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Nr. 84
Loucheurs Mißerfolg
Von einem Außenpvlitiker.
Es ist Immer das gleiche Spiel: Ein hochstehender Privatmann wird als „Ausländer von Distinktion" über die Grenze geschickt. In seiner Tasche verbirgt er einen amtlichen Auftrag. Gelingt chm die Aufgabe, so wird sie halbamtlich, ja amtlich ausposaunt. Gelingt sie nicht, so war der Abgesandte ein Privatmann, der eine Meinung hatte und Lein Amt. So erging es Herrn Louis Loucheur, dem französischen Stinnes. Ehe er nach London fuhr, sprach er lange mit Poincare. Als er Wiederkam, hielt er Poin- care und dem Präsidenten Millerand lange Vorträge. Obwohl Loucheurs Bewunderer in ihm den kommenden Mann der Regierung sehen, müssen sie doch auch zugeben, daß sein Londoner Versuch, England in das Schlepptau der französischen Ruhrpolitik zu nehmen, gescheitert ist. Man wollte ihn dann auch nach Rom schicken. Diese Absicht erscheint jetzt überflüssig. Poincare machte jedenfalls einen Strich unter die Spesenrechnung Loucheurs, indem er — Pertinax verriet es im „Echo de Paris" — der Brüsseler Regierung die telegraphische Mitteilung zukommen ließ, der frühere Minister im Kabinett Briand, Loucheur, sei mit keinem amtlichen Auftrag betraut gewesen. Die Cntschädi- gungspolitik der französischen Regierung sei in keiner Weise abgeändert; die französischen Truppen würden das Ruhr- gebiet nicht räumen, bevor die Verpflichtungen vollständig bezahlt seien; Frankreich sei nur bereit, die Tilgung der Schuldverschreibungen L als Ausgleich der Summe an- gunehmen, die es England und Amerika schuldet.
Damit wird natürlich nur verwischt und vertuscht, was Herrn Loucheur in London mißglückt ist. Loucheur verlangte von England zwei Opfer. Einmal dis Streichung der Schuld en innerhalb der Entente und zweitens einen völligen Verzicht Englands auf weitere Entschädigungsleistungen aus etwaigen deutschen Zahlungen. Mit
weiteres geneigt. Mit Schrecken hat man dort die ganze Bedeutung der herrschsüchtigen Eroberungspläns Frankreichs im Rheinland durchschaut, und da man keine englische Luftflotte hat, um sie in diesen europäischen Kampf, der riesengroß am Horizont droht, auszuspielen, nimmt man den emztgen vorhandenen finanziellen Anspruch zu H-lfe. Im „Daily Telegraph" und in den „Daily News" war übereinstimmend am Montag früh zu lesen: England tritt einem Verzicht aus seinen Anteil an den deutschen Re- parationsleistungen nur dann näher, wenn Frankrsiw ' . nen Plan, einen rheinischen Pufferstaat untex belgischer Macht zu gründen, aufgibt. ,-anzoftjch-
In diesem Schachsrgeschäft, in dieser ^
Aschen Verzicht Frankreichs mit Neigung, einen po-
zicht zu bezahlen, verrät sich - ---em englischen Geldver-
matische Schwäche Enalav> wieder die derzeitige diplo- Regierung in der Fra^ ->s- Immerhin hat die britische sich einmal Färb- ' ^ des „selbständigen Rhemstaats" end-
im Londoner , oekannt. Am deutlichsten kam dies schon die Aev^' „Odserver" zum Ausdruck. Man schreibt jetzt
^rungen dieses freikonservativen Sonntagsblatts un- .eibar Vonar Law zu, der damit eine Antwort auf Loucheurs fehlgegansene Sendung geben wollte. Es hieß im „Observer" wörtlich: „die englische Regierung kann einer Zerstückelung des Deutschen Reiches weder in roher offener, noch in verhüllter Form unter Zuhilfenahme des Völkerbunds oder der Einführung einer internationalen Verwaltung mit vorherschendem französisch-belgischem Einfluß zustimmen. Durch diese drohende Rhsinstaatenfrage ist tue eigentliche Finanzfrage, d. h. die Neuberechnung der Entschädigungen, bei den Londoner Verhandlungen Loucheurs unter den Tisch gefallen. Loucheur schlug die Heerabsetzung der deutschen Schuld um 82 Milliarden gegenüber dem alten Londoner Zahlungsplan vor. Aber er hat wahrscheinlich schon von seinen englischen Gegenspielern hören müssen, daß die noch übrigbleibende Zahl von 50 Milliarden, di« noch im Nahmen der von Deutschland selbst auf der Pariser Konferenz angebotenen Leistungen bleibt, heute angesichts der Vernichtungen des Ruhrkriegs untragbar erscheint. Wenn dieser Faden weitergesponnen werden soll, muß Frankreich neue Fühler ausstrecken. In Paris treibt man aber vorerst nur Rhsinlandspolitik. Man empfängt den Landesverräter Dr. Dorten aus Wiesbaden. Aber nur, wenn reine Entschädigungspolitik getrieben wird, ist England rrueder zu sprechen. Das ist die Lehre der fehlgsgan» genen Reise Loucheurs.
