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Nr. L 21
N-gründek >326
Tagesfpiegel
c^-rchH^anzler Dr. Marx und Minister Dr. Slrc'emam si:, , .Me vormittag vom Urlaub nach Berün zurückgekehrk.
Der ilalienisch-schweizerische Schiedsgerichksvertrag ist unterzeichnet worden.
Zwischen dem Präsidenlen Coolidge und dem Slaats- sekrÄär der Marine Wrllbourgh soll eine ernste Meinungs Verschiedenheit entstanden sein infolge einer Rede Mül bonrqhs in Sattle, die eine scharfe Spitze gegen Japan ent hielt. _
Teuerungsbekämpfung und MieLe- steuer
Die Reichsreg'ierurhg hat ein Programm für den Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft bekanntgegeben, das darin besteht, daß durch Herabsetzung von Frachten, Kohlenpreisen, Steuern, Bankzinsen und Postgebühren die Voraussetzungen für eine Ermäßigung des teilweise noch über dem Vorkriegsstand liegenden Preisstands zu erzielen. Die heute zu beachtende allgemeine Preisentwicklung zeigt, daß sogar schon vor dm Wirksamwerden des Dawesplans eine neue Preiswelle im Anmarsch ist. Die aus den Stichtag des 16. September berechnete Großhandelsmeßzahl weist allem für eine Woche ein Anziehen der Preise um 3,1 v. H. nach. Dazu kommt, daß Deutschland zu dem die Landwirtschaft belachenden Tiefstand der Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse vor der Gefahr einer Mißernte steht und daß die Wahrscheinlichkeit besteht. Laß die Ernteerträge in der ganzen Welt mit Ausnahme der Vereinigten Staaten und Argen- üniens unzureichend sein werden. Die Aussichten sind in Kußland, Polen, Frankreich, Rumänien, Tschechoslowakei, Kanada und teilweise auch in Südamerika unbefriedigend oder schlecht. Die Stimmung an Len wichtigsten Weltbörsen, hie vor einigen Wochen noch die Preise nieder hielt, ist setz! ganz anders geworden und trägt jetzt in der Börsensprache die Kennzeichnung „fest". Händler und Mühlen beschleunigen ihre Einkäufe, um für eine etwaige Verknappung des ^Marktes sich zu sichern d. h. möglichst viel Ware an sich zu bringen, damit es später mit gutem Gewinn verkauft werden könne. Aehnlich wie Deutschland sperren auch andere Länder die Getreideausfuhr oder treffen Anstalten dazu. In neueren Meldungen wird behauptet, daß im nächsten Jahr nur die Vereinigten Staaten und Argentinien in der Lage sein werden, Getreide in nennenswertem Umfang aus- Whren.
Ob nun die von der Regierung eingeleiteten Maßnahmen, die teilweise Loch in recht mäßigen Grenzen gehalten sind, ausreichend sein werden, um allgemein wirksam zu »erden, bleibt abzuwarten. Jedenfalls müssen sie sofort in Kraft treten, wenn man von ihnen eins Einwirkung ach Ke Preisgestaltung erwarten soll. Aber bereits ist eine neue Erhöhung der Wohnungsmieten angekündigt worden, lieber die Notwendigkeit, die Erträgnisse aus den Wohnhäusern nach und nach dem Vorkriegsstand wieder anzugleichen, »estcht wohl kein Streit. Aber die für Oktober cmgesagtc Erhöhung der Mieten kommt nicht dem Hausbesitzer zugute, vndern der Reichskasse, d. h. die Hauszins steuer soll wieder einmal erhöht werden. Was also mit der einen Hand durch Ermäßigung von Eisenbahnfrachten, Umsatzteuer usw. der Wirtschaft gegeben wird, soll durch die neus Abgabe von der großen Maste der Wirtschaftenden wieder ausgeholt werden. Die Zweckmäßigkeit eines soft Herr Verfahrens darf man um so mehr anzweifeln, als gerade die Miete ein im Haushalt des Einzelnen unmittelbar Mpurter und mit Leichtigkeit nachzuweisender Ansgabepunk!
der z. V. bei allen Lohnbewegungen eine recht erhebliche Kolk zu spielen pflegt.
