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Nr. 157

Vor reichlich vierzehn Tagen waren die Berliner.Blätter voll von der Krise, in der sich die Reichsregieruug befinde wegen des Gesetzes über die neue Getreideumlage. Wir kühleren Reichsprovinzler glaubten nicht daran. Und siehe da, die angeblich so gefährliche Klippe ist vom Reichs­schiff umsegelt worden. Die drei Regierungsparteien, ver­stärkt durch die 61 Stimmen der Unabhängigen, haben im Reichstag der Vorlage glatt zum Sieg verholfen. wie es voraüszusehen war. Nach dem Gesetz werden also von heu­riger Ernte 2^ Millionen Tonnen Getreide trotz der gleichen Zahl ein verhältnismäßig größerer Teil der Ernte, als im Vorjahr, weil der diesjährigexErnteertrag voraus­sichtlich geringer sein wird von der öffentlichen Hand er­faßt; landwirtschaftliche Betriebe bis zu 5 Hektar Getreide­anbaufläche bleiben von der Umlage befreit, bei größeren Betrieben sind 2 Hektar frei. In den ersten vier Monaten nach dem 15. August ist mindestens ein Drittel der Umlage abzuliesern, und zwar ist dafür ein Grundpreis von 345 Mk. für den Zentner Roggen und 370 Mk. für den Zentner Weizen festgesetzt. In der Folgezeit wird für den Rest in zwei Zeitabschnitten bei der Preisbestimmung die jeweilige Veränderung des Weltmarktpreises mit der Maßgabe be­rücksichtigt, daß der Grundpreis der ersten Ablieferung als Richtpreis gilt. Das ist so zu verstehen, daß der Grundpreis der ersten Ablieferung sich im zweiten und dritten Ablicfe- rungsabschnitt entsprechend erhöht, wenp in dieser Zeit der Weltmarktpreis in. die Höhe geht, und daß er sich ent­sprechend vermindert, wenn (was allerdings kaum zu er­warten ist) der Weltmarktpreis sich inzwischen senken tollte. Es braucht nicht gesagt zu werden, daß der Anfangsgrund­preis unsres Umlagegetreides wesentlich niedriger sein wird, als der mutmaßliche Weltmarktpreis, denn sonst würde man die Umlage überhaupt nicht gemacht haben.

Mit dieserKrise" war es also nichts. Dagegen hat sich eine andere entwickelt, die damals allerdings auch die Ber­liner Presse nicht ahnen konnte. Inzwischen ist nämlich am 24. Juni der verbrecherische Mord an dem Reichsminister Rathenau begangen und in dessen Folge am 26. Juni eine scharfe Ausnahmeverordnung des Reichspräsiden­ten zum Schutz der Republik veröffentlicht worden. Gemäß dem Wort des Reichskanzlers Dr. Wirth'im Reichstag: Der Feind steht rechts!" und der ausdrücklichen Versicherung des Reichsjustizministers Dr. Radbruch ist dihte Ausnahmeverordnung ausschließlich gegen diejenigen Bestelle gerichtet, die Anhänger der alten monarchischen Staatsform sind. Diese Verordnung soll nun auf das Drängen der Linksparteien die Form eines Gesetzes aus die Dauer von fünf Jahren erhalten, und zwar soll sie zu­gleich so außerordentlich verschärft werden, daß z. B. aus eine ganze Reihe von Handlungen die Todesstrafe ge­setzt ist, und daß selbst die Verunglimpfung früherer und verstorbener Regierungsmitglieder aus republikanischer Zeit mit schweren Strafen belegt wird. In Verbindung mit diesem Ausnahmegesetz, das als solches eine Verfassungs­änderung darstellt und daher von den Heiden gesetzgebenden Körperschaften Reichsrat und Reichstag mit Zweidrittel­mehrheit angenommen werden muh, um rechtswirksam zu sein, hat die Reichsregierung das sogenannte Amnestie- g e s e tz eingebracht, das den von den außerordentlichen Ge­richten wegen des Kommunistenaufstands an Ostern vorigen Jahrs Verurteilten Straferlaß geben soll.

