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Nr. 2S
Amts- und Auzeigeblaki für den Oberamlsbezlek Angeld
Gegründet 1«S Aernspre-er 7lo. ».
«chrtftlettnn», Druck und »erlag von «. « Latler stkar» 8«u«r> Nagold.
Mittwoch, den 31. Januar 1S2S
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97. Jahrgang
Tagesspiege!
Me Obecprasidenten Preußens erhielten aus Reichs- und Landesmitteln 1192 Millionen Mark zur Unterstützung notleidender Kleinrentner zugewiesen.
Lord Balfour hatte tank „Daily Chronicle" mik Poincare in Paris bei einen» Frühstück eine „freundschaftliche und offene" Besprechung über die Fragen der Ruhrbesetzung, des Memellands und des Orients. Frankreich würde in der Ruhelage eine freundschaftliche Vermittlung gern annehmen, jedoch einen Schiedsspruch des Völkerbunds ablehncn. — Traui Poincare dem guten Wetter nickst mehr?
Das englische königspaar beabsichtigt, im Frühjahr Rom zu besuchen.
Die japanische Regierung wird einen Gesandten bmm Vatikan ernennen.
Die Kämpfe der irischen Radikalen gegen die irisch Regle- rung flammen wieder auf. nachdem die Regierung bereits 38 Mann wegen Besitzes von Waffen hat erschießen lassen.
Die Rifkabylen ln Marokko haben den spanische« General Navaro' mit 44 anderen Offizieren und 281 Soldaten, dl« bei den Kämpfen im letzten Sommer in die Gefangenschaft Maten waren, freigelassen.
Laut Reuter hat der englische Gouverneur in der indische« Provinz Lakhnau alle politischen Gefangenen mik einer Ausnahme freigelassen.
Ruhrdiktatur?
Eine hohe UnkersuchungLkommlsflon
Man schreibt mir aus dem neubesetzken Gebiet an der Muhr: Während das (bis jetzt) unblutige Ringen mlt den französischen Einbrechern immer schärfer« Formen an- kimmt, reist eins Höhe Unkersuchungskommission im Lande umher. Sie besteht". auS dem Minister für öffentliche Arbeiten Le Trocquer, der sich aber nicht als Exzellenz, sondern als .Herr Ingenieur* anreden läßt, aus dem bekannten General Weygand und dem Bergwerksdirekkor Guille- dume. Der Zweck der Inspektionsreise? Der Ueberfall des Ruhrgebietes wurde bisher von Paris aus geleitet, und zwar durch ein Ministerkomikee, dem außer Poin- car6 die Minister der Finanzen, des Wiederaufbaus und der öffentlichen Arbeiten angehörten und zu dem andere Persönlichkeiten, wie der Kriegsminister Maginok, Mar- fchall Foch, der Vorsitzende der Entschädigungskommission, Barthou, sowie Ministerialdirektor Seydoux als Leiter der Sachverständigen nach Bedarf zugezogen wurden. Auf dem .Kriegsschauplatz* befehligen zurzeit General De- goukke, Rheinlandkommissar Tirard und der Leiter der Ingenieurkommission, De Coste. Diese drei erhielten aber bisher ihre Weisungen aus Paris und hatten sich gegenseitig nichts vorzuschreiben. Die Folge war ein hilfloses Durcheinanderregieren, das dem deutschen Widerstand erlaubte, den .Eroberern*, wenn der landläufige Ausdruck für eine tokernste Sache erlaubt ist, ein Schnippchen nach vem andern zu schlagen. Die beschlagnahmten Kohlenschiffs kommen nicht an ihr Ziel, sie lassen sich in der holländischen Rheinzone von den dortigen Behörden aufgreifen, um ein neutrales Urteil über das Eigentumsrecht zu erwirken. Die von den Franzosen erbeuteten Kohlenzüge schlagen Hacken wie verfolgte Hasen, um nach tollen Kreuz- und Quer- fahrken schließlich doch ins unbesetzte Deutschland zu entwischen. Die Eisenbahner rühren keine Hand für französische Zwecke. Die Bergleute arbeiten nur da, wo dis blauen Uniformen sich zurückgezogen haben.