Ach einstimmigen Beschluß des Gesamkvorflands hat der verband sächsischer Industrieller an den Reichsfinanzministei nnm offenen Brief gerichtet, in dem es u. a. heißt:
Von einer raschen Ermäßigung der gegenwärtigen um Akraglrchen Steuerlast hängt für viele Betriebe das Weiter- bestehen, für große Arbeiterzahlen die Möglichkeit der Wer- oder Wiederbeschästigung ab. Vor allem muß es -er Industrie nun ermöglicht werden, ihre Erzeugung soweit zr oermlligen, daß sie wieder mit den Weltmarktpreisen ir Wettbewerb treten kann. Wirklicher Preisabbau wird ers darm eintreten, wenn die gegenwärtigen Steuerlasten hin- nZMich dr Einkommens-, Vermögens-, Gewerbe-, Mietzins- ettchvertungs-, Grundsteuern usw. beseitigt und daß mit der ach)t mehr aufschiobbaren St-euereform unter Mitarbei «r Erwerbsstände Ernst gemacht wird, sonst ist in kurze» Zeit ein Stillstand der Wirtschaft unvermeidlich.
ErotzhandelsLag
Dienstag de« 23. September 1824
Fernsprecher Nr. 29.
98. Jahrgang
— Der HrulMerband des deutschen Großhandels ist cm TT^ enende in Berlin zu einer öffentlichen Tagung zusam- urengeweten. Der deutsche Großhandel ist derzeit nicht zr
omeiden. Es ist ja nicht zu bestreiten, daß einzelne r»er. ireter des Großhandels im Krieg und in der Jnflationszek in der schamlosesten Weise am Voll-wohl sich vergangen ^cken, was dem Großhandel im Volksurteil eine so üble Behandlung eingetragen hat. ^Aber die Gerechtigkeit verlangt es, >estzustellen, daß jene Räuber des Volksguts zum größten Teil nistt eigentlich dem Großhandel angehörten, sondern baß sie nur geschickt die Gelegenheit ergriffen, sich m „Großhändlern" zu machen. Vom wirklichen Großhandel 8n Sinn der volkswirtschaftlichen Gliederung werden unter en Schädlingen nur ganz wenige zu finden sein. Im nteil; im Krieg wurde der Großhandel durch di« Zwangswirtschaft an die Wand gedrückt. Nach dem Krieg verlor er durch die Geldentwertung seine „Substanz". Es stütz nur ganz wenige Firmen, die einen Inflationsgewinv »der nach dem Abkommen der Rentenmark einen „Befesti- gungsgeminn" üucyen konnten. Die meisten haben die Hälft« bis Dveivierlel ihrer Betriebsmittel eingebüßt und stehen deshalb wie so viele andere Berufsstände vor einem Scherbenberg. Schräntt der deutsche Großhandel seine Tätigkeit aus das geringe Maß des noch vorhandenen Betriebskapitals rin, so leidet dk ganze Wirtschaft. Don Erfüllung der Daw-esrep-araKon kann bei verminderter Ausfuhr nicht mehr die Rede sein. Der Großhandel braucht langfristigen Kredit, unkündbar ans 2—10 Jahre gegeben. Das notwendige Leih- kapital ist vorhanden oder steht wenigstens in Aussicht. Das cknzige. was allenfalls am Dawesplan vernünftig ist, Legt ja darttl, daß er der deutschen Wirtschaft Ankurbelungs- kredite aus dem Ausland zukommen lassen will. Aber bei dem Großhandel hat es mit der Kreditfähigkeit seinen besonderen Haken. Ihm fehlt meist der Grundbesitz, ihm fehlen die Häuser, aus die man Hypotheken legen könnte. Sein« Waren,- seine Forderungen bieten zwar wirtschaftlich ebenst gute Sicherheit. Aber es fehlt in Deutschland die gesetzlich« Maschinerie, um diese Werte für den Kredit zu erfassen England ist darin vorbildlich w"angegangen. Da die angelsächsischen Länder als Gläubiger der Daweskredite in erste« Linie in Betracht kommen, würde ein deutsches Kreditgesetz für den Großhandel in England -wie in Amerika nur Verständnis und Entgegenkommen finden. Noch andere Sorgen lasten auf dem deutschen Großhandel. Die überspannten Steuern haben ihm, einem ausgesprochen kapitalistischer Gebilde, das letzte Blut abgezapft. Allein die Umsatzsteuer erhöht zurzeit die „Selbstkosten" der Ausfuhrwaren um k bis 14 v. H. Wie soll man da aus dem Weltmarkt bestehend Die Herabsetzung der Umsatzsteuer von 2,5 auf 2 v. H. genügt nicht. Auch die bevorstehende Herabsetzung der Gütertarife um 10 v. H. bringt nicht die erforderliche Erleichterung Der Hauptverband des deutschen Großhandels verlangt Verringerung um 25 v. H. Ferner wird gewünscht: Herabsetzung -der Bankzinsen, eine Bewegung, die ja schon irr Gang ist, sodann Abbau sämtlicher zwangswirtschaftlichei Bestimmungen, die gegenwärtig immer noch stark auf dev Handel drücken,, vor allem Beseitigung des Devisenzwangs, der Einfuhrüberwachung, der Preistreiberei-Verordnungen mit ihren ganz unnötig gewordenen Schikanen. Der Groß- handelstag erklärte sich für die landwirtschaftlichen und industriellen Schutzzölle, obgleich sie das Auslandsgeschäft vielleicht bis zu einem Grad erschweren, weil sie eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit sind.
