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Gegründet 1826.
Donnerstag den 22. Mai 1S24
Fernsprecher Nr. 29.
88. Jahrgang
Tagesspiegel
^ rr von Knilling wird infolge des Widerspruchs eines T der Bayerischen Volksparkei die Neubildung der bayerischen Regierung nicht wieder übernehmen.
3n Neichskagskreisen wird von der Möglichkeit gesprochen, daß Tirpih Reichskanzler werde.
Der Förderungsausfall im Ruhrgebiek hat nach einer Mitteilung des Zechenverbands seit Beginn des Streiks bis 2Ü. Mai die Höhe von 120 Millionen Goldmark erreicht.
Das englische Unterhaus nahm in zweiter Lesung ein Abänderungsgesetz an, das die Arbeitslosenunterstützung um drei Schilling in der Woche erhöht.
Präsident Coolidge hat einen Ausschuß von Senatoren zur Beratung des Plans eines neuen Wettschiedsgerichts eingesetzt, der von dem Senator Lodge ausgearbeikel worden ist. Wie verlautet, wird Coolidge dagegen Vorschlägen, dem bestehenden Haager Schiedsgericht beizutreten.
Der japanische Botschafter in Washington, hanihara, hak von seiner Regierung die Erlaubnis erhalten, zurück- zukreken. — Die Beziehungen zwischen Japan und den Bereinigten Staaten scheinen sehr gespannt zu sein. Der seitherige amerikanische Botschafter Wood ist, wie bereits gemeldet. von Tokio abberufen worden.
Eine gute Lektion für die Welfen
oder, wie sie sich amtlich nennen: „Deutsch-Hannoveraner". Unlängst schrieb em deutsch-hannoveranisches Blatt: „So wie in den letzten Jahren der preußische Adler schon manchen Brocken hat fahren lassen müssen, s« wird ihm auch Hannover, dieser fette Bissen, entrissen werden."
Aber diesmal haben die Hannoveranischen Sonderbündler — denn das sind sie genau so wie die rheinischen und pfälzischen — die Rechnung ohne den Wirt, d. h. ohne das Voll - gemacht. Von der Gesamtzahl der Abstimmungsberechtigten, nämlich 1770 000, haben 438 901 mit „Ja" gestimmt, während für eine Abtrennung Hannovers von Preußen mindestens ein Drittel der Stimmberechügten erforderlich ist.
Damit ist die Frage verneint, welche die Deutsch-Hannoveraner für die Vorabstimmung auf letzten Sonntag (18. Mai) gestellt hatten, nämlich die Frage: „Sollen die preußischen Regierungsbezirke Hannover, Hildesheim, Lüneburg, Stade, Osnabrück von Preußen abgetrenn: werden und ein selbständiges Land bilden?"
Darüber wird sich jeder Deutsche von Herzen freuen. Wer ein starkes Deutschland will — und das brauchen mir schon aus rein wirtschaftlichen Gründen —, der kann unmöglich eine Schwächung Preußens zugeben. Preußen selbst aber ist durch den Versailler Vertrag wahrlich genug zerkleinert und geschwächt worden. Von Elsaß-Lothringen ganz zu schweigen, denn das war ja Reichsland. Aber man denke an die großen, zum Teil wirtschaftlich geradezu hervorragenden Landesteile, die Preußen an Belgien, an Dänemark, an Polen und an die Tschecho-Slowakci abgegeben hat. Man denke außerdem an Danzig und Memel! An den „Korridor", der Ostpreußen einfach losriß vom Mutterland! An die Rheinlands, das Ruhrgebiet, auch an das Saargebiet, wo es seine Landeshoheit preisgeben mußte! Wie gut sind dabei die anderen Bundesstaaten weggekommen, die, wenn wir von der bayrischen Pfalz absehen, soviel wie nichts verloren haben.
Und nun wollten die Deutsch-Hannoveraner Preußen um einen weiteren Landcsteil bringen! Das Unrecht von 1866 müsse wieder gut gemacht werden. Preußen habe damals durch ein Bündnis mtt Italien „Verrat an Hannover" begangen. Preußen sitze mit keinem größeren Recht seit 58 Jahren in Hannover, als die Franzosen am Rhein, und wie alle die Klagen und Anklagen heißen, welche die Welfen gegen Preußen vorbrachtrn. Bismarck hat dafür keforgt, daß ihnen der Kamm nicht zu hoch schwoll. Es kam der Weltkrieg. Es kam unser Zusammenbruch. Das deutsche Volk gab sich eine neue Verfassung.