Diesem Zustand, der den Franzosen wie ein Tanz mit Nebelgespenstern Vorkommen muß, soll nun durch .Aufziehen schärferer Saiten* ein Ende gemacht werden. Trocquer und Weygand sind, wie man hört, im Auftrag Millerands, des Präsidenten der Republik Frankreich, gekommen, um den Boden zu prüfen. Es ist nur wieder dis übliche Verschleierung, wenn Poincare durch seine Blätter verkünden ließ, Le Trocquer wolle nur die Störungen im Bahnverkehr untersuchen und General Meygand seine Soldaten begrüßen. In Wahrheit handelt es sich um die Vorbereitungen zur Errichtung einer Oberbefehlsinstanz. Für das besetzte Gesamkgebiek, also für Rheinland und Ruhrgebiet soll ein gemeinsamer oberster Kommissar aufgestellt werden, und in französischen Kreisen gehl anscheinend der Streit nur nöch darum, ob an die Spitze ein Zivilist oder ein militärischer Diktator treten soll. Die Kandidakenfrage komint erst in zweiter Linie. Loucheur, an den man mit einer Anfrage heranging, hat vbgelehnt. Er hält sich im Hintergründe und beeinflußt die politischen Maßnahmen durch die scharfe Kritik ln de, ^Iournee Industrielle*. De Coste, der so kläglich verjag!
hak, soll durch den Generalsekretär der französischen Schwerindustrie, Robert Pinot, ersetzt werden.
Der Zweck des Ruhrunternehmens wird eben imme, klarer, und die eigentlichen Drahtzieher treten immer deutlicher hervor. Zunächst natürlich beackern noch die Militärs und Politiker das Feld. Im Stahlhof zu Düsseldorf tagten Le Trocquer und Weygand mit Tirard und De- goutte. Bon Düsseldorf wird die Kommission über Essen nach Mainz und Koblenz reisen und bald wird man die Pläne dieser Herren an ihren Früchten erkennen. Zwei Anschläge, die sie im Schilde führen, werden bereits offen genannt: Der Zollgürtel und eine neue Währung, lieber die Zollinie, die das ganze besetzte Gebiet von Deutschland trennen soll, hat bereits Reichswirtschafts- 'minister Dr. Becker der Presse gegenüber geäußert, was vom deutschen Standpunkt aus zu sagen ist: Technisch unmöglich, weil die deutsch "sprechenden Beamten fehlen, wirtschaftlich katastrophal, well die Warenerzeugung lahmge- legk, die Arbeiterschaft auf die Straße geworfen wird. Mas die neue Währung (der .rheinische Franken*) betrifft, so würde dieses raffinierte Mittel französischer Raubpoli- tik nichts anderes bedeuten, als eine neue Art von Hungerblockade gegen denjenigen Teil der Bevölkerung, der keinen Judaslohn aus Frankreich bezieht, sondern irgendwie noch auf Markeinkommen angewiesen bleibt. Wie die blühende Wirtschaft eines wichtigen industriellen Gebietes durch solche Doppelwährung verwüstet wird, das erlebt man ja im Saarrevier, wo die traurige Wirkung des Frankens bereits auf die rheinischen Grenzgebiete übergreift. Gegen diese Pläne darf es nur wieder Widerstand und Kampf geben! — er.
Zurück zum ältesten Wertmesser
Von Dr. Ferdinand Grautos f.
