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Ragolder Tagblatt

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Dienstag» den 5. Dezember 1922

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96. 3«chrg«mg

Tagesspiegel

Prinz und Prinzession Andreas von Griechenland hüben Las Land bereits verlassen.

In der Kchcvcnz wird das Ergebnis der Volksabstimmung über den sozialistischst» Antrag der Vermögensabgabe als ein großer Lieg der vernünfli§en Privatwirtschaft über die omk- munrstisHe Betriebsweise gefeiert. Der gesunde Sinn der Schweizer habe eine schwere Gefahr für die Volkswirtschaft, die in dem Antrag verborgen gewesen sei, abgewchrt.

AlorMN erklärte bei seiner Rtzckkehr nach Vewyork, er be­absichtige nicht, an der Jinmizkonferenz in Brüfftl testzuneh- men.

In Paris spricht man von den» Rücktritt des hrLüLLs» Rtinisteroräsidenten Theunrs.

Es ist etwas im Werk

An auffälliger Weise wird in englischen Regierungs­kreisen und in den Regierungsblättern plötzlich viel Auf- hebsnds von angeblichen Verfehlungen Deutschlands gegen­über den militärischen Ueberwachungskommijsionen und in der Behandlung der Ausländer durch Fremdenst.nler unk höhere Preisberechnung gemacht, so daß man sich des Ver­dachts nicht erwehren kann, die englische Negierung suche nach Vorwänden, um.vor der öffentlichen Meinung einen Umsall vor den neuen Plänen Poincares in bezug ach das Rhein- und Ruhrgebiet zu rechtfertigen. Es scheint, daß die englische Regierung den Franzosen einen vollständigen oder doch sehr weitgehenden Verzicht auf dir Schuldm Frankreichs bei England und auf den englischer Anteil von der deutschen Kriegsentschädigung anbieten wird um damit die Unterstützung im Orient zu erkaufen, daß si< jedenfalls keinen Widerstand leisten wird, wenn Poincare mit derPolitik der Pfänder" Ernst macht. Andererseits erführt der LondonerDaily Herold" aus Lausanne, di« französische Vertretung aus der Friedenskonferenz habe di« Weisung erhalten, den englischen ForderungenWohlwollen! den Vorrang zu lassen".'

Die Pariser Presse hinwiederum benutzt die Tatsache, daß der ruffische Volkskommissar für Auswärtiges, Tschitsch erin»Wauf der Reise nach Lausanne in Berln sich aufgehalten und mit Reichskanzler Cuno und den Außenminister Nosenberg eine Unterredung ge Hab hat, zu der Verdächtigung, zwischen Berlin und Mos­kau sei eine Verständigung über eine gemeinsam« Politik vereinbart worden, die eine Ergänzung zu den geheimen Bündnis von Rapallo" auch insofern bilde, als nunmehr auch die Türkei in den Bund hereingenommen worden sei. Auch Clemenceau hat in seinen Vorträge» in Amerika sich nicht genug tun können, das Gespenst des deutsch-russisch-türkischcn Dreibunds an dir Wand zu malen, von dem ja auch Mussolini gescheit hat Fast gleichzeitig spricht auch die LondonerDaily Mail" von einem geheimen Militärbündnis der drei Staaten, das ums« gefährlicher sei, als Sowjetrußland daran sei, sich mit Rumänienzu verständigen. Man dürfe nicht über- sehen, daß die 8 verschiedenen Sowjetrepubliken, die ach dem Boden des Zarenreichs entstanden sind, nach der Er­oberung Wladiwostoks durch die roten Truppen am 25. Oktober sich zu einem politischen Ganzen zwar nicht wieder verschmolzen, aber eng zusammenschließen und nach «ruhe» eine geschloffene Einheit bilden. Durch den Beitritt Afghanistans, das durch Kcmal Pascha und den von den Bolschewisten in Turkestan im letzten Spätsommer ermordeten Enver Pascha ein tüchtiges und wohlbe- wasfnetes Heer geschaffen habe, sei die bedrohliche Macht des östlichen Dreibunds nicht unwesentlich -verstärkt worden. Es sei gar nicht zu bezweifeln, daß die Unterredung, die der von der Friedenskonferenz nach Angora zurückgekehrte tür­kische Vertreter Rauf Bey mit dem russischen und afghanischen Gesandten in Angora hatte, sich auf etwaigen militärischen Widerstand gegen die Beschlüsse der Friedens­konferenz bezogen habe.