In der Weimarer verfassunggebenden Nationalversamm- ung war ein großer Teil der -Sozialdemokraten für Beseitigung der Vorherrschaft Preußens. Sie und andere glaubten, daß man auf diesem Weg am besten dieEinheitdesDeutschenReiches erreichen könne. Zu ihnen gesellten sich rheinische und Hannoveranische Son- derbündler, allerdings mit der bewußten Nebenabsicht, ihre partikularistischen Pläne auf verfassungsmäßigem Wege möglichst schnell zu verwirkt chen. So trat der Abgeordnete ^""kwrn für die Abtrennung der Rheinprovinz, der Abg. T'O^horn für die Abtrennung Hannovers ein. Man ver- yanoelte hin und her. Man machte Zugeständnisse auf bei- ven seiten. Endlich Kam der in der letzten Zeit so viel genannte Artikel 18 der Verfassung zustande, und zwar sj? 6 e n die Stimmen der Deutschnaüonnlen, der Deutschen »rAkspartei, einigen Stimmen der Demokraten und So.üal-
Die koloniale Schuldlüge.
Die deutschen Kolonien wurden geraubt auf Grund einer — Lüge, die sagt, daß Deutschland seine Kolonien als Stützpunkte für Raubzüge auf den Handel der Erde verwendet habe, daß es die Eingeborenen gewaltsam unterdrückt habe, daß willkürliche Requisitionen vorgenommen worden seien usw.
Der Gegenbeweis!
„Wa^ Aufstände und Expeditionen anbetrifft, so haben die deutschen Kolonien keineSweg» mehr Rebellionen und Blutvergießen gesehen, als Kolonien anderer Nationen mit ähnlich gearteten Eivgeborenenstämmen. Im Gegenteil fällt der Vergleich günstiger für die deutschen Kolonien aus. Die größte deutsche Kolonie Deutsch-Südostafrika hatte seit 1906 keinen Aufstand mehr gesehen, in allen Teilen der Kolonie herrschte Friede. In Britisch Ostafrlka ist es in dem gleichen Zeitraum wiederholt zu Eingeborenen Aufständen gekommen; 1906 war die Erhebung der Nandi, 1913/14 der Aufstand der Ktsmoji, vorher ein Aufstand der Massai. In Britisch- Nyaffaland erhoben sich während de» Krieg» Eingeborene und schlugen englische Verwaltungsbeamte tot.
In Deutsch-Ostasrika ist derartige» nicht vsrgekommen, ebensowenig in den übrigen deutschen Kolonien."
Dr. Heinrich Schnee ehem. Gouverneur in Deutsch-Ostafrika.
demokraten und gegen den Widerspruch der beteiligten Mitglieder des SLaatenausschusses.
Dieser Artikel 18 ermöglicht „die Aenderung de- Eebiets von Ländern und die Neubildung von Ländern innerhalb des Reichs". Aber dar Verfahren hiebei ist nicht so einfach. Zuerst muß ein An- trag entweder von den beteiligten Ländern oder von der Bevölkerung vorliegen. Dann erfolgt eine Vorabstim- muna. Bei dieser muß ein Drittel der zum Reichstag wahl- berechtiaten Einwohner (also im vorliegenden Fall, 1 770 000 : 3 — 590 000) das Verlangen stellen. Dann erfolgt die Hauptabstimmung. Bei derselben müssen drei Fünftel der abgegebenen Stimmen, mindestens aber die Stimmenmehrheit'der Wahlberechtigten (also mindestens 885 001' für die Gebietsänderung oder Neubildung sich entscheiden Und mm im vierten Stadium endlich hat „nach Feststellung der Zustimmung der Bevölkerung" dis Reichsreqierung dem Reichstag ein entsprechendes Gesetz zur Beschlußfassung vorzulegen.
