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Dienstag, den 2. Januar 1923
Wieder ein
edenskongreß
Natürlich wieder ln dem schönen Haag. Diese niederländische Stadt scheint sich ganz besonders zu derartigen Versuchen- zu eignen. Nur kam jedesmal herzlich wenig dabei heraus, und wenn man es auch zu schönen Entschließungen brachte, so hat es nachher an deren praktischen Durchführung gefehlt.
2m Sommer 1899 tagte im Haag die erste Friedenskonferenz. Man beschloß allerlei gute Dinge, vor allem, daß ein internationaler Schieds- gerichkshof im Haag eingerichtet werde. Es war aber bezeichnend, daß Sir John Fisher, der Vertreter Englands, auf derselben Konferenz frischweg erklärte: «Wenn es das Wohl Englands gebiete, werde es sich den Teufel um völkerrechtliche Abmachungen scheren." Gesagt, getan. Am 9. Oktober desselben Jahres begann der Burenkrieg. Und am 10. Februar 1904 schlug der Zar Nikolaus II., der Vater der ersten Haager Friedenskonferenz, gegen Japan los.
Im Spätsommer 1907 tagte dis zweite Haager Friedenskonferenz. Nicht weniger als 14 Einzel- verkräge über den Land- und den Seekrieg, über einen internationalen Prisengerichkshof und einen pflichtmäßigen Schiedsvertrag wurden beschlossen. Deutschland hat 12 derselben anerkannt, Frankreich keinen einzigen. Und noch in demselben Jahr sagte der Zar zu dem serbischen Ministerpräsidenten: «Die bosnische Krise wird nur durch den Krieg entschieden werden." Und^so geschah es auch.
Also mit diesen Meltfriedenskonferenzen hak es ein« eigentümliche Bewandtnis. Ob es nicht auch so kommen wird mit dem allerjüngsten Weltfriedenskongreß, der am 15. Dezember seine Schlußsitzung hielt?
Allerdings war es keine Diplomakenkonferenz. Nein, ein richtiger Kongreß, und zwar in erster Linie ein solcher von Gewerkschaften. Es waren nicht weniger als 600 Vertreter von 24 Nationen erschienen, außer den Gewerkschaften waren verschiedene Pazifistenvereinigungen vertreten, als da sind das «Bernör Büro", die «Union os Democrakic Control", jener bekannten Schöpfung Morels, das «Deutsche Friedenskartell", die «Internationale Bereinigung der Völkerbundsliga", die «Liga für Menschenrechte", die «Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit" u. a. m.
Und was machten nun 'diese Friedensapostel miteinander aus?
Erstens: es dürfe keinen Krieg mehr geben. Lieber wolle man einen W e l k - Generalstreik machen. Lieber als di« 20 oder 30 Millionen Toten eines neuen Weltkrieges einen internationalen Generalstreik, der als äußerstes Mittel in Kraft treten soll, auch wenn infolge eines örtlich begrenzten Bürgerkrieges es zehn r der hunderttausend Tote geben sollte.
Wenn es aber so weit kommen soll, so müsse mit alle» Entschlossenheit die Organisation der Welt und ihre Gesinnung geändert werden. — Als ob man das fertig brächte! Woher das Menschenmakerial hiefür bekommen?
Zweitens einen andern Völkerbund. Der jetzige sei zu politisch oder besser: ausschließlich politisch. Der künftige Völkerbund soll mehr eine wirtschaftliche Vereinigung dei Produzenten, Konsumenten und Staatsbürger sein, ein «allumfassender Bund der Völker als oberste internationale Instanz zur friedlichen Regelung internationaler, juristischer und politischer Fragen." /
Drittens: Gegen den Vertrag von Versailles! Gerade die belgischen und französischen Vertreter brachten eine Entschließung ein gegen die drohende Besetzung des Ruhr- gebieks, gegen eine Politik, die darauf gerichtet sei, «stak! wirklicher Enkschädigungsmaßnahmen die Zerstückelung Deutschlands und eine verhüllte oder später zu verwirklichende Wegnahme deutscher Gebietsteile herbeizuführen." Die Fragen der Wiedergutmachung und der Kriegsschulden müßten einem, Schiedsgericht überwiesen werden.
