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Nr. 9
Der Gesellschafter
Amts- uud Anzeigeblatt für den Oberamlsbezlrk Angeld
Gegründet 182»
Magolder Tagblatt
GHrtfUetryns, Druck -nd verU'.y von G. ri- ^a. ..er <S?ar. -ja"erl -iayolt
Aornsxrech« Ro. 2S.
Freilag, den 12. Januar 1923
Verbreitetste Zeitung im Oberamtsbezirk. — Anzeigen sind daher von bestem Erfolg.
AS: teuf Aufträge wird lit- nerlei Gewähr übernsm««. »» wird keine Gewähr dafitr übernommen, das Anzetifi» »der Reklamen in bestimmten Audgaben »der an der ««» wünschten Grelle erschein«. In Fällen von höherer Gewalt besteht kein Anspruch aus Lieferung der Zeitung »der ans Aü-k-adlun, d.Be,ug«vreise».
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97. Jahrgang
Tagesspiegel
Der Reichsteg ist auf LemstaZ rrachNMass 2 Ahr eiube- rufen roordsw.
Die Abbeförderung von EntschüdiMngskohlm ist auf Anordnung der Rsichsregiernüg einAestelli worden.
Die frsnzöfistbsn Truppen find von vormittags 10 Ahr an sn Essen eingerücki. Die Bereier Marschieren im Norden des l?^r'.strie§Msks bis Gladbeck.
Zwei französische DiLisio«§r, haben OLerhausen (Landkreis). Essen (Stadt- und LMdtrers). Recklinghausen (zum Teil Landkreis). Dinslaken, Mülheim. Mtenessen. Werden besetzt.
Die amerikmütck-m Tmo-^n verlassen das besetzte Gebiet.
Litauische Banden sind ln das Msinelgsbiet eingednmgeu und haben eine RÄhe van Leien beseht. Die Franzosen, die im Auftrag des Völkerbunds „Ruhe und Ordnung" zu wahren haben, verschanzten sich um Memel.
Der neue Kriegsschauplatz
Die Eroberung von Essen a. d. Ruhr
Aus Mülheim a. d. Ruhr erhalte ich folgenden Sonderbericht: Wir sind Kriegsschauplatz geworden. Die Franzosen sind hier durchgekommm, mit Roß und Mann und Wagen, weihe Infanteristen und viele Schwarze (algerische Scharfschützen). Da keine Kriegserklärung auch nicht in Form einer Sanktions-Ankündigung erfolgte, bietet sich überall das Bild des Ueberfalls. In den Bahnhöfen mußten überall die Frachtgüter weggeräumt werden, um die Verladerampen für die Rosse des Einbrechers frei zu machen. In den Hotels erhielten die Gäste den Rat, sich nicht zu Bett zu legen, da Zimmer und Wäsche für die eiwa nachts einrückender französischen Offiziere bereit gehalten werden müssen.
Der Strom des Vormarsches geht Richtung Essen. Unglücklicherweise stehen in. der Stadt Essen keine Kasernen jür die heranrückenden Eroberer zur Verfügung Die Lage ist genau dieselbe, wie seinerzeit in Duisburg bei Verhängung der „militärischen Sanktionen". Duisburg hatte vor dem Krieg kein Militär. Es fehlten die Kasernen. Infolgedessen mußten bis zu 2b Schulen, ferner zahlreiche Turnhallen und Säle beschlagnahmt werden. 1285 Privatquartiere wurden von den Bürgern geräumt. Sehr lehrreich war auch folgendes: die Stadt Duisburg, die wie jede Großstadt sehr unter Wohnungsnot zu leiden hat. erklärte sich wiederholt bereit, kasernenmäßige Baracken für die Unterbringung der Be- satzungstruppen bauen zu lassen. Die Besatzungsbehörde in Person des belgischen Kommandanten verweigerte ihre Zustimmung und stellte an die Stadt das dreiste Ansinnen, sie solle zuerst bescheinigen, daß sie die Baracken aus eigenem freiem Millen bauen werde, also gewissermaßen aus Wohlwollen für die Besatzungstruppen. Die Stadt Essen wird mit den Franzosen Aehnliches erleben. Vor allem wird sie tief in ihren Beutel greifen müssen. Bei den militärischen Empfängen und Paraden müssen die Straßen auf Kosten der Gemeindeverwaltung mit Sand bestreut und oft stundenlang abgesperrt werden. Die Straßenbahnen können während dieser Zeit nicht verkehren. Die Autos werden auf die verrücktesten Umwege geschickt. Jeder verlier! Zeit, Geld und leider auch oft die Nerven. Schon der Verlust an Fahrgeld aus solchen Anlässen ist mit einer Million Mark nicht zu hoch bemessen, ganz abgesehen von den viel größeren allgemeinen wirtschaftlichen Schäden der sinnlosen Verkehrsunterbindung. Schon jetzt herrscht wieder im Fernsprechwesen des Ruhrgebiets das Chaos. Der Telegraph ist gestört und die Post zankt sich mit der Bahn.
