Lin Musikant.
Der alte Jan, der Kurfürsten von Köln verkommener Tenorist, hockte wieder auf seiner Bonner Dachstube und soff. Wie sollte dar noch enden? — Seine Stimmbänder rosteten, die Kapelle kündigte ihm, der Winter ist hungrig und — Herrgott ja, da jammert sie wieder: nebenan lag Frau Maria Magdalena im Wochenfieber und stöhnt ihm schon zwei Tage lang die Ohren voll. Da schüttelte sich Jan, knallt dar Wein- glar zu Boden und heult, wie Trunkene heulen, garstig und mit rot verquollenen Augen.
„Er muß anders werden, er muß, er muß . .1" so greint er und torkelt über Scherben und Dielen, die er aur Eigen- ekel bespeit. Kein Bild hängt mehr an den Wänden, der Pilz frißt am Mörtel; dort stand noch gestern ein Ofen, heute friert Frau Maria und soll gebären. .Gebären!" — schreit Jan und betrommelt seinen zerzausten Schädel, .ge- bären!" — .du Unhold setzest Leben in die Welt und weißt, daß dein Same verpestet ist!"
Da fällt er nieder an Maria« Bett und zerbricht unter der eigenen Schande. Kein Wort ist ihm schlecht genug, sich selbst zu verfluchen, kein Name zu heilig, Frau Maria Magdalena, die Wöchnerin, zu trösten.
Die duldsame Frau aber hat den Frieden der Armseligkeit in den Augen. Sie harret ihrer Niederkunft und faltet ihre Hände wie ein betender Kind. .Tr gibt ein Jung", lächelte sie, .die Nömersch hat er gesagt; laß ihn war Rechter werden Jan, laß ihn waS Rechter werden!" — Dann schläft sie wieder matt und fröstelnd ein.
Da ist Jan auf die Beine gesprungen: .Bon heut ab, ich schwör'«, von heut ab!" und tausend gute Vorsätze treiben ihn hinaus auf die Straße, an den Rhein, wo ein blei- schwarze« Gewitter zwischen den sieben Bergen hängt. .Der Jung soll ein Schreiber werden, da kommt er nit an« Saufen", so brütet Jan und segnet sich vor dem Wetterleuchten; .ein Gewitter im Dezember, — Gott Vater, da« ist eine Vorsehung!" — Am alten Zoll schlagen die Fischerbarken im Aufruhr de« Strom« aneinander, und die nackten Bäume werben geschüttelt vom heulenden Sturm. .Oder soll ich ihn Schiffer werden lasten?" zweifelte Jan, .dann wird er furchtlor und steht die Welt!"
Er rennt in die Stadt, da er unbedingt den Schloß- mediku« für Maria konsultieren will. Wie Feuer und Neffen brennt ihm die Sorge unter den Sohlen, weißer, prasselnder Hagel übergießt ihn, aber er rast vorwärts. Auf den Pfützen tanzen Blasen, und die Gossen schießen schäumend nach dem Rhetnufer. Immer schneller hastet Jan, denn die arme Frau Maria, wie dauert sie ihn! Da hält er inne, schlägt sich an die pustelige Stirn: .Der Jung wird Medikus, aller, aller soll er werden, bloß nicht Musikant, nein, nie ein Musikant wie der Alte, den die Tönestmpelei zum Lasterbild gemacht hat!"
Damit stößt ihm der Sturm den Hut vom Kopf, über den Dächern heult eS und jagd er und pfeift e«, eine Scheibe klirrt vor seine Füße, und zerschlagene Vögel treiben im Wasser der Rinnsteine. Da steht Jan die alte Römersch durch die Pfützen springen: .Herrgott — he Römersch, wo willst- hin?"
.Zur Maria, du Ludrian, 'nen Sohn kriegt se und du lungerst in den Gaffen!"
Da krachte ein doppelter Blitz zwischen die schiefen Giebel, und zehn Donner trommeln in die Ftnsternir, daß die Schindeln von den Dächern klatschen.
.Und er wird doch ein Mustkuri" — so schreit der Sturm, prasselt der Hagel, paukt der Donner.
Ja, als Jan sich selbst verfluchte, ein neuer, reiner Mensch zu werden versprach, al« der zwiefache Blitz die eisige Finsternis zerteilte und mit furchtbarem Groll der Donnermund seinen Trotz wie mit Fäusten gegen die Erde schlug, da hatte Frau Maria Magdalena das Lächeln im Schmerz gefunden, voll Tränen und mütterlicher Verklärung. Einen Sohn gebar sie, den sie Ludwig nannten: Ludwig van Beethoven.
