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Nr. 21S "
Gegründetes Aernsprecher 7to. 2S.
«christlettilng, »ruck und «erlag van ». W Zatser («arl Kaiser, Nagold.
Dienstag, den 19. September 1922
Verbreitetste Zeitung tu> Oberamtsbezirk. — Ar« zeigen find datier von bestem Erfolg.
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96. Jahrgang
Tagesspiege!
Ler Reichstag wird am 17. Oktober wieder zusammen treten.
Das englische Mitglied der Enkschadigungskommissior Bradbury ist zur Berichterstattung in London eingetroffen Die Londoner Blätter meinen, die Lösung der Entschädi gungsfrage sei an ihrem entscheidenden Punkt angelangk.
Der Londoner „Sunday Expreß" läßt sich aus Rewyor! melden, die Regierung der Vereinigten Staaten würde ir dem Vordringen Keniat Paschas auf europäischen Boder eine große Gefahr erblicken.
Aus Tokio wird gemeldet, die Mandschurei sei von japa urschen Truppen geräumt.
Poincare vor dem Sieg
Von einem Außenpoliliker
Die Frage der Schatzwechsel-Zahlungen wird immer verwickelter. Die Reichsregierung könnte sich bei der augenblicklichen Undurchsichtigkeit der Lage wie ein Tintenfisck aus der «ache ziehen» Aber für wie lange? Sie will dar sicher nicht. Sie will Klarheit und ehrliche Austragung. An genommen, die Bemühungen des Reichsbankpräsidenten Ha venstein, der nach London gesandt worden ist^ haben Ersatz, und die Bank.von England verbürgt, um Deutschland du Goldauslieferung zu ersparen, die Einlösung der deutscher Schatzwechsel an Belgien binnen 3 Monaten, angenommer ferner, die Bank von England würde, weil das Geld ir Deutschland nicht aufzutreiben ist, Anfang 1923 die 27( Millionen Mark bezahlen — sie würde das wohl durch Be leihung der deutschen Schatzwechsel tun — welche Sicherheit hat sie, daß sie wieder zu ihrem Geld kommt? Dii Reichsbank müßte die Sicherheit bieten, daß sie die 270 Millionen binnen längstens 18 Monaten in Gold oder Ausland- wechseln zahlt. 18 Monate waren ja auch die Frist, die mar den Belgiern für die Umlauf-Verlängerung angeboten hat > Aber die Bürgschaft, wenn man eine solche dem kranker deutschen Wirtschaftsleben abgerungen hat, ließe sich gar nicht der Bank von England und etwa holländischen Banken wenn sich welche beteiligen, so ohne weiteres anbieten. Denr hier hat wieder der Vertrag von Versailles alle Entwick- lungsmöglichkeiten in der Wurzel zerstört. Nach dem Friedensvertrag und den verschärfenden späteren Abmachunger darf Deutschland Bürgschaften, die eine Verfügung übei sein wirtschaftliches Vermögen bedeuten, nur mit Erlaubnis des Obersten Rates und der Entschädigungskommissior ausgeben. Werden diese hohen Mächte, die über das Schicksal Europas zu bestimmen haben, sich bereit finden?
In Frankreich, wo man schon einen vernünftigen Umschwung zu bemerken glaubte, ist plötzlich wieder ein R ü ck- schlagzurDrohung erfolgt. Pöincarehat — allerdings als seine persönliche Ansicht — verkünden lassen, das Belgien Deutschland bei der Entschädigungskommissior einzuklagen und diese dann nichts anderes zu tun habe als die „Verfehlung" Deutschlands festzustellen. Da- klang, wie alles bei Poincare, juristisch unanfechtbar, ist e- aber gar nicht. Denn die Entschädigungskommission hat rack» 8 17 und 18 der Anlage U zum VIÜ. Teil des Friedensvertrags die absichtliche Nichterfüllung festzvstellen. Dakann sie nicht mehr, nachdem sie in ihren letzten Beschlüsse!- festgestellt hat, daß Deutschland allen Kredit verloren habe also zahlungsunfähig sei.
