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Dienstag den 18. 3u!i 1922

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. Jahrgang

Die deutschen Kolonien vor dem

Gerade zur rechten Zeit wenige Wochen vor den von Amerika verlangten Verhandlungen des Völkerbunds über die kolonialenMandate" hat Dr. Heinrich Schnee, Deutsch-Ostafrikas letzter Gouverneur einen Bericht überDie deutschen Kolonien unter fremder Man­datsherrschaft" (Verlag Quelle und Meyer) gebracht. Wer in Deutschland in den Wirren dieser Tage noch einen Fun­ken politischen Instinkts bewahrt hat für Tatsachen und Ent­wicklungsmöglichkeiten jenseit gewöhnlichsten inneren Partei­haders, den muß dies Buch aufhörchen machen: er sieht hier Pfade ausgezeichnet, geeignet, uns aus der wirtschaftlichen Not hinaus- und hinaufzuführen. Allerdings unter Voraus­setzung einer nachträglichen Erfüllung von Punkt 5 der Botschaft des Präsidenten Wilson vom 8. Januar 1918, jener Botschaft, um die uns der VersaillerFriede" so schmählich betrogen hat. Eine sehr vorsichtige, fast zaghafte Schätzung klardenkender hanseatischer Kolonialkenner, die der Ostafrikaner Hans Zache im September 1921 imWirt- schasts-dienst" aufgestellt hat, beziffert den Wert unsrer Kolo­nien auf mindestens 70 Milliarden Gol - mark, der nach der Auffassung des Engländers Morel noch weil hinter der Wirklichkeit zurückbleibt: allein drei von den vier großen Schutzgebieten (in Ost- und Westafrika, wie in der Südsce) find nach ihm ungeheuer wertvoll, ihr tatsächlicher erst noch auszuschöpfendsr Reichtum überschreitet bei weitem die Kriegsschuld Europas. Sie stellen das Aufgeld auf dis Wiederherstellungsforderungen vor, d-as diese selbst weit übertrifst aber nicht einmal mit einer Papiermark stehen sie im großen Schuldbuch unsrer Zeit; unter einer schlau ausgeklügelten Manbatsherrschaft liegen sie brach, während Deutschland darbt und hungert und wirtschaftlich nicht wie­der hoch kommen kann. Der amerikanische Staatssekretär Lansinghat uns mit rücksichtsloser, gegen seine Mitspieler in Versailles fast brutaler Offenheit bestätigt, daß das Wort Mandat" (Auftrag zur Verwaltung) nur gewählt wurde, damit sich die Verbündeten den Wert der deutschen Kolonien nicht auf dis Kriegsentschädigung brauchten anrschnen zu lassen; wären sieannektiert" worden, hätte das sicher ge­schehen müssen.

Der deutsche Gouverneur, dem Südsee wie Ostafrika aus langjähriger Tätigkeit gleich vertraut sind, mar wie kein andrer befähigt, die kulturelle und wirtschaftliche Bilanz zu ziehen aus der zivilisatorischen Beglückung der unter deut­scher Herrschaft ein Menschenalterschmachtenden" Tropen­länder und ihrerunterdrückten" Bewohner. Er weist schla­gend das völlige Versagen derMandats"- Herrschaft" in Ost- und Westafrika, in der Südsee und in Kiautschau nach. Artikel 22 der Völkerbundsatzung hat zwar wundervolle Ziele gesteckt:Das Wohlergehen und die Ent­wicklung der Völker, die noch nicht imstande sind, sich unter den besonders schwierigen Bedingungen der heutigen Well selbst zu leiten, bilden eine der heiligen Aufgaben der Zivi­lisation, die am besten verwirklicht wird durch Uebertragung der Vormundschaft über diese Volker an die fortgeschrittenen Nationen," in diesem Fall an Engländer und Franzosen» an Belgier und Japaner. Was haben dieseMandatare" »aus den schönen deutschen Kolonien, aus ihren kulturell ge­hobenen, am Deutschen mit Liebe und Ehrfurcht hängenden Eingeborenen gemacht? Körperlich sind sie aufs . schwerste geschädigt durch Vernachlässigung fast jeder Ge­sundheitspflege, wie das Wiederaufleben furchtbarer Seuchen, der Pocken und der Schlafkrankheit wie der Rinderpest, be­weist, Wirtschaftlich sind sie so heruntergekommen, weil die sichern Verdienstmöglichkeiten der deutschen Zeit fehlen: Arbeit auf den einst blühenden, heute verkommenen Pflan­zungen oder bei den großen Bahnbauten, in Südwest in den gewaltsam stillgelegten Diamantseldern dafür sind die Steuern gleich geblieben oder vermehrt worden, von den Franzosen im tropischen Westafrika Arbeitszwang und allgemeine Dienstpflicht eingeführt, die sogar schon am Rhein oder Main erfüllt worden ist. Kulturell sind sie rasch gesunken, weil aus allen Kolonien die deutschen Missionare vertrieben sind und der ausgezeichnete, von uns eingerichtete Schulunterricht überall vermindert und verschlechtert wurde. Wir Deutsche haben in den Kolonien alles verloren, in Neuguinea sogar unter bewußtem Bruch feierlicher Ver­träge und unerhörter Ausnutzung deutscher Arbeitskräfte in einer Art von weißer Sklaverei man lese darüber die australische Zeitschrift Steads Review, vom 25. Juni 1921' Der Eingeborene hat nichts gewonnen. Wo die Last derWefreier" zu drückend empfunden wird, macht sich der Eingeborene, je nach der Kulturhöhe, in feister Weise Ltzft:

