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Donnerstag de« 21. August 1924 Fernsprecher Nr 29.

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98. Jahrgang

Tagesspiegel

Die Besprechungen des Reichskanzlers und Skresemanns mit Reichstagsabgeordneten wurden am Dienstag fortge­setzt. Der Kanzler führte aus, es sei nicht möglich gewesen, in London mehr zu erreichen.

Am Mittwoch vormittag erstatteten 8er Reichskanzler und die Minister Skresemann und Luther Bericht vor dem Reichstagsausschub für Auswärtiges.

Bundeskanzler Seipel übermittelte dem Reichskanzler Glückwünsche zum Londoner Abkommen. Der Präsident der Republik Chile, Alessandri, übersandle einen Glückwunsch an den Reichspräsidenten.

Auch die norwegische Regierung hak den Beikrilk zum »Sicherheitsplan" des Völkerbunds abgelehnt. Der Plan vermehre geradezu die Kriegsgefahr in Europa, besonders da er Sonderbündnisse zwischen den Mitgliedern gestalte.

Der französische Minisierrat hat die Haltung der fran­zösischen Abordnung aus der Londoner Konferenz einstim­mig gebilligt.

Lin Londoner Blatt schreibt, Reichskanzler Marx habe Herriot vorgeschlagen, daß der militärischen Besehungsbe- hörde und der Rheinlandkommission je ein deutscher Kom­missar beigegeben werde. Es sei aber nicht bekannt» ob Her­not dem Wunsch Folge geben werde.

Die Wahrheit über London?

Regierung und Reichstag

Dis offizielle deutschnationale Politik dieser laufenden Woche ist der vorsichtigen Taktik gewidmet. Zwischen dem Abschluß der Londoner Konferenz und dem Reichstagsbe- gimi soll nichts geschehen, was die Stimmung für die parla­mentarischen Verhandlungen verdirbt. Alles, was als Lon­donerErfolg" gebucht werden konnte, wird von den Presse­stellen stark unterstrichen. Me furchtbare Tatsache, Laß, Frankreich seinen Machtanspruch über das Ruhrgebiet für ein ganzes Jahr aufrecht erhält, wird verschwiegen oder be­schönigt. Der unbeeinflußten öffentlichen Meinung obliegt es, dagegen stets die reine Wahrheit zu sagen und mit kritischen Bemerkungen nicht hinter dem Berg zu halten.

Warum ist z. B. das Berliner Publikum bei der Rück­kunft der deutschen Abordnung aus London irregeführt worden? Man wartete am Bahnhof Friedrichstraße, und der Zug der Minister wurde heimlich nach dem Lehrter Lahnhof umgeleitet. Ein kleines Heer von Kriminalbeamten sperrte die Aufallsmenge ab, die noch in letzter Minute zur Begrüßung zusammenströmte. So würde der falsche Ein­druck erweckt, als habe die Regierung kein gutes Ge­wi s e n. Befürchtete sie Zwischenfülle, vielleicht gar Atten­tate? Eine ganz unnöötige Angst! Aber man soll auch nicht krampfhaft,darauf hinarbeiten, bis zum Zusammentritt des Reichstags, nur gutes Wetter zu machen, und alles in rosig­stem Lichte erscheinen zu lasten.

So werden jetzt üer die Räumung der badischen Städte Offen bürg und Appenweier deutschamtliche Mel­dungen verbreitet, die den Glauben erwecken könnten, daß die französischen Besatzungsbehörden von Edelmut und Der- söhnungseifer nur so triefen. Es genügt wohl als kalte Dusche, wenn man bei Havas liest, daß die Räumung von Offenburg und Appenweier eine Folge der Wiederauf­nahme des Durchgangsverkehrs Paris-Warschau und Paris- Prag durch die deutschen Bahnbehörden sei. Die Wahrheit aber ist: Die genannten Zugverbindungen sind seinerzeit im Februar 1923 wegen Kohlenmangels eingestellt wor­den. Sie sind jedoch seit Wochen wiederherge­stellt. Frankreich hätte also die Städte Offenburg und Appenweier schon lange wieder räumen muffen, wenn nicht der Grund für die von Poincare am 4. Februar vori­gen Jahrs befohlene Besetzung ein ganz anderer gewesen wäre, nämlich das südw e st deutsche Eisenbahn­netz in das französische einzubeziehen.