Es war naheliegend, daß Gesetze von solch einschneiden­der Bedeutung auf Widerspruch stoßen werden. Die bayerische Regierung und die bürgerliche Land­tagsmehrheit haben sie ganz entschieden abgelehnt, auch die württembergische Regierung glaubte ohne wesent­liche Abänderung demSchutzgesetz" nicht zustimmen zu können. Der Reichskanzler berief nun die Ministerpräsi­denten zu einer Besprechung nach Berlin und nach einer zweitägigen Auseinandersetzung soll eine Uebereinstimmung erzielt worden sein. So meldete der halbamtliche Telegraph. Das ist aber nicht wahr gewesen. Graf Lerchsnfeld kehrte, wie die bayerischen Blätter gleichermaßen berichteten, verstimmt nach München zurück. Im Ministcrrat teilte er mit, daß er in Berlin den bayerische! Standpunkt ^gehalten habe, und daß einige der Herren Kollegen also wohl Württemberg ihm beigetreten seien, aber er sei über- i stimmt worden. Der Mimsterrat beschloß einstimmig, von j Ser bayerischen Lime nicht abzugehen, und die bürgerlichen Landtagsparteien erklärten, daß sie geschlossen hinter der Regierung stehen.

* So kam nun die Schutzoorlage zu beschleunigtem Ver­fahren vor den Reichsrat. Es wurde gemeldet, daß das Gesetz mit 48 gegen 18 Stimmen (Bayern und eine Reihe

Samstag den 8. Juli 1922

preutzycher Provinzen), auo mit der erforderlichen Zwet- drittelsmehrhsit angenommen worden sei. In Berichtigung einer Meldung derSüddeutschen Zeitung", daß der Stimm­führer der württ. Vertretung (vier Stimmen), der rvürtt- Gesandte Hildenbrand, im Reichsrat im Gegensatz zu seiner Anweisung aus Stuttgart für das Gesetz gestimmt habe, erklärte die württembergische Regierung, daß sie zwar nicht den Auftrag erteilt habe, gegen das Gesetz zu stimmen, aber verschiedene Abänderung--an träge sollten gestellt werden. Ob Hildenbrand diese Anträge ge­stellt hat, ist aus der Regierungserklärung nicht ersichtlich: es scheint nicht der Fall gewesen zu sein. Dann würde aber das Abstimmungsbild eine wesentliche Veränderung erfahren.

Den Linksparteien geht das Schutzgesetz aber noch nicht weit genug, und um ihren Forderungen Nachdruck zu verschaffen, veranstalteten dis drei sozialistischen Parteien im Verein mit den freien Gewerkschaften am 4. Juli große Kundgebungen zum Schutz der Republik. So­gar die Eisenbahnzüge- mußten auf Anordnung des Reichs- verrehrsministers Grüner zu einer bestimmten Stunde eine gewisse Zeit stille stehen, wo sie sich auch befinden mochten. Die Geschäftsbetriebe wurden geschlossen, vielfach wurde die Schließung allerdings erzwungen. Im großen und ganzen sind aber die Kundgebungen in Ordnung ver­laufen. Nach und nach werden indessen auch viele höchst bedauerliche Ausschreitungen bekannt, die trotz der dringenden Warnung der leitenden Stellen vorgekommen sind. In der sächsischen Stadt Zwickau haben die Kom- mrnisten das Heft in die Hand bekommen, und die staatliche Schutzpolizei mußte nach blutigem Kampf auf Befehl der sächsnchen Regierung das Feld räumen. Aehnlich ist es in ganz' Thüringen, wo in den Gemeinden gemeinsame Kontrollau.s schlisse der drei sozialistischen Patteien als Verwalstingsbehörden gebildet wurden und ein gleicher Oberausschuß die Landesregierung in die Hand nehmen soll.