Man wird den Beschlüssen, wie überhaupt der ganzen Arbeit des Kongresses und der Entschiedenheit, mit der ei seine Absichten vertreten hak, die Asterkennung nicht versagen können. Aber auch hier ist wieder einmal die Rechnung ohne den Wirk gemacht worden. - Die Völkergeschicke werden noch lange Zeiten nicht durch noch so wohlgemeint« Entschließungen, Reden und .Konventionen" entschieden werden.
Wie ging es nur mit dem Völkerbund? Dort sind nicht weniger als 50 Nationen vertreten, nicht durch Gewerkschaftsführer, sondern durch ihre führenden Staatsmänner. And dennoch hak diese Einrichtung fast in allen bis. jetzt vom ihm behandelten Fragen versagt. Während der Völkerbund existiert, in diesen drei Jahren, gab es nicht weniaer als drei Kriege: der litauisch-polnische, der russisch
polnische und der griechisch-türkische. Dreimal verhandelt« der Völkerbund wegen der Abrüstung und dreimal beschloß er, alles beim alten zu lassen.
Wir fürchten, daß auch der neueste.Weltfriedenskongreß der Menschheit nicht den ersehnten Frieden bringen wird.
Der deutsche Vorschlag
Reichsregierung und Wirtschaftsführer.
Ein an maßgebender? Stellen unterrichteter Mitarbeiter reibt uns: Am Freitag wurde der deutsche Vorschlag für ie am 2. Januar beginnende Pariser Konferenz fertig- gestellt. Er wurde noch im alten Jahr den Verbündeten überreicht. Ausdrücklich verlangt wurde dieser Vorschlag zwar von keiner Seite, aber bei der Ratlosigkeit, die aus Seiten des Verbands herrscht, augenscheinlich erwartet! Liegen doch auch halbamtliche Preßstimmen aus Paris vor, die darauf hindeuten. Der deutsche Vorschlag wurd« natürlich schriftlich niedergelegt. Aber es ist möglich, daß zu mündlichen Erläuterungen ein deutscher Sondervertreter, etwa Staatssekretär Bergmann, wieder nach Paris fährt. Das hängt von der Neigung der Verbündeten ab, Deutschland nicht ganz als bloßen «Gegenstand" der Konferenz zu behandeln, über den man nach - Versailler Muster verfügt.
Wie ist nun der Vorschlag zustande gekommen? Mährend der Weihnachtstage fanden Besprechungen in den einzelnen Ministerien statt. Das geförderte Material wurde, als der Reichskanzler von seinem kurzen Urlaub nach Berlin zurückgekehrt war, in einer Ministerbesprechung gesichte! und dann mit führenden Persönlichkeiten der Industrie und Bankwelt durchberaten. Man hat der Reichsregierung von einer sich besonders klug dünkenden Seite aus den Vorwurf gemacht, warum sie nicht unparteiische Gelehrte und wissenschaftliche Fachleute 'zur Beurteilung des Plans zuziehe, sondern «Industriekapitäne" und Leiter von Betrieben, di« im praktischen Leben stehen und von ihren wirtschaftlichen Interessen abhängig seien. Dagegen ist zu erwidern: Die Regierung hatte keine Doktorarbeit über die Enkschädigungs- frage zu schreiben, sondern Politik zu machen. Di« Politik besteht darin, das Herz der deutschen Wirtschaft zv behorchen und darnach die künftigen Leistungsmöglichkeiten festzustellen. Als Sachverständige können dabei nur solch« Wlrtschafksführer auftreten, die sich für das Lebensschicksa! Deutschlands verantwortlich fühlen. Diese Männer nehmen ja auch auf politischem Gebiet bestimmte Stellungen ein Sie stehen in oder hinter den Parteien und sind sich ihres Einflusses auf eine parlamentarische Regierung wohl bewußt, Sie schweben nicht wie freie Gelehrte über den Wassern Sie sollen und wollen sich nicht die Macht einer Nebenregierung anmaßen. Aber sie sprechen als politisch verantwortlicheMirtschaftsverkreker. Wenn daneben die rein politischen Führer der Parteien, also vor allem die Fraktionsvorskände über die Pläne der Regierunc bloß unterrichtet und aufgeklärt wurden, so liegt darin kein« Zurückstellung hinter die Wirtschafksmächke. Diese Mächte werden in entscheidenden Augenblicken herangezogen, well man ihre Sachkunde benutzen will. Die Mitwirkung de, Fraktionen versteht sich dabei, fast möchte man sagen, wie das Moralische, von selbst. Denn die Negierung Handel! nach der herrschenden Verfassung als Beauftragte dei Koalikionsparkeien. Der deutsche Vorschlag, für die schicksalsschwere Pariser Konferenz ist also durchaus richtig uni nach bewährter Art zustandsgekommen» Am vorzeitige Ausplaudereien, besonders der so oft Verwirrung stiftenden ausländischen Berichterstatter zu verhindern, fand die Beratung der Regierung mit den Wirtschaftsführern nicht im gewohnten Amkslokal, sondern an privater Stelle stakt.