Am bedauerlichsten ist die Lage der Polizei. Noch wird in Essen der große Flugplatz von der grünen Polizei „gehalten". Aber die Franzosen werden sich dort rasch ein- msten. Auch hier schrecken die Spuren von Duisburg. Dort mußte die 1200 Mann starke grüne Polizei beim Einrücken der Besatzungstruppen sofort auf 600 Mann verringert werden. Eine Verstaatlichung der blauen städtischen Polizei, die in Duisburg wie auch in Düsseldorf bereits in die Wege geleitet war, ist von der Besatzungsbehörde verboten worden. Der Oberbürgermeister von Duisburg, der in einer Sitzung der Stadtverordnetenversammlung diese Frage der Verstaatlichung der Polizei erwähnte, wurde sofort protokollarisch vernommen und verwarnt. Dabei genügen im ganzen Ruhrgebiet die vorhandenen städtischen Polizrikräfte bei etwaigen Unruhen keineswegs, denn ihre Bewaffnung ist völlig unzureichend. Auf je drei Polizisten kommt vielleicht ein Karabiner. Bei dem lehken kommunistischen Putsch, als ein Anschlag auf die Banken geplant war, bat die Stadtverwaltung von Duisburg die belgische Besatzungsbehörde um Waffen für die Polizisten. Die Antwort: nein, gibt es
nicht. Aber für die Sicherheit müßt ihr Deutschen sorgen I Die Belgier selbst taten nichts.
Werden die Franzosen in Essen sich anders benehmen? Diese periodischen Vormärsche sind bereits vorausgeahnt und sehr anschaulich geschildert in dem vor einiger Zeit erschienenen Schriftchen „Tatarin am Rhein" von Aitern and Daudet: Tatarin kömmt in das Feindesland, mit Revolvern gespickt, mit Handgranaten gerüstet. Er erobert alte Burgen und verfallene Festungen. Er kämpft trotzig mit harmlosen Bürgern, mit mehr oder weniger kuraschierten Frauen und vorwitzigen Kindern. Immer im Rainen des Rechts und der.„Reparation" und für französische Schuhfabrikanten, Likörlieferanten und internarionale Schieber. Hinter seinem Negerbataillon aber drängt sich die ganze westliche «Kultur" mit Frauen und Kindern. Großmüttern und Tanten, Schwestern und „Nichten" wie eine Schar Ungeziefer in das neubesetzte Gebiet hinein, um es zu verdrecken und auszusaugen: „Deutschland bezahlt alles". In dieser letzteren Zuversicht wird man sich aber jetzt in Paris vor- aussichtlich irren! —er.
Mark und Franken
Am 10. Januar hat der Dollar nach der Newyorker Notierung den Wert von fast 11000 Papiermark erreicht. Das Verhalten der Franzosen und ihre Drohungen mit dem Einfall in das Ruhrgebiet haben den Wert der Mark sinken lassen, was nach den bisherigen Erfahrungen auch zu erwarten war. Bis auf welche schwindelnde Höhe diesmal der Dollar em- porktcttern wird, hängt zu einem Teil von dem Umfang ab, den die spekulativen Manöver annehmen werden. Mit unserem tatsächlichen Bedarf an Dollar und anderen Devisen hat der in Zeiten politischer Erregung sich entwickelnde Kurs natürlich nicht das geringste zu tun. Es sind zwar wohl auch viele Anoitdeckunaen 'zu verzeichnen, aber in erster Lini« blüht der Weizen der Spekulation. Schon seit Monaten wird die Mark namentlich von Newyork aus unterbewertet, aus inneren und äußeren Gründen, überwiegend natürlich aus letzteren. Die Berliner Börse folgt dieser Auswärtsbeweaung auch diesmal nur widerwillig.