der Hottentot empört sich; der Duala, ausgerechnei

der Duala in Südwest (der infolge französischer Aufstachelung schon vor dem Krieg oft unbotmäßig war), macht Eingaben an die Weimarer Nationalversammlung und an den Ober­sten Rat, in denen er gegen die Besitzergreifung seines Lan­des durch die Franzosen protestiert; 117 auf spanisches Ge­biet erst 1919 übergetretens Kameruner Häuptlinge er­bitten des Königs von Spanien Hilfe, um unter deutscher Regierung bleiben zu können; der Temps berichtet (Juli 1920)- vom Protest der Togo-Leute gegen französische Herrschaft, und der in letzter Zeit dem französischen Kolonial- mmister wohl etwas auf die Nerven fallende Negerabgeord­nete Boisneut von Guadeloupe belegt (im März 1922) durch Dokumente, daß Togos Bevölkerung jetzt unter einem wahren Sklavenzustand lebe, trotz Abschaffung der Sklaverei unter denzum Kolonisieren unfähigen" Deutschen; in O st - asrika, heute Tanganjika genannt, gärt es nach englischem Zeugnis bedenklich, dort fährt kein Eingeborener mehr aus der Eisenbahn, weil Handel und Verkehr stocken, und dort läßt die englische Verwaltung alle nicht unbedingt zur Auf­rechterhaltung des Betriebs nötigen Stationen der Zentral­bahn eingehen; die sehr gebildeten Häuptlinge von Samoa senden eigenhändig geschriebene, wundervolle Eingaben an Seine Majestät nach London, deren Sprache dem gewandte­sten Diplomaten Ehre macht, um von Neu-Seelands Ge­waltherrschaft frei zu kommen.

Soll es so weitergehen? Soll unter dem Walten des Völkerbunds ein wertvolles Betätigungsfeld für deutschen Wiederaufbauwillen in der Welt weiter brachliegen? Sollen Rohstoffe und Nahrungsmittel, die nur unter tropischer Sonne reifen können, zu ernten uns Deutschen verboten sein, die wir in einem kurzen Menschenalter ohne eigne Erfahrung in Afrika u. in der Südsee mehr gesät haben, als manch altes Kolonialvolk in Jahrhunderten? Will die Welt zur Kriegs- schulülüge noch länger die Lüge der ko-lonisata ri­schen Unfähigkeit von uns Deutschen häufen, trotz in der Times immer wisderkehrender Anerkennung der ausgezeichneten deutschen Methoden und ihrer vor 1914 so gern und ehrlich anerkannten Erfolge? Engländer und Fran­zosen, Belgier und Japaner sind so übersättigt mil Kolonialbesitz, daß sie ihre Mandatsgebiete einfach verkommen lassen müssen. Und was dann? Gönnt man uns auf kolonialer^Erde so wenig wie auf europäischer tätige Mitarbeit am Wiederaufbau? Hätte man uns die koloniale Arbeit 1919 wieder.aufnehmen lassen, wie Wilsons fünfter Punkt verhieß, es stünde besser um weite Tropenländer, es stünde auch besser um uns, um unsre Ernährung und unfern Rohstoffbezug, und damit um Europa und um die ganze Welt.