Es mag sein, daß die Reichsregierung sich den Schutz der Republik nicht gerade so gedacht hat, aber vom Standpunkt der sozialistischen Parteien, deren Ziel der Proletarische Klassenstaat ist, läßt sich gegen die thüringische Methode nichts .einwenden. Mögen sie es einmal versuchen. Im Reichstag, dem das Schutzgesetz jetzt zur Beschlußfassung vorliegt, wird man das Für und Wider über den Versuch ja wohl zu hören bekommen. Peinlich ist dagegen die Tat­sache, daß in Köln von den Teilnehmern der Kundgebung die >e n g l i s ch e n Truppen, die die deutsche Schutzpolizei bei den Ordnungsmaßnahmen unterstützten, in Zusammen­stößen am Dom und am Hauptbahnhof angegriffen und mit Flaschen und Pflastersteinen beworfen wurden. Die Eng­länder gingen darauf rücksichtslos mit den Waffen vor und die unbesonnenen Leute werden ihre Torheit schwer zu büßen haben, denn in solchen Dingen verstehen die Eng­länder keinen Spaß. Es wird aber auch an politischen Un­annehmlichkeiten nicht fehlen.

Das ist um so bedauerlicher, als das englische Militär der Besetzung sich immer anständig benommen hat. Als der bei Deutschland verbleibende Teil Oberschlesiens anfangs dieser Woche endlich von der feindlichen Besatzung er- löst wurde, da winkte die deutsche Bevölkerung den ab- ziehenden englischen und italienischen Truppen noch mit Tücherschwenken Abschiedsgrüße nach. Herzlich war auch der Abschied von den einzelnen Offizieren und Soldaten der .beiden Truppenkörper. DieFranzosen hingegen wagten sich in den letzten Tagen ihrer Schreckensherrschaft einzeln oder in kleiner Zahl gar nicht mehr auf die Straße, die Herren Offiziere sah man nur nochin Zivil", und nicht wenige von ihnen reisten Zivil voraus. Die Franzosen konnten es sich aber nicht versagen, zum Schluß noch in Eleiwitz, Beuchen, Ratibor, Hindenburg und an anderen Orten den Deutschen der Zivilbevölkerung natürlich bewaffnete Polenbanden auf den Hals zu Hetzen und sich selbst mit Vergnügen an der Hetzjagd zu beteiligen. In solchen Fällen, da sind sie Kriegsheldsn! Als es in Pris- kretscham zum Städtele naus ging, da fiel von ungefähr ein Schuß, vielleicht war's eine polnische oder französische Flinte. Flugs brachten die französischen Helden ihre Revolver­kanonen in Stellung und schossen drei Stunden lang wie toll in den Straßen herum. Nur sechs deutsche Zivilisten sind totgeschossen und einige Häuser sanken in der Schlacht m Trümmer. Man sollte sie eigentlich nach französischem Muster als Sehenswürdigkeit liegen lassen.

Trotz des Londoner Verdunsestes und-trotz der Behaup- tung Poincares, Frankreich habe für den Wiederaufbau des Knegsgebiets bereits SO Milliarden Francs auf- gewendet in London spottete man mit Recht über diese Ausschneidebei , liegen -m Frankreich die meisten Ruinen noch so, wie sie vor vier Jahren gelegen haben. Aber jetzt soll Ernst gemacht werden. Mit den Ruinen nickft. keine

96. Jahrgang

Spur. Aber etwa 20 000 deutsche Arbeiter sollen auf 10 Jahre zur Fronarbeit aufR e p a r a t i o n s- konto" nach Frankreich transportiert werden, um Flußläufe zu verbessern, Eisenbahnen zu bauen und Tunnels zu graben, vielleicht auch den nach England hinüber. Um den reißen­den Rhonestrom einzudämmen, braucht Poincare z. B. 12 000 deutsche Arbeiter, die bei lOstündiger Arbeitszeit in 10 Jahren 1,2 Milliarden Francs auf Kosten Deutschlands, versieht sich verdienen sollen. Rechnet man die Gehälter der zahllosen leitenden französischen Ingenieure, Werksleiter» Vorarbeiter usw. ab und berücksichtigt die Entwertung des Francs, so kämen auf den deutschen Arbeiter ein Tagesver­dienst von höchstens 5 Francs oder 4 Mark alter Währung. Eine ganz verlockende Aussicht, nicht wahr?