Neue Nachrichten
Eintritt in den Völkerbund und Schnldlüge
Berlin, 22. Sept. Die „Berl. Ztg." schreibt, Nansen Hab« dem Reichskanzler bezüglich des Eintritts Deutschlands ir den Völkerbund „befriedigende Zusicherungen" gebracht Der deutsche Aufnahmeantrag werde eine solche Form erhalten, daß die Zulassung eine Anerkennung Deutschland« als Großmacht und die Befreiung von dem „Odium' (Verachtetsein) der Alleinschuld bedeute, und als „Bestätigung des Gemeinschafts- und Friedenswillens Deutsch lands". — Also kein Widerruf Deutschlands und kein, Zurücknahme der Schuldlüge seitens des Verbands, sonder« ein Friedensgelöbms Deutschlands und eine verzeihend, Duldung des Verbands — abgesehen von der Erfüllung Lei Kriegsentschädigung usw. Es wird abzuwarten sein, ab di, Vermutung des Blatts, das allerdings einige Fühlung oÄ der Regierung hat, zutreffend ist.
Der Reichskanzler beim badischen Zenkrum
Radolfzell, 22. Sept. Der Reichskanzler erschien gesten in der Versammlung des Parkeikags der badischen Zen trumspartei. Er teilte u. a. mit, daß das Reichskabinett ii seiner Sitzung am 23. Sept. die Frage des Eintritts in de« Völkerbund reiflich prüfen werde. Er werde seinen Postei weiterführen.
Französische Erpressung
Berlin, 22. Sept. Die französische Regierung hat beschlos sen, vom 1. Oktober an auf deutsche Waren eine Einfuhr- abgabe von 26 Prozent zu legen, wie sie Englani wieder erhebt. Die Abgabe ist selbstverständlich ein Erpress u n g s m i t t e l. ' um von Deutschland einen jüi
Frankreich sehr günstigen Handelsverkrag herauszuschlagen, So verlangt Frankreich, daß E l s a ß.- L o t h r i n g e n seine Waren weiterhin zollfrei nach Deutschland einführen dürfe, wozu es nach dem Vertrag von Versailles bisher berechtigt war. Von französischer Seite wird die Forderung damit beschönigt, daß Elsaß-Lothringen doch auch vordeni Krieg seine Waren habe zollfrei nach Deutschland verkaufen können. (Damals war E.-L. noch deutsches Land! D. Schr.) In Wirklichkeit will Frankreich sich den Wettbewerb der elsaß-lothringischen Erzeugnisse, Webwaren Wein usw. vom Halse schassen und zugleich eine Gelegenheit haben, möglichst viele Waren aus Altfrankreich nach Deutschland zollfrei einzuschmuggeln, indem sie als elsaß- lothringische Erzeugnisse ausgegeben werden. Dieser Knist wurde in den letzten fünf Jahren reichlich tngewendet.
Reichskagswahlen in Oberschlesien
Oppeln, 22. Sept. Vorläufiges Wahlergebnis: Zentrum 191 695, Deuffchnationale 81 002, Kommunisten 75 917, Pob nische Partei 35 839, Sozialdemokratie 19 229, Deutschvök- kische Freiheitspartei 118,36, Deutsche Volkspartei 11683, Wirtschaftspartei 8908, Demokraten 7811, Deutschsozial« 7160, Siedlerpartei 3189, Häußerbund 807.
