Erscheint an jedem Werk­tag. Bestellungen nehmen sämtliche Poüanstalten u ,b Postboten entgegen.

Bezugspreis in Nrgold, d.d.Ag' -'ten, ourch d Post eins«!. Post­gebühr. nonatl. ^t550.- Ginzel ri-mmer 25.

Änzetgen-Gebühr für die einipaltige Zesjie aus xe- «öhnltcher Lchrist oder deren Raum bei einmali­ge.. Einrückung.^i 35, Sei mehrmaliger Rabatt »ach Tarif. Bei gerichtl. B itreibungu. Konkursen ist der Rabatt hinfällig.

Der

AM- Md Avzelseblakk fürdeu Obermulsbezlrk üagol>

NagÄderLagblaS

Rr. 304

Samstag, den 3V. Dezember ' s

Lerbr itetfte Zeitung lm Oberawrsbczirk. An­zeigen . find daher von beste« Erfolg.

Für reitf. Ai-ftrS-r wir» r«t- »»lei G-wühr iibe-nommen. »r w.rs le.,-e »-wiidr dafür äbe:n«mmei-, « Bujitie» -dkl Rellomen m brftlmmiea Aurzabk» -der an -er» wüvkchiktt S:eüe erscheine». I- Fallen »VN döderer »«- waii bestevt lein Anspruch auf Lieferung -er Zeiiung oder aus Nückjad-»»« d.Bezi>g«prrIier.

Telegramm-Adresse: Aesellschaster Nagold

Postscheckkonto: Stuttgart 5118.

SV. Jahrgang

Lagesspiege!

Dis briüschs MKelmesrflotts ist am 28. Dezember vos Malta nach Lonstantinopel abgefahren.

Aus Moskau wird gemeldet, die Regierung in Angore habe der türkischen Vertretung in Lausanne untersagt, der Friedensvertrag ohne Zustimmung der RaüonalversammlunL ;« unterzeichnen.

Die Weihnachtsfeiertage pflegen in der ganzen christlichen Welt auch auf politischem Gebiet als Zeit des Frie­dens respkMert zu werden; sogar die Friedenskonferenz in Lausanne hat ihre allerdings in bedenkliche Stockung gera­tenen Arbeiten auf einige Tage unterbrochen. Eine Aus­nahme machte die unter Poincares Kommando stehende Pa­riser Entschädigungskommission. Auf Grund der Abmachungen mit Rathenau hatte die Kommission am 31. März d, I. Deutschland u. a. die Verpflichtung auf­erlegt, bis September bzrv. Ende November 200 000 Fest­meter Telegraphenstangen und 55 000 Festmeter Schnittholz zu liefern. Dis Ausführung war natürlich ein Ding der Un­möglichkeit, aber anstatt daß damals schon von der Reichs­regierung Widerspruch erhoben worden wäre, nahm man di« Auflage eben hin, urch so kam es, daß bis 4. Dezembernur* 53 735/Festmeter Telegraphenstangsn (jede Stange ein großer Baum!) und 29 820 Festmeter Schnittholz geliefert werden konnten. Die Neichsregierung entschuldigte sich und ersucht« um Fristverlängerung. Die Pariser Kommission beriet einen Monat lang, und just in den Weihnachtsfeiertagen, knapp vo, der Pariser Konferenz vom 2. Januar, kam sie zu dem Urteil daß die Nichterfüllung der Forderung eine Verfehlung der deutschen Reichsregierung darstelle; das weitere sei Sach« des Obersten Rats hätten wir beinahe gesagt, dock der ist seit Lloyd Georges Rücktritt auch zu den Toten gegan­gen; jetzt beschließen die verbündeten Regierungen non Ka­binett zu Kabinett", wie Poincare einmal sagte, oder de: p. t. Botschafterrat. Poincare und seine Leute triumphieren denn nun ist nach ihrer Meinung der Weg für .,Sanktio n e n" frei laut Artikel 17 des Friedensvertrags. Diese Be­stimmung setzt allerdings voraus, daß die Nichterfüllung an eine absichtliche Verfehlung zurückgehe: weshalb du ganze Pariser Presse ein Zetergeschrei anhebt, die Entschei­dung der Entschädigungskommission, die auf Antrag Bar thous von den Vertretern Frankreichs, Italiens und Bel­giens unter dem entschiedenen Widerspruch des Engländer« Bradbury gefällt wurde, habe die absichtliche uni böswillige Vertragsverletzung festgestellt. Was nich wahr ist.

