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Kr. 185
Freitag, dem 10. August 1023
07. Jahrgang
Tagesspiegel ^
Im GrsprSch mit westdeutschen rrbZSorLueksn Sutzerk« qcslLnr der Reichskanzler, die RegierunZ werde in London keine neuen Schritte unternehmen, so icmge die bisherigen kein günstigeres Ergebnis haben.
Rach der gestrigen ReichsksZssilzung erklärte der Reichs- smanzmmislec den Parlcivertrekern, die Regierung btAie« den Vorschlag, die Steuervorlagen durch eins laufend« Steuer zu ergänzen, die ein Mehrfaches der Lohnsteuer ein- bringen solle. Die von verschiedenen Leiten angereast fünfsfeuer lehnte der Minister wegen ihrer unsozial::! Dirlmig ab. Für die Landwirtschaft sei eine Mchrnsteue« am sseigneisten.
Dis Rede des Reichskanzlers wird in der englischen Vre;'s nicht günstig beurLerlr. da man daraus ei» (ganz berc f-tzkes) Mtztrasen gegenüber England hrraushört.
Ile Pariser Blätter triumphieren in lauter Schaden- s.-cude über die Rot Deutschlands. Luno wird verdächtig^ Ich er such England hintecr ehc-r wolle und undankbar sei.
Der geheime Plan
Cs war ein Zufall, zugleich aber auch ein furchtbar ern- ies Anzeichen, daß die Handgranate in Düsseldorf an denselben Tag geworfen wurde, an dem die neue Verordnung res Generals Degoutte, die siebenundfünfzigste ihrer raurigen Art, erschien. Diese Verordnung leitet vielleicht >m letzten Akt der Ruhrtragödie ein. Sie befiehlt die un- n ittelbare Ausbeutung von Gruben und tokereien des Ruhrgebietes durch die Fran- ,ofen. Die französischen Ingenieure werden also, nachdem lmen die Bajonette der Truppen durch Besetzung und Be- chlagnahme den Weg bereitet haben, den Versuch wagen, die Äksreien in Betrieb zu setzen. Das Ueberstehmen dieser betriebe, das Anzündsn gefüllter Oefen wird verhällnis- näßig wenig Schwierigkeiten machen. Mit geringem Per- onal ist das getan. Aber schon das Füllen leerer Oefen wird sie Franzosen in einige Verlegenheit bringen. Denn woher >!e Kohlen nehmen? Die Halden sind leer. Neue Vorrats werden zurzeit nicht über Tag gebracht.
Der Franzose wird also dazu übergehen müssen, was auch shon in der Verordnung Dsgouttes angedeutet ist, die B er g- verke selbst zu betreiben. Und hier setzt eben wieder das, ras man Ruhrkrieg nennt, in voller Schärfe ein. Die fränkischen Generale werden zum soundsovielten Mal einen tlnlaus nebmen, um sich mit den deutschen Grubenarbeitern ;u verständigen. Sie werden aber sofort die Erfahrung nachen, daß" die Verordnung Nr. 57 dem gleichen Widers itand begegnet, wie alle ähnlichen Befehle, die den Zweck satten, die Bergwerke der französischen Raubpolitik nutzbar pl machen und deutsche Bergleute in den Dienst Frankreichs m zwingen. Von allen Zechen des besetzten Gebietes sind Nachrichten eingelaufen, daß die Führer der Arbeiter die Versicherung abgeben. die neue Degoustts-Verordnung werde nirgends und von niemandem befolgt werden. Kein Häuer md kein Beamter deutscher Staatsangehörigkeit wird sich finden, der unter dem Druck der Diebsverordnung in die Bergwerke steigt, um die Förderung für die Franzosen aufzu- mhmen. In einer Versammlung der freien Gewerkschaften n Elberfeld schon am Freitag voriger Woche haben sich aus- ttücklich sogar die Kommunisten auf den Standpunkt jestellt, daß der passive Widerstand auf keinen Fall abgebaut »erden darf, daß man ihn vielmehr verstärken muß, ganz besonders dann, wenn die Grubenarbeiterschaft nun selbst unmittelbar durch die Maßnahmen der Besatzungsbehörde N Mitleidenschaft gezogen wird.