Und warum werden jetzt die kleinen Besatzungsfplitter (auch Dortmund-Hörde und die sogenannten Flaschenhälse am Rhein) so zuvorkommend geräumt? Antwort: Weil Frankreich und Belgien es mit den kommenden Handelsver­trägen zum .Zweck der besonderen Ausmessung Deutsch­lands sehr eilig haben. England und Amerika haben es in London bekanntlich in letzter Stunde verhindert, daß dir Räumungsfrage mit handelspolitischen Sonderbegünstigun­gen für die Besatzungsmächte verquickt wurde. Frankreich und Belgien wollen bei den demnächst beginnenden Handels­vertrags-Verhandlungen der Direktor der wirtschaftlichen Abteilung des belgischen Außenministeriums van Langen- scote trifft dieser Tage bereits in Berlin ein diekulante und beschleunigte Räumung" als schwerwiegenden Trumps ausspielen, um ihre Wünsche durchzusetzen. Der Londoner Schacher setzt also erst recht ein, und Deutschland wird mit Zuckerbrot und Peitsche dressiert, bis es hübsch aufwartet England, das als Freihandelsstaat befürchten muß. bei d w nauzöMch-belqilcken Geschäft mit Deutschland ei-"n

Teil der Kosten m bezahlen. England hat, da es nichts zu räumen gibt, sich bereits eine andere Waffe gesichert: Du Wiedereinführung der 26prozentigen Exportabgabe. Abbau dieser 26 Prozent nur gegen Meistbegünstigung!

So stehen also die Dinge. Besser, als dem deutschen Michel jetzt eine rosa Brille auf die Nase zu setzen, damit er freudig alles unterschreibt und schluckt, wäre es, ihm die aanze Schwere der Londoner Abmachungen vor Augen zu führen. Ministerpräsident Herriot hat kurz, ehe er London verließ, dem Ausfrager desDaily Expreß" erklärt:Wenn Deutschland den neuen Pakt nicht erfüllen sollte, so werden wir nach allem, was in London staitgefunden hat, nicht etwa schwächer dastehen als vordem, sondern im Gegen­teil stärker als je zuvor." Damit wollte Herriot wohl reine Poincaristen beruhigen, aber in Deutschland sollte man sich doch angesichts solchen Triumyhlieds recht ernstlich aus bas besinnen, was jetzt von der deutschen Volksvertretung §utgeheißen werden soll.er.

War es nöüq?

DemSchwäb. Merkur" wird aus London geschrieben:

Als sich dis deutschen Bevollmächtigten in der Nacht vom Freitag aus Samstag zu ihrem Ja entschlossen, so erzählten die Londoner Blätter, hatten sie es so eilig damit, Herriot keinen Sieg wissen zu lassen, daß sie morgens um vier Uhr innen Boten nach seinem Hotel schickten mit dem Auftrag, dafür zu sorgen, daß Herriot ihre Entscheidung sofort mit­geteilt werde. Herriot sei geweckt worden, habe die Mit­teilungen gelesen und dann nur bemerkt:Ich dachte es mir, wenn ich es auch nicht ganz so schnell erwartete." Dann Hube er weiter geschlafen. Ich weiß nicht, ob diese Geschichte wahr ist, ich weiß aber, daß mir ein ausgezeichneter engli­scher Beobachter ganz in ihrem Geiste gesagt hat: Die Deut­schen sind schlechte Pokerspieler, was offenbar auch die Kal- klllotion Herriots oder besser seiner geriebenen Hintermän­ner war. Als Herriot am Donnerstag mit seiner Abreise drohte, nahmen die Deutschen diesen Bluff sofort ernst und erklärten jedem, der es hören wollte, Herriot behandle di» ganze Frage der militärischen Räumung nun als. eine Frage des Ansehens und da müsse Deutschland natürlich mtterliegen. Sobald Mac Donald und die übrigen Vertre­ter die nur den einen Wunsch hatten, Schluß zu machen, von dieser Auffassung der Deutschen horten, wußten sie, wo die Atme -es geringsten Widerstands lag, und gäbest dann einer Abordnung, die innerlich schon kapituliert hatte, noch den Stoß, den sie für ein offenes Umfallen brauchte.