Heller Unsinn. Es verlohnt sich, zum Beweis dafür nui auf einige Tatsachen hinzuweisen, die so wichtig und doch si wenig bekannt sind. Deutschlands Holzbedarf sw seine Volkswirtschaft betrug vor dein Krieg über 43ZL Mil­lionen Festmeter, wovon der deutsche Wald etwa 28t- Mil lionen lieferte, während etwa 15 Millionen aus Rußland Oesterreich-Ungarn, den nordischen Staaten und Amerika ein­geführt wurden. Mit dem Verlust deutscher Lande im Frie densvertrag ist die Waldfläche, die bis 1918 14)4 Millionei Hektar umfaßte, um etwa 10 Prozent und um mindesten« ebensoviel die Einschlagsmöglichkeit vermindert worden. Au« naheliegenden Gründen hat die Einfuhr, namentlich über« Meer, fast aufgeführt. Nun muß man aber die Wichtig!» des Holzes für das wirtschaftliche Leben bedenken. Ueberal braucht man Holz: für Hausbau, Möbel, Schiffsbau, für dei Verkehr (Schwellen, Telegraphenstangen, Eisenbahnwagen) für Geräte und Werkzeuge, Papier, zur Gewinnung der Koh­len, zum Heizen usw. So entstand in Deutschland selbst eil wilder Kampf um das Holz, der zu einer wahnsinnigen Ver­teuerung führte. Für Bauholz, das vor dem Krieg etw« 20 Mark der Festmeter kostete, werden bis zu 180 000 Mar! bezahlt, für Grubenholz statt 10 Mark jetzt 130 000 Mark Der Holzpreis ist auf Las 13 000-fache gestiegen, die Kohb bis jetzt nur auf etwa mehr als das 2000-fache, und Lei Holzpreis liegt um ein Vielfaches über dem Dollarstand vor 7000. Dab-ei soll allerdings nicht verschwiegen werden, das die deutsche- Holzbewirtschaftung derzeit s> umständlichwiemöglich ist. Nicht weniger als a ch! Reichsbehördenbefassen" sich mir ihr vom Wald bi« MN verarbeiteten Erzeugnis bzw. bis zur Ablieferung ai den Feind, nämlich: Reichsernährungs- und Landwirtschafts. Ministerium, Reichswirtschaftsministerium, Reichskommissaria für Ein- und Ausfuhr, drei Außenhandelsstsllen, Reichs- Ministerium für Wiederaufbau, Rrichskommissariat für Holzlieferungen nach Frankreich. Acht Stellen mit den, nötigen oder unnötigen Heer von Personal für Arbeiten, di« Äne einzige, fachmännisch geleitete viel rasch» und besser be­

wältigen konnte! Diese unglaubliche Weitschweifigkeit ma; neben der Holznot ein Grund sein, daß es mit der Hilfe, das unter den ungeheuren Papierpreisen zusammenbrecheuLx Zeitungsgewerbe eben so gar nicht vorwärts gehen will.

Angesichts des geschilderten Holzmangels in Deutschland ist es geradezu ein Frevel, irgendeine Verfehlung feststellen" zu wollen, wenn die 255 OOÖ Festmeter in der be­dungenen Frist nicht abgeliefert werden konnten. Aber man versteht schon. OhneVerfehlung" keine Sanktionen, und auf diese kommt es Poincarö an, nicht auf das Holz, mit dem Frankreich o-der seine Kapitalistenkaste doch wohl kaum etwas anderes anfangen würde, als einen gewinnbringenden Handel zu treiben, wie mit der deutschen Kohle. Mit demReckst" der Sanktion hoffen aber Poincare und sein Anhang dem mis äußerstem Starrsinn sestgehaltenen, von Lloyd George jüngst schonungslos enthüllten Ziel des Raubs des lin- ken Rheinufers auf der Pariser Konferenz mm ein gut Stück näher zu kommen. Vielleicht haben jene englische Blätter nicht Unrecht, die behaupten, Poincare drohe nur des­wegen immer mit der VesetzungdesRuhrgebiets, die einer Kriegserklärung gleichkäme, damit er desto sicherer des linksufrigen Rheinlands sich bemächtigen könne, denn er wisse nur zu genau, daß England und Amerika, die Besetzung des Ruhrgebiets niemals dulden würden. Und wenn die Pariser Blätter bereits ausmalen, wie die Fran­zosen sich im Ruhrgebiet einrichten wollen, wie sie die -10- prozentige Kohlensteuer beschlagnahmen und die Kohlen so verteilen werden, wie sie es für gut finden di« deutschen Industriellen wie Stinnes, Thyssen, Ehrhardt, Krupp usw. sollen keine mehr bekommen, d. h. ihre Betriebe sollen lahm­gelegt werden,um ihren Starrsinn zu brechen" und die lästige Konkurrenz zu vernichten, so sei das eine lächerliche Schaumschlägerei, um die wahren Absichten zu verdecken. Poincare wolle sich den Schein geben, als bringe er dann mit