Ferner: Die Regierung hak sich entschlossen» der Entente nicht kvieder eine vorläufige, sondern eine endgültig« Lösung der Entschädigung vorzuschlagen. Sie geht dabei bis an die äußerste Grenze der Leistungsfähigkeit. Für di« Bürgschaft der deutschen Industrie gibt sie ganz bestimmte Anregungen. Es handelt sich dabei etwa um «Handelsgeschäfte zwischen Privatpersonen oder Finanzinstikuten". Diese Möglichkeit wird nach französischen Bläkkermeldungeu angeblich in einer neuen Note Poincares angedeuket und von der Hand gewiesen. Sollte eine solche Pariser Not« unterwegs sein, so kommt sie nicht nur zu spät, sondern sie ifl auch ganz überflüssig. Die deutsche Regierung Hai das getan» was auf die amerikanischen Winke hin geleistet werden mußte. Sie hat ihren guten Willen gezeigt, bei der kommenden Konferenz durch einen wohl- erwogenen Plan selbständig mitzuwirkei? Sache der Verbündeten wird es fein, die deutsche Stimme zu Wori kommen zu lasten. Angesichts des deutschen Programms würde sich der Verband mit einem neuen Diktat nur ins Unrecht sehen. Das deutsche Programm beruft sich auf di« Vernunft und das eigenste Interesse der Verbündeten, -er,
Oestliches Kulturelend
Die Nachwehen des Kriegs haben, wie der «D. Tage?- llta." aus Kattowitz geschrieen wird, nirgends größeres
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97. Jahrgang
Schaden angerichkek wie in O b e r s ch 1 e s I e n, das noch auf Jahre hinaus, besonders in kultureller Hinsicht, die Zeit der Fremdherrschaft mit ihren furchtbaren Unterbrechungen durch die Polenputsche spüren wird. Während man nun in dem deutschen Teil des Landes die größten Anstrengungen macht, um die vergangenen Jahre zu vergessen» ist man in dem polnisch gewordenen Gebiet vollkommen auf den Nationalitätenkampf eingestellt. Im deutschgebliebenen Teil ruhte in einer Reihe von Gemeinden viel« Monate hindurch der Schulunterricht. In anderen Schulen wird der Unterricht ln vier bis fünf Tagesschichten erteilt, um den Kindern aller Jahrgänge wenigstens ein gewisses Mindestmaß von Unterricht geben zu können. Schäden, die die Franzosen in den Schulen angerichtet hatten, erfordern ein vielfaches Millionenvermögen zur Wiederherstellung, deren Kosten zehn- bis zwölfmal höher sind, als ursprünglich angenommen wurde. In den Turnanstalken der Schulgebäude fand man nur den geringsten Teil der Geräte vor. Auch sie waren von den Franzosen entweder mutwillig zerstört oder gestohlen worden. Zahlreiche Schulen, Turnanstalken usw. sind noch heute mit Flüchtlingen aus dem polnisch gewordenen Gebiet angefüllt, die bisher anderweitig noch nicht untergebracht werden konnten. Wenn es in P o l n i s ch - Oberschlesien an Lehrer fehlt, im deutschen sind sie im Ueberfluß, nnr fehlt es an Schulgebäuden. Durch Barackenbauken für Flüchtlinge und Schutzpolizei, die gleichfalls, besonders in den Landgemeinden, Schulen beseht halten, hofft man in einigen Monaten auch die letzten Schulen frei zu bekommen, damit dann mit voller Kraft der geistig« Wiederaufbau Oberschlesiens durchgeführt werden kann.