Gegen die Schuldlüge

Die Liga für Menschenrechte hat Einladungen zu einem Kongreß versandt, der im Juni 1923 in Paris stattsinden soll Aus diesem Kongreß soll'auch die Frage der Kriegsschuld ver­handelt werden? In dem Schreiben heißt es:

Wenn wir die Schwierigkeiten der Gegenwart nach dev Grundsätzen unterer Liga beurteilen, müssen wir feststellen, daß diese Grundsätze sckMmlos verletzt und verkannt werden Deutschland, das 1918 nach einem erbarmungslosen Krieg be­siegt worden ist, wird von den siegreichen Völkern wie eine Kklavennakion behandelt und dazu verdammt, für viele Ge­schlechter die Kosten des Kriegs zu bezahlen. Das geschieh! nach dem Urteilsspruch des Vertrags von Versailles, duröl den Deutschland gezwungen wurde, sich als den allein Ver^ antworklichen für den Krieg zu bekennen, ohne daß ihm ge­stattet worden ist. über diese Frage zu sprechen, ohne daß es sich vor dem Tribunal, das dieses grausame Urteil fällte, ver­teidigen durfte, und sogar, ohne daß dem Verurteilten die Schriftstücke und Beweise vorgelegt worden sind, nach denen der Spruch erfolgte. Für Deutschland ist seither das Recht der Selbst-estinmne, ein Wort ohne Sinn geworden. Der Urteilsspruch, der Deutschland getroffen hat, bedeutet einen verdammenswerten Hohn auf die Gerechtigkeit, die für di« Vernunft und für die Grundsätze der Menschenrechte beleidi- gender ist, als es jemals der Spruch eines Kriegsgerichts sein konnte.

Riesengewinne des unlauteren Zwischenhandels

I..G. Im Saargebiet wurden für den Zentner Kartoffeln Heuer 8001000 Mk. bezahlt. Es ist hierzu festzustellen, daß im württembergischen Oberland Kartoffeln für die Saar in großen Mengen angekauft und von dort ausgeführt werden. Allein von der Station Herbertingen sind 40 Wagen nach dem Saargebiet verfrachtet worden, für die damals 4555 Mk. für den Zentner dem Erzeuger bezahlt wurden. Nimm! man an, daß für die gesamten 40 Wagen 55 Mk. angelegt worden sind, so hat 1 Wagen 11000 Mk. gekostet. Der Ver- kaufspreis ist 160 000 Mk., was eine Spannung von 149 006 Mk. zwischen Ein- und Perkauf bedeutete, ein Betrag, der

ganz gewiß nicht mit notwendigen Auslagen für Beschaf­fung, Transport, Risiko, Schwund, Wertoerminderung usw. begründet werden kann. Genau so ist es auch mit Butter und Eiern. Butter wird im Saargebiet zu 170 Mk. das Pfund verkauft; Eier werden mit 12 Mk. bezahlt. Diese Butter und diese Eier aber holt man bei uns und meistens im Ober­land und zahlte dafür bisher höchstens 50 Mk. für das Pfund Butter und 3.50 Mk. bis 4 Mk. für ein Ei. Durch solche Riesengewinne sind natürlich die Aufkäufer aus dem Saargebiet ständig rn der Lage, den landesüblichen in allen Dingen zu überbieten, wodurch dir Beschasfungs- nröglichkeit für die einheimische Bevölkerung bedeutend er­schwert und die landwirtschaftlichen Erzeugnisse ständig ver­teuert werden. Außerdem aber wird so auch eine Knapp­heit auf dem Markt geschaffen, die wir gerade jetzt am aller­wenigsten brauchen können. Hier müßte von seiten der ver­antwortlichen Behörden einmal alles aufgeboten werden, da­mit diesem Uebelstand gesteuert wird und damit die Erzeug­nisse, deren wir so dringend bedürfen, im Lande gehalten werden können.