In englischen Kreisen wurde tatsächlich allgemein erwar­te», und, abgesehen von Mac Donald, von den anderey

Ministern und besonders vom Schatzamt sogar gewünscht daß die Deutschen Herriots Bluff auf die Probe stellen würden. Sie konnten nach dieser Auffassung sagen: Herriot kann für sein Bestehen auf einer Verlängerung der militärischen Besetzung um ein Jahr keinen anderen Grund anführen und er tut es auch nicht, als den, daß eist weiteres Nachgeben seinen Sturz und damit die Vernichtung der Konferenzarbeit nach sich zöge. Wir sind gerührt von Her­riots gutem Willen und wir haben zu ihm persönlich alles Vertrauen; wir befinden uns aber leider genau in der gleichen Lage, wie er selbst. Wenn wir einwilligen, das industrielle Herz Deutschlands gegen Recht und Vertrag noch ein weiteres Jahr in Frankreichs Faust zu lassen, so wird unsere Regierung fallen und mit ihr die ganze Ar­beit der Konferenz. Wenn Herriot daher auf seiner Forde» rund bestehen muß, bletbt uns nur übrig, abzureisen, wenn auch schweren Herzen.

Was wäre im Fall eines deutschen Nein geschehen? Don­nerstag abend wurde den versammelten Journalisten aus dem Londoner Ausw. Amt gesagt, in diesem Fall würde Mac Donald die Konferenz um2 oder 3 Wochen ver­tagen. Mac Donald selbst hatte der deutschen Vertretung im Lauf des Tags von dieser Absicht kein Sterbenswörtlein gesagt und sie insofern getäuscht. Aber sie hörte noch am abend desselben Tags von dieser Absicht und hätte da­raus den nötigen Schluß ziehen können, der kaum ein ande­rer sein konnte als der, daß man weiter verhandeln werde, wenn die Deutschen erst bewiesen hätten, daß sie sich von Herriots Bluff nicht einschüchtern laffen würden.

Mac Donald selbst hat m der ganzen Angelegenheit offenbar eine recht merkwürdige, um nicht zu sagen zwei­deutige Rolle gespielt. Er ließ die deutsche Vertretung nicht nur über seine Vertagungsabsicht ganz im Dunkeln, sondern gab ihr auch den Eindruck, daß die englische Vertre­tung die deutsche Annahme von Herriots Angebot wün­sche, während gerade das Gegenteil der Fall war und er nur für sich und nicht für die ganze englische Abordnung sprach. Während man nämlich in der deutschen Vertretung Herriots heilige Versicherung, er wolle keinerlei Verquickung der militärischen Frage mit den wirtschaftlichen, sofort ernst nahm, ließen sich die Engländer keinen Augen­blick in der Auffassung beirren, daß die Fran­zosen nur deshalb so zäh auf einer an sichsinnlosen und mit keinem sachlichen Argument zu rechtfertigenden Verlän­gerung dsr militärischen Besetzung bestünden, um sie als Druckmittel nicht nur gegenüber den D'uk'chcn 'ür die ! Durchsetzung ihrer ungeheuerlichen und auch für -^uglar.k i

nachteiligen wirtschaftlichen Forderungen zu benüsten, son­dern auch gegenüber den Engländern in der Frage des Schuldenerlasses. Für Mac Donald selbst traten aberalle diese Dinge vollkommen zurück gegenüber seinem Wunsche, endlich seinen Urlaub antreten, seinen Freund herriot retten und den großen diplomatischen Erfolg buchen zu können. Wobei dahingestellt bleiben mag, wie weit er selbst ein Opfer der raffinierten Gewandt­heit wurde, womit Perettidella Rocca und seine Ge­nossen Herriots parlamentarische Lage auf der Konferenz diplomatisch ausbeuteten. Wenn Mac Donald Herriot durch seine Unterstützung ihres Bluffs wirklich gerettet hat, und ks gibt viele Leute, die das nicht bezweifeln so kann dei Preis dieser Rettung sehr leicht sein eigener Sturz in naher Zukunft sein; ich persönlich bin jedenfalls der Ansicht, daß er die zwei diplomatischen Pyrrhussiege, die er mit dem russischen Vertrag und dem Londoner Pakt errungen hat, nicht viele Monate überleben wird. Die Erkenntnis dürfte in der NNation bald durchsik- kern, daß Mac Donald zwar sich darauf versteht,Atme sphäre zu schaffen", aber nicht in der so geschaffenen Atmo­sphäre solide Gebäude aufzuführen, daß er kein Staats­mann ist, der leitet und zwingt, sondern einer, der ge­fühlsmäßig immer die Richtung einschlägt, wo er den ge­ringsten Widerstand erwartet und daß er mit dem krampf­haften Festhalten an der lächerlichen Einbildung, die Frag« der militärischen Besetzung gehe die Konferenz nichts an, nicht nur seine eigene diplomatische Ohnmacht verriet, sondern zugleich das Ansehen seines Landes weiter herabdrückte.

