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E Nggstder Tagblaü

Bchttfrlctrung, Drucl n':d Berlae von <8. Satisr (Karl Sailer) Nagold.

Dienstag, den 19. Dezember 1922

ttetste Zeitung im Obeeamtsbezirk. An» zeigen find daher von bestem Erfolg.

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Tagesspiegel

Die in Toulon noch zurückgehaltenen deutschen Kriegs gefangenen sindbegnadigt" worden und foken noch vor Weihnachten zurückbefördert werden.

Der deutsche Botschafter in Washington hat ln Neuyorl eine Unterredung mit Morgan gehabt.

Der englische kriegsminister Lord Derby wies in eine, Besprechung mit dem Präsidenten Millerand in Paris daraus hin, daß die militärische Besetzung des RuhrAebiets in de, vffenttzchen Meinung Englands aus den schärfsten Widerstand stoßen würde. '

Senator King hat im amerikanischen Senat einen Ent- schließungsankrag eingebracht, daß Präsident Harding zu, Einberufung einer zweiten Abrüstungskonferenz für Staaten, mit denen die Vereinigten Staaten in diplomatischen Be- Ziehungen stehen, ermächtigt werden soll . Die Konferenz soll mit der Herabsetzung deriRüstunyen zu Wasser und zu Land durch allgemein gültige Verpflichtungen durchgreifend Ernst machen, um die übertriebenen und unnütze «Ausgaben für Sriegsvorbereitungen zu beseitigen.

Araber haben die italienischen Stellungen in Tripolis an­gegriffen und sie ans mehreren Orten vertrieben. Die Italie­ner sehen die Stadt Tripolis mit Drahtverhauen usw. in Ver- teidigungszustand.

Die amerikanische Hilfe

Ein Dendchiunkt

Ihr Berichterstatter hatte eine Unterredung mit den! Leiter einer deutschen Großbank, der läufig von der Regierung zu Rae gezogen wird. Dieser Gewährs­mann sprach sich über die in Aussicht stehnde amerikanische Hilfe folgendermaßen aus: Es wird keine unmittel­bare Hilfe für Deutschland sein. Die vertrauensselige Duselei, mit der wir seit Wilson schon mehrmals hineinge- jallen sind, sollten wir endlich ablegen. Aber es ist zweifel­los Hilfe für ganz Europa zu erwarten und das genügt, um auch den schwergeprüften Deutschen etwas aufaimen zu lassen. Vor mir liegt die kürzlich erschienene Schrift eines führenden amerikanischen Bankiers, Julius S. Bach. Sie ist die gedruckte Ansprache in einer Versammlung der Han­delskammer in Chicago und trägt den bezeichnenden Titel: Die Notwendigkeit, daß wir (in Amerika) sofort die Füh­rung in Europa übernehmen." Das ist ein wenig über- irieben ausgedrückt, aber es ist etwas daran. Wie auch die französische Entschädigungspolitik sich weiter entwickeln wird, unter Poincare oder unter einem Nachfolger, sie steht einer geschlossenen Front in England und Amerika gegenüber, die statt eines Vormarsches ins Ruhrgebiet den Schuldenaus­gleich und die wirtschaftliche Verständigung erwartet. Ueber den Begriff des Schuldenausgleiches nach amerikanischer Auffassung herrscht in Deutschland vielfach ein Mißverständ­nis. Was man in Amerika darunter versteht, hat das Mit­glied der Schuldenfundierungskommission des Washingtoner Kongresses, Bur ton, in einer Rede erklärt. Er meinte das Heilmittel für die europäische Krise liege nicht etwa ir> der Streichung der Amerikanischen Schulden, sondern voi allem in der Durchführung einer vernünftigen Finanzpoli­tik, einer Herabsetzung der militärischen Ausgaben und der Schaffung vernünftiger und festerer Beziehungen anstelle des gegenwärtigen Mißtrauens und der Feindseligkeit. Burtor deutete an, daß bis zur Verwirklichung dieser Forderungen es bessr sei, wenn keine starren Bestimmungen für »die euro­päischen Länder geschaffen würden."

