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Unsere „Verpflichtungen"
Was die Franzosen verlangen, schreibt Werner v. Helm» bürg in der D. Tagesztg., ist längst nicht mehr eine „Reparation", also eine Wiedergutmachung, sondern ein ganz gewöhnlicher K r i e g s tri b ut, wie er in alten Zeiten und ini Mittelalter besiegten Völkern grundsätzlich auferlegt wurde. Der Begriff „Wiedergutmachung" setzt die Anerkennung eines Verschuldens voraus, die zwar in dem von uns unterschriebenen Versailler Vertrage enthalten, deshalb aber, Loch nicht weniger unwahr und verlogen ist. Es wird die Täuschung aufrecht erhalten, daß wir Deutsche verpflichtet seien, Zahlungen an die Verbündeten zu leisten, und zwar geht man so weit, nicht nur von einer rechtlichen, sondern sogar von einer moralischen Verpflichtung zu sprechen.
Wpp und klar muß dagegen festgestellt werden, daß von einer Verpflichtung Deutschlands, weder von einer rechtlichen noch von einer moralischen, im entferntesten die Rede sein kan». In den von den Verbündeten angenommenen 14 Punkten des Präsidenten Wilson war ausdrücklich der Verzicht auf eine Kriegsentschädigung ausgesprochen worden. M dem Vorfriedensvertrag erklärte sich die deutsche Regierung bereit, am Wiederaufbau der zerstörten Gebiete mitzuwirken. Nur über diese beschränkte Entschädigung ist überhaupt verhandelt worden. Wenn es Frankreich später gelang, durch eine willkürliche Auslegung die Erstattung der Kriegspensionen und anderer Lasten in den Vertrag hineinzuschmuggeln, so war das wider Treu und Glauben und ist von uns niemals anerkannt worden. Das Wort .,r5p?.ra- llon" beweist, baß man sich über diese Zusammenhänge im Ausland vollständig klar ist. Will man also den Vertrag non Versailles trotz seines Charakters als reinen Erpres- Rngsakt wider alle Gesetze der Völker und der Menschlichkeit der deutschen Unterschrift wegen als eine Rechtsgrundlage anerkennen und nach ihm die Höhe der deutschen Verpflichtungen festsetzen, so kann man nur von einer genauen Berechnung der Schäden ausgehen, die im Äriegs- gebiet nachweislich von deutschen Truppen angerichtet worden sind. Die von den Franzosen angegebenen Zahlen sind selbstverständlich viel zu hoch. Sachverständige aller' Lander schätzen den wirklichen Schaden etwa auf 10 Prozent der französischen Angaben! Me französische Regierung hat sich darauf beschränkt, Forderungen angeblich oder wirklich Geschädigter entgegenzunehmen und diese Forderungen zusammenzuzählen. Man kann sich vorstellsn, was dabei herauskommt.
Das gesamte französische Volksvermögen betrug vor dem Krieg 287 Milliarden Goldfranken gleich 230 Milliarden Goldmark. Zerstört wurden etwa 4 Prozent des Landes. Selbst wenn man den Wert von Grund und Boden, der doch schließlich nicht fortgenommen werden konnte, überhaupt nicht in Ansatz bringt und das gesamte Kriegsgc- biet als völlig zerstört annimmt, so würde der Schaden mit H,2 Milliarden Eoldmark restlos abgegolten sein! Wir wissen aus den deutschen Berechnungen, ,daß Deutschland bis Oktober 1822 bereits 56,5 Milliarden Eoldmark bezahlt hat, nicht gerechnet den Wert der abgetretenen Gebiete. Dazu kommt der Wert der von den deutschen Kriegsgefangenen nach dkm Waffenstillstand erzwungenen Arbeitsleistung, der siib ebenfalls aus mehrere Milliarden beziffert. Mit diesem Betrag ist allo unsere Schuldverpflichtung mehr als vollständig getilgt. Wir haben demnach rechtlich überhaupt nichts mehr zu bezahlen. Die Frage, ob wir trotzdem durch freiwillige Tribute von dem gewalttätigen Lieger unsere Freiheit erkaufen wollen, ist eine rein polltische und hat mit rechtlichen Erwägungen nichts zu tun.