Daneben halten aber Poincare und die Pariser Kriegs­partei immer noch an dem Plan sest/das Rheinland dauernd zu besetzen. Der Münchner Prozeß gegen den Erzlumpen Leoprechting, der zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt wurde, hat die Machenschaften der französischen Politik geradezu in bengalischer Beleuchtung er­strahlen lassen. So ein Nichtsnutz, der sich von der Reichs­regierung in die rechte Hand 46 000 Mk. drücken läßt, um für die Neichseinheit" in Bayern zu wirken, und in die linke-die 50 000 Mk. französischer Schmiergelder für die Los­trennung Bayerns vom Reich nimmt, das war ein Mann für den Hertn Dard, den französischen Gesandten in München. Und solcher Art sind die Dorten, Smeets und wie sie alle heißen, die Helfershelfer des Erbfeinds. Die Gelegen­heit ist günstig. Es ist gelungen, die deutsche Mark so zu stürzen, wie noch nie; sie ist jetzt noch 0,9 Pfennig wert. Mit einer so entwerteten Mark lassen sich die entsprechend im Preis gestiegenden fremden Gelder, mit denen wir den Kriegstribut mit vorläufig allmonatlich 50 Missionen Gold­mark (fast 5A Milliarden. Papiermark) bezahlen müssen, nicht mehr kaufen und die Rohstoffe für die Ausfuhrindustrie kaum mehr in ausreichendem Maß beschaffen. In dieser Zwickmühle wollte Poincare das Deutsche Reich haben: das ist für ihn der Boden, wo dieSanktionen" blühen. Ohne allen Zweifel hat das Großkapital in Frankreich und anders­wo das Hauptverdienst an der neuen Markentwertung, die für Deutschland ganz unabsehbare Folgen des Unheils neben der unmittelbaren Lebensmittelverteuerung haben wird. Darum ruft die Presse in Frankreich und diejenige des edlen Northclisfe in England: Die Deutschen wollen betrüge­rischen Bankrott machen, um sich ihrer Schulden zu entledigen; holt, wa s noch zu holen ist!" Es mag wohl sein, daß nichtsnutzige Spekulanten in Deutschland im fröh­lichen Verein mit dem feindlichen Großkapital wissentlich oder unwissentlich arbeiten, aber das Gezeter über den betrügerischen Bankrott" kann über die Schuld und Absicht der eigentlichen Urheber nicht hinwegtäuschen. Sie ist ein Rüstzeug der Politik, die zielbewußt auf den U.n tergang Deutschlands hinarbeitet und zum mindesten das linke Rheinufer französisch machen will.

Jetzt istlLloyd George auf die letzte Probe gestellt. Er sagte kürzlich, er wünsche dieAusnahme Deutschlands in den Völkerbund. Wohlan Ist das Wort als wirkliche pnd wahrhaftige Sinnesänderung zur Rechtlichkeit aufzufassen, so darf er keine weitereSank­tion" und keine dauernde Besetzung dulden, die gegen Frie­densvertrag und gegen die ausdrückliche Abmachung zwischen Lloyd George und Briand von 1921 verstieße. Läßt er aber dieSanktionen" doch zu, dann bezweckt er mit derAuf­nahme" nichts anderes als die Eindämmung des überwiegen­den französischen Einflusses im Völkerbund durch Deutsch­land, und zwar im alleinigen Interesse Englands: wir wür­den also die gleiche Erfahrung noch einmal machen müssen, Sie wir mit einer gewissen anderen Redensart Lloyd Geor­ges', derb berüchtigten kair pIaz- (Anstand gegen Deutsch­land!) bezüglich Oberschlesiens gemacht haben. Wir wer­den ja sehen.

Deutscher Reichstag.

B-rlin, 7. Juli. Der Reichstag setzte heute die Bespre­chung der I -terpellationen über die Selbftschutzorganisationen und die Reichswehr fort. Zunächst vollendet der Deutsch- nationale Henset die gestern abgebrochene Rede, während die Linksparteien den Saal verließen. Der Demokrat Dr. Götz protestierte gegen die Dolchstoßlegende nnd nahm die Reichswehr und den ReichSwehrmtntster energisch in Schutz. ManrvSzicht und Tüchtigkeit lerne die Reichswehr von den Offizieren und Unrerosfisteren der alten Armee, der Reichswehr müsse aber auch klar gemacht werden, daß sie für die Republik zu arbeiten habe. Dazu gehöre Zeit. Die höheren Offiziere seien alle der Ueberzeugung, daß es sür jeden Baterlandsfceund nur eines gebe, nämlich mttzu- arbetten und sich der Republik zur Verfügung zu stellen.