Das ist alles, was man bis jetzt über das amerikanisch« Programm weiß. Fest steht, daß Präsident Harding seine bisherige Zurückhaltung aufgegeben hat u cd noch vor dem 2. Januar, an dem die Pariser Konferenz beginnen soll, einen entscheidenden Schritt tun wird. Vorbereitungen zu diesem Schritt sind längst im Gang. In Berlin hat der ame­rikanische Senator Mc Cormick gearbeitet. Er verhan­delte mit Reichskanzler Cuno und dein Außenminister v, Rosenberg. Er begab sich dann mit dem amerikanischen Botschafter Houghton nach Paris und weilt, wenn wi, recht unterrichtet sind, zurzeit in London. Wahrscheinlich handelt es sich bei diesen Verhandlungen um Vorschläge für einen europäischen Friedensabschluß, auf dessen Notwendig­keit Lord Grey im Oberhaus abermals hingewiesen hat, Die amerikanische Auffassung ist dabei, daß die Herrschaft der militärischen Besetzungen und der Psänderpolitik ersetzt wer­den müsse durch einen Sicherheitsvertrag für Europa nach dem Muster des auf der Washingtoner Abrüstungskonferenz Zwischen den Vereinigten Staaten, England, Frankreich und Japan abgeschlossenen Vertrags für das Stille Weltmeer.

Diese amerikanischen Gedanken haben zweifellos einen

großen Zug und das wesentliche an der neuen Wendung der intrnationalen Politik ist, daß die öffentliche Meinung Eng­lands vollständig einig mit der amerikanischen geht. Wi« soll sich nun die deutsche Regierung gegenüber den Aussichten verhalten, die sich da eröffnen? Die Cunoschen Vorschläge sind von -den Verbündeten aus der Londoner Kon­ferenz nur förmlich als im Augenblick nicht erörterbar abg«- wNiesen worden. Tatsächlich sollBonarLaw sie als dis Grundlage weiterer Verhandlungen betrachten. England erwartet ein deutschen Programm und darin den ausführ­lichen Plan einer Anleihe und zwar zunächst einer inne­ren Anleihe. Seit drei Tagen verhandelt die Reichsregie­rung wieder mit der Industrie, und auch die Bankwelt ist zugezogen. In Anknüpfung an dag Sicherhsitsabkommen soll die ganze Frage der Kriegsentschädigung ausgerollt wer­den. Di« Amerikaner scheinen zu erwarten, daß wir ihnen mit Vorschlägen auch über die äußere Anleihe zuvorkom­men.. Hilf dir selbst, dann helfen wir weiter! Das ist un­gefähr die Meinung, die Washington für Europa ausgegeben hat. Die deutsche Diplomatie sollte gerade jetzt die Hände nicht in den Schoß legen. Es läßt sich noch manches retten - er.

In der Sitzung der französischen Kammer am Freitag erklärte Poincare über den Verlauf der Londoner Konferenz:

In keinem Punkt brauchte ich die Haltung zu ändern, die ich bisher einnahm. Frankreich, das bereits hundert Milliar­den vorschoß (?), ohne irgend etwas bezahlt zu erhalten (!?), kann diese Vorschüsse nicht fortsetzen, ohne selbst vorher be­zahlt zu werden. Außerdem hat Frankreich gegenüber der Verbündeten Schulden 13 Milliarden Goldmark gegenüber England, 10 Milliarden gegenüber den Vereinigten Staaten, gewissen Nationen schulde Frankreich 5 Milliarden Goldmark, Kann es auch nur den geringsten Vergleich zwischen diesen Schulden und der deutschen Schuld geben? Sicher nicht. (Leb­hafter Beifall). Die interalliierten Schulen rühren aus An­käufen her, die für den gemeinsamen Kampf gemacht wurden. Das sind wahre gemeinschaftliche Kriegsschulden. Deutschland muß diese Kosten zurückerstatten, die Losten des Kriegs, an Lessen Ausbruch sich Deutschland schuldig erklärt. Wir können aber incht zustünmen, daß die deutschen Schulden vermindert werden, ohne daß uns hierfür Ausgleiche an unseren Schul­den gegenüber den Verbündeten zugsstanden werden. Im Namen Frankreichs lehne ich jeden Gedanken einer Gebiets- Beschlagnahme oder-einer militärischen Antecnehmung ab, weil so etwas niemals in unserer Absicht lag.