Heinz Steguweit.
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Verfemt kn der Welt,
Glück, Ehre zerschellt,
Vom Feinde betrogen,
Bon „Freunden" belogen,
Dem Abgrunde nah,
Steh'n wehrlos wir da . . .
Nur ein's muht' uns bleiben, — Die urdeutsche Erde.
Drum woll'n wir es schreiben Zns Herz uns hinein:
Mas immer auch werde»
Zhr wollen wir weih'n Unsre Kraft, unser Leben,
Unser Ziel, unser Streben Canz und allein.
Die Heimat de« Väter —
Ob früh oder später Frei aller Fron —
Woll'n treulich wir pflegen.
Dann wird »ns ihr Segen Zn köstlichstem Lohn.
- M. Nogge.
Die Eltern berühmter Männer.
Unwillkürlich neigt man zu der Annahme, daß unsere großen und berühmten Geistesheroen au« Familien her- oorge aang en sein müßten, die ihren Kindern die günstigsten VWungsnrögttchketten haben verschaffen können in s beste Vorbilder boten. Daß dies aber keineswegs immer der Fall war, ergibt eine Nachforschung nach den Vätern unserer berühmten Männer, die allerdings nur einen Bruchteil unserer deutschen Größen erfassen konnte. Schon diese kurze Zusammenstellung zeigt aber, daß das echte Genie, allen Hindernissen trotzend, zum Lichte drängt. So erblickte Martin Luther, der gewaltige Reformator, als Sohn eines au-; einer Bauernfamilie stammenden Bergmannes das Licht der Welt, Der Archäolog Winckelmann war der Sohn eines Schuhmachers. Der Vater des Philosophen Fichte war Band- crirkex, der Kants Sattlermeister. Franz Schubert, der un-
sterMM LieSerkomponist, war Ser Sohn eines mti N«ver» reich gesegneten Elementarlehrers: Joseph Haydn stammte von einem Wagensteller und Richard Wagner von einem Polizeiaktuar ab. Betrachten wir berühmte Schriftsteller auf ihre Abstammung hin, so erfahren wir, daß Gottfried Keller der Sohn eines Drechslermeisters, Friedrich Hebbel ^er Sohn eines armen Maurers war. Berthold Auerbachs Pater war einfacher Handelsmann und der Vater der Brüder Grimm Stadtschreiber in Hanau. Joh. Peter Hebel stammt« > on schlichten Webersleuten ab; Ludwig Tieck von einem Scilermeister und der zünftige Schuhmacher Hans Sachs oon einem Schneidermeister. Wilh. Leibl, der berühmt« Maler, hatte zunächst das Schlosserhandwerk erlernt. Kar! i>. Piloty und Adolf v. Menzel waren die Söhne von Litho- zraphen: Ludwig Richter der eines armen Kupferstechers, I'fans Makarts-Vater war Hofbediensteter und Franz vov Penbach der Sohn eines Maurermeisters. Der Bildhaue, Trust Rietschel stammte aus einer armen Handschuhmacher- mmili«, der Bildhauer Schadow von einem Schneidermeister rb> Philipp Reis, der Erfinder des Telephons, ohne welches der Wirtschaftsverkehr heute undenkbar ist, war der Sohn eines Bäckers; Heinrich Stephan, der Schöpfer de, Weltpostvereins, der Sohn eines ehrsamen pommerischen Handwerkers. Der Maschinenkönig August Borsig, einer >er bedeutendsten Großindustriellen, war der Abkömmling eines Zimmermannes und Richard Hartmann, der Begciim der der sächsischen Maschinenfabrik, war in seiner Iügent Äs Zeugschmied tätig. Kleinbürgerlichen Verhältnissen ent- tammte auch Rudolf Virchow; aus einer schlichten Hand- Derkerfamilie der große Mathematiker Ganß und Gabels- bergsr, der Begründer des Stenographiesystems, war der Sohn eines armen Musikinstrumentenmachers. Die heutige Zeit hat es unseren Genies leichter gemacht, zur Anerkennung pr gelangen als früher. „Freie Bahn dem Tüchugen" ist die Carole.
Mein Dörflein (Beihingen).
Bon Bergen ring» umschloffen Liegt cs der Welt entrückt.
Das Dorf, nach dessen Häuslein Wohl kaum der Wandrer blickt.
Das Bächlein, das durchs Dörfchen Sich seine Straße wählt, at auch den Menschen draußen icht viel von ihm erzählt.