Das alles ist nach der Vorabstimmung vom "8. Mai nicht wehr nötig und nicht mehr möglich. Am 4. Mai haben di« Deutsch-Hannoveraner rund 300 000 Stimmen und dann! 5 Sitze für den Reichstag erhalten. Vierzehn Tage nachher machten sie es auf 438 961, fehlen aber immerhin noch 150 000 Stimmen zu dem verfassungsmäßigen Drittel, da- dann — wohlverstanden — erst die Grundlage für die entscheidende Hauptabstimmung abgegeben hätte.
Damit ist die „h a n n o v e r a n i s ch e Frage" einstweilen erledigt. Hannover bleibt bei Preußen, hoffen wir, auf ewige Zeiten! Den Deutsch-Hannoveranern aber diene das Beispiel ihrer rheinischen Gesinnungsgenossen zum nachahmenswerten Vorbild. Die hatten im Mai 1920 in Königswinter mit erhebender Einmütigkeit beschlossen, an ein selbständiges Rheinland nicht zu denken, solange feindliche Soldaten auf deutschem Boden stehen. Jetzt, wo wir von allen Seiten' bedrängt und bedrückt werden, jetzt, wo man durch das Dawes-Gutachten aufs Neue mit grausamer Faust uns die Gurgel zudrücken will, da sollten alle Wünsche nach Abtrennungen und Neu- bildungen aus deutschem Baden schweigen.
V?. N.
Am die Regierungsbildung.
Da» Schreiben der Dentschnationalen.
Die Reich»tag»fraktion der Deutschnationalen Volk»partet hat an die Fraktionen de» Zentrum», der Deutschen Volk». Partei und der Bayr. Volkrpartei ein Schreiben folgenden Inhalt» gerichtet: „Da» Ergebnt» der Wahlen und die dadurch geschaffene äußere und innere Lage erferdern nach unserer Aulfoffnng sofort vorbereitende Verhandlungen über die künftige Regierungsbildung. — Dann folgt die Einladung zu einer gemeinschaftlichen S'tzuno am Mitlw»ch 21. Mai 10 Uhr vormittag« im Reichktaa. — Nun heißt e» weiter: Diese Einladung haben mir einstweilen nur an da» Zentrum, Deutsche Volkrpartei und Bayc. Volkspartei gerichtet, indem wir davon auSgtngen, daß so am rasch sten eine Klärung der Lage her- betgeführt werden könnte. Inwieweit demnächst eine Verbretterung der etwaigen Regierungsbasis sich ermöglichen ließe, bitten wir zunächst der mündlichen Verhandlung Vorbehalten zu wollen.
Berti«, 2t. Mat.^ Nunmehr hat o w die demokratische Partei eine Einladung erhalten.
Berlin, 2l. Mai. Die Zentrumtsraklion trat abends'7
Uhr nochmals in Anwesenheit de» Reichskanzlers zu einer Sitzung zusammen und beschloß, nachdem nun auch die demokratische Partei von den Deutschnationalen zur gemeinsamen Besprechung eingeladen ist, ihren ablehnenden Standpunkt gegenüber dieser Einladung aufzugeben und ihre Vertreter am Mittwoch vormittag zu der gemeinsamen Besprechung mit den Dentschnationalen zu entsenden. Die Fraktion erörterte sodann in vertraulichen Besprechungen die einzelnen Möglichkeiten, die sich au» der Lage ergeben könnten.
Die Parteiverhandtungen über die Soastkionsbildung Berlin, 21. Mai. Heute traten die Führer der bürgerlichen Barteien zu den Verhandlungen über die Bildung einer Koalition bezw. der neuen Regierung zusammen. Die Deutschnationalen sind vertreten durch Westarp, Hergt und Tirp'.tz, das Zentrum durch Spahn, Stegerwald, Giesberts und Bek- ker-Augsbqrg, die Deutsche Volksvartei durch Scholz und Kempke, die Demokraten durch Erkelenz und die Bayerisch« Bolkspartei durch Leicht. Der außenpolitische Wan der dr« Mittelparteien, der am Abend vorher durch Wirth, Scholz und Erkelenz fertiggestellt worden war, ist so gehalten, däß ek im Bedarfsfall auch zweckmäßig abgeändert werden kann,
Die Deutsckmationalen beanspruchen als stärkste Partei den Sitz des Reichstagspräsidenten. Falls dies von den anderen Parteien obgelehnt würde, so wollen sie auf die Vertretung im Reickstagspräsidium verzichten. Für den Präsidentenposten soll Universitätsprofessor Dr. Hötzsch in Frag« kommen. Nachmittags fand eine vertrauliche Besprechung dev Deutschnotionalen mit den Deutschvölkischen statt.