Angesichts dieser Erklärung weiß man nicht, was man mehr bewundern soll, die Keckheit Poincares, die Wahrheit nicht zu sagen oder die Zumutung, seine Worte glauben zu sollen. Wie Poincare in Wirklichkeit denkt und -was er wirk­lich will, enthüllt

Der zweite Artikel Lloyd Georges, den er imDaily Telegraph" veröffentlicht als Antwort an Poincare. Lloyd George erbringt darin den Beweis, daß tat­sächlich in Frankreich starke Stimmung für den Raub der RhcinlnnLe herrschte.

Er schreibt, der Abbruch der Londoner Konferenz und ins­besondere die Ursache dieses Abbruchs beweist, daß die War­nung die er (Lloyd George) in seinem letzten Artikel erteilte notwendig war und daß es Zeit war, diese Warnung zu er­lassen. Poincare forderte die Besetzung des einzigen rei­chen kohlengcbiets, das Deutschland noch geblieben ist, als Garantie für die Durchführung unmöglicher Bedingungen. Weil ich tief davon überzeugt bin, fährt Lloyd George fort, daß die Politik, die durch diesen Plan dargestellt wird, die Ursache der größten Schwierigkeiten für Europa und die Welt wäre, stieß ich einen Warnungsruf aus.

Der Rheinstaat war der Hintergedanke bei allen französi­schen Manövern während vieler Wochen und Monate. Ob man sich nun um den Völkerbund, die deutsche Flotte oder das Statut von Fiume kümmerte, immer entspann sich der eigent­liche Kampf um den Rh ei n. Einerseits mußte man sich fra­gen, was Frankreich fordern würde, andererseits wie weit di« Verbündeten nachgeben wollten. Der Streit wegen des Rheine dauerte während zahlreicher Debatten fort, wie sehr auch das jeweils erörterte Thema abseits vom Rhein lag. Marschall Foch erklärte immer wieder, die Sicherheit und dis Bestim- mung'Frankreichs forderten den Rhein als natürliche Grenze. Tardieu schreibt in seiner Denkschrift vom 12. März 1919, im allgemeinen Friedensinteresse und um die Bestimmungen über den Völkerbund ins Leben zu rufen, müsse die deutsch« Westgrenze an den Rhein gelegt werden.

Lloyd George fährt fort: Es liegt ein sardonischer Humor in den Wortenim allgemeinen Interesse des Friedens" und um die Bestimmuugen über den Völkerbund zu schützen", wenn man gleichzeitig das linke Nheinufer beschlagnahmen will. Aber diese Denkschrift beweist, daß Clemenceau und Tardieu sich zu der Lehre bekannten, welche den Rhein als die natürliche Grenze Deutschlands betrachtete. Durch Amerika und England wurde Clemenceau später

veranlaßt,auf diese Stellung zu verzichten, oder vreryenn- sche Partei in Frankreich verzieh ihm das nie und seine Stsl- luna'kostete ihm den Präsidentenstuhl.

Man hat eingewendst, daß die deutsche Grenze zwar am Rhein sein solle, daß aber das Gebiet am linken Rheinusei nicht annektiert", sondern in eineunabhängige Republik" umgewandelt werden solle.

Welche Unabhängigkeit und welche Republik wären ge­schaffen worden? Alle deutsckmr Offiziere hätten ausgewiesen werden müssen, das Land hätte vom wirtschaftlichen Leben Deutschlands abgekrennt werden sollen, es hätte keine Be­stehungen mit dem deutschen Vaterland unterhalten dürfen, der Rhein hätte hauptsächlich von französischen Trrrppen be- seht werden sollen, das Gebiet der unabhängigen rheinischen Republik wäre von auswärtigen Soldaten besetzt worden, und die jungen Leute der Rheinlande wären in das französische Heer eingereihi worden, damit sie sich gegen ihre eigenen Landsleute am anderen Rheinuser schlügen. Und das alles sollte keineAnnektion" bedeuten?