Die Schandtaten in Memel
Die Meldungen über die unerhörten Gewalttaten der Litauer gegen die wehrlose memelländische Bevölkerung, die an Roheit hinter den französischen Verbrechen im Ruhrgebiet nicht zurückstehen, müssen im ganzen Deutschen Reich und darüber hinaus, wo immer Deutsche wohnen, die tiefste Erbitterung auslösen. Standrecht. Haussuchungen, Verhaft tungen, Verschleppungen, Ausweisungen, Mißhandlungen, Kavällerirangrifse und Maschinengeroehrfeuer gegen friedliche
Donnerstag, den 12. April 1S2S
Bürger — fürwahr, die Litäuer erweisen sich als gelehrige Schüler der schwarzen und weißen Franzosen am Rhein! Auch die Spahis in Trier, die wieder ans französischen Befehl gegen deutsche Eisenbahner losgelassen worden find, konnten es nicht ärger treiben als die litauischen Soldaten des „Generals" Vudrys. Die Litauer stehen erst am Anfang ihrer neuen Geschichte und hätten eigentlich allen Grund, sich zunächst einmal einen Namen als Kulturvolk zu verdienen. Sie scheinen in dieser Beziehung wenig Ehrgeiz zu besitzen. Aber Litauen wird im Laufe der Zeiten zweifellos noch oft mit dem deutschen Volk zu tun haben, und da dürfte es als kleines, schwaches Volk doch einigen Grund haben, das Sechzigmillionenvolk an feiner Westgrenze, das früher oder später wieder seine geschichtliche Rolle spielen wird, mit etwas mehr Vorsicht zu behandeln und nicht mutwillig Erinnerungen zu schaffen, die für das Land einmal die schwersten Folgen haben können.
Aber soweit denken die TagssxoAiker von heute nicht mehr. Nebenbei glaubt man da heute leine bessere Außenpolitik machen zu können, als sich durch Rücksichtslosigkeiten gegen Deutschland das Wohlwollen der Machthaber in Paris zu verdienen.
Leider ist auch die Politik der deutschen Rsichsregierung nicht ganz ohne Schuld an den neuesten Ereignissen im Memelland. Als vor drei Monaten, gleichzeitig mit dem Einmarsch der Franzosen ins Ruhrgebiet, litauische Freischärler im Einverständnis mit ihrer Regierung im Memelland „vollendete'Tatsachen" schufen, und der Wille der Kownoer Regierung, die unveräußerlichen deutschen Ansprüche auf dieses Land gewaltsam beiseite zu schieben, klar erkennbar wurde, hätte die Regierung ihre Ansprüche auf das Memelland geltend machen und sich mit aller Entschiedenheit für den Schutz der dortigen Deutschen einsetzen müssen. Ein großes Land wie Deutschland, das Mutterland aller Deutschs», einerlei welchem Staatsverband sie im Augenblick angehören, kann sich einfach nicht ungestraft blind und taub stellen, wenn eine derartige Gewalttat gegen Deutsche, noch dazu an unseren Grenzen und gegen eigene Landeskinder verübt wird, wie sie der litauische Ueberfall darstellte. Rücksichten der hohen Politik, vor allem auf Rußland, und die Hoffnung auf ein späteres gutes Einvernehmen mit Litauen sind für dieses Verhalten offenbar maßgebend gewesen. Aber Schwäche oder Ueberschlauheit find nie gute Politik; sie sind auch nicht geeianet, ulk Beziehungen zwischen den Ländern wirklich zu besserst', im Gegenteil. Eine offene ehrliche Aussprache stuf Mauen hätte dagegen — selbst wenn es nicht Sellen wäre, das Land für uns zu retten — wenigstens Sympathien für unsere Landsleute erwirken und die Lust reinigen können. So aber wurde der gerade bei jungen Nationen besonders entwickelte nationale Uebermut gestärkt. Man rechnete überhaupt nicht mehr mit Deutschland, hielt Rücksichten auf deutsche Empfindungen für etwas ganz lieber- flüssiges. Wenn Deutschland schon keinen Einspruch wagte, wenn das Grenzland geraubt wurde, so würde es sich wohl auch in Zukunft um das Schicksal der Deutschen im Lande nicht kümmern.