Zur Schuldfrage

Der Versailler Vertrag ist durchweg auf dei Theorie gebaut und von ihr eingegeben, daß Deutsch­land allein an der Herbeiführung des Krieges schuldig ist . . . Nun ist jene Theorie im Hinblick auf das, was man im allgemeinen und besonderen in den Vereinigten Staaten seit dem Kriege erfahren hat, um das mindeste zu sagen, stritti g. Die Vereinigten Staaten sind kraft ihrer geogra­phischen Abgelegenheit und ihrer Freiheit von erblichen Ver­wicklungen in einer Lage, Vertreter zu liefern, welche eine unabhängige Prüfung jener Theorie, von der soviel abhängt, vornehmen können."

(.Freeman* vom 18. Mai 1921, auf einen Vorschlag des Prin- zenMaxvonBadenin -en .Foreign Affairs', daß ein inier- nationaler Prüfungsausschuß eingesetzt werde.)

Deutscher Reichstag

Das Gesetz für die Presse

Berlin, 17. Juli.

Der Gesetzentwurf über die Beseitigung des Notgels wird in allen drei Lesungen angeyommen. Danach soll alles Notengeld binnen 3 Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes eingelöst werden.

Cs folg! die 2. Beratuna des Gesetzentwurfs gegen di« Notlage der Presse. Der Ausschuß' sieht in der Regie­rungsvorlage das Mindestmaß dessen, was zur Unterstützung der Presse geschehen muß. Er will die Gesamtausfuhr mit einer Sonderabgabe von lll Prozent zu Gunsten der Press« belasten. Weiter wurde gewünscht, daß nicht nur die politische Tagsspresse, sondern auch die gewerkschaftlichen, genossen­schaftlichen und wissenschaftlichen Zeitungen und Zeitschriften unterstützt weiden. Die Regierung hat die Berücksichtigung dieser Wünsche in den Ausführungsbestimmungen zugesagt. Grundsätzlich wzrrde festgelegt, daß be; der Berechnung der Rückvergütung an die Zeitungen nach dem Papierverbrauch das für den Jnseratendruck verbrauchte Papier nicht berück­sichtigt werden soll. Die Geltungsdauer des Gesetzes hat der Ausschuß um 1 Jahr, bis 31. Dezember 1924 verlängert.

Reichswirtschaftsminister Schmidt bezweifelt die gün­stige finanzielle Wirkung des Gesetzes. Leider seien in den letzten Monaten viele Zeitungen eingegangen, andere seien m finanzielle Schwierigkeiten geraten. Man könne die Presse nicht der willkürlichen Preisgestaltung der Papierindustrie preisgeben. Für den demokratischen Staat sei eine unab­hängige Presse notwendig. Die bedrängte Lage der Presse fördere die Gefahr einer gewissen Verderbnis, wie sie in einem Te.l der ausländischen Presse schon bestehe. Der Ver­such, erhebliche Beträge aus dem Holzverkauf herauszuholen, mußte sich angesichts der Widerstände auf die Abgabe non einem halben Prozent beschränken. Gegen die Abgabe für sümtliche Ausfuhrartikel von 11L vom Tausend gemäß dem Ausschußanirag habe die Regierung keine Bedenken. Der Minist-.c wendet sich gegen einen Zentrumsantrag, der die Abgabefreiheit forstwirtschaftlicher Grundstücke von 10 Hektar auf 80 Hekrar ausdehnen will. Bei der Annahme dieses An­trags würde die Holzabgabe ganz unwirksam werden. Die Abgabe sei übrigens so gering, daß sie bei den großen Prei­sen für Holzverkäufe garnicht ins Gewicht faste. Die Anträge der Kommunisten (Abgabe von 7Z4 Prozent der Holzverkäufe und der Ausfuhr von 1^ Prozent),und des Zentrums wer­den akgelehnt. Angenommen wird ein Antrag Brulm (D.N.) und Fortmann. (Ztr.) und Genossen, wonach die Zeitungen mit geringem Papieroerbrauch bei der Rückvergütung ver­hältnismäßig besser bedacht werden sollen als die großen Zeitungen Im übrigen werden die Ausschußbeschlüsse be­stätigt Die Verabschiedung des Gesetzes in dritter Lesung kann nicht erfolgen, weil Abg. Hugenberg (DNat.) wider­spricht.

Die am Samstag wegen Beschlußunfähigkeit abgebrochene zweite Beratung des Nachtrags zum Erbschaftssteuergesetz wird abgeschlossen. Die Ausschußbeschlüsse werden im wesent­lichen bestätiat