Und Poincare hat jetzt die Kühnheit zu erklären, er lehne jeden Gedanken einer Gebietsbcschlagnahme ab, weil so etwas niemals in der Absicht Frankreichs gelegen Habel

Die Schuldenverteilu-ig in Oesterreich- Ungarn

Die Pariser Entschädigungskommission hat dieser Tage die Verteilung der V o r k r i e g s s ch u ld e n der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie entschie­den, kurze Zeit nachdem durch die Hilfsanleihe des Völker­bunds eine etwas mildere Haltung gegenüber Oesterreich sich anbahnen zu wollen schien, dis allerdings mit der finanziel­len Rechtlosigkeit der Regierung und des Nationalrats in Oesterrei erkauft werden mußte. Der Urteilsspruch der Entschädigungskommission ist nun aber geeignet, das ganze Hilfswerk durch die ohnehin drückende Anleihe wieder über den Haufen zu werfen. Es handelt sich, wohlgemerkt, um die Staatsschulden vor dem Krieg, nicht etwa um die Kriegs­schulden oder die Kriegsanleihe und dergleichen, von denen die von der Monarchie losgerissenen und an Rumänien, Polen, Tschechoslowakei, Südslawien und Italien verteilten Gebiete von vornherein befreit wurden, so daß die Kriegs­anleihe z. V. nur das heutige kleine Oesterreich mit etwas über Millionen Einwohnern belastet.

Gerecht wäre es grossen, wenn man'die Vorkriegsschul- den so verteilt hätte, daß man die Größe des Gebiets, die sich mit der Verhältniszahl der Bevölkerung so ziemlich deckt, als Grundlage angenommen hätte, wobei sich der Anteil Oesterreichs auf etwa 20 Prozent belaufen haben würde. Nach dem Spruch der Entschädigungskommission wird aber der Anteil auf nicht weniger als 3 6 Prozent festgesetzt, während sich der Anteil der Tschechoslowakei, mit einer dop­pelt so großen Bevölkerung, mit ihrem ungeheuren Reich­tum an landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Bodenschätzen von Kohlen, Eisen usw. und mit ihrer gewaltigen industriel­len Ausrüstung nur auf 42 Prozent beläuft; der Anteil Jugoslawiens und Italiens zusammen beziffert sich mit 22 Prozent. Maskiert wurde diese ungerechte Aufteilung durch den Hinaus auf die Steuereingänge unter Zugrundelegung der Durchschnitte der Jahre 19111913 (!). Die Kommis­sion scheint vor Fällung dieses irrsinnigen Spruchs von dni Tschechensehr gut beraten" worden zu sein. In der Vor­kriegszeit hatten die meisten großen Unternehmungen, Ban­ken, Bahnen und Industriegesellschaften ihren Sitz in Wien. Der überwiegende Teil hiervon ist heute längst abgewandert, zumeist nach der Tschechoslowakei. Dis Verhältnisse in der Steuerkraft haben sich gegenüber der Vorkriegszeit grund­stürzend geändert. Und wenn nun gleichwohl nach diesem veralteten Schlüssel die Aufteilung der altölterreichischen Vor­kriegsschulden vorgenommen wurde, so ist dies eine Entschei­dung, die nur nach politischen Gründen zu bewerten ist.

Es wäre verfehlt, vielleicht angesichts der Entwertung de: österreichischen Krone die Frage finanzpolitisch zu unter­schätzen. Nach dem Spruch der Kommission ist Oesterreich mit über drei Milliarden Kronen belastet. Dies sind nun keineswegs Papierkronen, sondern hinsichtlich jener Schul­den, die sich im Besitz auswärtiger Gläubiger befinden, oder auf auswärtige Valuten lauten, Goldschulden und dem­nach Goldkronen oder in auswärtigen Zahlungsmitteln zu verzinsen und zu tilgen. Am schlimmsten ist die Lage bei der österreichischen Goldrente, deren Zinsabschnitte nach den Vorkriegsverhältnissen in alten Goldgulden, Mark und Fran­ken, je nach der Wahl des Gläubigers, einzulösen sind; dann bei der Silberrente, bei welcher ausdrücklich Zahlung in Silber versprochen wurde; schließlich auch bei den Eisenbahn­anleihen, wo die Verzinsung in Mark, Franken oder hol­ländischen Gulden zugesagt worden war. Da sich nun von der österreichischen Eoldrente über 60 Prozent im Ausland befinden und dieses Ausland vollwertige Zahlung verlangen wird, kann man annehmen, daß beiläufig zwei Milliarden Kronen von den gesamten Vorkriegsschulden eine Goldschuld bedeuten, was den überlasteten österreichischen Staatsfinan­zen eine wettere Schuld von mehr als 20 Billionen Papier- ironen aufbürdet. .