Wie ganz anders aber ist das Bild, das sich in Ost- Oberschlesien bietet. Hier wäre es Hohn,-von einem geistigen Wiederaufbau des Landes sprechen zu wollen. Nirgends ein ernsthafter Ansatz dazu, jede geistige Regung erstickt in hem fanatischen Sumpf überhitzter nationalistischer Leidenschaften. Hier sind gewiß genügend Scyulraumltchketten vorhanden, aber es fehlt an allen sonstigen Notwendigkeiten. Die Lehrer «halten ihre Gehälter nicht oder höchst unregelmäßig und lassen über Nacht Schule und Jugend im Stich. Das kleine Polnisch-Oberschlesien mit seinen 1,3 Millionen Einwohnern hak einen Landeshaushalt von über 100 Milliarden Ausgaben in deutscher Reichsmark, aber nur rund 2 Milliarden sind davon für Kirchen und Schulen! Man hat viele Millionen übrig, um selbst den Sejmabgeordneten nach ganzen 20 Sitzungen ein Weihnachtsgeschenk zu geben, man hak ungezählte Millionen für unnütze Äußerlichkeiten hinausgeworfen, man verpulvert das Geld in einer Weise, die jeder Beschreibung spottet, bei kulturellen und sozialen Ausgaben aber muß gespart werden! Die kleine Wojewodschaft (Regierungsbezirk) mit ihren 1,3 Millionen Einwohnern hat in Warschau in wenigen Monaten etwa 100 Milliarden Schulden gemacht, ohne Berücksichtigung der verbrauchten eigenen Einnahmen. Städte und Landgemeinde«! können die Schullasten nicht mehr tragen, da sie nicht einmal in der Lage sind, ihre Beamten zu bezahlen und fortgesetzt auch ihrerseits Anleihen bei den polnischen Staatssparkassen in Marschau nachsuchen müssen. So hat di« Stadt Kaktowitz mit ihren 50 000, jetzt annähernd 70 lM Einwohnern allein in Warschau in den wenigen Monate* nicht weniger als 205 Millionen deutsche Reichsmark (10t Reichsmark derzeit gleich 232 polnische Mark) Schulden ge macht. Wollten Staakswesen, also die Wojewodschaft uni die Kommunen, noch an einigermaßen normale Ausgabe« für kulturelle Zwecke denken, dann würden alle dies« staatlichen und kommunalen Organisationen schon im Sump! der gemachten Schulden verkommen sein. So spart man a* den kulturellen Ausgaben und hält sich weiter über Wasser wobei kein Mensch zu sagen weiß, wodurch eines Tags di« Freimachung von einer erdrückenden Schuldenlast erfolgen soll. Nur eine Geistesrichkung blüht: die polnische Leiden schafk, die selbst bei dem Einzug des künftigen Bischofs vor Polnisch-Oberschlesien in Katkowih in den Korfantyzeitunger sich nicht enkblödete, von den «unfreien, seelisch und leiblich geknechteten Brüdern in Deutsch-Oberschlesien' zu sprechen deren «Freiheiks- und Freudenstunde gleichfalls baldigk schlagen" werde!
Neue Nachrichten
Verwahrung der Reichsregierung Berlin, 1. Jan. Die Reichsregierung legt dagegen Vev Wahrung ein, daß ine Pariser EntschädigungskoMmifsion den Wort „Nichterfüllung" in Art. 17 des Vertrags vonWersaill« den Sinn von „vorsätzlicher Nichterfüllung" nach Art. ttz des Vertrags unterstelle. Dies würde eine völlige Entstellunj der Tatsachen bedeuten und eine willkürliche Aenderung de; Vertrags sein. Im übrigen gebe der Vertrag den Ver kündeten unter keiner wie immer gearteten Voraussetzung das Recht zu gebiettichen „Sanktionen" (Besetzungen). Alk derartigen Maßnahmen würden atsEingriffindiege. bietlichen Hoheitsrechte Deutschlands zu beurteilen sein. — Man atmet auf!
Der deutsche Brennflofftrlbuk.
Berlin, 30. Dez. Im ersten Drittel des laufenden Mo nats wurden als Entlckädiauna von Deutschland nach Trank