Solange die Spekulation mit Sicherheit darauf rechnen kann, daß Deutschland zur Erfüllung der geforderten Zahlungen an die Entente immer wieder Devisen um jeden Preis erwirbt, wird auch die Spekulation immer wieder auf ihre Rechnung kommen. Ob die Spekulation diesmal aber ihre Rechnung nicht ohne den Wirt gemacht hat, wird sich ja zeigen. Es wird diesmal ganz von den Maßnahmen der deutschen Reichsregisrung abhängen, in welchem Ausmaß auch diesmal die Mark"zum Spielball der Spekulation wird. Eine Erschütterung des Glaubens an die Fortdauer der Deutschland wirtschaftlich und finanziell ruinierenden Zahlungen an die Entente kann leicht Wunder auch in der Bewertung der Mark bewirken, trotz PoincarSs Drohungen und selbst Verwirklichung seiner Einmarschdrohungen.
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Es ist eine bekannte Erscheinung, daß die französische Währung bei jedem neuen Säbelrasseln der Beherrscher der französischen Republik ebenfalls eine Abwärtsbewegung zeigt, die aber — und das ist bemerkenswert — bei jedem Nachgeben oder auch nur bei freundlichem oder ruhigem politischen Wstetr bald verschwindet. Infolge der deutschen Leistungen, namentlich an Kohle und anderen Sachlieferun- gen, hat sich die französische Wirtschaft besonders im letzten Jahr nicht unerheblich gebessert. Daher ist der Fall des Franken, wie er auch diesmal wieder zu verzeichnen ist, lediglich eine Folge der französischen Politik und es hängt nur von der politischen Entwicklung ab, diesen Fall zu einem noch stärkeren zu machen.
Der französische Franken, der zum Dollar ein Wertverhältnis von 5,18 hat, hatte nach Beendigung des Kriegs, Anfang 1919, mit 5,45 beinahe diesen Stand erre-cht. Er ging dann aber noch während der Friedensverhandlungen stark zurück. Der Dollar überstieg im August 8 Franken, Anfang 1929 den von 10 Franken, um im März auf nahezu 15 Franken anzulangen. Er erlebte dann aber wie auch die Marl einen Rückgang, wobei er Anfang 1921 schon für weniger als 6 Franken zu haben war.
Es kam das Londoner Ultimatum. Seitdem hängt der Dollarpreis auch in Frankreich mehr oder weniger von der Mark oder vielmehr von den Entschädigungsleistungen Deutschlands und dem Geschrei PoincareZ ab. So hatte er im Oktober eine Steigerung von 13,24 auf 14,60 Fr. zu verzeichnen, und auch jetzt ist er in wenigen Tagen von 14 bereits wieder auf 14,65 gestiegen, nachdem er Mitte Dezember aus 13,70 angelangt war. Mit einem Schwinden der Aussicht auf weitere, die französische Zahlungsbilanz so günstig be- cinflussende, hohe Leistungen Deutschlands würde natürlich auch der französische Franken ins Bodenlose wie die Mark sinken, zumal dann die Papiergeldwirtschaft in Frankreich auch als das einzige Rettungsmittel angesehen würde,
Zur Reichsversicherungsordnung
Trotzdem die Reichsversicherungsordnung nun feit einer Reihe von Jahren in Kraft ist und die vielen vorhandenen Rentner längst den Beweis erbracht haben, daß dieses Gesetz äußerst wohltätig wirkt, kümmert sich heute noch ein großer Teil der unständigen Taglöhner wenig um die Sache. Leider! Erst wenn Erwerbsunfähigkeit des Ernährers in Sicht ist unL die Familie keinen Groschen im Hause hat, dann — ja daun erst geht's an das Hervorsuchen der vielleicht längst verfallenen Ouittungskarten. Dann ist der ernste Zeitpunkt gekommen, an welchem es sich zeigt, ob für das Alter einigermaßen gesorgt ist oder ob die bisher geübte Gleichgültigkeit nur zur bitteren Pille wird.
Wie mancher Handwerker und wie viele Frauen, die aus irgend welchen früheren Arbeitsverhältnissen Qmttmrgskar. ten besitzen, lassen diese daheim im Schranke liegen, wenn sie es überhaupt der Mühe wert halten, beim Abgang aus dem letzten Dienstverhältnis darnach zu fragen.
Bedacht wird nicht, daß hier vielfach ein Kapital auf dem Spiele steht, wie die betreffenden Personen es im Leben ui« erringen werden. In der heutigen Zeit ist es doppelt notwendig, sich für das Alter eine Rente zu sichern. Die Meinung, daß man später immer noch zur Genüge rmchzahlen könne, ist total irrig. Vielfach läßt sich die erloschene Anwartschaft retten, deshalb heißt es zeitig genug fragen und zwar nicht beim Nachbar, der auch nichts davon versteht, sondern bei der zuständigen Stelle.
