wenn wir auch auf dies alles einmal im Schatten des Todes blicken. Oder lieber, viel lieber im Licht der Ewigkeit. Das sei des Todes Lebensweisheit, daß er uns wohl an die Unsicherheit alles Irdischen mahnt, aber mehr, daß er uns sagt: ein Bote bin ick> nur. zur Ewiakeit. Im Lichte der Ewiakeit

sein Leben sehen, und doch mehr sein Leben führen, dar ist Lebensweisheit.

Und es liegt für den, der auch nur die Anfänge dieser Weisheit übt, etwas ungemein Befreiendes in dieser Lebens­kunst. Da wird uns manches, was im Flackerschein der Zeit so verlockend glänzt, daß wir um seinetwillen unruhig und unglücklich werden, so klein. Gs verliert vielleicht seinen Glanz im großen stillen Leuchten des Ewigen. Was macht dies aus für die Ewigkeit, so frage ich mich. Da wird Un­scheinbares voll Licht und Kleines wird groß. So hat Christus in die Welt geblickt, und darum hat ihm vieles so anders, ganz anders ausgesehen als den vom Schein und Trug der Alltäglichkeit Lebenden. Er sei unser Meister. Und unser Erlöser, denn nur von dem Bann der Sünde und des Todes erlöste Menschen können so boffen. Nur ihnen, die ihn als Erlöser erlebten, wird die Ewigkeit eine solche gewisseste Wirklichkeit. So will ich leben, w'e unsre Alten oft geschrie­ben: sub specie aeternitatis, im Licht der Ewigkeit. Dies Licht leuchtet über Erdenwegen und geht nicht unter über Erdengräbern. Und wie wirds leuchten, wenn es im Mit­tagsglanze steht!

Ewigkeit, in die Zeit leucktte bell hinein, daß uns werde klein das Kleine und das Grobe groß erscheine, sel'ge Ewigkeit!

Totensonntags-Epistel -es Erzählers.

Von MartinusMichel.

Ich kenn' wohl einen Acker,

Den Gott der Herr besät,

Kein Körnlein fällt zu Boden,

Das nicht dereinst ersteht.

Ich weiß nimmer, von wem er ist, der Vers, aber ich meine, er paßt zum Totensonntag, wie das Kreuz auf den Grabhügel. Und wann die Leut' hinausgehen und die Gräber ausputzen mit Lichteln, Blumen und Tannengrün, so fallt er wohl dem und jenem ein, und er sagt ihn lest' vor sich hin. Mag sein, daß ihm dabei mancherlei in den Sinn kommt! Denn wir armen Menschen begraben ja fast täglich etwas, das uns lieb und teuer war. Nicht nur unsere Toten, auch so manche Hoffnung, so manchen schönen Traum, und nicht zuletzt auch so viele, die noch lebendig einhergehen, für uns aber gestorben sind, und wir für sie. So hat das Angele einen Schatz gehabt, hat auf ihn gebaut und sich verlassen. Da ist des reichen Steffen Huber Wittib gewesen, der hat der schmucke Bursch in die Augen gestochen. Sie hat sich ihm an­tragen lassen; er hat auf ihr reichs Gerstel geschaut und sie genommen, und wenn er jetzt mit seinem Viergespann am Angele vorbeifährt, so kennt er's nimmer und sie ihn nicht. Die zwei sind für einander gestorben. Und der. Schuster Thomas hat einen Sohn gehabt, der hat ihm alles gebrannte Herzeleid angetan und ist aufs Letzt in die weit' Welt gangen. Weiß keiner, ob er noch lebt oder nit; aber für die Eltern ist er tot und begraben. So geht, wenn man's recht anschaut, ein Totensonntag durchs ganze Jahr und durchs ganze Menschenleben. Und mancher tragt mehr Gräber mit sich herum, als der größte Gottesacker. Noch schlimmer aber, mein ich, als die, wo einen Lebenden mußten begraben in ihrem Herzen, sind die daran, die heut' an einem Grabe stehen nicht nur mit Tränen des Schmerzes, nein, auch mit Tränen der Reue. Denn das sind die bittersten und ver­brennen Herz und Augen am meisten. Da hat ein Mann sein Weib oft anblafft um eine jede Kleinigkeit. Nun ist sie tot, und er möcht' sie aus der Erde herauskratzen, um ihr sagen zu können:Vergib, mir all die harten Worte, die ich dir oft gesagt; ich bereue sie ja so sehr, ach so sehr!" Oder das Kind hat Vater und Mutter viel Weh und Kummer be« reitet. Nun liegen sie da draußen beieinander, und es siel davor, und die bittere Reue frißt ihm 's Herz ab. Aber m. ist's zu spät, und alle Tränen, alle Reue und Selbstvorwür'e wecken da unten nimmer auf. Du kannst ihnen erst dann abbitten, wann am letzten Tag das große Wiedersehen ist. Denn verloren geht keins von denen, die da draußen draus, warten. Wie's ja auch im zweiten Vers heißt:

Ich kenn' wohl eine Grude,

Fällt manch ein Tränlein d'rauf.

D'raus geht die Saat als Blume Im Schoß des Herren auf.

Wenn wir in Trauer sind um den Tod einer Person, die wir lieben, so dürfen wir unfern Trost nicht suchen in uns, noch bei andern Menschen, sondern wir müssen ihn

suchen in Gott allein. B. Pascal.

»

Zwei Dinge lerne geduldig tragen:

DaS eigne Leid, der andern Klagen!

M. v. Ebner-Eschenbach.