Durch die gleiche Berechnung erledigt sich auch der Unfug von unserer „moralischen" Verpflichtung. Dabei ist zunächst festzustellcn, daß dis Zerstörung des Kriegsgebiets eins ür.fache und selbstverständliche Folge der Kampfhandlungen gewesen ist. Da es feftsteht, daß Deutschland den Krieg nicht gewollt hat, sondern von den gegnerischen Mächten zum Krieg gezwungen wurde, ist es moralisch auch nicht verpflichtet, für die Zerstörungen aufzukommen. Der Umstand, duß Liese auf französischem und belgischem Boden stattfan- dcn uro nicht auf deutschem hat mit der Frage der Schuld garnichts zu tun, sondern ist lediglich der Beweis der militär:- Mn Ueberlegenheit des deutschen Angriffs im Beginn des Kriegs. Wäre es nach den Wünschen der französischen oder Mjsischen Heeresleitung gegangen, so wären entsprechende Landstrecken in Deutschland verwüstet worden, und die heu- l-gen S:eger hätten es wahrscheinlich weit von sich gewiesen, kme moralische Verpflichtung zum Wierderaufbau dieses veichchen Landes zu übernehmen. Ebenso steht es fest, daß "Er größte Teil der Zerstörungen garnicht von deutschen --ruppen, sondern von englischen, französischen, ° clg; s ch x n ui»!» amerikanischen Truppen yervorge- "chcn wurde. Bekanntlich verfügten unsere Feinde über kirn starke artilleristische Ueberlegenheit. Man denke nur un die rücksichtslose Beschießung der französischen und belgi- ^ lchen Städte und an dis fortgesetzten Fliegerangriffe bis weit m die Etappe hinein, die von der deutschen Krisgsführung überhaupt nicht berührt worden war.
Wenn es nacki allem nock» einen Zweifel gäbe,, ob wir
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Donnerstag» den 7. Juni 1928
97. Jahrgang
rechtlich oder moralisch zu irgend einer Leistung an Frankreich verpflichtet sind, so würde er durch das Verhalten de« Franzosen leicht zu zerstreuen sein. Ohne Rücksicht auf Vertrag und Völkerrecht haben die brutalen Sieger auf deutschem Boden geraubt, erpreßt und zerstört in einem UmfanM der dem des Schadens im Kriegsgebiet kaum nachsteht. Der Einbruch ins Ruhrgebiet, die massenhafte Freiheitsberaubung Deutscher, schließlich gar die Erschießung eines unschuldigen Opfers patriotischer Gesinnung hat den französischen Staat außerhalb aller moralischen Ansprüche gestellt. Es wäre gut gewesen, wenn die deutsche Regierung in ihrer ersten Note von diesen Tatsachen ausgegangen wäre. Für die Klärung der politischen Lage in der Welt Hütte das nur günstig sein können.
Der chrWiche General
Aus Peking wird der „Köln. Ztg." geschrieben: Hier kn Lhina spricht alle Welt von dem kommenden diesjährigen! Bürgerkrieg. Der Soldat, an sich nicht angesehen in China, spielt dabei als ein im Krieg augenscheinlich unumgänglicher Faktor, eine große Rolle. Zu vielen Soldaten gehören naturgemäß Führer, ohne die geht es schließlich auch in China nicht. Die Namen dieser Männer stehen im Vordergrund des Interesses. Unter ihnen nennt man in ersten Linie den General Fongjuhsiang, dem die Hut der Hauptstadt anvertraut ist, und von dem man hofft, daß er im Streit der Parteien neutral bleiben wird. Dieser chinesische Führer ist überzeugter Christ, nicht etwa einer jener inl China zahlreichen Geschäftschristen.