Pont 1. Januar 1923 ab gibt es keine Altersrente mehr, es enthält nun jeder Versicherte, der das 65. Lebensjahr vollendet und die Anwartschaft erfüllt hat, Invali - d e n rente. Ein jährliches Gutachten ist nicht nötig, da der 65jährige nicht invalid zu sein braucht. Nach Verwilligung der Rente dürfen keine Marken mehr geklebt werden.
Für die Umwandlung bereits verwilligter Altersrenten in die höhere Invalidenrente genügt ein kurzer formloser Antrag, den die Ortsbehörde für die Arbeiterversicherung aufzunehmen hat. Dabei ist anzugeben, ob der Versicherte Mitlied der Angestelltenversicherung war. Etwa hierüber vor- andene Papiere sind anzuschließen.
Für Zeiten nach dem 1. Januar 1923 sind übrigens Der- stcherungsmarken neuer Art zu kleben.
Für unständige Tagelöhner bestimmt sich die Marken- ktasst nach dem 300fachen Betrage des Ortslohns, -er bei der Ortsbehörde erfragt werden kann. Zu niedere Marken stellen keine Pflichtbeiträge dar.
Diejenigen Personen, welche gegen Lohn arbeiten, aber bis jetzt nicht versichert sind, tun gut daran, bei den Ortsbehörden ihres Wohnorts vorstellig zu werden. Die Unterlassung der Markenklebung rächt sich sväter bitter. Kosten entstehen durch derartige Anfragen nicht. Also fragen, sc lange es Zeit ist!
Da übrigens der Kontrollbeamte der Versicherungsanstalt Württemberg in nächster Zeit wieder die einzelnen Gemeinden besucht, ist auch hier Gelegenheit zum Fragen geboten.
Erklärung des Reichskanzlers
Festigkeit der Regierung — Einheit und Würde des Volks
Derlin. 11. Jan. Im Auswärtigen Ausschuß des Reichstags berichtete gestern Reichskanzler Cuno über die politische Lage. Wir haben versucht, führte der Kanzler aus, aus dm Konferenzen von London und Paris unsere Vorschläge anzubringen, die sich gemäß dem Friedensvertrag in den Grenzen der deutschen Leistungsfähigkeit hielten. Daneben versuchten wir, mit Frankreich unmittelbar in wirtschaftliche Verhandlungen zu kommen. Alle Versuche sind ohne Erfolg geblieben. Der Grundgedanke unserer Vorschläge für Paris entsprach der Erkenntnis, daß Frankreich unmittelbarer Zahlungeu bedürfe und auf die Zusammenarbeit der beiderseitigen industriellen kreise Wert legen müsse. Das einzige, was wir für Barzahlungen zu bieten hatten, war unsere Kreditfähigkeit, und die ist gering, solange die Lasten des Vertrages von Versailles unbegrenzt auf uns ruhen. Der Kredit hätte also nur bei einer endgültigen Lösung angespannt werden können. Wir haben angeboten, daß eine feste Summe für Anlei hm aufgelegt werde, die auch, wenn sie als solche nicht durchführbar wäre, dem Verband gegenüber als Anleihe verzinst und stückweise zurückbezahli werden sollte. Es wurde ein doppelter Besserungsschein hin- zuaefügt, wonach wir in bestimmten Zeiträumen weitere Anleihen aufzulegen bereit gewesen wären und die durch die Bürgschaft unserer Wirtschaft fichergestellt werden sollten. Außerdem sollte eine Verständigung mit der französischen Industrie für eine gewisse Zusammenarbeit eingeleitet werden. Hiefür wollten wir schriftlich bestimmte Vorschläge machen. Wir hoben keine Antwort erhalten.
Der englische Vorschlag ist von Frankreich abgelehnl worden, weil er die Entschädigungsfrage mit wirtschaftlichen und finanziellen Mitteln lösen wollte, während Frankreich bestrebt ist, seine politischen und wirtschaftlichen Ziele zu verwirklichen, was ihm wertvoller ist als >ede rein wirtschaftliche Lösung. Damit ist die Richtung der Politik Poincares klar- gestellt und die letzten Zweifel sind geschwunden, seit Poin- ca.6 unseren aufrichtigen Friedensvorschlag auf 30 Jahre abaelelmt bat.