Gewählt sind bis jetzt 3 Zentrum, 1 Deutschnationaler,
1 Kommunist. — Zwölf verschiedene Parteien, das ist für das kleine Deutsch-Oberschlesien eine ansehnliche, aber traurige Leistung.
Ludendorff gegen das „Versklavungsdiklal"
München, 22. Sept. Eine in den Bürgerbräulsller ein- berufene Versammlung des Völkischen Blocks war von Tausenden besucht, so>däß mehrere Nebenversammlungen abgehalten werden mußten. Hitler ließ aus dem Gefängnis «grüßen; wenn der Putsch im November geglückt wäre, sv wäre der Dawesplan dem deutschen Volk nicht aufgezwungeu worden. General Ludendorff, der die Hauptrede hielt, tsgte Einspruch ein gegen die neuen Derfolgungn der Völkisch:« in Bayrn durch die neue Regierung. Non der Staats- anioaltschfat werde auf die Regierung eingewirkt, daß Hitlei di« nn Gerichtsurteil ausgesprochene Bewährungsfrist nichi gewährt werde. Die bayerische Volkspartei und das Zen- bum, die den christlichen Glauben in Erbpacht zu haben glaube«, scheuen sich nicht, sich mit den Demokraten und Sozialdemokraten zu vrebinden, die den Gottesglauben ableh- «s». De« Haß, den man am Tag der Reichsabstimmung Lber dis Dawesgefetze gegen das Parlamentsunwesen in sich ausgenommen habe, könne mau nicht mehr zerstören. El dank seinen Freunden im Parlament, daß sie daran arbeiten, diese Parlamente dahin zu schicken, wohin sie gehören, io ihr Nichts. Wenn die völkische Bewegung geschloffen marschiere, könne dieses Ziel erreicht werden.
Held gegen Ludendorff
München, 22. Sept. In der Hauptversammlung des Bayerischen Bauernvereins in Funkenhausen wandte sich Ministerpräsident Dr. Held scharf gegen General Luden- dorff. Die Anstrengungen, in Bayern wieder ein geschloss- senes Volk zu schaffen, seien von Leuten zunichte gemacht worden, die Bayern mißbrauchen wollten, rein preußische Pläne durchzusühren. Den Eintritt in den Völkerbund lehne er jetzt unbedingt ab; dabei haben auch die Bundesstaaten mitzureden. Unter allen Umständen müsse jetzt auch im Ausländ der deutsche Einspruch gegen die Kriegsschuldlüge mitgeteilt werden, selbst auf die Gefahr hin, daß man noch wochenlang auf das Auslandsdarlehen warten müßte. Wem» das bayerische Volk einen Diktator wolle, dann habe es seinen König wieder. (Stürmischer Beifall.)
Wie Poincare die Schuldlüge zu retten fuchi Paris, 22. Sept. Bei der Denkmalsweihe in einem kleinen Dorf des Maasbezirks sagte Poincare, in den letzten sechs Monaten habe Deutschland von den Verbündeten viele Beweise des Wohlwollens erfahren. (!) Trotzdem suche es ketzl die Kriegsschuld in Abrede zu ziehen, und man erlebe das sonderbare Schauspiel, daß das republikanische und demokratische Deutschland versuche, das Kaiserreich zu rechtfertigew Nichts sek gefährlicher, als internationale Verträge M erschüttern. Frankreich werde aber nicht dulden, daß an dem Vertag von Versailles nur ein Wort geändert werde.
Englische Besorgnisse vor dem Dawesplan London, 22. Sept. In einer Dergarbeiterversammlung ko Tannworth hielt der gegenwärtige Zivillord der AdmiralitÄ Hodges (früher Sekretär der Bergarbeitergemeinschafts eine Rede über das Londoner Abkommen. Er sagte, die Enb schädigungsleistungen werden den Empfängern mehr Schaden bringen als denen, die sie ouszuführen haben. D-- ss Entschädigungen widersprechen allen Grundsätzen der Volkswirk- schüft. In jedem Land sollten Ausschüsse aus den Vertretern der Industrie und der Gewerkschaft ge ^ werden, damit sich die wirtschaftliche Wiederaufrichtung Eur- vas nach den! Dawesplan nicht aus Kosten der Arbeiterklasse in den andern Ländern vollziehe.