Was wird also geschehen? Eine halbe Million Ruhr» jrubenlsute und die Hunderttausende von Arbeitern, die in Hilfsbetrieben tätig sind, kann Frankreich nicht durch ngene Mannschaften ersetzen. Cs kann höchstens noch ein !>aar tausend Mann ins Ruhrgebiet bringen. An der fran- Mschen Eisenbahnverwaltung im besetzten Gebiet hat man ^ gesehen, wie schwer es ist, Facharbeiter aus dem eigenen band in das „eroberte" zu ziehen, ohne den heimischen und
neuen Betrieb auf das bedenklichste zu gefährden. Durchaus folgerichtig hat das Fachblatt der französischen Schwer- Rdustrie, die ."Journee Industrielle", bereits die Fraae aufgeworfen, ob denn die Besatzungsbehörden mit der Arbeitsniederlegung der deutschen Bergleute in den beschlagnahmter «ruben rechnen und welche Vorbereitungen getroffen seien »m die unmittelbare Ausbeutung durch französische und belgische Arbeiter in Anariff zu nehmen.
Sollten die französischen Großindustriellen wirklich nicht nussen, welche Pläne hinter der neuesten Verordnung des Generals Degoutte stecken? Natürlich werden ein paai wulend französische Ersatz-Bergleute aufzutreiben sein. Sir Werden von den deutschen Rubrbergleuten als Streik-
ach er angesehen werden. Die ganze Erbitterung, die i in b dat; die
!>ch in den qualvollen Monaten der Besetzung angesammeli
M: die ganze Emvöruno. die jeden anständig emvfindender Zutschen Bergmann anaeiickits des erbärmlichen Rwruas er
greifen wird, entlädt sich dann in Zorneshandlnngen. Kein« noch so scharfe Bsrurteiluna der Gewalt- und Sabotage-Akte wie sie jetzt anläßlich des Düsseldorfer Bombenwurfs wiedei erlassen wird, kann dann den Ausbruch der Leidenschaften oerbindsrn. Dann bricht eben der Sturm los, den die Voin- mreschs Politik sich wünscht, um durch blutige Unterdrückung des vassiven Widerstands zu ibrem geheimen Ziel zu gelangen. Dies und nichts anderes ist der «Sinn und di« Absicht der neuen Verordnung Degouttes. —er.
Ladenstreik
Das große Elend
Unser Berliner v./c.-KorresponÄent schreibt uns: Ihr Mitarbeiter stand gestern mit einem ausländischen Kollegen, einem sehr deutschfreundlichen Norweger, vor dem Maueranschlag, der die Veranstaltungen des kommenden Verfassungstags aufzählte: Morgens 9 Uhr Glockenläuten, 9.30 Uhr Aufziehen der Wache mit klingendem Spiel usw., ein Feuerwerk von neunzehn Ueberraschungen bis abends 10.20 Uhr: Schlußfeier im Lustgarten. Mein Neutraler lächelte: „So mag wohl ein glückliches Volk sein Nationalsest begehen! Aber ihr? Ihr wollt euch nur von eurem Nationalelend ablenken!" Was soll der Deutsche darauf erwidern? Ein Zeitungsverkäufer stürmte vorbei: Das Abendblatt! Der Dollar drei Millionen! Heute wird er vier Millionen aus- rufen. Morgen vielleicht fünf. Man zuckt zusammen wie im Krieg, wenn eine Granate vorbeiflog. Sie trifft mich im Augenblick nicht. Aber sie wird platzen. Und die Wirkung wird verheerend sein.
Wir gingen ein Haus weiter. Da räumte ein Ladenbesitzer gerade seine Auslage aus. Vorbereitung des Ladenstreiks! Protest gegen die Wucherverordnungen und Preistafelbestimmungen! Am Donnerstag werden sämtliche Geschäfte geschlossen Nur Lebensmittel dürfen verkauft werden. Außerdem soll dann die Verkaufszeit auf sechs Stunden täglich eingeschränkt werden. Es ist kein Opfer für den Einzelhandel. Die Läden, so erklären sie, werden ja doch im Herbst und Winter voraussichtlich leer stehen. Wozu Licht brennen? Die Ladenkaufleute werfen dis Flinte ins Korn. „Wir werden keine neue Ware einkaufen. Man verlangt ja von uns Gold,und vom Verbraucher erhalten wir Papier!" Bekanntlich kalkuliert die Industrie und der Großhandel nur noch in festen Währungen und tatsächlich sind Fälle bekannt geworden, wo man die Stirne hatte, dem deutschen Laden- inhaber zu schreiben: „Wenn Sie nicht in Dollar oder Gulden bezahlen können, werden wir Sie für kreditunwürdig erklären." Darob natürlich berechtigter Zorn. Aber wollt ihr euch nicht mit dem Produzenten in dieser furchtbaren Lage vertragen? Wißt ihr, was es bedeutet, wenn ihr nicht mehr rinkauft? Es "bedeutet Einstellung der Industrie und des Großhandels wegen Auftragmangsls, und dann erst recht endgültigen Zusammenbruch des Einzelhandels.