Vor Jahr und Tag erzählte man sich, daß im innersten China ein Kommandeur lebe, der seine Soldaten beim Marschieren, bei der Arbeit jeder Art, beim Essen christliche Lieder singen lasse. Man hörte, daß die Leute dieses Generals weder plünderten noch Frauen vergewaltigten, daß sie sauber und ordentlich angezogen gingen, daß sie weder Wein noch Schnaps trinken, weder Opium noch Tabak rauchten und die Finger von den Karten lassen, die heute eines der Grundübel Chinas sind. Dann hörte man, daß der Gewaltherr der Mittel-Provinzen, der seit Jahren jeden in Peking zur Macht kommenden Politiker durchÄrohung oder gewaltsame Eingriffe gestürzt hatte, der Marschall Wupeifu in Lojang, den christlichen General Longjuhsiang mit seiner Brigaoe an sich gezogen habe, denn diese Brigade war ein Muster der Ordnung, Zuverlässigkeit, guten Benehmens und soldatischer Tapferkeit. Die Brigade wurde in der damals sehr unruhigen Provinz Hunan, südlich des Jangtse, stationiert und kämpfte dort mit Auszeichnung gegen die eignen Landsleute, d'.e anderer Meinung waren. Dann war die Brigade eine Weile in der Provinz Hupeh. Dort geschah etwas in China sehr Merkwürdiges. Es war vielleicht vier Monate nach dem Abmarsch der Brigade aus Hunan, daß eine Abordnung der Städte und Dörfer, in denen dis Soldaten des christlichen Generals gelegen hatten, in Singjantschau anl.rngte, um dem christlichen General nochmals den Dank der ganzen Bevölkerung für das ausgezeichnete Benehmen seiner Soldaten zugleich mit vergoldeten und silbernen Ehrenmedr.illen zu überbring-sn, die den Soldaten an die Brust geheftet wurden.
Im vorjährigen fahrplanmäßigen Bürgerkrieg war die Hilfe des Generäls und seiner Truvpcn entscheidend für den Sieg des Marschalls Wupeisu. Zum Dank.wurde er der Oberkommandierende der Provinzialtruppen Honans in Kaifengsu. Als er dort saß, floß der Strom der Christen aus allen Teilen Nordchinas zur alten Hauptstadt der Sungdynastie Kaifeng. Damals plünderten die Räuber die ganze Provinz. Wer früher bei diesem Gewerbe ertappt wurde, dem schlug Henkerschwert den Schädel herunter. Wen die provinziellen Schergen jetzt faßten, der wurde vom christlichen General den Missionaren übergeben.
Der Marschall Wupeifu feierte Geburtstag. Das ist immer ein großes Ereignis in China, ein Anlaß zu Kundgebungen mancherlei Art- Marschall Wupeifu ist kein Verächter eines guten Tropfens. Die Krüge mit köstlichem chinesischen Wein, aus Reis destilliert, langten von allen Seiten als Geschenke an, darunter auch drei schön geformte Tonkrüge vom christlichen General. Bei der feierlichen Oesfnung nach gutem Mahl stellte sich heraus, daß Wasser darin war. Er aber beharrte bei der bekannten chinesisch! n Ansicht, daß „der Rausch nicht der Fehler des Weins, sondern des Trinkers sei", und daß eben kein Mensch fehlerlos sei. Da waren Differenzen. Jedenfalls erfolge eines Tags der Ruf der Zcntralregierung, daß der chris-lich? General mit seinen Tuppcn nach Peking kommen nmsfe, um die Sicherheit der Hauptstadt zu gewährleisten. Fongjuhsiang folgte dem Ruf. Inwieweit dis andern Kriegsherren Chinas ihre Stimme zu dieser Maßregel gegeben haben, wird man nie herausbekommen. Fongs kleines Heer, eine Division und drei gemischte Brigaden, setzte sich aus dis Eisenbahn uns bezog die Wachen in und um die Hauptstadt, wo seine Soldaten beute in ihrer Aufführung ein ausgezeichnetes Beispiel geben. Sie errichten ihre Häuser selbst nach dem Entwurf des chinesischen Hauses, sie bauen Straßen, sie pflanzen Bäume an, sie schneidern, sie sattlern, sie machen alles selbst, was sie gebrauchen.
Der christliche General war gerade operiert worden. Der starke, freundlich aussehende Mann, der unbedingt Verstauen
einflößt, hatte sich den einfachen leinenen Soldatenrock, vsn er sonst immer tagsüber trägt, im Bett anziehen lassen, um! uns, einen Engländer, einen Amerikaner und mich, zu empfangen. Er war Noch leidend. Er meinte, der Oberbefehlshaber der Hauptstadt müsse höhern Befehlen, nämlich denen des Arztes, gehorchen, und er habe ihm das Äufstehen untersagt. „Wer sind Sie?" fragte er in leisem Ton. Man sah, er hatte Schmerzen. Der Engländer anwortete, der Amerikaner erzählte, und ich fügte hinzu: „Ich bin ein Deutscher." Da leuchteten die Augen des Generals auf. Die leise Stimm« schwoll an, wurde voll und laut. Die stützenden Soldaten! hatten Mühe, ihn zu halten. Dann sagte er laut: „Ihr müßt hochkommen, und ihr werdet wieder hochkommen. Ein Landl wie Deutschland kann nicht zerteten und vernichtet werden."