Die Berhandlunge« abgebrochen.
Berlin, 21. Mat. Um l Uhr mittag» wurden die Verhandlungen zwischen den Deulschnationalen und den Parteien der Mitte abgebrochen, da die von den Dentschnationalen aufgestellten Forderungen von den Parteien der Mitte abgelehnt wurden. Die Besprechungen werden am Donner»tag vormittag fortgesetzt werden. Wie verlautet, besteht bei den Parteien der Mitte die Absicht, den Dentschnationalen nach Möglichkeit emgegenzukommen, um die gemeinsame Grundlage für eine Regierungsbildung zu finden. In parlamentarischen Kreisen wird die Loge al» nicht aussichtslos bezeichnet.
Berlin, 21. Mat. Die heule vormittag im Reichstag zwischen den Dentschnationalen und den Mittelparteien statt- gehabten Verhandlungen sind in den Mittagsstunden abgebrochen worden und auf Donnerstag vertagt worden. Wie e» den Anschein hat. ist e» doch nicht so leicht, eine Annäherung zwischen den Parteien aus außenpolitischem Gebiet her- betzuführen. Nach Uebrreinkunft der Verhandlung»trii«ehmer sollen Mitteilungen über die Auseinandersetzungen erst der Oeffentltchkeit zugelettet werden, wenn endgültige Ergebnisse erzielt woiden stad. Heute nachmittag treten die Deutsch- nationalen und die nationalsozialistische Freiheitkpartet zu einer Besprechung zusammen.
Um das Sachverständigengutachten.
Das Ergebnis der belgisch - italienische« Zvsammenkaaft.
Mailand, 20. Mat. Da» Ergebnis der belgisch-italienischen Mtnisterzusammenkunft stellt sich nach dem Communique und den eisten Pirssekommentaren wie folgt:
Einheit der beiderseitigen Ansichten, die zu einer einheitlichen diplomatischen Aktion führen wird; dar ist sowohl von Mussolini als auch von Tyeunt» Journalisten gegenüber al» wesentlichste» Ergebnis hervorgehoben worden, ferner der Wille, nunmehr auf Grund des Sachverständigenplaner rasch zu einer Lösung zu kommen ein Monitum zu loyaler Inkraftsetzung und zur Ausführung de» Sachverständtgenplane» an Deutschland zu richten, da» diesmal die gesamte Entente geeint gegen sich finden würde, die Nu»stcht, über die Sank- itonenfrage zu Vereinbarungen zwischen den Alliierten zu gelangen, Vorschlag einer Konferenz der Alliierten, welche eine vorher auf diplomatischem Wege zu findende Vereinbarung bestätigen soll, schließlich die Inkraftsetzung de» Sachverständigenplan», unabhängig von der Frage der interalliierten Schulden, welche jedoch mit der endgültigen Lösung der Frage de» Gesamtbeträge» verknüpft bleibt.
Eine schriftliche Festlegung de» Ergebnisse» der Konferenz hat nach einer Erklärung Theuni»' gegenüber einem Journalisten nicht stattgefunden.
Waaa kommt die Daweskonfereaz?
London, 2l. Mai. Nach dem diplomatischen Vertreter de» „Daily Telegraph" erwartet man die alliierte Konferenz über den DaweSpIan nun in einigen Wochen. Man erhofft eine vorherige Zusammenkunft zwischen Macdonald und Mussolini.
Internationale gewerkschaftliche Besprechungen.
Berlin, 2t. Mat. Wie wir erfahren, haben sich die Spitzenverbände der freien Gewerkschaften Deutschland» mit den in Frage kommenden gewerkschaftlichen Organisationen Frankreich» und England» in Verbindung gesetzt um zu versuchen, Abänderungen de» Vorschlag» der Sachverständigen in Betreff der Reichsbahn zu erzielen, da die Vorschläge in ihrer gegenwärtigen Form von den deutschen Gewerkschaften al» nicht tragbar für die breite Masse betrachtet werden.