Als im römischen Kaiserreich in den Jahren 230—300 unserer Zeitrechnung das Metallgeld schier unaufhaltsam nach dem Osten abfloß und der bare Geldverkehr fast auft hörte, sank das Wirtschaftsleben des Kernlands des Reichs auf den längst überwundenen Standpunkt der Naturalwirtschaft zurück. Das Geld wurde zur Ware — genau so wie heute das Zwanzigmarkstück. Beamte und Soldaten erhielten ihr Gehalt in Naturalien, und auch die Steuern wurden in Getreide, Oel usw. bezahlt. Aus jener Zeihf da die Soldaten als Sold eine Ration Salz erhielten, die dann später wieder in ein Salzgeld verwandelt wurde, haj
sich bis heute der Ausdruck Salär — salarium — Salzgeld erhalten. Eine ähnliche Rückenttvicklung zu einer Bezahlung in Naturalien, ein ähnliches Greifen nach festen, sich gleichbleibenden Werten können wir bei dem raschen Sturz der deutschen Mark seit einiger Zeit bei uns beobachten. Der sinnlose Zustand, daß sich eine Geldsumme gleichsam zusehends in einem Augenblick um Tausends vermindert oder vermehrt, je nach dem — Wetterstand des Börsenbaromekers, dieser Zustand, der jede Vorausberechnung zu einem Lotteriefpiel und sehen Zahlungsvertrag zu einem Widersinn macht, läßt den Erdboden an sich und das, was er unmittelbar hervorbringt, als das einzig Feste und sich Gleichbleibende ansehen. »
Solche Umwertung vollzieht sich nicht mit einem Mal. Die erste Nachricht kam wohl aus Ostpreußen, wo dis Tierärzte, die in ländlichen Bezirken zunächst am meisten unter der Entwertung des Gelds zu leiden hatten, im Oktober erklärten, sie würden ihre Rechnungen hinfort in umlagefreiem Roggen ausstellen. Schon im Sommer war aus Cuxhaven gemeldet worden, daß ein Landwirk in Otterndorf bei Erneuerung eines Pachtvertrags an Stelle der bisherigen Pachksumme eine bestimmte Torflieferung beansprucht und daß ein Hofbesitzer die Pacht für Klein- sartenland auf Pfund Kartoffeln für den Quadratmeter estgesetzt habe. In anderen Gegenden gingen die Aerzts n ähnlicher Weise vor. Diesem Beispiel folgend setzten die Damenschneiderinnen von Hof ihren Tagesoerdienst auf den jeweiligen Wert von sechs Litern Milch fest. Und was diese Beispiele mehr sind. Am häufigsten hat man überall auf den Getreidepreis zurückgegriffen, so wie die sächsische Aerzteschaft im vergangenen Winter den jeweiligen Brotpreisindex gegenüber 1914 als Multiplikator der Bor- nriegstaxe benutzte.
Die Art von Bezahlung hak aber bald eine Grenze noch oben, und in dem Maß der weiteren Belieferung mit Naturalien zeigt sich dann sehr bald das Bedürfnis, die Sache selber von ihrem Wert zu trennen, d. h. sich nicht mit den Bodenerzeugnissen selber, sondern mit einer Anweisung auf sie bezahlen zu lassen, die man weitergeben kann, also mit einer Art Inhaberpapier. Solche Anweisungen aber müssen, sollen sie wirklich irgend welche Bedeutung haben und behalten, öffentlich rechtlichen Charakter haben. Und diesen Schritt zu wertbeständigen, obendrein noch verzinslichen Anweisungen auf die Lieferung bestimmter Getreidemengen hat mau kürzlich ln Berlin getan. In aller Stille hat ein unter der Führung der Preußischen Staatsbank stehendes Bankkonsortium fünf
prozentige Roggenrentenbriefe der Roggenremen- bank A.-G. in Berlin in Stücken zu 1 bis 10 Zentnern Roggen zum freihändigen Verkauf ausgegeben und hat ihre Zulassung an der Berliner Börse beantragt. Als Deckung für diese Roggenrenkenbriefe dienen die als Reallasten auf landwirtschaftlichen Grundstücken eingetragenen Roggenwertrenten. Der Kaufpreis beträgt gegenwärtig 10 000 Mark für einen Zentner Roggen, und Verzinsung und Tilgung der Renkenbriefe erfolgen in deutscher Reichs- Währung zum amtlichen Roggenpreis. Also nicht die Papiermark und auch nicht die Goldmark, sondern das Getreide ist hier der Wertmesser. Nun mag die Mark an diesen Roggenrentenbriefen auf und abrutschen, der Zentner Roggen bleibt ein Zentner Roggen.