Unter krassestem Bruch aller Versprechungen an die Bevölkerung hat schon bald nach Besitzergreifung des Memellandes ein planmäßiger Litauisierungsfeldzug eingesetzt. Ausnahmerecht, Zeitungsverbote, Ausweisungen waren auch hier die üblichen Mittel. Trotz eines im Einverständnis mit der deutschen Bevölkerung aufgestellten Plans für die Selbstverwaltung des Memellands erlitten diese Versuche keine Unterbrechung. Begreiflich genug, daß man unter der deutschen Bevölkerung Memels den litauischen Versprechungen nicht mehr traute und auch die — noch nicht abgeschlossenen — Verhandlungen in Paris nur als Versuch betrachtete, freie Hand für jede Willkür zu bekommen. Durch Generalstreik und schließlich durch Protestversammlungen wollte die deutsche Bevölkerung, einmütig wie im Ruhrgebiet, ihren Willen bekunden, deutsch zu bleiben und damit die Litauer veranlassen, ihre Versprechungen endlich zu erfüllen. Es war ein Abwehrstreik gegen die litauische Unterdrückung, der schließlich, als die deutsche Bevölkerung durch das Umstürzen der Denkmäler Kaiser Wilhelms I. und der Borussia in unerhörter Weise gereizt wurde, zu großen nationalen Kundgebungen führte. Diese berechtigten, friedlichen Kundgebungen sind nun durch Salven litauischer Truppen und mit Peitschenhieben litauischer Kavallerie mit brutaler Gewalt gesprengt worden. Auch hier, wie im Westen, sind die Deutschen Freiwild.
Kann die deutsche Neichsregierung diesen Ereignissen weiter untätig zusehen? Es verlautet, daß der deutsche Reichsvertreter in Memel gegen die Denkmalsschändung Einspruch erhoben hat. Ist das alles?
Die Totenfeier in Essen
Im geschmückten Lichthof des Kruppschen Hauptverwal- tundsgebäudes — gegenüber der Automobilhalle, dem Schauplatz des Blutbades — waren die Särge der drei- zehn Toten vor der Bestattung aufgebahrt. Um 7 Uhr früh begann der Aufmarsch der Arbeiterschaft und der Abordnungen. Um 10 Uhr begann die Feier durch Vortrag eines Männerchors und darauf hielt Herr Krupp v. Bohlen
^ 87. Jahrgang
und Halbach eine kurze Ansprache, worin er der lieben Mitarbeiter und unvergeßlichen Toten gedachte. „Schmerzlich bewegt, unaussprechlich betrossen,' drücken wir ihren Angehörigen in dieser ernsten Stunde die Hand. Uns allen aber, die w:r zur Kruppschen Werlgeineinschaft gehören, möge diese Trauer dazu dienen, daß wir enger zusammenstehen, um die schwere Gegenwart zu tragen und zu überwinden. Ehre dem Andenken der Gefallenen! Auch sie starben für deutsche Freiheit, für deutsck>e Würde und für deutsche Arb-ntsvcrantwortung. Ihr Leben und Sterben bilden einen Baustein der deutschen Zukunft, das walte Gott!"
Nach abermaligem Chorgesang schloß die Feier. Die Särge wurden dann von Kameraden der Toten zu dem Leichenwagen getragen und der ungeheure Trauerzug, in dem etwa 100 600 Personen waren, setzte sich nach dem Ehren sriedhof in Bewegung, wo die »igcntliche Trauerfeier staitfand. Dem Leichenwagen folgten die Angehörigen der Toten, der Aussichtsrat und das Direktorium von Krupp, der Betriebsrat, Vertreter der Regierungen und der Behörden usw.