Der Zweck aller dieser Ausstreuungen kann nur der sein, die Stimmung.für die Zusammenkunft des Obersten Rats in London vorzuüe-reiten, die am 10. Dezember stattstnden soll. Deswegen ist die Frist zur Be- zahlung der bayerischenGenugtuung" aus den 10. Dezember fest-gesetzt worden, wie im August, vor der damaligen Londoner Konferenz Poincare sein«Retor­sionen", die Altsweisungen und Bermög-msbefchlagnahme der Deutschen in Elsaß-Lothringen als Stimmungs­mache aufs Tapet gebracht hatte. Der PariserJntvansigs- ant" tut offenbar in höherem Auftrag noch ein übriges, wenn er behcaMgt, die deutsche Reichsregieruyg habe in

einem vertraulichen Rundschreiben die deutschen Indu­striellen aufgefordert, insgeheim den Preis für ihre Lie­ferungen auf Rechnung der Kriegsentschädigung nach Frankreich um das Neunfache, nach England am 65 Prozentzu erhöhen. Das englische Publikum hat die Pariser Meldung selbst vorgesetzt bekommen; von der amtlichen deutschen Erklärung, daß ein solches Rundschreiben nie hinausgegsben worden sei, wird es ohne Zweifel nichts erfahren.

Auf oh« inzwischen erfolgteVerständigung" zwischen dem amtlichen England und Frankreich deutet es ferner hin. daß England geneigt ist, seinemoralische Entrüstung" über die Athener Bluttaten fallen und die Hinrich- bwrgen aus sich beruhen zu taffen- Lord Curzon erklärte dem Herrn Venizelos, dieAbreise" sie war ein« Abberufung des englischen Gejandetn Lindley von Athen bedeute noch keineswegs den Abbruch der politischen Be­ziehungen. Venizelos verstand den Wink, und er fühlt sich so sicher wie je. Frankreich hat wegen der Athener Vorgänge keines Finger gerührt, und Mussolini will sich jetzt, der Form halber, mit einem Höflich gehaltenen .Einspruch be- anüaev. ' .

Kapitän Ehrhardt

Wie berichtet, ist Kapitän Ehrhardt von Polizei- beamten des Reichsgerichts unter Führung eines Reichsge­richtsrats, ohne die Mitwirkung und vielleicht ohne Var­missen der bayerichen Polizei, in München verhaftet und nach Leipzig gebracht worden. Im Hotel Marienbad soll er sich wiederholt wochenlang unter falschem Namen aufgehal­ten haben. Damit wird nun vor dem Reichsgericht ein Pro­zeß beginnen, der über die vielgenannteOrganisation L" Licht bringen soll.