Auch gegen den armen vielgeprüften Verbraucher wird protestiert. Macht doch der Leipziger Verband des Einzelhandels in Zeitungsanzeigen für seine neuen einschränkenden Maßnahmen dis „Hamsterkäufe" des Publikums verantwortlich. Gewiß, wer so glücklich war, zu den Goldverdienern zu gehören oder große Summen zu erspekulieren, der kaufte in den letzten Wochen ein, was sich nur irgendwie auf Lager legen läßt. Schon vor einem Jahr schilderte ein Witzblatt die Gewinnler, die vollbepackt aus dem Warenhaus kommen und für den draußen stehenden abgehärmten Mittelstand die mitleidig verächtliche Bemerkung haben: Warum decken sich die guten Leute nicht ein? Heute sucht sich jeder, auch der ärmste Mittelständler einzudecken, und wenn der Ohrring, der letzte Teppich und die letzte Goldbrosche herhalten muß, um sich die Papiermilliönchen zum Einkauf zu verschaffen. Die täglichen, ja stündlichen Preissprünge haben einen noch nicht dagewesenen Massenschrecken erzeugt, und gegen dieses an allem Unglück unschuldige Publikum richtet sich die Spitze des Ladenstreiks. Märe es nicht richtiger, sich gegen die voreilige Gold-Diktatur der Erzeuger und Großhändler zu wenden, die durch ihre Monopolmacht in letzter Zeit ungeheure Gewinne eingesteckt haben? Man warte doch ab, bis dis große Masse der Verbraucher wirklich Goldlölme und Goldgehälter errungen bat. Dann erst ist es Zeit für Len Vormarsch der neuen Goldwährung.
Alaska
Die Reise des Präsidenten Harding nach Alaska, die durch feinen Tod einen so jähen Abschluß gefunden hat, lenkt die Micke der Welt wieder einmal nach diesem nördlichsten Besitztum der Vereinigten Staaten. Amerika hat das Gebiet 1867 den Russen für 7,2 Millionen Dollar abgekauft und damit ein sehr vorteilhaftes Geschäft gemacht, denn Alaska hat später in einem Jahr mehr Gold geliefert als die ganze Kaufsumme betrug. Wenn man daneben sich vergegenwärtigt, daß Alaska mehr als 1l< Millionen Eeviertkilometer groß ist und unendliche Schätze an Mineralien, besonders Kupfer und Steinkohlen, birgt, Fische und Holz in unendlicher Menge liefert und daneben trotz seiner Lage im höchsten Norden noch der Landwirtschaft zugänglich ist, so kann man ermessen.
«Elpe Bedeutung dem Land zukommt. Allerdings hat es nur eine sehr zahlenschwache Bevölkerung, kaum 60 000, davon über die Hälfte Indianer.
Alaska scheint nun in letzter Zeit sich seiner Wichtigkeil mehr bewußt geworden zu sein, als den Amerikanern lieb ist, denn es hat den Wunsch laut werden lassen, als 49. Staat in den Bund ausgenommen zu werden. Bisher ist es nämlich nur „Territorium" gewesen, d. h. es hat keine eigene Staat- lichkeit, sondern wird von der Bundesregierung verwaltet. Die Zulassung Alaskas als Staat wird aber nicht so glatt vor sich gehen, wie das bei den übrigen Territorien der Fall war. Zunächst wird die Kleinheit der Bevölkerungszahl vorgeschoben werden, und dann wird man darauf verweisen, daß di« Kosten für eine Staatsregierung wohl größer sein würden, als für eine so kleine Einwohnerschaft erträglich ist. Der Hauptgrund für die Beibehaltung des jetzigen Zustands ist jedoch der, daß die Erhebung des Territoriums zum Staat- di« Schaffung zweier neuen Senatoren für den Bundeskonareß bedeutet und damit die Verschärfung eines verfassungsrLcht- lichen Zustands, der den größern und den großen Staaten nachgerade auf die Nerven zu gehen scheint. Die Verfassung bestimmt nämlich, daß zwar die Mitglieder zum Abgeordnetenhaus in ihrer Zahl der Bevölkerungsstärke entsprechen^ so daß der Staat entsprechend seiner Größe und Bedeutung vertreten ist. Beim Senat dagegen soll dem Sinn der Verfassung gemäß nicht die Bevölkerung als solche, sondern »er Staat eine Vertretung erhalten, und deshalb wurdev jedem Staat, ob groß oder klein, gleichmäßig je zwei Sena toren zugrbilligt. So kommt es, daß der Senator des klein sten Staats dasselbe Stimmgcwicht übt wie der des größten und dieser Umstand macht sich mitunter recht unliebsam fühl bar. Man versteht es deshalb, wenn Staaten wie Neuyork Pennsylvanien, Texas, Illinois, Ohio mit ihren vielen Millionen von Einwohnern einem Zwergstaat von kaum 60 00k Köpfen diese in schreiendem Mißverhältnis zu seiner Größi stehende Vorzugsstellung so lange wie möglich vorzuenthalter juchen.