Der Beweis des Konferenzergebniffes wird in seiner Aus­führung liegen. Vorerst kann mast nur feststellen, daß die Konferenz in dem Hauptziel, das Mac Donald ur­sprünglich vorfchwebte, in dem Ziel, mit Deutschland zu einem Abkommen zu gelangen, das es ehrlich und mit autem Wil­len ausführen könnte, nachdem es feine Unterschrift darun­ter gesetzt hatte, gescheitert ist und daß die Konferenz allen ihren Vorgängerinnen darist gleicht, daß die deutsche Unterschrift, wenn auch mit etwas müderen Mitteln und in weniger brutaler Form, durchhöh ereGewalt" er­zwungen worden ist. Herriot könnte natürlich die ehr­liche deutsche Mitarbeit ohne die Mac Donaldscomplet accord" so wertlos ist, wie jeder von seinen Vorgängern her­gestellte, noch immer gewinnen, wenn er de» Mut aufbrächte, von seinem guten Willen nicht nur zu reden, sondern ihn durch Taten zu beweisen. Er brauchte nur, nachdem er nun seine Höchstzeit für die Räumung erlangt hat, sich mit einer Mindestzeit in ihrer Ausführung zu begnügen und dafür zu sorgen, daß feiste Vertreter am Rhein und in der Pfalz im Sinne des Abkommens handeln. Aber wer wagt heute noch, an einen solchen Mut Herriots zu glauben nach der kläglichen Rolle, die er vor und während der Londoner Konferenz spielte, nach feinem beständigen Hin­an- Herfchwanken zwischen seiner Sehnsucht nach Frieden and Zusammenarbeiten Mischen den Völkern und feiner erbärmlichen Angst vor Poi ncare und der Pa­riser Hetzpresie. Vielleicht wird man der Behauptung am nächsten kommen, wenn man sagt, die Konferenz habe besten­falls die Möglichkeit gehabt, daß sich der neue Geist größerer eVrsöhnlichkeit in den internationalen Beziehungen, der sich auch hier in ganz schüchternen Anfängen zeigte, weiter ent­wickeln kann. Die Aussicht darauf ist aber leider nicht groß, and viel wahrscheinliche rist, daß der Londoner Pakt nur einen kurzen Waffe n still stand in der Krieg be­deutet, den Frankreich während der fünf Friedensjahre un­ermüdlich gegen Deutschland weitergeführt hat.

Der Gesetzentwurf über die Industrie

kreis der Betasteten

Die im Sachverständigenbericht vorgesehenen Jahres­leistungen, die zur Verzinsung «nd Tilgung der fünf Mil­liarden Gokdmark erforderlich sind, werden auf die Unter­nehmer industrieller Betriebe, wozu Bergbau-, Schiffahets- und Bauunternehmer (Privatbahnen, Klein-, Strahenboh- rren) hinzugerechnet werden, »ach Maßgabe ihres zur ver- mögenssteuer veranlagte» Betriebsvermögens umgetegt. Jq der Höhe der hienach auf den einzelnen Unternehmer ent­fallenden Last hat dieser Schuldverschreibunges auszu st eilen. Als Mindestgrenze des Betriebsver­mögens, das der Belastung unterliegt, sind vorläufig 50 tM Goldmark festgesetzt.

Amlegrmg -er Last

Die Grundlage für die Umlage bidlet die Veranlagen^ zur Vermögenssteuer für 1924. Nach Maßgabe später« Veranlagungen zur Vermögenssteuer wird die Belastung neu umgelegt.

Ausstellung von Emzelschuldverschrai Hungen

Don den schon erwähnten Einzelschuldverschreiknmgev blecht der Betrag von 4)4 Milliarden im gemeinsamen Ge­wahrsam des Treuhänders und der Bank und kommt nickst ans den internationalen G emarkt. Nur in Höhe von SlN Millionen Goldmark kann der Treuhänder Einz lsiduldver> schreibungen veräußern.