Ehrhardt ist der Sohn eines früheren Pfarrers in dem badischen Ort Weil im Markgräflerland, nahe bei Basel. In Lörrach machte er seine Gymnasialzeit durch, die mit einer Pistolenforderung an einen unbeliebten Lehrer abschloß. Darauf trat er in die deutsche Kriegsmarine ein. Im Krieg befehligt«'Ehrhardt mit großem Geschick-eine Torpedoboots­slottille. Im Wirbel der Revolution wurde er von den ihn vergötternden Truppen an die Spitze der zweiten Marine- brigade im Lager Döberitz gestellt, mit dmen Hilfe General von Lüttwitz in der Nacht zum 13. März 1920 Berlin überrunrpelte, um die Revolutionsregierung zu stürzen- Es war dies der bekannte Kaxp-Putsch. Als nach acht Tagen di« Regierung Kapp" gusammenbrach, marschierte Ehrhardt mit seiner Brigade nach dem Munsterlager, unerreichbar und ungreifbar für die Verhastungskomnüssion des Reichs- wehrministers Geßler. Mit ungewöhnlicher Treue und Ver­ehrung hing die Brigade an Ehrhardt. Diese Soldaten und Offiziere bildeten mit ihrem ausgezeichneten Menschen­material, ihrer Disziplin und dienstlichen Schnoiüigkeit ein« Mustertruppe, die einer besseren Roll« würdig gewesen wäre. Kapitän Ehrhardt galt seinen Leuten als der stärkste Mann im Reich. Schließlich zog er doch vor. wie er verkünden ließ, sichin Sicherheit zu begeben". In einem langen Ab­schiedsbefehl begründete er seine Flucht damit, daß di« sicher lange währende Untersuchungsl>afl nach all dem bis­her Durchgemachten seine Widerstandskraft brechen würde, so daß er bei der Hauptverhandluug nicht mit der erfor­derlichen Kraft für das Geschehene einstehen könnte und der Gegenpartei leichtes Spiel ließe". Die Regierung hat in 2ii Jahren Material gegen Ehrhardt gesammelt. Die gegen ihn gerichtete Anklage behauptet, er l>abe sich an Bankgrün­dungen beteiligt zu dem Zweck, um für neue Anschläge gegen die republikanische Regierung die Geldmittel zu beschaffen Sein Ziel soll nach der Anklage die Errichtung eines Wittelsbachischen Reichs sein, das außer Bayern noch Tirol und Salzburg, womöglich aber das ganze Deutsch- österveich umfaßt, das mit Hilfe Ungarns besetzt und nie­dergezwungen werden solle. Di» Erhebung Mussolinis und der Umschwung in Italien haben den Plänen Ehrhardts neuen Antrieb gegeben. Er habe an die Gründung eines Faszrstenheeres gedacht, das in Bayern, Ostpreußen, Pommern und in der Neumark aufgestellt werden sollte. Mit den Wer­bungen Hand in Hand sollte die Einrichtung von Waffen­lagern gehen, aus denen das deutsche Faszistenheer im ent­scheidenden Augenblick auszurüsten wäre. (Die Herren von der Entente brauchen nicht die Stirne zu runzeln! Dies« Nester sind bereits alle wieder ausgehoben.) Der gewalt­samen Einverleibung Nordtirols in das italienische Staats­gebiet sollte eine bayerische Erhebung zuvorkommen. Di« Besetzung Tirols sollte das Signal für die Vereinigung Oesterreichs mit Bayern unter Mttelsbachischem Zepter sein.

In deutschnationalen Kreisen hat man sich längst von Ehrhardt abgewandt und sein« Pläne, soweit sie aus den gegen ihn von Regierungsseitr erhobenen Beschuldigungen bekannt waren, als gemeingefährlich, ja hochverräterisch verurteilt. Eine mittelbare Folge davon mögen die Ab­splitterungen der Partei im Reichstag und in Bayern ge­wesen sein. Das weitere ist nun Sache des Reichsgerichs.

Der Reichskanzler Lei der Presse

Die Aufgaben der Regierung. Vertrauen gegen Vertrauen

B e r l i n, 4. Dezember.

-An den Räumen des Reichstags veranstaltete am Sonntag oer Verein Berliner Presse einen Empfang, dem Reichspräsi­dent Ebert, Reichskanzler Cuno, die meisten Reichsminister, Vertreter der staatlichen und städtischen Behörden, viele Ab­geordnete und eine Anzahl sonstiger hervorragender Persön­lichkeiten anwohnte.

Reichskanzler C u n o führte in einer Ansprache aus:

Das festliche Beisammensein von Presse und Negierung im Hause des Parlaments führt die drei Faktoren vor Augen, die für die Zukunft Deutschlands bestimmend sein werden. Die Zusammenarbeit von Presse, Parlament und Regierung muß zusammenklingen zu dem einen Akkord, daß wir gemeinsam arbeiten und streben dem einen Ziel entgegen: Dem Wohl und der Wiederaufrichtung des deutschen Volkes, dem dieses Haus gewidmet ist. Die Einheit des Ziels bedeutet nicht die Gleichheit des Weges und nicht einmal die Gleichheit des Aus­gangspunktes der Arbeit. Die Presse sei freier, der Abgeord­nete nicht so frei und der politisch verantwortliche Regierungs­leiter am wenigsten frei in seinen Aeußerungen. Aber wenn Sprache, Wege und Ausgangspunkte auf dasselbe Ziel ge­richtet seien, dann werde das wechselseitige Verstehen einen lebendigen Gedankenaustausch, ein gegenseitiges Geben und Nehmen bedeuten. Die Presse solle geben, sie solle der Regie- nmx ein zuverlässiges und wahres Bild der Gedanken und St'mmungen in dem Volk geben, das hinter ihr stehe, denn Parlament und Regierung könnten nur bestehen, wenn sie sich mit der großen Mehrheit iss Volks in Uebereinstimmung befänden. Und die Presse solle nehmen, sie solle von der Ne­gierung die Erklärungen entgs gennehmen und solle die Be­richte über die Sitzungen und alles Geschehen innerhalb des Negierungsapparates dem Volk wahrheitsgetreu und sachlich vermitteln. So werde die Presse beim wechselseitigen Geben und Nehmen züm eigentlichen Bindeglied zwischen Volk, Par­lament und Regierung. An den Richtlinien des neuen Kabi­netts in der inneren und äußeren Politik, die er vor genau neun Tagen von demselben Platze aus besprochen habe, habe sich nichts geändert. Die Mitglieder des Kabinetts haben so­fort ihr« sachliche Arbeit, entsprechend dem im Reichstag ver­kündeten Arbeitsplan, ausgenommen. Niemals sei im Kabinett auch nur der leiseste Zweifel geäußert worden, daß dieses Kabinett nicht auf dem Boden der Verfassung stehe, auf die ' alle Mitglieder vereidigt seien. Und sie seien bereit, ihren Eid zu halten. Auch von Meinungsverschiedenheiten inner­halb des Kabinetts habe er bisher nichts erfahren.