Zu ihm auf meiner Wand'rung Hat mich mein Weg gebracht.
Daß mir's drin so gefiele.
Nie hätt' ich eS gedacht.
Zur Arbeit biedrer Bauern Paßt' ja die meine just.
War nicht auch mir wie ihnen Das Säen Herzenslust?
Doch einmal oder 's andere War's eine Tränensaat.
Die Furche, drein ich säte Zog nur des Todes Pfad.
Doch umso tiefer grub sich Das Dörflein mir ins Herz Mit seinen hohen Freuden,
Mit seinem tiefen Schmerz. <». H. Kläger, »
Gerücht.
Durch die Gassen just ein Männlein Huscht es schattengleich Und erzählt in jedem Hause Etwas arm und reich,
Etwas Neues, still und schaurig.
Daß der Atem stockt Oder daß die Schadenfreude Heimlich schon frohlockt.
Aber greifst du nach dem Männlein,
War's ein Schemen nur.
Und vergebens suchst Du nachher
Seine flücht'ge Spur. G. H. Klager,
Der Tanz um das goldene Kalb
53j Von Erica Grupe-Lörcher
(Nachdruck verboten.)
»Hetzt," fragte Wedelt überrascht dazwischen, „jetzt, im Sommer, wo alles die Großstädte meidet? Wo andere es vorziehen, aufs lustige Land hinauszugehen?"
Aber seine Cousine war nicht von ihrem Plane abzu- bringen. In der Nacht war ihr wie eine Erleuchtung dieser Gedanke gekommen. Sie ergriff ihn mit der ganzen sprunghaften Lebhaftigkeit, die sie sich im gesellschaftlichen Leben angewöhnt, und erklärte, ohne Verzögerung die Anstalten zu ihrer Abreise treffen zu wollen. Zuerst wollte sie nach Paris. Dort konnte man sich auch noch nach schicker Toilette für Halbtrauerzeit umsehen. Später ging man nach Berlin, wenn im Spätsommer und Frühherbst alle die Theater ihre Pforten mit Novitäten eröffnet«« und auch die guten berühmten Konzerte begannen. In Berlin, in Paris konnte sie bereits, da sie niemand kannte und völlig untertauchen konnte, diese Art von Vergnügen besuchen. In Checkburg wäre sie, besonders für das erste halbe Jahr, zu strengster Einhaltung der Trauer gezwungen gewesen. Und sie wollte das alles m den Großstädten nur mrtmachen, um ihren Schmerz zu betäuben, um sich abzulenken, um diese übermächtig große Sehnsucht nach gesellschaftlichem Leben zu erhören.
Fräulein Arnanda verließ das Zimmer, um bereits oben in ihren Gasträumen die ersten Anstalten zur Abreise zu treffen. So eilig schien es ihr. Herr Wedel! und Zyria blieben einige Augenblicke unten allein zurück. Er war noch überraschter als Zyria. da Fräulein Amanda sie bereits bei der Morgentoilette mit diesem Entschluß empfangen. Herr Wedel! tat Zyria leid. Er mußte tiefverlstzt fein. Aber sie sah nur Erstaunen und stummes Nichtbegreifen in seinen Zügen.
„Es ist mir sehr peinlich. Herr Wdeell." konnte sich Zyria nicht enthaften, offen zu äußern. „Sie haben sich die erdenklichste Müh« gegeben."
„Der Entschluß überrascht mich ebenso sehr wie Sie. Herr Wedel!, und ist mir geradezu peinlich. Sie haben es sich so sehr ständig angelegen sein lassen, uns den Aufenthalt in Ihrem Hause angenehm zu machen-"
Er dankte ihr mit einem Blick, mit einem Lächeln, das ihr Wohltat und ihr sagte: sie war nicht schuldig an der ganzen Zerfahrenheit seiner Verwandten. „Mir ist dieser Entschluß nur ein Symptom, Fräulein Zyria! Ich gewinne mit Bedauern die Ueberzeugung. daß meine Cousine durch den unvermuteten Tod ihres Bruders völlig haltlos in der Welt herumirren wird. Nicht nur im Kummer um seinen Verlust, sondern noch mehr in dem ihr noch unklaren Bewußtsein, daß sie nun ihre führende gesellschaftliche, Rolle allmählich einbüßen wird, ine er ihr geschaffen hat. Die Welt ist undankbar und vergeßlich. Nur wenige werden sich aller der gastlichen, schönen Stunden erinnern, die sie in dem freigiebigem Hause des Geheimrates verlebt haben. Weil es für
sie alle nur der Tanz um das goldene Kalb war!-Und
bald werden sie neuen Göttern huldigen-!"