So wird vielleicht unsere kranke Währung und die aus den Fugen geratende Weltwirtschaft wieder gesimöen, wenn sie zu dem Wertmesser in der Zeit der Naturalwirtschaft zurückkehrk. Im Niltal steht ein gewaltiges Bauwerk, das im Gegensatz zu den buntbemalten Grabkammern der Pharaonen und Mächtigen des Landes stumm, ohne ein Schriftzeichen und ohne jedes Bild in unsere Zeit hineinreicht: die Cheopspyramide. Man hat ihr Geheimnis lange zu enträtseln versucht und hat gefragt, warum auch der polierte Steinsarg, den ihr Inneres birgt, kein Bild und kein Schrifkzeichen trägt und nicht einmal durch einen Deckel verschlossen gewesen ist. Mir wissen es heute: Dieser Sarkophag ist kein Sarg und hat nie eine Königsleiche enthalten. Cr stellt vielmehr das älteste Getreidemaß der Welk dar. Es ist kein Zufall, daß sein Rauminhalt genau das Vierfache des ältesten europäischen Getreidemaßes beträgt, das nur als .Viertel* heute noch vorkommt, des englischen Quäkers. Dieses «Maß aller Dinge", das der unbekannte Erbauer de, Cheopspyramide einst m diesem Riesenbauwerk verwahrte, gewinnte heute eine ganz besondere Bedeutung. Der Kreis schließt sich wieder, und wir finden den wertbeständigen Maßstab, an dem das Zahlenspiel der wechselnden Kurse wie an einem Pegel auf und niedersteigt, in dem wieder, was der Boden dem Menschen trägt, seitdem über die jungfräuliche Erde das Wort erklang: Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Samen und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winker, Tag und Nacht. Vielleicht, daß doch ein Weg aus dem tollen Wirrsal unserer Zeit gefunden wird, wenn wir zurückgreifen auf den uralten Wertmesser, den der unbekannte Pharao für so wichtig hielt, daß er ihm zuliebe Berge von Granitblöcken zu einem Bauwerk schichten ließ, das mit ihm zusammen alle Jahrtausende überdauern sollte.
Gegen die Schlemmerei!
Allenthalben regt es sich kräftig gegen die Schlemmerei. Man mag leichthin voin Neid der besitzlosen Klasse reden; damit wird die Frage nicht gelöst, nachdem sie so lange geflissentlich übersehen worden ist. Wir stehen einer Erregung von Massen und Klassen gegenüber, der nicht rechtzeitig der Grund entzogen worden ist. Regierung und Besitzende, die es dazu haben, sind zu lange mit Blindheit ge< schlagen gewesen, als sie das Schlemmerwesen so in di« Halme schießen ließen oder selbst dazu mithalfen. Wen« man zum Beispiel in den Großstädten die Dielen und Bar«! und Kabaretts nur so aus dem Boden sprießen sah, während ein anständiger Mensch einfach außerstande war, fü« sich und seine Familie ein Unterkommen zu finden; wen» Man die Licht- und Wärmeverschwendung gewahr wurdet die an diesen Plätzen gekieben wurde, während andre litt Kunkel und in der Kälte saßen, wenn man di« Summe» msah, die Nacht für Rächt in Schnäpsen und Edelweinen ind Sekt durch -die Kehle gejagt wurden, während Millio- -en nicht wußten, wo eine trockene Brotrinde hernehmen »der ein Pfund Kartoffeln: dann kann man es begreifen, »aß immer ungestümer die Frage erhoben wurde, ob solch cevelhaftes Treiben im Angesicht hungernder und frierender Massen noch fernerhin zu dulden sei. Und man »ersteht es ferner, wenn manchen Leuten mit dem un- nutigen Herzen auch der nüchterne Verstand durchgeht. Oie Hauptschuld aber ist vor die Tür derjenigen zu legen, iie zu Wächtern bestellt waren und ihrer Pflicht nicht gerügt haben. Der unverbildliche Menschenverstand und das »infachste Rechtsempfinden muß dagegen aufbegehren, daß >er Ernst der Stunde auf Kreise stößt, die sich von dem Üammer unserer Lage so frei fühlen, daß sie das Recht für ich in Anspruch nehmen, ein Leben zu führen, wie es ihnen >eliebt, lediglich weil ihnen Umstände, die vielfach eine !chärfere Beleuchtung nicht vertragen, die Mittel dazu an sie Hand geben. Mer selbst nicht das Gefühl hak, daß er nik seinem Prasser- und Schlemmerdasein öffentliches Aergernis bereitet und den andern die Last des Lebens un- lagbar erschwert, dem muß dieses mangelnde Empfinden eben gewaltsam beigebracht werden.
Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten >en Schmachtriemen noch ganz anders anziehen müssen, als »as bisher der Fall war. Um aber durchhalten zu können, nüssen wir jedes Quentchen moralischer Kraft und sitt- ichen Ernstes aufbieten, und da geht es nicht an, daß wir kreise und Kräfte am Werke dulden, die uns diese morali-