Die Beziehungen zu den Ländern seien sofort ausgenom­men worden in der Ueberzeugung, daß nur eine von dem Vertrauen der Länder getragene Reichsregierung in der Lage sei, die Einheit nach innen und außen zur Geltung zu bringen, die wir vielleicht schon bald bitter nötig haben würden. Was die Sorge betreffe, wie lange diee Regierung wohl Regierung blciben werde, so antworte er darauf: Solange wir von dem Verlegnen des Volkes und des Parlaments getragen sind, so lange werden wir unsere Pflicht bis zum letzten Rest unserer Kraft tun, aber auch nicht länger. Es fehlt an Vertrauen zwi­schen den einzelnen Volksgenossen, zwischen den verschiedenen Klassen und Berufsschichten. Es könne jedoch nur eine Arbeit, die von Volksschichten getragen werde, die sich der Not der arbeitenden Klasse ebensowenig verschließen wie der des Mittelstands oder des Unternehmertums, in der heutigen Zeit im Innern Früchte tragen. Dieses Vertrauen müsse aber auj eine feste Grundlage von Moral und AutorMt gegründet sein. Die Umschichtung aller Volksteile und auch der ver- mögenden Klasse sei so gründlich, daß di« Reichen sich zwar der Rechte, aber nicht der Pflichten des Reichtums bewußt seien. Spiel und Tanz spielten eine ausschlaggebende Rolle, während auf der anderen Seite viele Tausende von Volks­genossen in bitterer Not verkümmerten. Das sei nicht das richtige Vertrauen, die richtige Hilfsbereitchaft. Selbst wenn die Regierung mit freigebiger Hand gebe, o ei das nur eiv Tropfen, der das Elend zu verhüten nicht imstande sei. Er rufe daher die private Hilfe des einzelnen an. Auch der Welt febtr das Vertrauen, und das ist der Grundstock allen Uebels. Die Welt müsse wissen, daß wir, ein Volk in tiefer Not, ehrlich bestrebt seien, eine Lösung der außenpolitischen Fragen zv linden, eine Lösung, die uns Arbeit und Existenz unter Er­füllung der vereinbarten Verpflichtungen ermögliche. Solches Streben heiße das Vertrauen der Welt wieder Herstellen. Der Grundsatz, Laß wir nicht mehr als im Rahmen der Note von 13. November leisten können, kann den Verständigen, der di, deutsche Wirtschaft kennt, nicht enttäuschen. Hat jemals die vollständige Vernichtung des Schuldners oder gar sein Selbst­mord dem Gläubiger dazu verholfen, seine Forderungen er­füllt zu erhalten, oder ist es nicht richtiger, daß die Beiden zu- jammentreten und mit offenen Karten miteinander verhan­deln? Diese Wahrhaftigkeit, ohne die eine Lösung nicht ae- funken werden kann, nehme ich für mich in Anspruch. Wir müssen mit Frankreich in Ordnung kommen, wo n.-msr die Möglichkeit von Verhandlungen geboten wird. Hinsichtlich der Lösung der Entschädigungsfrage werden die Mitglieder dcs neuen Kabinetts nicht die Hand in den Schoß legen und ein­fach warten, auch nicht auf Las Mitleid anderer.