Man sollte meinen, daß gegen diese Folgerung nicht aufzu- kommsn ist. Aber Poincare versucht es. Er hat eben immei noch Rücksicht zu nehmen aus sein Partamem und auf dii Parteien, von denen seine Herrschaft heute noch getrager wird. Prüft man die Erklärungen Poincares bei Licht, sc verlieren sie stark an ihrer Unerbittlichkeit. Er wirft sich zuw Vormund Belgiens auf und verlangt die Durchfühung de- französischen Plans in einer Angelegenheit, die vorerst nui dre Belgier angeht. Es ist auch sehr fraglich,, ob die Ent- scyadigungskommission auf das Pariser Kommando em- ichwenken wird. Der Fall war ja schon einmal da. Vor dem 31. August gab Poincare der Kommission ebenso bestimmte Befehle. Er drohte damals sogar mit dem sofortigen Austritt Frankreichs aus oec Konimission und damii auch aus dem Verband. Die Entschädigungskommission ließ sich nur zum Teil einschüchrern, indem sie keinen eigentlichen Zahlungsaufschub gewährte. Aber mit dem Ausweg einer deutsch-belgischen Verständigung gab sich Poincare gan? schön zufrieden. Es ist notwendig, darauf hinzuweisen, daß soga»die Pariser Zeitungen, die sonst mit ihm durch Dick und Dünn gehen, die Drohungen des ewigen Säbelraßler- ' nicht mehr ernst nehmen.
Tatsächlich glaubt Poincare selber nicht an die Erfüllung aller seiner Wünsche in der Entschädigungsfrage. Sons! hätte er nicht ein zweites Eisen ms Feuer gelegi, indem er „Sanktionen" auf grund der rückständigen deutschen Ausgleichszahlungen verlangt. Hier spürt er wieder den tragfähigeren Rechtsboden unter sich. Bei der Zusammenkunft in London rang er Lloyd George die Zustim
mung ab, daß Deutschland am 13. September die fälligen Ausgleichszahlungen voll zu bezahlen habe und Laß, wenn auch nur ein Pfennig fehle. Sanktionen eintreten sollen. Deutschland hat am 15. Sevlcmber nicht die ganze Schuld erledigen können. Poincare steht vor dem Siege! Aber vielleicht kommt doch noch etwas dazwischen.' —er.
Sozialistische Einigung
Die drei Parteitage
Ein parlamentarischer Mitarbeiter schreibt uns: In Augsburg haben die Verhandlungen des Sozialdemokratischen Parteitages begonnen, in deren Mittelpunkt die Einigung mit den unabhängigen Sozialisten steht, die ihre letzte Sondertagung in Gera abhaltrn wollen, um sich dann auf einem Einigungsparteitag am 21. September in Nürnberg mit den „alten" Sozial- oemokraten zusammenzuschltetzen. Damit soll ein Streit be- zraben werden, der im Jahr 1914 über Bewilligung aber Ablehnung der Kriegskredite ausbrach and seitdem zu immer neuen Spaltungen und Absplitterungen geführt hat. Bei dey bisherigen Eimgungsverhandlun- gen waren erhebliche Schwierigkeiten zu überwinden, namentlich bei den Unabhängigen, die es schwerer als die Nehrheitssozialdemokraten hatten, ihre radikalisierten Anhänger von der Notwendigkeit der Einigung zu überzeugen.
Nicht plötzlich aufgetretene große Liebe zwischen Len beiden Parteien hat die Einigung zustande gebracht, sondern die politische Entwicklung und auch im wesentlichen materielle Notwendigkeiten. Beide Parteien haben unter der Geldentwertung und Geldknappheit ebenso wie alle anderen politischen Parteien gelitten. Die Mehr- heitssozialdemokratie allerdings weniger als die Unabhängigen. Die Unabhängigen waren sich wohl schon seit längerer Zeit darüber im klaren, daß sie aus eigener Kraft einen neuen Wahlkampf geldlich kaum würden durchstehen können. Dazu kam die von Tag zu Tag gesteigerte Not der Partei presse, die immer mehr die Einigung als den noch einzigen Weg erscheinen ließ, Re Ebbe in der Parteikasse einigermaßen zu bannen. Rein politisch ist es aber zweifellos ein gut Stück Wegs von jenem Leipziger Parteitag der Unabhängigen, der sich nahezu einstimmig zur Rätedik- tatur bekannte, bis zu dem Einigungsprogramm, das jetzt der Beschlußfassung des Augsburger Parteitags unterliegt und das einen scharfen Schnitt macht zwischen den künftig vereinten Sozialisten und den neuerdings immer einflußloser werdenden Kommunisten.