dem Verzicht <rus Vus Rrchrgcbiet ei>> großes Opfer, den,

billigerweise England ebenfalls ein Zugeständnis folgen lassen müsse, indem es in dieVerlängerung der Besetzung des Rheinlands", in die Zollgrenze am Rhein, Beschlagnahme des dortigen Staatseigentums und Austreibung der deutschen Beamten einwillige, Dinge, die jetzt die Pariser Presse als Kleinigkeiten gegenüber der Besetzung des Ruhrgebiets hin­stellt. Gerade jetzt entfalten die bezahlten Schergen Frank­reichs, die Smeets, Dorten und Genossen, die man schonend ' mit dem Wortrheinische Sonderbündler" zu bezeichnen pflegt, eine verdoppelte Tätigkeit, um zunächst für dieLos­lösung des Rheinlands von Preußen", genauer für den An - schluß an Frankreich Stimmung zu machen. Das schönste ist dabei, daß diese Wichte und ihre Blättchen von dem Geld unterhalten werden, das wir alsBesatzungskosten" aufzubringen haben.

Poincare will offenbar die Sache jetzt auf die Spitze trei­ben. Die Auspeitschung des Sühnerummels diente nur diesem Zweck; sie hat uns zwar 100 Millionen Eoldmark und ein förmliches Entschuldigungsschreiben gekostet, die Reichs- regierung ist aber gegen weitergehends Forderungen fcstge- blieben, und das hat in Deutschland und im Ausland einen guten Eindruck gemacht. Nun hat Poincare weiter dis Aus­lieferung eines vollen Zehntels des Stickstoff­düngers verlangt, der von der deutschen chem. Industrie jährlich erzeugt wird. Die Neichsregierung hat, gewitzigt durch dieHolzverfehlung", das Ansinnen abgelehnt denn den Kunstdünger braucht unsere eigens Landwirtschaft notwendig und wir stünden vor der ewigen Hungersnot, wenr der jetzt schon kaum mehr erschwingliche Dünger durch di« Verschleuderung nach Frankreich eine Preisentwicklung neh­men würde wie das Holz. Was wir etwa übrig haben, isi nötig zum freien Verkauf ins Ausland, um dagegen Roh­stoffe und Lebensmittel einzukaufen. Poincare hat natürlich sofort mit Strafe gedroht. Aber lassen wir es einma! ruhig darauf ankommen. Jedenfalls hat Reichskanzler Cune dem ganzen deutschen Volk aus der Seele gesprochen, als ei in seinem Weihnachtsbrief die Sehnsucht nach Friedenan die erste Stelle rückte und verlangte, man soll« Deutschland in Ruhe lassen, um arbeiten zu können, damit es nicht zur Verzweiflung getrieben werde, di« Poincare wünscht. Alle Einsichtigen sind sich klar darüber daß, wenn die überspannten Nerven reißen, es mit der Ruh« Europas auf Jahrzehnt« hinaus vorbei ist. Darum betrachtet auch der Pap st den gegenwärtigen Zustand mit Sorge uni er spricht in seinem Weihnachtsrundschreiben einem düsteren Gegenstück zum Kanzlerbrief, mit Recht vor dem verfälschten Frieden von Versailles.

Ueber denWeltstörenfried" haben sich die Anschauung-» diesseits und jenseits des Weltmeeres merkwürdig geklärt wenn es uns auch zunächst noch nicht viel hilft. InItalier gebärdet sich die Presse Mussolinis deutschfeindlicher al­te. Und wie wird Bonar Law aus der Pariser Konfe­

renz sich stellen, zu der er am 1. Januar abreist? Die Lon- donerDaily Mail" glaubt zu wissen, daß Bon- Law zr Sanktionen" gegen Deutschland seine Zustimmung geben ja daß er selbst dabei mitmachen werde, wenn Frankreich ir dieHerabsetzung der Kriegsentschädigung auf ein der deut­schen Leistungsfähigkeit entsprechendes Maß" einwillig« Diese abgegriffene Diplomatenredensart kann bedeuten daß Bonar Law sich mit dem vorläufig mehr oder wenige, verhüllten Raub des Rheinlands abfindet, wem Poincare nur die Hände vom Ruhrgebiet läßt. Dageger schreibt die sehr deutschfeindlicheTimes", auch nicht de, kleinste Teil der öffentlichen Meinung Englands wolle vor der Fortsetzung der Politik der Sanktionen etwas wissen; darüber solle man sich in Frankreich keiner Täuschung hin­geben Wie weit das zutrifft, mag dahingestellt bleiben. Mil deröffentlichen Meinung" ist es überhaupt so eine Sache; jedes Blatt hält sich für die öffentliche Meinung. Jedenfalls hat Poincare noch nie etwas nach der sogenannten öffent­lichen Meinung in England gefragt, und ob Bonar Law es tut, wird sich am 2. Januar zeigen. Vorerst bringt jede, seinen" Plan für dieVerhandlungen mit den Deutschen* mit; kommt eine Einigung zustande, dann wird wahrschein­lich nicht mehr verhandelt, sondern nach den berühmten Mu­stern des seligen Obersten Rats diktiert. Der dritt« Plan, den Musst im Glauben an die unerschöpfliche Quell« deutschen Reichtums und im Vertrauen aus die zeittose Frei­gebigkeit Englands zusammengebest-elt hatte, hat gar kein« Beachtung gefunden, was den Urheber so verdroß, daß er ga, nicht mehr mrttun wollte. Aber aller Wahrscheinlichkeit nach wrÄ er doch nach Paris kommen.