Die Rückzahlung kleiner Neichsschuldbuchkonten
Durch eine Bekanntmachung des Reichsfinanzminnte- riunls werden diejenigen fünfprozentigen Eintragungen ins Rcichsschuldbuch, die nicht mindestens den Betrag von 5000 Mark erreichen, zur gebührenfreien Löschung aufgerufen. Den Gläubigern dieser Schuldbuchforderungen wird an Stelle von Schuldverschreibungen der fünfprozentigen Reichsanleihe ein Barbetrag in Höhe von 110 Prozent des Nennwerts ihrer Forderungen angeboten, wozu als Entschädigung für die gewährleistete Nichteinhaltung des Kündigungstermins durch die Reichsfinanzverwaltung und als Abfindung für bis dahin auflaufende Zinsen ein Zuschlag von 150 Prozent tritt, so daß sich der gesamt« zur Auszahlung kommende Betrag auf 260 Prozent des Guthabens beläuft. Das Angebot gilt als angenommen, wenn der Gläubiger oder sonstige Antragsberechngte nich« bei der Reichsschuldenverwaltung in Berlin SW. 68, Ora- nienstraße 101, bis 23. Juni die Umwandlung in Schuldverschreibungen beantragt. Von dem Tag an werden für Forderungen, die als gekündigt gelten, keine Zinsen mehr! bezahlt.
Der Raubkrieg im Ruhrgebiet
Lindermord
Düsseldorf, 6. Juni. Ein französischer Soldat erschoß du
Hafenviertel einen siebenjährigen Knaben. Bei seiner Ver» nehmung gab er an, er sei von dem Kind beleidigt worden.
In Buer „beschlagnahmten" die Franzosen die Stadt- kasse mit über 44 Millionen Mark, die zur Auszahlung an Erwerbslose bestimmt waren.
Die Ausweisungen nehmen täglich zu; auch im Ruhrgebiet selbst mehren sich die Ausweisungen von Eisenbahnbeamten.
Den Behörden des besetzten Gebiets ist von den Franzosen verboten worden, mit Behörden in: unbesetzten Gebiet in Verbindung zu treten.
Bei Lintorf wurde ein E'.scnbahndamm gesprengt. 60 Güterwagen und 1 Lokomotive sollen zertrümmern sein-
Auf der Rheinbrücke bei Frcmkenihal Hai ein französischer Bosten einen Mann aus Rcnroeim. der Waren über den Rhein sckassen wollte, erschossen.
Ln Dortmund wurde das Telegraphenamt und in Srmmern die Eiscnbahnwerlftätte besetzt. Die Hunsrückdahn ist srillgelcgt.
Wie Lchlagelcr verhastel werden konnke
Berlin, 6. Juni. Die Blätter melden, daß die (deutsche) Polizeiverwaltung in Kaiserswerth am 5. April einen Steckbrief gegen Leo Schlageter erlassen har, der dringend verdächtig sei, die Eisenbahngleise nr Calcum (Ruhrgebiet) um 15. Mürz gesprengt zu haben. Dem Steckbrief war eine genaue Personalbeschreibung Schlageters beigegeben, die es den Franzosen erst ermöglichte, Schlageters habhaft zu werdeir.
England für Auflösung der Saarregierung?
Paris, S. Juni. Die Pariser Ausgabe des „New Dork Herold" meldet aus London. Minister Lord Robert Eecit werde nicht nur seinen Antrag über die Untersuchung der Lage im Saargebiet aufrecht erhalten, sondern nötigenfalls auch dis Auflösung der gegenwärtigen Saarrcgierung Vorschlägen.
Paris, 8. Juni. Der kommunistische Neichstagsabgeard- nete Höllein hat beim französischen Gericht eine Mage gegen den Minister des Innern einreichen lassen, den er für seine weitere Inhaftierung verantwortlich macht.
Neue Nachrichten
Dom Reichstag
Berlin, 6. Juni. Der Reichstag nahm gestern nachmittag 8 Uhr seine Sitzungen wieder auf. Präsident Löhe führte aus, der Reichstag werde sich alsbald mit der Notlage zu beschäftigen haben, di« durch den weiteren Markosrfall verursacht wurde. Die französische Regierung habe ihre Er- presserpolitik bis zum gesetzlich maskierten Totschlag, jahrzehntelange Kerkerhaft und Verbannung von Hunderten un-
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