Zyria hörte ihm still zu. Es tat ihr so wohl, endlich, zum ersten Male seit ihrem Hiersein, einige Augenblicke unter vier Augen ungestört mit ihm sprechen zu können. Die Klarheit seiner Ansichten und seiner Lebensanschauung breitete sich wohltuend über sie, wo sie innerlich so vollkommen auf sich selbst angewiesen war! Sie dachte plötzlich an die Worte von Onkel Forgiß, die er damals bei der Begegnung im Theater zu ihr gesprochen: „Suche, daß du dich nicht vereinsamt fühlen wirst in dem Schwarm der Gesellschaft! Sie wird dir ihre innere Leere und Hohlheit eines Tages zeigen. Hüte dich, in ihr dein Einziges suchen zu wollen!"
„Es macht mich förmlich erschauern, wo ich sehe, wie die Sucht, eine Rolle in der Gesellschaft zu spielen, einen Menschen vollkommen in ihren Bann schlagen kann! Wie der gesellschaftliche Ehrgeiz einen Menschen völlig in seine Fänge schlägt! Fräulein Werner ist diesem Ehrgeiz ausgeliefert. Alles andere verblaßt in ihren Vorstellungen, wird reizlos, -wird wertlos!"
„Wollen Sie mit ihr wandern?" Er fragte es nach einem kurzen nachdenklichen Schweigen. „Fühlen Sie sich glücklich in dieser Jagd nach Abwechselung und Zerstreuung, die nun wieder beginnen soll, weil meine Verwandte ihr Heil darin sucht, weil das alles ihr Lebenselixier ist?"
„Nein, ich fühle mich nicht glücklich in einer solchen Lebensform, Herr Wedell! Aber ich bin der Ueberzeugung, daß es vorläufig meine Pflicht ist, an ihrer Seite zu bleiben, weil sie innerlich noch zerrissen ist von der Erkenntnis dieser
Uebergangszeit, die über sie gekommen ist. Weil sie sonst völlig vereinsamen würde. Denn man sieht es ja, wer von ihren zahlreichen bisherigen „guten Bekannten und Freunden" kümmert sich noch um sie? Würde sich ihrer annehmen?"
Er ging auf Zyrscr zu und bot ihr schlicht die Hand. Für Sekunden hielt er sie noch in der seinen. .Sie tun ein gutes Werk! Ich sehe vollkommen ein, daß Sie ein Opfer bringen. Doch wenn Sie eines Tages sich aus irgendwelchen Umständen Ihrer jetzigen Pflicht entledigt fühlen sollte», dann —"
Von draußen klang die Stimme von Fräulein Werner zu ihnen ins Zimmer. Sie rief nach Zyria, denn sie war voller Ungeduld. Man wollte doch packen! Auch beabsichtigte sie, alles Mögliche mit Zyria zu besprechen. Sie tat gar nichts mehr ohne Zyrias Rat und Ansicht. Wollte mit ihr besprechen, daß man sich nur wenig Tage in Lheckburg auf- hielk, das nötigste mitnahm, vas zu einer längeren Abwesenheit unerläßlich war, und erwägen, ob man nicht auch James mitnehmen wollte, besonders ins Ausland, well er vorzüglich Französisch konnte.
Herr Wedell gab die Hand von Zyria frei. So wurden ste auseinandergerissen! Er fühlte, sie stand ihm noch vollständig ahnungslos gegenüber, mochte gewiß keine Ahnung davon haben, wie nahe sie ihm innerlich stand und was er ihr alles jetzt am liebsten gesagt hätte! Aber die Stunde war nicht günstig hierfür und er mußte sie jetzt ziehe« lassen, um sie im Auge zu behalten, bis er mit seiner Frage vorkreten durfte.
Die Reisevorbereitungen waren in wenigen Tagen getroffen. An Toilette nahm man wenig mit. 3n Paris sollte die hauptsächlichste Toilette für jetzt und das zweite Trauerhalbjahr ausgesucht werden. Man ließ das Hauswesen zurück unter der Obhut einer bejahrten, treu eingearbeitrt« Köchin, eines Zimmermädchens und eines jüngeren James wurde am gleichen Tage ihrer Rückkehr von lein Werner eröffnet, sie wünsche seine Begleitung l« unterwegs. Besondes in Paris, wo er mehrere Iaytt früher in feinem Hause geweilt, sollte er ihr als Dolmetscher und ähnliche Dienste guter Beistand sein.
(Fortsetzung folgt.)