Neben Alaska pocht auch Portorikoum Zulassung at- Staat an die Tore des Bundes. Die Insel ist, wie Alaska unk hawai, ebenfalls Territorium, und hat daher einen andern staatsrechtlichen Charakter als die amerikanischen Kolonien, zu denen die Philippinen, Guam, Samoa, die Kanalzone und Sie 1917 von Dänemark gekauften Iungserninseln gehören. Uber auch Portoriko wird Schwierigkeiten haben, nicht wegen -einer Kleinheit, sondern wegen der vorzugsweise spanischen llrt seiner Bevölkerung, die eine Verschmelzung mit dem ünheimischen Element als ungewiß erscheinen läßt.
Zehn Millionen Kriegsverstüinmelle
Nach dem Ende Juli herausgegebenen Bericht des Inter- rationalen Arbeitsamts wurden heute in Genf, am Sitz des Internationalen Arbeitsamts, von den zusammengetretenen Sachverständigen, die sich mit der Frage der Unterbringung )er Kriegsverstümmelten zu befassen haben, folgende An- ;aben über die Zahl der pensionsberechtigten Kriegsver- tümmclten in den verschiedenen am Weltkrieg beteiligt genesenen Ländern gemacht: Deutschland 1637 000, Groß- iritannien 117 000, Australien 75 000, Italien 800 000, Desterreich 164 000, Polen 320 000, Belgien 50 000, Rumänen 100 000, Kanada 45 000, Jugoslawien 164 000, Ver- unigte Staaten 157 000, Rußland 775 000, Finnland 10 000, Tschecho-Slowakei 236 000, Frankreich 1 500 000, Neuseeland !0 000. Die Gesamtzahl der Kriegsbeschädigten beträgt somit k 124 000. Bei dieser Zusammenstellung fehlen jedoch noch )ie amtlichen Angaben über die Zahl der Kriegsopfer in der Türkei, Bulgarien, den Baltischen Staaten, Portugal, Ungarn und Japan. Es kann angenommen werden, daß die Zahl der Kriegsverstümmelten sich auf 10 Millionen beläuft.
Ein Gesetz über die Sonntagsruhe
ep. Die freie Stadt Danzig hat ein Sonntagsgesetz ange- lommen. Dasselbe verbietet die Beschäftigung für Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter an Sonn- und Festtagen im Handels- zewerbe. Ausgenommen sind Arbeiten in dringenden Notfällen; jedoch haben die Gewerbetreibenden über geleistet« Sonntagsarbeit genau Buch zu führen. Für 4 Sonn- und Festtage im Jahr kann der Senat eine Beschäftigung bis zu S Stunden festfetzen. Ausgenommen von der völlige^ Sonn- iagsruhe ist der Verkauf von Fleischwaren, Backwaren, Fischen, frischem Obst und Geinüse, Milch, Eis, frischen Blumen, Kränzen und Zeitungen. Hier kann der Senat den Verkauf auf die Dauer von 2 Stunden gestatten, jedoch sind Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter, die hierbei beschäftigt werden, mindestens an jedem dritten Sonntag von der Arbeli frei zu lassen. Für je 6 an Sonntagen geleistete Arbeitsstunden müssen ein Wochentag oder zwei Nachmittage freigegeben werden.
Aus dem Puhrkampf
Französische Räubereien
Gzsscnfirchen, 9. August. Da die Stadt die für die franzö- "isch.n Eisenbahner verlangten Wohnungseinrichtungen tüi