Die Trauerfe'er für die ermordeten Arbeiter verlief ohne Störung. Die Leichen wurden von vier Pferden gezogen. Auf dem Ehrensriedhof selbst waren die Särge in der dort hergerichteten Anlage der Firma Krupp aüf- gebahrt.
Dann sprachen Superintendent Becker, Prälat Euskirchen, das Mitglied des Kruppschen Direktoriums, We n t, der Vertreter des Betriebsrat der Firma Krupp, der Schlosser Paul Brehme, sowie andere Vertreter der Arbeiterschaft. Für dis Stadt Essen sprach der Beigeordnete Baasel, der sein Rede folgendermaßen schloß: „Diese Toten dürfen nicht vergebens gestorben sein. Wie wir stolz daraus sind, solche Mitarbeiter gehabt zu haben, müssen wir uns jeder an seiner Stelle an ihnen ein leuchtendes Beispiel nehmen. Zur Zeit der Christenverfolgung hieß es. das Blut der Märtnrer ist Samen für die Cbristen. Heute muß für uns das Wort gelten: Wir treten für unsere Kameraden
ein, wir folgen ihren Fußtapfen. Dann wird wieder die Morgenröte für unser liebes Vaterland erscheinen."
Alle französischen Soldaten waren anläßlich der Beisetzung der Kruppopfer von den Straßen zurückgezogen.
In der vergangenen Nacht ist wieder einer der Schwerverletzten seinen Verwundungen erlogen.
Köln, 11. April. Aus Anlaß der Beisetzung der 13 Todesopfer in Essen ruhte in der Stadt Köln von 9 bis 10 Uhr vormittags der amtliche und Geschäftsverkehr vollständig. Die Straßenbahn stand still und kein. Fuhrwerk war in den Straßen zu sehen. .
Laut Köln. Volkszeitunq wurden die Zeitungen m Essen von der französischen Behörde unter Androhung schwerster Strafen gezwungen, am Beisetzungstag noch einmal die un- wahre französische Behauptung abzudrucken, daß die fran- zösischen Soldaten in der Krupp'schen Fabrik bedroht worden seien. ... ^ -m-
In einem Teil Bayerns und m einigen Kirchen Münchens ist das Trauergeläut« unterblieben, weil die Pfarrämter durch das Versäumnis eines Beamten des Kultusministeriums nicht in Kenntnis gesetzt waren.
Einschuchterungsversuche
Tleue Drohungen
Berlin, 11. April. Die Deutsche Allgemeine Zeitung erfährt aus Paris, Deutschland solle demnächst in Form eines Ultimatums aufgcfordert werden, bezüglich der Entschädigungen bestimmte Vorschläge zu machen, widrigenfalls die Häfen von Bremen und Hamburg blockiert würden. — Der Londoner „Standard" meldet. Frankreich beabsichtige, durch fliegende Kolonnen wichtige Eisenbahnknotenpunkte in Mitteldeutschland (Kassel, Frankfurt, Würzburg usw.) besetzen zu lassen.
Der „Standard" meint, diese Maßnahme der Franzosen würde möglicherweise zu einem Kleinkrieg führen, der ganz Europa in neue Kriegsgefahr brächte.
Der Raubkrieg
Essen, 11. April. Die Franzosen führten vom Bahnhos Dorn-Hahnenfurt (Strecke Mettmann—Vohwinkel) alles rollende Eisenbahnmaterial fort. In Kastrop sind 500 fremd« Arbeiter, darunter viele Belgier und Polen, e,»getroffen.
Im Bahnhof-West in Trier sind 14 Eisenbahners«»», lien aus ihren Wohnungen vertrieben worden. Der Reichs- oerkehrsminister hat de» im Direktionsbezirk Trier vertriebenen Eisenbahnerfamilien 30 Millionen Mark überwiesen
Köln. 11. April. Die Franzosen haben eine ganze Reihe weiterer Kohlenzechen besetzt; die Direktoren wurden meist verhaftet. Auf der Adelguntiskirche in Emmerich hab»n die Franzosen eine Funkenstation errichtet.
Auf der städtischen Sparkasse in Mainz nahm französische Kriminalpolizei eine Haussuchung vor und beschlagnahmte 14 Millionen Mark Unterstützungsgelder für Erwerbslose.
Sechs hessische Pfarrer wurden vom Militärgencht -n Wiesbaden zu je 25 000 Mark Geldstrafe verurteilt, weil sü