Im übrigen ist das sozialistische gemeinsame Prcchramm ein regelrechter Austausch. Es weist beim ersten Anblick gewiß eine größere Aehnlichkeit mit dem vorigjährigen Gör- litzer Programm der Mehrheitssozialdemokratie als mit den Leipziger Beschlüssen der Unabhängigen auf. Aber es enthält auch mancherlei Formulierungen und stellt mancherlei „Kampfziele" auf, die höchst fragwürdiger Natur sind. Cs ist z. B. beachtenswert, daß die Verfasser des Programment- wurfs erklären, daß sie die Republik als die sicherste Grundlage und den Ausgangspunkt für die Verwirklichung des Sozialismus ansehen. Die demokratische Republik scheint ihnen somit nur als etwas „Vorläufiges" zu gelten, als eine Einrichtung, die zur Erkämpfung der eigentlichen sozialdemokratischen Parteiziele dienen soll
Das Einigungsprogramm kann zu einer ruhigen Entwicklung der neuen'vereinten Parteien und zu einer ersprießlichen Zusammenarbeit der Sozialdemokraten mit den bürgerlichen Parteien in den kommenden schweren Monaten führen, wenn es gelingt, den unversöhnlichen linken Flügel der Unabhängigen bei der Einigung auszuschalten, so daß er unter Ledebour eine kleine selbständige, aber bedeutungslose Partei bleibt oder zu den Kommunisten abschwenkt, wohin er mit seinem Ziel einer „Diktatur des Proletariats" gehört. Ueber diese sehr wichtige technische Frage des Zusammenschlusses wird man in Augsburg und dann erst recht in Gera noch manches hören. ' —er.
Die Ausgabesteigerungen bei der Reichsbahn
Während in dem Haushalt 1922 nach dem Stande vom 1. April die Gesamtausgaben für das Rechnungsjahr aus 100 Milliarden Mark veranschlagt worden waren, trieb sic die Markentwertung im Mai auf 131 Milliarden Mark, im Juni auf 153 Milliarden Mark, im Juli auf 195 Milliarden Mark, im August auf 235 Milliarden Mark, im September auf 395 Milliarden Mark (nach dem neuesten Stand geschätzt). Die Ein nah men hielten infolge der Gebührenerhöhung bei dem starken Personen- und Güterverkehr nicht nur mit den Ausgaben Schritt, sondern übertrafen sie für die ersten drei Monate des Rechnungsjahrs 1922 (April bis Jpni einschließlich) um rund 2,5 Milliarden Mark. Während die bisherige Entwicklung auch für das zweite Vierteljahr eine.Ausgleichung des Haushalts erwarten läßh werfen die Septemberpreise die bisherige Berechnung für die zweite Hälfte des Rechnungsjahrs über den Haufen: sie bringen eine Augabensieigeruna für die Zell
vom Oktober 1922 bis Ende März 1923 von monatlich L6,6 Milliarden Mark. Diese sind nach den obigen Ausführungen durch die für den 1. Oktober vorgesehene Tariferhöhung noch nicht gedeckt. Die monatliche Ausgabenerhöhung verteilt sich auf: persönliche Kosten mit 10,2 Milliarden Mark, sächliche Kosten mit 16,4 Milliarden Mark. So stieg z. B. in der Zeit von wenigen Wochen (August—September 1922) der Preis der deutschen Kohle von 2000 -4t auf 5500 -4t (175 Prozent), für die Tonne Schienen von 20 600 auf 50 000 -4t (243 Proz.), für die Tonne Eisenschwellen von 20 900 -4t auf 51 000 -4t (244 Proz.), Radsätze von 35 700 -4l auf 85 000 Mark (239 Proz.). Die Ausgaben für dis Kohle machten rund ein Viertel der Gesamtausgaben der Reichsbahn aus. Während der Kohlenverbrauch auf 1000 Lokomotivkilometer 1919 noch 22 Tonnen betrug, ging er 1920 auf 19?ü To., 1921 auf 17,9 To. zurück. Im lau> enden Geschäftsjahre ist 'er weiter gesunken auf 17,7 To. im April, aus 16,5 To. im llstai und auf 16 To. im Juni
Die errechnete monatliche Mehrausgabe von rund 26,6 Milliarden soll in der Hauptsache durch eine weitere Erhöhung der Gebühren — sowohl de- Güter- wie Personentarife — ausgeglichen werden. Der Reichsverkehrsminister beabsichtigt zu diesem Zweck, wie berichtet, die Gütertarife zum 1. Oktober über die bere'ts beschlossene Erhöhung von 83 Proz. hinaus, um weitere 100 Proz., ferner die am 1. Oktober in Kraft tretenden, um 50 Proz. erhöhten Personen- tarife vom 1. November ab um weitere 100 Proz. zu steigern^. Die neuen Sätze ergeben bei den Gütertarifen das runl^ 370fache, bei den Personentarifen das rund 45fache der Frie- denstarife. Einen Rückgang des Verkehrs glaubt die Reichsbahn nach den bisherigen Erfahrungen durch die Tariferhöhungen nicht erwarten zu müssen. Der Personenverkehr war im Sommer weit starker, als in den vorhergehenden Jahren, und auch im Güterverkehr haben die Leistungen der Reichsbahn die der früheren Sommermonate überstiegen und nähern sich merklich den Frieüensleistungen.