Die Amerikaner werden aus der Konferenz amtlich nicht vertreten sein; die schroffe Zurückweisung ihrerguten Ratschläge" durch die Blätter Poincares hat augenscheinlich in Washington verschnupft und die grobe Weigerung Poirv-

übrigen Bankiers auf der Konferenz auch nur zur Er­wähnung bringen zu lasse», hat die Stimmung nicht ver­bessert. So ist es von demEingreifen" Amerikas ganz still gewogen und der Dollar ist von 6000 auf fast 8000 wieder gestiegen. Das schließt aber nicht aus, daß die Pariser Kon­ferenz mit der größten Aufmerksamkeit beobachtet wird, denn in Amerika weiß man ganz gut, daß die französische Politik die Entschädigungsfrage in alle Ewigkeit nicht lösen kann und nur zur Vernichtung nicht ttoß Deutschlands führen muß; man weiß, daß das verschuldete Europa das amerika­nische Geld braucht. Welches sind denn die Staaten, die bei den 11 Milliarden Dollar am tiefsten im amerikanischen Schuldbuch angekreidet sind? Das ist vor allem Frank­reich. -Amerika kann warten, bis man es ruft, und rufen wird man es. Es wird aber auch kein Bedenken tragen, wenn das eigene Interesse seinEingreifen" ohne Ruf wün­schenswert macht. Senator Borah hat ja nun im Senat Farbe bekannt und offen ausgesprochen, daß dieverzwei­se l t e Notlage der amerikanischen Farmer di« Oeffnung des deutschen Markts gebieterisch verlange. Unser« Vermutung über die Gründe des amerikanischen Eingreifen- wollens hat sich also vollkommen bestätigt. Präsident Har­bins soll mit dem Vorschlag Borahs, eine Weltkon- ferenz über eine allgemeine Abrüstung cinzuladen, nun­mehr einverstanden sein. Darüber wird allerdings verschie­den berichtet, je nachdem die Meldungen über Newyork, Lon­don oder Paris kommen.

Mittlerweile haben die Amerikaner die Erfahrung ge­macht, daß es doch nicht gut sei, wenn ein Land möglichst v iel G o ld an sich zieht, sintemal dem Gold die War»n fol­gen. Will sagen: je größer der Goldbesitz eines Landes übe, ein gewisses Verhältnis zu seinen sonstigen Wirtschaftskräften hinaus ist, desto schwerer wird es ihm, seine eigenen Waren zu verkaufen und desto mehr wird die Auslandsware in dieses Land einströmen. Das ist bei den Vereinigten Staaten mi! mit ihrem Goldbesitz von 16 Millarden Dollar bereits de, Fall. Wie der Staatssekretär für Handel. Hover, mit­teilte, wird die frühere große Ausfuhr Amerikas durch di« Einfuhr iu kurzer Zeit trotz der hohen Schutzzölle einge- holt sein. Bevor die Einfuhr die Ausfuhr übersteigt iwill die Regierung daher einenTeil des Golds nack Europa zurückfl-ießeu lassen, eine Maßnahme, d« dem amerikanischen Handel wie den notleidenden Währun­gen der eurpäischen Länder in gleicher Weise zugute käme

In Berlin sind die Beratungen mit den Sach verständigen über die Vorschläge ab ge schlosse« chnd die Reichsregierung hat auf Grund des gewonnene» Einblicks in die wirtschaftliche Lage den Vorschlag festgesetzt den sie der Pariser Konferenz übergeben will. Ob dieser Vor­schlag dieendgültig e"" Lösung der Entschädigungfrag« in sich begreift, ist noch unbekannt. Selbstverständlich mus es das Bestreben sein. einer endaüliiaen Lösung zu kom-