Kleine politische Nachrichten.
Wettere Zulagen für Beamte Berlin, 18. Sept. Der Ueberwachungsausschuh des Reichstags, der die Parlamentsgeschäfte während der Vertagung des vollen Reichstags zu führen hat, hat für die Beamten und Staatsarbeiter Unterstützungen zur Beschaffung von Kartoffeln in Höhe von 500 Millionen Mark bewilligt und die Kohlenzufchüsse von 100 auf 200 Millionen erhöht.
Karkosfelversorgung und Saatgekreide
Berlin, 18. Sept. Der Ausschuß des Reichsrvirkschafks- rats für Ernährung faßte einstimmig eine Entschließung, in in den überhasteten Maßnahmen der Reichsregierung und verschiedener Landesregierungen zur Kartoffelbeschaffung für Beamte, Angestellte und Staatsarbeiter durch Einkaufs- gesellschaften, Zweckverbände usw. sei eine verhängnisvolle Beeinflussung der allgemeinen Kartoffelversoruna zu erblicken. Der Reichsernährungsminister wird ersucht, den schlimmn Folgen entgegenzuwirken und die Unterstützung auf Geldvorschüsse zu beschränken.
Der Ausschuß weist ferner die Reichsregierung daraus hin, Laß ein schwerer Mangel an Saatgekreide, namentlich an Winterweizen und Winterroggen eingetreten ist, der darauf zurückzusühren sei, daß Heuer nur Originalsaatgul anerkannter Züchter von der Getreideumlage befreit wurde, während im Vorjahr auch die erste und zweite Absaat unter gewissen Bedingungen nicht abgeliefert zu werden brauchte. Der Au.schuß beschloß trotz des Widerspruchs des Regierungsvertreters mit 10 gegen 6 Stimmen, die Regierung zu ersuchen, die vorjährigen Bestimmungen wieder zur Anwendung zu bringen.
Gegen die Erfüllungspolille
Berlin, 18. Sept. Ein Vertretertag der Deutschnationalen Volkspartei forderte in einer Entschließung die sofortig« Abkehr von der „Erfüllungspolitik" des Kabinetts Wirth, die zu einem vollständigen Zusammenbruch geführt habe; dagegen wurde eine Politik ehrlicher und entschlossener Ablehnung unmöglicher Forderungen verlangt. Das herausfordernde Wort: Der Feind steht rechts, soll in Wort und Tat zurückgenommen werden. Weiter soll die Arbeitsleistung gesteigert, die Erzeugung vermehrt und der Ertrag den eigenen Volksgenossen zu Preisen zugeführt werden, die die Not der Verbraucher nicht unerträglich gestalten.
Rückgang der Sozialdemokratischen Partei
Berlin, 18. Sept. Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei stellt in seinem Bericht an den Parteitag in Augsburg. fest, daß der Bestand der eingeschriebenen Mitglieder 1 174105 männliche und 184 099 weibliche beträgt. Die Mitgliederzahl hat um 46 954 abgenommen.
Wissell über den Achtstundentag Berlin, 18. Sept. Der frühere sozialistische Minister Wissell erklärte auf der Tagung des Deutschen Eisenbahnerverbands, es sei unmöglich, sich auf den achtstündigen Arbeitstag zu versteifen. Eine sozialistische Wirtschaft sei